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Was die Soziologie über den Fußball sagt

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Die analytische Auseinandersetzung mit dem modernen Fußball als kulturellem Phänomen ist aus soziologischer Perspektive vielversprechend: Als medial und global präsente (populär)kulturelle Form ist er verbreitet wie keine andere Sportart und bedeutsam für Globalisierungs-, Nationalisierungs- und Lokalisierungsprozesse. Fußball ist also kein marginales Thema, sondern Beispiel weltweiter medialer Konnektivität, kultureller Praktiken und Symboliken sowie der Ausbildung spezifischer Wissensbestände. Fußball wird häufig als Spiel interpretiert, das durch kompetitive Elemente des modernen Sports, vor allem durch politische und kulturelle Verflechtungen, komplexe Interpenetrationen von Gemeinschaftsidentitäten, Kodierungen sozialer Verhaltensweisen, Glaubenssysteme und durch die Symbolisierung von In- beziehungsweise Exklusion sowie sozialen Hierarchien gekennzeichnet ist und Bedeutung produziert.

Beispielhaft lässt sich die Produktion von Bedeutung und Wissen auf unterschiedlichen Ebenen anhand des „katholischen“ schottischen Fußballvereins Celtic Glasgow verdeutlichen, der von irischen Migranten gegründet wurde: Dieser betont einerseits seine Herkunft durch die Hervorhebung der vermeintlichen Bedeutung des irischen Katholizismus. Die Fans des Clubs beziehen sich während der Spiele – insbesondere während des „Old-Firm-Derby“ in der konflikthaften Auseinandersetzung mit dem „protestantischen“ Stadtrivalen Glasgow Rangers – symbolisch auf die irische Geschichte durch Lieder oder popkulturelle Versatzstücke: Songs wie „Fields of Athenry“ behandeln Themen wie die große irische Hungersnot (1845–1852) und die britische Besatzungszeit im 19. und 20. Jahrhundert, sie beziehen sich auf paramilitärische Gruppierungen (wie die Irisch-Republikanische Armee, IRA) oder positiv auf die katholische Kirche (zum Beispiel durch Vergleiche zwischen dem gegenwärtigen Trainer Brendan Rodgers und dem Papst). Andererseits agiert der Verein als Global Player und verfolgt Investmentstrategien, die auf die Rekrutierung von Spielern und Zuschauern auch außerhalb des lokalen, spezifisch historisch-kulturell geprägten Raums abzielen.

Das Image des FC Bayern München wiederum beinhaltet die ökonomische Einbindung der Vereinsmarke in den Weltmarkt (zum Beispiel durch die Asien-Tour in der Sommervorbereitung) bei gleichzeitiger Betonung des Lokalkolorits („Mia san mia“, „Finale dahoam“ et cetera). Auf der Ebene internationaler Wettkämpfe zwischen Nationalmannschaften, wie etwa bei Fußballweltmeisterschaften, lässt sich auf die symbolhafte Konstruktion nationaler Stile und Praktiken verweisen, etwa beim Singen der Nationalhymne oder der medialen Betonung historischer Rivalitäten (Deutschland – England), die letztlich die imaginierte Gemeinschaft „Nation“ als homogen erscheinen lassen, obwohl soziale Heterogenität offensichtlich Normalität ist.

Spiegel der Gesellschaft oder Gegenwelt?

Zwei Metaphern prägen das Verständnis des Fußballspiels und dominieren in öffentlichen und wissenschaftlichen Diskursen: Fußball wird wahlweise als Spiegel der Gesellschaft oder als Gegenwelt stilisiert. Problematisch ist daran, dass Fußball dadurch zu einem „uneigentlichen“, bestenfalls „sekundären“ Wirklichkeitsbereich gemacht wird. Betont wird damit der Eigenweltcharakter aus Institutionalisierung und Bürokratisierung durch Vereine und Verbände in Kombination mit der Sportwelt als emotionaler Gemeinschaft. Alternativ kann die Analyse des Fußballsports auch über seine Handlungspraxis im Rahmen alltagskultureller Kontexte erfolgen. In dieser Perspektive bedarf das Fußballspiel der beständigen Herstellung und Neugründung durch seine Akteure. So eröffnet sich ein Blick darauf, wie die Akteure im Handeln die Fußballwelt immer wieder neu erschaffen (müssen) und welche Hindernisse, Konflikte oder symbolischen Bedeutungen dabei wirken.

Im Folgenden werde ich mich auf den letztgenannten Bereich beziehen. Hierzu sind drei Konzepte der Interaktion und Orientierung im Kontext von Wandel und Bedeutung wichtig, nämlich Krise, Eventund der sogenanntePost-Fan. Diese ermöglichen die Analyse des Zusammenhangs unterschiedlicher Fußballkontexte und deren Verbindung, etwa die von Amateur- und Profiwelten des Spiels.

