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Forderungen des Deutschen Lehrerverbandes

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Die im Dezember 2023 veröffentlichten Ergebnisse der PISA-Studie 2022 fielen für Deutschland schlecht aus. Die Leistungen der deutschen Schülerschaft lagen auf dem niedrigsten Niveau seit Beginn der PISA-Messungen. Der Rückgang der Ergebnisse in Mathematik und im Lesen im Vergleich zu PISA 2018 entsprach der Lernleistung eines ganzen Schuljahres. Leider war das nach den Resultaten anderer Leistungsvergleichsstudien der letzten Jahre erwartbar.

Die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) 2021, der Bildungstrend des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB-Bildungstrend) 2021 im Primarbereich und der IQB-Bildungstrend 2022 für die Sekundarstufe I hatten bereits ungünstige Entwicklungen aufgezeigt. Mehr Heranwachsende als in den vorigen Jahren verfehlten in den IQB-Leistungsvergleichen die durchschnittlichen Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK) beziehungsweise erreichten nicht einmal die Mindeststandards. Als mögliche Ursache wurden die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Schulschließungen angesehen.

Im OECD-Vergleich waren die Leistungen in Deutschland durchschnittlich oder etwas besser. Bei der letzten PISA-Studie 2018 lagen die deutschen Fünfzehnjährigen noch über dem OECD-Durchschnitt. Mit Ausnahme von Japan verloren allerdings alle teilnehmenden Länder im Vergleich zu 2018, was darauf hindeutet, dass eine der Ursachen tatsächlich in den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bildungssysteme fast aller Länder liegt.

Bei den in Deutschland getesteten Jugendlichen verfehlten 25 Prozent die Mindeststandards im Lesen, dreißig Prozent in Mathematik und 23 Prozent in den Naturwissenschaften. Kinder mit Migrationshintergrund hatten – nach Berücksichtigung des sozioökonomischen Profils – einen Rückstand von vierzig Leistungspunkten im Vergleich zu Kindern ohne Migrationshintergrund.

 

Deutsch als Bildungssprache

Als Reaktion auf die PISA-Ergebnisse zogen die Kultusminister vor allem folgenden Schluss: Deutsch als Bildungssprache muss gestärkt werden. Als Deutscher Lehrerverband unterstützen wir diesen Ansatz, vor allem die vordringliche Vermittlung der deutschen Sprache im frühkindlichen Bereich und im Primarbereich.

Alle Kinder haben ein Recht auf einen möglichst guten Start in ihre Bildungsbiographie. Die Beherrschung der deutschen Sprache als Bildungssprache ist der Schlüssel zum Erfolg. Fehlende Deutschkenntnisse blockieren auch das Heimischwerden im deutschsprachigen Kulturraum. Der Deutsche Lehrerverband plädiert daher für verpflichtende Sprachstandtests im Kita-Alter, um kein Kind zu übersehen. Bei Bedarf sollten Kinder gezielte Sprachförderung im letzten Kita-Jahr oder in einer Vorschule erhalten. Die nachfolgende Einschulung in die Jahrgangsstufe 1 muss für jedes Kind ein Erfolgserlebnis sein und darf nicht an mangelnden Deutschkenntnissen scheitern.

Wir sind davon überzeugt, dass die Grundschulen den Fokus vor allem auf die Grundfähigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens legen sollten. Dazu gehören auch die Fähigkeiten, sich über längere Zeiträume zu konzentrieren, zuzuhören und sich mit zunehmendem Alter sprachlich differenzierter ausdrücken zu können. Hierfür ist Zeit zum Lernen und vor allem Zeit zum Üben notwendig. Wiederholung ist gerade für Kinder wichtig, denen die besagten Grundfertigkeiten schwerfallen. Erst recht, wenn das Elternhaus aus sozioökonomischen oder sprachlichen Gründen nicht unterstützen kann, benötigen Kinder Raum zum Üben in der Schule.

