Die Relationen zwischen Psyche und Soma oder die komplexen und zugleich subtilen Wechselwirkungen zwischen Leib, Seele und Gesellschaft sind prominente und doch auch immer wieder vernachlässigte und oft kontrovers behandelte Themen nicht nur der Medizin, sondern auch der Psychologie sowie der Kultur- und Sozialwissenschaften. Soziale Erfahrung schlägt sich auch physisch nieder. Sie werde geradezu inkorporiert, betont der Soziologe Pierre Bourdieu. Kulturelle Bedeutungen, etwa auch Geschlechterbilder, werden in den Körper eingeschrieben, so Thomas Laqueur aus historischer Sicht. Und von Sigmund Freud wird immer wieder der berühmte Satz zitiert, dass das Ich „vor allem ein körperliches“ sei (1923, S. 253). Wie allerdings Psyche oder Geist und Soma zusammenhängen und auf welche Weisen gesellschaftliche Erfahrungen und sozialer Sinn auch bis in die feinsten Verästelungen der Körperwahrnehmung und des unmittelbaren Leiberlebens psychisch wirksam werden können, bleibt eine herausfordernde Frage, die zudem – je nach Bereich – differenziert beantwortet werden muss.
Dabei gilt es, so der Philosoph Bernhard Waldenfels, den Körper als eine „Umschlagsstelle zwischen Geist und Natur, […] zwischen Kultur und Natur“ zu begreifen. Es erfordert, die psychosozialen Bedeutungen des Körperlichen, wie sie auch mit der Subjektwerdung selbst verknüpft sind, mit den kulturellen Praxen in Beziehung zu setzen. So kann der Körper beispielsweise Vitalität, Lust und Schöpfungskraft repräsentieren, aber auch Angewiesenheit und Vulnerabilität. Er verweist auf Natalität im Sinne Hannah Arendts (1960), auf Freiheitspotenziale des mit dem Geborenwerden verbundenen Neubeginns, zugleich auf Endlichkeit und Begrenztheit. Insofern gehen vom Körperlichen gleichsam Bedeutungen aus, die wiederum soziale oder psychische sind und mit kulturellen Deutungen, Normen und Praxen verknüpft: einen „Körpersinn“ evozierend, der historisch und kulturell, aber auch milieu- oder lebensphasenspezifisch individuell variiert. Dies gilt auch für die vielfältigen diskursiven Ein- und Ausblendungen des Leibes.
Sozialität des Leibes und des „Ich“
Eine typische Verkennung des Leiblichen illustriert Waldenfels (2000) am Beispiel der cartesianischen Konstruktion des ego: „Jedermann kommt auf die Welt als Kind von Eltern. Dies wird niemand bezweifeln, doch es verwundert, dass die Philosophen darüber so wenige Worte verloren haben. Bei Descartes kommen weder Vater, Mutter noch Kinder vor, sondern das ego des ego cogito ist wie durch Urzeugung entstanden, durch eine Besinnung auf sich selbst“. Waldenfels wendet daher ein: „Wenn Cogito einen Leib hat, also männlich oder weiblich ist, so beinhaltet dies leibliche Bezüge: die Anderen sind in meinen Leib eingeschrieben: Zuerst bin ich leiblich da, auf die Welt gekommen als Kind von Eltern.“ Die Natalität, die Arendt beschrieben hatte, verweist zwangsläufig auf die Sozialität des Leibes und des „Ich“, so Waldenfels: „Als Kind habe ich bestimmte Vorfahren und als Erwachsener die Möglichkeit, selbst Nachfahren zu haben. Das Auf-die Welt-Kommen ist ein Grundereignis sozialen Charakters […]“ (ebd., S. 305 ff.). Leiblichkeit und Geschlechtlichkeit können im Lichte dessen ambivalent erlebt werden: auf die Welt gekommen zu sein als Kind von Eltern, in eine Welt hineingeboren zu sein, in Lebensvollzüge, deren Ausrichtung von Anderen bestimmt ist. Diese Ambivalenz kann auch einfließen in das Körpererleben.
Die Zusammenhänge von Leib, Körper, Psyche und Kultur manifestieren sich deutlicher gerade im Kontext von Krisen und Veränderungen. Dazu gehören nicht nur Erkrankungen oder psychophysische und zudem kulturell geprägte Prozesse wie etwa Schwangerschaft und Geburt. Sie treten auch in Lebensphasen mit markanten körperlichen Veränderungen hervor, wenn die Relationen von Psyche, Soma und Soziales geradezu paradigmatisch in Aufruhr geraten, wenn der Körper aufdringlich wird, wie etwa in der Jugend oder Adoleszenz.