Krisekann demnach als Bruch routinierter Aktivitäten betrachtet werden, der die Legitimation sozialer Prozesse existenziell infrage stellt. Die Rede von der Krise ist entsprechend ein Hinweis auf Unsicherheit, Leiden und Martyrium und weist prinzipiell in eine ungewisse Zukunft. Ist die Krise erst einmal diagnostiziert, verlangt die Situation nach möglichen Handlungsoptionen, Entscheidungen und Neuordnungen.

Trainerwechsel und strategische Neuausrichtung

Allgemein wiederholen sich die Lösungsansätze und Veränderungsschübe in der Welt des Fußballs häufig oder folgen Ansätzen, die zu einem früheren Zeitpunkt bereits implementiert wurden. Klassisch ist etwa der Rückgriff auf Altbewährtes (zum Beispiel die Neubesetzung von Trainerposten). Die Welt des organisierten Fußballs kreist in dieser Perspektive um die permanente Reflexion von Legitimationsprozessen, die in der Regel dauerhaft die Krise in einer unbestimmten Form feststellen (Ergebnisse, Leistung, Zuschauerzahlen, Image, Zustand der eigenen Sportanlage, Nachwuchs et cetera). In dieser Hinsicht kann man Fußball als Spiel in der „Dauerkrise“ beschreiben.

Diese Krisen sind aber durchaus nicht nur als Bruch routinierter Abläufe zu verstehen; vielmehr dienen sie häufig als wesentlicher Antrieb und Motivator, wie etwa die Krise des deutschen Fußballs Anfang der 2000er-Jahre, auf die – auch dank des damaligen Nationaltrainers Jürgen Klinsmann – mit einer strategischen Neuausrichtung des Gesamtsystems reagiert wurde und die so als Grundlage für die Erneuerung und spätere Erfolge des deutschen Fußballs auf internationaler Ebene gelten kann.

Eine weitere Ausgangsthese unterstellt die zentrale Bedeutung vonEventsfür den Fußball. Events sind als symbolische, besondere Aktivitäten oder herausragende Ereignisse zu verstehen, die intensives subjektives Engagement fordern und Orientierung bieten. Nach einer spezifischen Interpretation argumentiert der Eventbegriff mit einer neuen Art von Gemeinschaft, in der Teilnehmer auf maximal viele (Selbst-)Verwirklichungschancen abzielen und von minimalen Verpflichtungen ausgehen. Im Fußball werden Events entsprechend genutzt, um die alten Traditionsgemeinschaften mit ihren symptomatischen Verbindlichkeitsansprüchen zu stärken, was wiederum mit dem Konzept der Krise in Zusammenhang steht. Auf diese Weise wird potenziell eine Verbindung zwischen Traditionalität und Posttraditionalität geschaffen. Im Fußballkontext gibt es die unterschiedlichsten Formen von Events wie Turniere (Weltmeisterschaft), Spiele (DFB-Pokalfinale), Zuschauerveranstaltungen („Public Viewing“) oder Events im nicht-professionellen Bereich (Kunstrasenprojekte, DFB-Ehrenrunde, Sichtungsturniere et cetera), die sich zur Analyse eignen. Zur Illustrierung kann die symbolische Bedeutung von Kunstrasenplätzen im deutschen Amateurfußball dienen.

Die doppelte Symbolik des Kunstrasenplatzes

Kunstrasenplätze als Spielflächen, die in den 1960er-Jahren zunächst in den USA im American Football eingesetzt wurden und die seit den 1970er-Jahren auch in Deutschland für Hockey und im Fußball angeboten werden, sind insbesondere im Profifußball als reguläre Wettkampfstätten umstritten. Der Plan des Weltfußballverbands FIFA beispielsweise, die Weltmeisterschaft der Frauen in Kanada im Jahr 2015 auf Kunstrasenplätzen auszutragen, hat bei den Beteiligten Proteste hervorgerufen und dazu geführt, dass eine Gruppe von Spielerinnen eine Klage gegen den Weltverband, unter anderem wegen vermeintlich erhöhter Verletzungsgefahr, anstrengte. Dennoch fand die Veranstaltung auf Kunstrasenplätzen statt, gedacht wohl auch als Testlauf für künftige Wettbewerbe der Männer. Während der frühere FIFA-Präsident Sepp Blatter Kunstrasenplätze für die „Zukunft des Fußballs“ hielt – und übrigens auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seit den frühen 2000er-Jahren offensiv für den Bau von Kunstrasenplätzen wirbt –, bezeichneten die protestierenden Spielerinnen den Belag als „Untergrund zweiter Klasse“ und fühlten sich diskriminiert.

