Deutschland hat unter den unionsgeführten Bundesregierungen von Angela Merkel große Herausforderungen wie die Finanzmarktkrise ab 2008 sicher und erfolgreich bewältigt. Unserem Land geht es besser als je zuvor. Aber das Jahr 2017 birgt neue Ungewissheiten und bringt wichtige Weichenstellungen. Geopolitische Unsicherheiten, Terrorismus, Flüchtlingsbewegungen, das internationale Wohlstandsgefälle und die Digitalisierung verunsichern viele Menschen. Es ist ein Irrweg, deshalb die Globalisierung infrage zu stellen und zu meinen, man könne ihre Herausforderungen national in den Griff bekommen. Dies gefährdet tatsächliche und nachhaltige Lösungen. Die Globalisierung muss europäisch und global gestaltet werden.
Bereits seit einigen Jahren müssen wir feststellen, dass der Welthandel schleppender verläuft und auch die internationalen Investitionen nachlassen.
Das allein ist schon ein Alarmsignal, gerade für unser Land. Der Anteil Deutschlands an der Weltbevölkerung liegt bei einem Prozent, derjenige am Welthandel über sieben Prozent. Unsere Ausfuhren machen fast die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes aus. Jeder vierte deutsche Arbeitsplatz hängt direkt oder indirekt vom Export ab.
Fairer Wettbewerb als Leitbild
Nicht nur die deutsche Volkswirtschaft litte darunter, wenn wir der Globalisierung mit Protektionismus entgegenträten, sondern auch unsere vielen Partnerländer, aus denen deutsche Firmen Waren und Dienstleistungen beziehen und in denen sie in moderne Produktionsstätten investieren. Auch die für andere Länder hilfreichen deutschen Tourismusausgaben erreichen eine Größenordnung von 85 Milliarden Euro pro Jahr und sind damit die dritt höchsten der Welt.
Um dem Globalisierungsprozess positive Impulse zu verleihen, reicht Aufklärungsarbeit allein nicht aus. Wir brauchen handfeste Fortschritte in der internationalen Wirtschaftsordnung. Eine Balance zwischen Chancen und Risiken der Globalisierung werden wir nur erreichen, wenn sich die Staaten enger koordinieren. Unser Leitbild muss ein fairer internationaler Wettbewerb sein, bei dem jedes teilnehmende Land profitiert. Das ist realistisch, weil durch internationale Arbeitsteilung der Wohlstand wächst. Wir brauchen weitere Handelsliberalisierungen auf der Grundlage klarer, vorhersehbarer und möglichst multilateral abgestimmter Regeln.
Bei den Protesten in der deutschen Öffentlichkeit gegen die geplanten Freihandelsabkommen der Europäischen Union (EU) mit den USA und mit Kanada hieß es regelmäßig: „Stopp TTIP“ und „Stopp CETA“. Kaum jemand hat für ein besseres TTIP und ein besseres CETA demonstriert. Im Ergebnis wurde die europäische Verhandlungsposition geschwächt statt gestärkt.
Bewusst emotionalisierte Proteste
Von den Organisatoren der Kampagnen, aber auch aus dem gesamten Parteienspektrum jenseits der Union wurden gezielt Globalisierungsängste geschürt. Systematisch wurden Einzelfragen zu Grundsatzangelegenheiten verklärt, beispielsweise die Rolle von Schiedsgerichten, die Angleichung von Schutz normen – wie die amerikanischen „Chlorhühnchen“ – oder die öffentliche Transparenz des Verhandlungsprozesses. Die bewusst emotionalisierten Proteste können politisch gefährlich mutieren. Protektionismus und Nationalismus sind zwei Seiten derselben Medaille.
Für Populisten ist die Globalisierung eine dankbare Projektionsfläche. Sie machen diffuse äußere Kräfte für Negativentwicklungen verantwortlich, statt den heimischen Reformbedarf beim Namen zu nennen und politisch für die erforderlichen inländischen Reformen einzustehen. So fühlen sich rechtspopulistische Bewegungen in Frankreich, den Niederlanden, Polen, Italien, aber auch in Deutschland vom geplanten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union bestärkt. Dass die britische Regierung mit dem Brexit das freihändlerische Konzept eines „Global Britain“ verbinden will, nimmt in der aufgeheizten Debatte kaum noch jemand wahr.