Der Körper in der Adoleszenzkrise
Der Körper hat für Heranwachsende in der Jugend oder Adoleszenz – also der Phase zwischen Kindheit und dem Übergang in sozial definierte Erwachsenenpositionen – besondere Bedeutung. Im Zuge der Geschlechtsreifung sind sie in verstärktem Maße konfrontiert mit den Veränderungen des Körpers und den damit verbundenen sozialen Möglichkeiten und Begrenzungen. Was „die Adoleszenz zu einem […] kritischen Moment macht“, zu einer weichenstellenden Phase: dass in ihr begonnen, mehr oder minder erprobt wird, „an einem der gesellschaftlich anerkannten sozialen Spiele teilzunehmen und jene gleichermaßen ökonomisch wie psychologisch zu verstehende Primärinvestition, jene Initialbesetzung zu vollziehen, die bei jeder Teilnahme an einem ernsthaften Spiel vorausgesetzt ist“ (Bourdieu 1999, S. 34). Und „Primärinvestitionen“ richten sich zentral auch auf Körper und Geschlecht. Sie folgen dabei nicht einfach nur einem Modus der freien Wahl. Vielmehr verbinden sich zugleich soziale und kulturelle Dimensionen mit individuellen Formen psychischer Verarbeitung der körperlichen Veränderungen. Im Zuge dessen schreiben sich kulturelle Körper- und Geschlechterbedeutungen in die leibliche Selbst- und Fremdwahrnehmung ein.
Zunächst stellen gerade die körperlichen Veränderungen einen Anstoß adoleszenter Umgestaltungsprozesse auch auf der Ebene des Psychischen dar. Die mit dem herangewachsenen Körper verbundene Dialektik von Erweiterungs- und Begrenzungserfahrung kann als eine der zentralen Herausforderungen adoleszenter Veränderung betrachtet werden. So steht im Verhältnis zum kindlichen der herangewachsene Körper zunächst einmal für Potenz, für das „Groß“- und „Wirkmächtig-Werden“. Dabei ist der adoleszente Körper nicht allein groß, sondern auch im mehrfach determinierten Sinne sexuiert. Auf neue Weise ist der Bezug zum Anderen und damit auch die Abhängigkeit vom Anderen körperlich vermittelt: über Begehren und Begehrt-Werden wie über die Bilder der potenziellen Fruchtbarkeit. Der geschlechtsreife Körper steht damit einerseits für den von Waldenfels erwähnten Bezug zu Vater und Mutter als Eltern und Erzeugern, andererseits für die Möglichkeit, selbst generativ zu sein. Die psychische Auseinandersetzung mit dem Körper in der Adoleszenz verläuft daher immer in der doppelten Bedeutung, dass der Körper sowohl das „Für-mich-Sein“ indiziert als auch Ausdruck des „Von-Anderen-und-für-Andere-Seins“ ist. Diese verschiedenen Bedeutungsfacetten schaffen damit körperlich-psychisch-sozial grundlegend neue Bedingungen und entsprechende Herausforderungen der Adoleszenzkrise.
Der Begriff der „Krise“ wird oft missverstanden, so, als sei sie gleichzusetzen mit einem manifest dramatischen Verlauf. Das ist jedoch nicht gemeint. Vielmehr bezeichnet er einen Umschlagspunkt, bei dem etwas in Disbalance gerät und neu gelöst werden muss. Die besondere Dynamik der Adoleszenzkrise liegt etwa darin begründet, dass die gewohnte Selbstverständlichkeit des leiblich-körperlichen Seins erschüttert wird: Psychisches Selbstverständnis und körperliches Sein treten phasenweise auf befremdende Weise auseinander. Der veränderte Körper tritt dem in vieler Hinsicht noch kindlichen Selbst wie etwas Fremdes gegenüber. Aus dieser Perspektive kann die adoleszente Entwicklung als ein krisenhafter Prozess angesehen werden, im Zuge dessen der herangewachsene Körper psychisch angeeignet und eine neue selbstgewisse Verankerung im Körper-Selbst erst wieder hergestellt werden muss.
Distanzierendes Erleben von Körper und Selbst
Zur Beschreibung dieser Spannung kann wiederum die phänomenologische Begrifflichkeit verwendet werden, die das Leib-Sein unterscheidet vom Körper-Haben. Denn das selbstverständliche leibliche Sein wird im Zuge der sexuellen Reifung des Körpers in beunruhigende Unordnung versetzt, das bislang gewohnte Leiberleben des Nicht-mehr-Kindes wird durch die aufdringlichen physischen Veränderungen nahezu vollkommen umgewälzt. Und in dieser adoleszenztypisch zugespitzten Aufdringlichkeit des Körpers und der mit ihm verbundenen Phantasien und Gefühle entsteht zwangsläufig eine psychische Labilisierung: „Dieses Ding hier soll mein Leib sein?“ – so könnte das phasenweise, Körper und Selbst distanzierende Erleben von Adoleszenten beschrieben werden.