Im Amateurfußball nimmt die Diskussion eine andere Stoßrichtung. Hier werden Kunstrasenplätze in der Regel als Ausdruck eines Modernisierungsprozesses der Vereine im Sinne einer existenzsichernden Maßnahme gedeutet. Die Krise, die es zu überwinden gilt, wird in der Wahrnehmung der Akteure meist durch die nicht mehr zeitgemäßen Tennenflächen („Aschenplätze“) ausgelöst, die durch die neuen „Astro-Turfs“ ersetzt werden. Der Bau von Kunstrasenplätzen im Amateurbereich gilt dann als Prestigeobjekt, seine Einweihung wird in der Regel als großer Event gefeiert. Dies schließt in zweifacher Hinsicht an Entwicklungen im Bereich des professionellen Fußballs an: Zum einen haben sich Stadien in Deutschland seit der Fußball-WM 2006 zu Vorzeigeobjekten des öffentlichen Raums entwickelt. Zum anderen symbolisieren diese Plätze häufig eine „hochgradig funktionale Differenzierung“, da sie einen Bereich repräsentieren, der vornehmlich für den Fußball und die lokale Gemeinschaft konstruiert wurde. Ihr Bau wird im Rahmen spezifischer Diskurse („Existenzsicherung durch Konkurrenzvorteil“ beziehungsweise „Gleichziehen mit der lokalen Konkurrenz“, „Grundlage für künftigen sportlichen Erfolg“, „Möglichkeit der Anwerbung besserer Spieler durch attraktiven Bodenbelag“) als alternativlos und Errungenschaft des Vereins dargestellt.

Die optische Gleichartigkeit der Kunstrasenplätze drückt dabei eine zunehmende Standardisierung und damit Homogenisierung des Raums aus, die dem Stadionprinzip im professionellen Fußball nahe kommt. Kunstrasenfelder bieten in dieser Hinsicht ein ideales Umfeld für die zunehmende kommunikative und praktische Modernisierung des Spiels, auch in den untersten Amateurbereichen und im Jugendfußball. Ihre Eigenschaften lassen daher vermehrt an Versatzstücke anschließen, die aus der kulturellen, medialen Zirkulationssphäre des Profifußballs stammen. Gleichzeitig wird im Rahmen von Legitimitätsdiskursen die Integration der lokalen Gemeinschaft betont. Paradoxerweise lösen also ausgerechnet „Plastikplätze“ – die ja ebenso gut lila eingefärbt sein könnten – ein Authentizitätsversprechen ein, indem sie einerseits die Teilnahme am „großen“ Fußball suggerieren und andererseits das Lokale integrieren.

Die Kategorie des Post-Fans

Konkret im Hinblick auf die analytische Verbindung von Profi- und Amateurfußball ist das kontrovers diskutierte Konzept desPost-Fanszu erwähnen. Dieser muss beispielsweise nicht mehr das Haus verlassen, um an einem Fußballspiel als Zuschauer teilzunehmen, da vor allem das Fernsehen und das Internet (zum Beispiel der Liveticker) zahlreiche Gelegenheiten bieten, dies von zu Hause oder unterwegs zu tun. Die Hauptspielart des Post-Fans ist demzufolge Mitglied einer neuen Mittelschicht in seinen unterschiedlichen Formen, welche sich populärkulturellen Erscheinungen gegenüber einerseits offen, andererseits reflexiv und kritisch-ironisch beziehungsweise distanziert verhält und ein Bewusstsein für die mediale Durchdringung des modernen Sports ausbildet, in welchem Inhalte stark selektiv verbreitet und Atmosphäre weitgehend simuliert wird.

Gerade die Flexibilität der Kategorie des Post-Fans ist hier von besonderem Interesse, weil sie eine Betrachtung unterschiedlicher Praktiken und Diskurse konzeptuell vorbereitet und entsprechend die Untersuchung eines Niederschlags des populär-kulturellen Phänomens Fußball auch im Lokalen ermöglicht. Post-Fans partizipieren in ihrer möglichen Funktion als Spieler, Trainer, Funktionäre, Schiedsrichter, Vereinsmitglieder oder -angestellte, Fans, Beobachter et cetera am professionellenundnicht-professionellen Fußballspiel, was potenziell zu gegenseitigen Beeinflussungen der Bereiche Profi- und Amateurfußball führt. Beispielsweise sind die Fans von Profimannschaften mitunter selbst im Amateurbereich als Spieler oder Schiedsrichter tätig; gleichzeitig können ehemalige Amateurspieler etwa als Pressesprecher oder Co-Trainer in den Profi-Bereich wechseln.

Forschung zum Fußball – und vor allem die hier vorgestellte Perspektive – thematisiert also vor allem Hinweise auf Uneindeutigkeiten und Widersprüche des globalisierten Spiels, die mitunter in den verschiedenen Welten des Fußballs (Amateure, Profis, Fans) zu finden sind und sie miteinander verbinden. Dabei geht es um Organisationsprinzipien und Wissensbestände der sozialen Welten – verstanden als Teilzeit-Welten mit Teilzeit-Mitgliedschaften – des organisierten Fußballs und um deren wesentliche Funktionen bei Prozessen der Selbstkonstituierung, -erhaltung, -wahrnehmung, -legitimation und Identitätsbildung sowie der Ausübung der für die soziale Welt spezifischen Aktivitäten.

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Kristian Naglo''istian Naglo''tian Naglo''an Naglo'' Naglo''aglo''lo'''', geboren 1973 in Koblenz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Philipps-Universität Marburg, Mitinitiator der internationalen Forschungsgruppe „Small Worlds of Football“.

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