Es trifft natürlich zu, dass die Globalisierung den Strukturwandel beschleunigt und Anpassung erfordert. Strukturanpassungen müssen auch politisch flankiert und abgefedert werden. Dabei müssen wir primär auf eine geschickte zeitgemäße Regulierung, im Ausnahmefall aber auch auf gezielte Anreize zur Umstrukturierung durch den Einsatz von Finanzmitteln setzen. In den großen Industriestaaten wie auch in der Europäischen Union gibt es dafür die erforderlichen Gelder. Die Umverteilung darf aber nicht als reine Ausgleichszahlung ausgelegt sein, sondern sie muss aktivieren und Strukturreformen begünstigen. Ihr Ziel muss immer sein, Menschen in neue Beschäftigung zu bringen und Betriebe neu auszurichten, damit die Unternehmen wettbewerbsfähig werden und wieder am Globalisierungsprozess teilhaben können.
Kooperation mit den Vereinigten Staaten
In den Vereinigten Staaten, dem Mutterland von Freiheit und Globalisierung, haben sich die Wähler nach einem zugespitzten Wahlkampf für „America first“ entschieden. Präsident Trump will geplante und bereits abgeschlossene Handelsabkommen aufkündigen und Schutzzölle beziehungsweise Import steuern einführen, um inländische Unternehmen im Wettbewerb zu begünstigen. Ziel ist es letztlich, nationale Handelsvorteile zulasten anderer Staaten herauszuschlagen.
Zum Instrumentenkasten einer solchen Abschottungspolitik zählen neben Einfuhrbeschränkungen Maßnahmen der Exportförderung wie auch die Abwertung der heimischen Währung. Dies ruft Vergeltungsmaßnahmen hervor und birgt das Risiko, dem Globalisierungsprozess einen nachhaltigen Schaden zuzufügen. Eine Abkehr von der multilateralen, regelbasierten Zusammenarbeit hin zu selektiven und unberechenbaren Maßnahmen stellt ein erhebliches Risiko vor allem für die deutsche Volkswirtschaft dar.
Was jetzt zählt, sind positive Ergebnisse statt ein wohlfeiler Antiamerikanismus, mit dem sich der Protektionismus hochschaukelt und unsere nationalen Interessen gefährdet werden. Die Endprodukte von heute bestehen aus länderübergreifend hergestellten Vorprodukten und Dienstleistungen. Durch eine internationale Trendwende hin zum Protektionismus wären die nationalen Anpassungslasten und Strukturbrüche am Ende größer als bei offenen Märkten. Protektionismus ist die falsche Antwort auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und der Globalisierung. Die Europäische Union sollte daher nicht leichtfertig mit Vergeltungsmaßnahmen drohen, sondern besser weiter auf den Gewinn durch Kooperation mit den Vereinigten Staaten setzen. Wir müssen die Europäische Union zudem entschieden darin unterstützen, neue Partnerschaften aufzubauen, etwa mit Kanada, Mexiko, Lateinamerika, Japan, Australien, Indien und China. Europa hat mit 510 Millionen Konsumenten einen größeren Binnenmarkt zu bieten als die Vereinigten Staaten, und auch das Bruttoinlandsprodukt der EU ist nahezu ebenbürtig. Vor allem ist das politische Signal erforderlich, dass der Freihandelsgedanke lebt und die teilnehmenden Länder stärker macht. Wichtig ist auch der baldige Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen den großen Industrieregionen Europäische Union und Japan.
„Made in Germany“
In internationalen Verhandlungen wird uns immer wieder ins Stammbuch geschrieben, nichts dagegen zu tun, dass unser Land einen deutlich höheren Wert an Produkten exportiert als importiert. Hier müssen wir darlegen, dass unser Exporterfolg auf der Qualität unserer Produkte und dem weltweiten Ruf von „Made in Germany“ beruht. Deutschland schottet sich nicht ab und diskriminiert keinen Auslandswettbewerb. Wir treten für freien Handel ein.
Beim Exportüberschuss muss man genauer hinsehen, denn aus manchen Ländern importieren wir mehr, als wir dorthin exportieren. Gegenüber China oder auch Russland ist unsere Handelsbilanz defizitär. Zudem sind die Wertschöpfungsketten gerade der deutschen Unternehmen mit umfang reichen Importen aus vielen anderen Ländern verbunden. Die Exporterlöse werden kräftig im Ausland investiert und sorgen dort für attraktive Jobs so wie Produktionsstätten mit hohen Arbeits- und Umweltstandards. Die deutsche Autoindustrie produziert mehr im Ausland als im Inland. Von den über fünfzehn Millionen Personenkraftwagen deutscher Hersteller des Jahres 2015 wurden 9,4 Millionen Einheiten in Fabriken im Ausland gefertigt.
Zusätzlich beflügelt werden die deutschen Exporte durch den niedrigen Eurokurs, der auf die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank zurückgeht. Sobald der Euro wieder aufwertet, werden Exporte erschwert und Importe angekurbelt. Der Exportüberschuss schmilzt dann ab. CDU und CSU, der Bundesfinanzminister und der Bundesbankpräsident treten schon lange für die dazu erforderliche Straffung der geldpolitischen Zügel ein – wir erkennen aber auch die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank an.
