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Konrad Repgen zum 100. Geburtstag

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Vor 100 Jahren, am 5. Mai 1923, wurde Konrad Repgen in Friedrich-Wilhelms-Hütte (heute einer der zwölf Stadtteile von Troisdorf bei Bonn) geboren. Er wuchs in einem tief katholischen Elternhaus auf. Sein Vater, Anhänger der Zentrumspartei, wurde nach der „Machtergreifung“ Adolf Hitlers vom 2. bis 8. Mai 1933 zunächst in „Schutzhaft“ genommen, dann als Volksschulrektor suspendiert und schließlich als einfacher Lehrer strafversetzt. Der Existenz der Kirche und seinem Elternhaus verdankte Konrad Repgen es, „nicht in eine nach den Wünschen und der Zwecksetzung der braunen Diktatur modellierte Wertewelt“ hineingewachsen zu sein.

Nach Volksschule und dem Abitur 1941 am Bonner Beethoven-Gymnasium folgten Reichsarbeitsdienst und Kriegsdienst in einer Wetterbeobachtungsabteilung an der Ostfront (bis August 1944) und anschließend im Westen, wo er bei Kriegsende in britische Kriegsgefangenschaft geriet. Im November 1945 nahm er in Bonn das Studium der Geschichte, Germanistik und Latein auf. Prägenden Einfluss übten neben seinem Doktorvater Max Braubach der Landeshistoriker Franz Steinbach, der Kirchenhistoriker Hubert Jedin und der Bonner Studentenseelsorger Josef Steinberg auf ihn aus. 1950 wurde er von seinem Doktorvater mit der Dissertation Märzbewegung und Maiwahlen des Revolutionsjahres 1848 im Rheinland promoviert.

Als Mitglied des im Sommer 1948 gegründeten „Bendorfer Kreises“, der sich intensiv mit dem Verhältnis von Theologie und Politik befasste, wuchs in ihm der Wille, als katholischer Christ auch gesellschaftspolitische Verantwortung im demokratischen Rechtsstaat zu übernehmen. Von 1950 bis 1952 war er Generalsekretär der Katholischen Deutschen Studenten-Einigung. Die bei der Arbeit an seiner Dissertation geweckten wissenschaftlichen Ambitionen verlor er jedoch nicht aus den Augen. Ab November 1952 konnte er sie mit einem Forschungsstipendium am Römischen Institut der Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft und ab November 1953 als wissenschaftlicher Assistent am Deutschen Historischen Institut in Rom mit intensiven Quellenstudien im Vatikanischen Apostolischen Archiv weiterverfolgen.

Im Oktober 1955 kehrte er auf eine Assistentenstelle am Lehrstuhl seines Doktorvaters nach Bonn zurück und habilitierte sich 1958 mit dem Thema Die römische Kurie und der Westfälische Friede. 1961/62 wirkte er als „Diätendozent“ in Bonn, ab Oktober 1962 als ordentlicher Professor an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. 1967 folgte er dem Ruf der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (als ordentlicher Professor für Mittelalterliche und Neuere Geschichte) als Nachfolger Max Braubachs auf den Konkordatslehrstuhl, den er bis zu seiner Emeritierung am 31. Juli 1988 innehatte.

 

Quellen als Rückgrat der Geschichtswissenschaft

 

Als Methode seiner Forschungstätigkeit bezeichnete er die problemgeschichtliche und quellennahe Verbindung politischer Ereignismit Geistesgeschichte (insbesondere Theologie-, Historiographie- und Rechtsgeschichte). Diese „Methode“ war Richtschnur für seine rund 350 Veröffentlichungen und zahlreichen Herausbeziehungsweise Mitherausgeberschaften. Seine enorme wissenschaftliche Arbeitskraft umfasste den gesamten Zeitraum vom

15. Jahrhundert bis zur Gegenwartsgeschichte in nahezu allen klassischen Teilgebieten der Geschichtswissenschaft – vom Wiegendruck bis zur Außenpolitik Europas, von der mikrohistorischen Detailstudie bis zur makrohistorischen Synthese – und beeindruckte mit ihrer methodischen Strenge und Genauigkeit. Beeinflusst durch das zeitgenössische Erleben des Dritten Reichs, des Zweiten Weltkriegs und des deutschen Zusammenbruchs von 1945, galt sein besonderes Interesse den Revolutions- und Krisenzeiten und der Überwindung des Kriegs durch Frieden. Die methodische Erschließung und kritische Edition von Quellen als dem „Rückgrat“ der Geschichtswissenschaft wurde Repgens wissenschaftliche Mission.