Gerade die unumstößliche Realität der körperlichen Veränderungen wird mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zum Gegenstand abwehrender Tendenzen. Die beschriebene Spannung zwischen Körper- und Selbstgefühl erzeugt eine Art Lücke und die typischen adoleszenten Kompensationsversuche: das Changieren zwischen Sein und Schein, zwischen Wissen und Nichtwissen, Allmachtsphantasie und Entwertung, zwischen verschiedenen sexuellen Identifizierungen oder zwischen Verschmelzungswünschen und narzisstischem Rückzug, die unvermittelt alternieren werden können. Adoleszente schwanken in ihrem Selbstempfinden psychischer „Größe“ und „Kleinheit“ im Umgang mit dem geschlechtsreifen Körper und neuen Begehren. Entsprechend werden die adoleszenten Inszenierungen auch auf der Bühne des Körpers gespielt.
Dazu gehören Ästhetisierungen des Körpers, die von den Erwachsenen als bizarr oder provokativ empfunden werden. Diese Ästhetisierungen sind ein Teil der in der Adoleszenz notwendigen Abgrenzung oder Überbesetzung des Selbst. In den Körper wird hineinphantasiert, er wird zum Beispiel „erwachsener“ oder „kindlicher“, „männlicher“ oder „weiblicher“, „geschlechtsneutraler“, „erotisch“, „asexuell“ oder „abstoßend“ zu machen versucht. Und dabei werden jeweils die kulturellen Codes und Bilder aufgegriffen, negiert oder verwandelt. Jugendliche können sich im Zuge dessen ebenso exzessiven Befriedigungen wie stoischen Versagungen hingeben. Sie experimentieren mit ihren körperlichen Kräften und Grenzen und spielen dabei in mehr oder minder gefährdenden Formen auch mit dem Risiko. Und sie greifen dabei mehr oder minder spielerisch oder angepasst die vielfältigen Bühnen der sozialen Medien auf, als Experimentierraum, aber auch als ambivalente Spiegel und Orientierungshilfen. Adoleszente sind daher auch besonders empfänglich für Körperinszenierungen, auch für Visualisierungsformen und Optimierungslogiken der digitalen Kultur in all ihren Schattierungen, zugleich prädestiniert für Neuschöpfungen.
So laufen die Bearbeitungen der Körpererfahrung – je nach sozialen und psychischen Bedingungen – unterschiedlich zwanghaft oder spielerisch ab: bis die Körper-Selbst-Beziehung eine neue Gelassenheit erlangt hat, bis das aufdringliche Körperhaben in der Adoleszenz auch wieder in ein ruhigeres oder hintergründigeres Leibsein zurückschwenken kann. Die Bedingungen und Chancen der Bewältigung dieser adoleszenztypischen Spannungen sind allerdings ungleich, sodass kulturell und psychisch unterschiedliche sowie sozial ungleiche Bedingungen sich auch nachhaltig auf das Körpererleben, den Körpersinn auswirken können. Auch in diesen Hinsichten ist die Adoleszenz zugleich ein paradigmatisches Beispiel für andere Lebensphasen, Prozesse oder Krisen – wie auch das Älterwerden –, in denen Psyche, Soma und Kultur in Spannung geraten und zugleich in ihrer inneren Verflochtenheit markant hervortreten.
Vera King, Professorin für Soziologie und Sozialpsychologie, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Geschäftsführende Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts Frankfurt am Main, Mitherausgeberin der Zeitschriften „Psyche“ und „Psychosozial“.
Literatur
Arendt, Hannah: Vita activa oder Vom tätigen Leben, Kohlhammer, Stuttgart 1960. Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1999.
Freud, Sigmund: Das Ich und das Es. Gesammelte Werke, Bd. 13, Leipzig 1923.
King, Vera: Die Entstehung des Neuen in der Adoleszenz. VS Verlag, Wiesbaden 2013.
King, Vera: „Der Körper als Bühne adoleszenter Konflikte: Dimensionen der Vergeschlechtlichung“, in: Niekrenz, Yvonne (Hrsg.): Jugend und Körper, Juventa, Weinheim 2011, S. 79–92.
Laqueur, Thomas: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, Campus, Frankfurt am Main 1992.
Waldenfels, Bernhard: Das leibliche Selbst, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2000.