Auch eine starke Binnennachfrage hilft auf natürliche Weise, Exportüberschüsse zu begrenzen. Unter den unionsgeführten Bundesregierungen seit 2005 ist die heimische Nachfrage aufgrund der hervorragenden Beschäftigungsentwicklung, steigender Reallöhne und zunehmender öffentlicher Investitionen zum zweiten Wachstumsmotor neben dem Außenhandel heran gewachsen. Für die nächste Wahlperiode streben wir Steuersenkungen in Höhe von fünfzehn Milliarden Euro an, die der inländischen Nachfrage weitere Impulse verleihen werden.
Nicht unterschlagen sollten wir, dass auch eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften der Handelspartner unsere Außenbilanz stärker ins Gleichgewicht bringt. Auch aus diesem Grund werben wir gerade bei unseren europäischen Partnern vehement für Strukturreformen.
Internationale Unternehmensbesteuerung weiterentwickeln
Ein weiterer hervorragender Ansatzpunkt, um die Globalisierung positiver zu gestalten, liegt darin, die Steuern gerechter zu gestalten beziehungsweise international zu harmonisieren. Unternehmen, die Steueroasen nutzen, verschaffen sich unfaire Wettbewerbsvorteile. Sie finanzieren die Staaten nicht mit, in denen sie Geld verdienen und Infrastruktur nutzen. Die Chancen der Globalisierung für prosperierende Staatswesen werden dadurch gemindert – ein neuralgischer Punkt für die Akzeptanz der Globalisierung durch die Bürgerinnen und Bürger.
Der Staatengemeinschaft ist es aufgrund des Einsatzes von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gelungen, sich auf ein Projekt gegen aggressive Steuerplanungen international tätiger Konzerne und schädlichen Steuerwettbewerb zu verständigen. Das sogenannte BEPSProjekt richtet sich gegen steuervermeidende Gewinnkürzungen und verlagerungen (base erosion and profit shifting). Das BEPSProjekt ist nicht nur ein Meilenstein für die internationale Steuerpolitik, sondern es hat auch Vorbildcharakter. Wenn die erarbeiteten neuen Standards nun Schritt für Schritt umgesetzt werden, wird dies der internationalen Kooperation auch auf anderen Gebieten kräftigen Auftrieb verleihen.
Fluchtursachen bekämpfen
Rasche Fortschritte müssen wir überdies bei der Bekämpfung von Fluchtursachen erzielen. Die Menschen, die ihren Ländern den Rücken kehren, leben in Afrika oder Asien teils unter unmenschlichen Bedingungen. Gerade die Migrationsbewegungen verursachen in den Zielländern große Ängste vor
der Globalisierung. Beispielsweise standen bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen und der BrexitVolksabstimmung Migrationsprobleme stärker im Vordergrund der öffentlichen Debatte als der freie Güterhandel.
Die Bekämpfung von Fluchtursachen ist vor allem in Afrika von über ragender Bedeutung. Die Bevölkerung wird sich dort nach aktuellen Prognosen in den nächsten 35 Jahren von 1,3 auf 2,6 Milliarden Menschen verdoppeln. Die Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung, der Staatsführung, der Gesundheitsvorsorge, der Bildung und des Umweltschutzes sind lange bekannt und müssen umso dringender gelöst werden.
Wir sollten aber keinesfalls nur die Probleme Afrikas betonen und da bei übersehen, dass der Kontinent ein heterogener Weltteil ist, der auch große Möglichkeiten, kulturelle Vielfalt und ein echtes wirtschaftliches Potenzial bietet. Im Hinblick auf den afrikanischen Kontinent gilt es, die Chancen zu erkennen, zu fördern und zum Wohle der Bewohner wie der Weltgemeinschaft zu nutzen. Deshalb hat die Bundesregierung einen Schwerpunkt der Entwicklungszusammenarbeit in Afrika gesetzt. Vordringlich sind dabei die wirtschaftliche Entwicklung, Berufsausbildung, private Investitionen und die Beschäftigung.
Das Risiko von internationalen Rückschlägen ist im Jahr 2017 besonders hoch. Im nationalen wie im globalen Interesse müssen wir hart daran arbeiten, dass wir die Weichen richtig stellen. Ängsten und populistischer Stimmungsmache müssen wir mit Überzeugungsarbeit und erfolgreicher internationaler Zusammenarbeit begegnen. Deutschland hat eine besondere politische und wirtschaftliche Verantwortung, der wir in CDU und CSU nachkommen. Wir stehen auch in international unruhigen Zeiten zu unseren Werten und Überzeugungen und richten unser Handeln an ihnen aus.
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Volker Kauder, geboren 1949 in Hoffenheim, seit 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages, seit 2005 Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.