Seine 1957 veröffentlichte Denkschrift Über eine Ausgabe der wichtigsten Quellen zur Geschichte des Westfälischen Friedens führte 1958 zur Gründung der „Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte“, die mit ihm als Herausgeber, Motor und Schlüsselfigur die wichtigsten Quellen zum ersten großen europäischen Friedenskongress, die Acta Pacis Westphalicae, in vorbildlicher Weise dokumentierte. Was in den Friedensverhandlungen gelungen war – die Überwindung der Macht durch Recht –, sah er als Herausforderung, eine derartige Heimsuchung für Deutschland nach 1945 dauerhaft unmöglich zu machen. Dem engagierten und inspirierenden Hochschullehrer gelang es immer wieder, junge Wissenschaftler für die editorische Kärrnerarbeit zu gewinnen oder auch für andere Forschungen zu begeistern. Fünfzig Schüler führte er zur Promotion, eine ganze Reihe von ihnen mit finanzieller Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung, der er auch als Autor ihrer Zeitschrift Die Politische Meinung eng verbunden war; zwölf seiner Schüler habilitierten sich und wurden an Lehrstühle berufen.

Sein zweiter Forschungsschwerpunkt war die Geschichte des deutschen Katholizismus im 20. Jahrhundert. Bei einer Tagung von ehemaligen Politikern der Zentrumspartei und Historikern in Würzburg im Jahr 1961, bei der es unter anderem um die Entstehung des Reichskonkordats von 1933 ging, forderte er, die Wahrheit müsse ans Licht gebracht werden. Diese Tagung wurde zur Geburtsstunde der „Kommission für Zeitgeschichte“, die er 1962 mitgründete und deren erster Vorsitzender er wurde. Auch diese Institution sollte mit Quelleneditionen die Kontrollmöglichkeiten für einschlägige Forschungen liefern. Wiederum bewies er sein ausgeprägtes Talent als Editor und Wissenschaftsorganisator, setzte Maßstäbe bei der Herausgabe einschlägiger Quellen und Studien und wurde so zum „Nestor der kirchlichen Zeitgeschichte“.

 

Anhänger des Humboldt’schen Bildungsideals

 

Wiederholt befasste er sich mit der Problematik des Reichskonkordats; dabei hat er wissenschaftliche Kontroversen nicht gescheut. Bekannt geworden ist seine Auseinandersetzung mit dem evangelischen Kirchenhistoriker Klaus Scholder 1977/78, der ein Junktim zwischen dem „Ja“ des Zentrums zu Hitlers Ermächtigungsgesetz und dem Abschluss des Reichskonkordats herstellte, was Repgen unter Hinweis auf die Quellenlage, die eine derartige These nicht bestätige, als subjektive Geschichtsinterpretation mit Verve bestritt.

Auch in der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften initiierte er die Edition der Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler 1933– 1945 mit den zentralen Quellen zur Geschichte der Innen- und Außenpolitik, der Verfassung und Verwaltung, der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik des Dritten Reiches.

Bereits am Anfang seiner Professur in Bonn geriet er als „klero-faschistischer Studentenfresser“ ins Visier der „68er“-Bewegung. Als die zum Aufruhr bereiten Studenten gegen ihn einen Vorlesungsboykott inszenierten, auch eine seiner Vorlesungen sprengten und forderten, nur noch „gesellschaftlich relevante“ Forschungsarbeiten zu vergeben, hielt der bekennende Konservative mit Mut, Entschlossenheit, der Sammlung von Gleichgesinnten und auch mit rechtlichen Mitteln dagegen. Der Anhänger des Humboldt’schen Bildungsideals sah in diesen Vorgängen eine Gefährdung der pluralen Methoden der Wissenschaft, einen Angriff auf den professoralen Berufsstand und sein Selbstverständnis als Hochschullehrer. Seine Aktivitäten lösten die sogenannte Doktorandenaffäre 1971 aus, die den Rektor der Universität zu einem Disziplinarverfahren gegen ihn bewog; da ihm kein Dienstvergehen nachzuweisen war, wurde es eingestellt.

 

Erfolgreicher Netzwerker

 

Aufgrund seiner Konflikterfahrung und seiner Überzeugung, „wir können nur politischen Willen durchsetzen, wenn wir organisiert sind“, entwickelte er sich zu einem erfolgreichen Netzwerker: Bereits 1968 gehörte er zu den Unterzeichnern des „Marburger Manifests“, das sich gegen die „Demokratisierung der Hochschule“ wandte. 1970 war er Mitgründer des „Vereins Freiheit der Hochschule“ in Bonn, eines Vorläufers des „Bundes Freiheit der Wissenschaft“, zu dessen Initiatoren er 1971 ebenso zählte wie zu dessen Bonner Sektion. Die gleiche Entschiedenheit im Kampf gegen die „linke Unterwanderung“ der Universität zeigte er bei den Beratungen des viertelparitätisch zusammengesetzten Bonner Satzungskonvents 1971/72, der eine neue Hochschulverfassung ausarbeiten sollte. Er gehörte dem Konvent zwar nicht an, übte aber aus dem Hintergrund mit der Bonner Sektion des „Bundes Freiheit der Wissenschaft“ und dem „Verein Freiheit der Hochschule“ maßgeblichen Einfluss auf die Beratungen aus und nahm mit Befriedigung zur Kenntnis, dass der erarbeitete Entwurf, der die Stellung der Professoren in der „Gruppenuniversität“ stark beschränkt hätte, in der Schlussabstimmung im Juni 1972 abgelehnt wurde.