Zudem sollten die musischen Fächer Musik und Kunst sowie Sport und Bewegung eine wichtige Rolle in der Grundschule spielen – auch zur Förderung der grob- und feinmotorischen Entwicklung. Naturwissenschaftlich-technologische Fragestellungen greifen die Neugier der Kinder auf und vermitteln dadurch erste Ansätze des empirischen Denkens. Geografische und geschichtliche Grundlagenkenntnisse über die eigene Region helfen, eine Vorstellung von Gesellschaft zu entwickeln und sich heimisch zu fühlen. Für diese Vermittlung brauchen die Grundschulen Zeit. Schulfächer wie Englisch und Programmieren sind im Bereich der weiterführenden Schulen besser aufgehoben; sie binden wertvolle Zeit und Energie, die auf die sichere Erlernung der Grundlagen verwendet werden sollten.

 

Analoge Fähigkeiten im Primarbereich

Die Digitalisierung macht auch vor den Grundschulen nicht halt, digitale Konzepte können auch dort gewinnbringend eingesetzt werden. So können etwa durch Künstliche Intelligenz (KI) gestützte Anwendungen die Lehrkräfte entlasten, indem Übungsaufgaben für verschiedene Niveaus generiert werden. Formen von Gamification – die Anwendung spieltypischer Elemente in einem spielfremden Kontext – können Übungen und Wiederholungen gerade den Kindern schmackhaft machen, die sich mit den Aufgaben schwertun.

Insgesamt sind wir als Deutscher Lehrerverband der Ansicht, dass die Grundfähigkeiten in „analoger“ Form gesichert sein sollten, ehe auf digitale Hilfen zurückgegriffen wird: eine lesbare, flüssige Handschrift muss vorhanden sein, bevor mit der Tastatur geschrieben wird oder Antworten nur in Multiple-Choice-Format abgefragt werden; flüssiges, sinnentnehmendes Lesen ist die Voraussetzung, ehe womöglich sprechende Schulbücher in Mode kommen; strukturiertes stringentes Schreiben muss beherrscht werden, ehe Kinder auf Formulierungshelfer in Form von Large Language Models wie ChatGPT zurückgreifen. Diesen Schwerpunkt auf die analogen Fähigkeiten im Primarbereich setzt das Impulspapier der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz unter Olaf Köller und Felicitas Thiel. Sie empfehlen, KI-Anwendungen wie Large Language Models erst am Ende der Sekundarstufe I nach und nach als Werkzeuge für die Schülerinnen und Schüler einzuführen.

Für die weiterführenden Schulformen gilt: Auch dort muss die Förderung von Deutsch als Bildungssprache in allen Schulfächern ein Schwerpunkt sein. Ein wichtiger Aspekt ist dabei: Die Wahl der weiterführenden Schulform sollte nach Anlagen und Fähigkeiten des jeweiligen Kindes gewählt werden, wobei die bisherigen Leistungen und die Einschätzungen der Lehrkräfte eine größere Rolle als der Elternwunsch spielen sollten. Die PISA-Ergebnisse 2022 wurden nicht nach Bundesländern aufgeschlüsselt. Doch die innerdeutschen Vergleichsstudien weisen darauf hin, dass Kinder und Jugendliche in den Bundesländern, die Wert auf den Leistungsgedanken legen und den Übertritt an die weiterführende Schule auch von Noten abhängig machen, auf allen Niveaus besser abschneiden. Auch die Zahl der Schulabbrecher ist in diesen Bundesländern niedriger.

 

Förderung leistungsstarker Kinder

Der Diskurs in Politik, Medien und Öffentlichkeit konzentriert sich nach der Veröffentlichung von Schulleistungsvergleichsstudien wie PISA oder der IQB-Bildungstrends auf die Gruppe der Kinder und Jugendlichen, die die Mindestanforderungen nicht erreichen. Zu Recht, denn sie brauchen am dringendsten Förderung, und Ansätze müssen gefunden und implementiert werden, damit nachfolgende Jahrgänge besser abschneiden können.

Darüber hinaus darf allerdings eine andere Gruppe nicht übersehen werden: die Schülerinnen und Schüler, die weit überdurchschnittlich abschneiden. Gerade in sehr leistungsheterogenen Schulklassen fokussieren sich Lehrkräfte auf die Förderung der Leistungsschwächeren, die Begabten laufen einfach mit, weil sie in den meisten Fällen „keinen Ärger“ machen und kaum Aufmerksamkeit einfordern. Aber auch sie benötigen eine bestimmte Form der Förderung, um ihre Begabungen im Schulalltag weiterzuentwickeln. Das Verhalten der Lehrkräfte in dieser Situation ist verständlich, denn auch ihnen stehen nur begrenzte Zeit und Energie zur Verfügung.