Für den Erhalt der Bonner Geschichtswissenschaft in ihrer gesamten Breite, das heißt von der Antike bis zur Zeitgeschichte und nicht nur von der Zeit seit der Französischen Revolution (oder nur in einem sozialwissenschaftlichen Sachgebiet), als wissenschaftliche Ausbildung künftiger Geschichtslehrer, focht er 1974/75 mit dem nordrhein-westfälischen Kultusminister Jürgen Girgensohn einen spektakulären Streit aus. Unterstützt vom Historikerverband und dem Verband der Geschichtslehrer, setzte er sich durch. Ebenso erfolgreich war er 1986/87 als Dekan der Philosophischen Fakultät im Kampf um den Erhalt der Lehramtsstudiengänge in Bonn, den die Landesregierung infrage stellte. Nach seiner Überzeugung hätte die Abschaffung dieser Studiengänge unmittelbar den Lebensnerv der Fakultät, ja der ganzen Universität getroffen. Seine in überaus zeitintensiver Arbeit erstellte Denkschrift bewog die Landesregierung, die Lehrerausbildung für die Sekundarstufe II in Bonn zu belassen (bis 2002). Auch setzte sich der standesbewusste Ordinarius gegen die undifferenzierte Amtsbezeichnung „Professor“ für das gesamte akademische Lehrpersonal insofern durch, als den Lehrstuhlinhabern zugestanden wurde, sich in Abgrenzung dazu als „ordentliche Professoren“ zu bezeichnen.

 

Ratgeber und Mahner in Staat und Gesellschaft

 

Repgen betätigte sich keinesfalls nur als Forscher, Lehrer und Exponent seiner Hochschule mit großem Wirkungsvermögen; eine „Abkapselung der Geschichtswissenschaft von der Gesellschaft“ lehnte er mit Nachdruck ab. So wirkte er als Ratgeber und Mahner in Staat und Gesellschaft bei der anonymen Enthüllung des geheimen „Bahr-Gromyko-Papiers“ im Jahr 1970 mit, die einen erheblichen Wirbel ebenso in den Medien wie in der Regierung auslöste. Die Initiatoren dieser spektakulären Aktion (neben ihm Alois Mertes und Kurt Plück) waren der Überzeugung, dass es sich bei diesem Papier um ein auf unabsehbare Dauer angelegtes Arrangement mit Moskau handele, das die Zweistaatlichkeit Deutschlands zementiere. Mit der Veröffentlichung dieses Geheimpapiers verfolgten sie das Ziel, die Öffentlichkeit vollständig und ungeschminkt zu informieren, damit sie sich selbst ein Bild über die deutschland- und ostpolitischen Aktivitäten Egon Bahrs machen konnte. So hofften sie, durch den erwarteten öffentlichen Meinungsdruck die Regierung und die sie tragende Koalition zu einer Korrektur ihres deutschland- und ostpolitischen Kurses zu bewegen. Auch in diesem Kontext pochte der Historiker Repgen auf das „Vetorecht der Quellen“: „Was wir tun können, ist, Klopfsignale auszusenden. Wie Bergleute, die in einem zugeschütteten Schacht sich befinden, […] und müssen dann hoffen, daß sie gehört werden.“

Auch mit zahlreichen Leserbriefen suchte er die Öffentlichkeit. Erwähnt sei hier nur sein Brief in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. November 1993 „Unpräzises von Frau Süssmuth“. Die Bundestagspräsidentin hatte am 9. November 1993 im Bundestag behauptet, die Frage der Historiker, ob es Verbrechen vergleichbaren Ausmaßes in der Geschichte anderer Völker wie die der Nazizeit gegeben habe, entspringe dem Wunsch, die Vergangenheit zu relativieren und zu verharmlosen, was er mit methodischen und semantischen Argumenten als „mangelhafte Präzision“ scharf zurückwies.

Als „Meister seines Fachs“ und einer der einflussreichsten Historiker seiner Zeit, der in rund zwanzig nationalen und internationalen wissenschaftlichen Gremien vertreten war, erhielt er zahlreiche Würdigungen in Medien und Fachzeitschriften sowie hohe in- und ausländische Preise und Auszeichnungen. Seine letzten Jahre verbrachte er im Kreis seiner Familie, seiner Frau Everde (geb. Brüning), die er 1957 geheiratet hatte, und seiner sechs Kinder. Am 2. April 2017 ist Konrad Repgen in Bonn verstorben.

 

Günter Buchstab, geboren 1944 in Lauchheim, promovierter Historiker, bis 2009 Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/ Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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