Dies führt zu einem weiteren Aspekt, der das Bildungswesen in Deutschland zunehmend belastet. Die Lehrerverbände unterschiedlicher Schulformen weisen bereits seit Jahren auf den sich entwickelnden Lehrkräftemangel hin; leider wurden diese Warnungen von der Bildungspolitik lange Zeit ignoriert und kleingeredet. Inzwischen ist der Lehrkräftemangel in aller Munde, alle Bundesländer suchen nach Quer- und Seiteneinsteigenden, Kinder und Jugendliche sind in ihrem Lernen belastet von zahlreichen Unterrichtsausfällen oder Vertretungsstunden, die fachfremd gehalten werden beziehungsweise eigentlich nur der Beaufsichtigung dienen.

Die vorhandenen Lehrkräfte im Schulsystem sehen sich konfrontiert mit großen leistungs- und verhaltensheterogenen Klassen, in denen sie die Kinder und Jugendlichen nicht mehr adäquat ihren Fähigkeiten und Begabungen gemäß fördern können. Zugleich sind sie belastet mit unterrichtsfernen Tätigkeiten. Viele gehen daher in Teilzeit, was den Mangel an Lehrkräften verstärkt.

Als Deutscher Lehrerverband fordern wir eine 130-Prozent-Lehrkräfteversorgung an allen Schulen. Damit würden Erkrankungen, Elternzeiten und Abwesenheiten aufgrund von Klassenfahrten und Fortbildungen aufgefangen und eine Unterrichtsabdeckung von 100 Prozent ermöglicht. Zeitweilig „überzählige” Stunden stünden zur Förderung verschiedener Schülergruppen zur Verfügung.

In Zeiten des Lehrkräftemangels ist uns klar, dass die notwendige Zahl für diese Abdeckung auf dem Arbeitsmarkt aktuell nicht zur Verfügung steht. Daher ist es uns ein dringendes Anliegen, dass Lehrkräfte von unterrichtsfernen Aufgaben entlastet werden. Schulen benötigen flankierendes Personal für Schulverwaltung, Schulassistenz, Schulpsychologie, Sozial- und Jugendarbeit.

 

Erziehungspartnerschaft zwischen Elternhaus und Schule

Für alle Aspekte der Erziehung und Bildung gilt aber: Schulen und Lehrkräfte können nicht alles allein leisten und auffangen. Die OECD betont stets die wirtschaftlichen Auswirkungen mangelnder Kenntnisse und hat in dieser Hinsicht eine etwas eingeschränkte Perspektive. Neben den wichtigen Fähigkeiten und Kenntnissen, die Kinder und Jugendliche in den einzelnen Schulfächern lernen sollten und die sie brauchen, um ein eigenverantwortliches Leben zu führen, sind Schulen auch Orte der Demokratieerziehung und Medienbildung. Dieser Aspekt wird immer wichtiger, je mehr digitale Medien im Alltag und der Zugriff auf KI-Anwendungen in der breiten Bevölkerung zunehmen. Schulen leisten dort schon sehr viel, benötigen jedoch die Unterstützung der Gesellschaft auf vielen Ebenen – ebenso der Bildungs- und Finanzpolitik wie der Eltern.

Eine wichtige Voraussetzung für gelungene Bildungsbiographien ist eine Erziehungspartnerschaft zwischen Elternhaus und Schule. Kinder und Jugendliche sollten Grundlagen mitbringen: Grundlagen des sozialen Verhaltens, der Emotionsregulation, des Belohnungsaufschubs, eine gewisse Aufmerksamkeitsspanne, bestimmte motorische Fähigkeiten. Auf diesen Grundlagen können Schule, Eltern und Gesellschaft (etwa Institutionen wie Sportvereine, Musikschulen, Kinderund Jugendclubs, Kirchen und andere religiöse Gemeinschaften) gemeinsam aufbauen.


Stefan Düll, geboren 1964 in Mindelheim, Oberstudiendirektor, Schulleiter und Seminarvorstand des Justus-von-Liebig-Gymnasiums Neusäß, seit 2023 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes.

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