Kaum etwas dürfte sich in den letzten Jahrzehnten so stark verändert haben wie die Erfahrung des Konsumierens. Wurde es lange Zeit pauschal als oberflächlich, manipuliert, infantil abgewertet, wird es zunehmend als etwas angesehen, das man auch engagiert und anspruchsvoll betreiben kann. Konsumieren wird nicht mehr damit gleichgesetzt, von einer Reklame verführt worden zu sein, sondern bedeutet, auf der Grundlage von Kriterien eine bewusste Entscheidung getroffen zu haben. Entsprechend wird auf Verpackungen über Inhaltsstoffe oder Produktionsprozesse aufgeklärt. Vokabeln wie „nachhaltig“, „regional“, „Fairtrade“ oder „vegan“ markieren die jeweiligen Produkte als ambitioniert; mit ihnen lassen sich jeweils ganze Weltanschauungen artikulieren. Erst recht ist allenthalben von Werten – von Familie, Heimat, Gesundheit, Freiheit, Natürlichkeit – die Rede, sobald es um Konsum geht.
Mehr als je zuvor gilt Konsumieren daher als wichtige Form des Handelns: als etwas, womit sich die Welt verändern lässt. „Konsumieren“ wird mit Werten aufgeladen, fast selbstverständlich mit Verantwortung übernehmen“ gleichgesetzt; mit dem eigenen Konsumverhalten kann, soll, will man sich als klug, vorausschauend, problemsensibel und moralisch integer erweisen.
Marketing ist heutzutage also nicht zuletzt Verantwortungsdesign. Beliebt sind etwa Produktkonzepte, bei denen den Konsumierenden zuerst ein schlechtes Gewissen gemacht wird, indem man ihnen ein Problem plastisch vor Augen führt, um dann das jeweilige Produkt als Lösung oder zumindest Linderung des Problems zu offerieren und seinen Kauf als aktives Engagement und damit als von Verantwortung getriebenen Akt darzustellen. Hinweise darauf, dass Teile des Unternehmensgewinns für ökologische, soziale oder andere Projekte verwendet oder gespendet werden, dienen ebenfalls der Beruhigung des Gewissens und erwecken den Eindruck, Konsum habe weit über den konkreten Kaufakt hinaus positive Auswirkungen.
Die Beschwörung verantwortungsseligen Konsumierens hat jedoch eine Kehrseite – und dies insbesondere mit Blick auf ökologische Belange. Je stärker nämlich suggeriert wird, ein Konsumverhalten sei positiv zu bewerten, desto mehr wird Konsum angeheizt und desto leichter werden dessen negative Folgen ausgeblendet. Außerdem kommt es zu Rebound-Effekten, da man im Überschwang des „ershoppten“ guten Gewissens glaubt, von Zeit zu Zeit auch mal nachlässig oder exzessiv sein zu dürfen. Wird Verantwortung eng an Konsumhandeln geknüpft, entsteht vor allem aber die Vorstellung, durch nichts anderes könne man sich so verantwortungsvoll erweisen wie durch – richtigen – Konsum. Die Option, Verantwortung könne vielleicht auch im Verzicht auf Konsum demonstriert werden, wird hingegen überhaupt nicht erwogen.
Emphatisches Kaufverhalten
Dass verantwortliches Handeln vornehmlich als eine Frage des Konsums interpretiert wird, ist allerdings nur in einer Wohlstandsgesellschaft mit viel Kaufkraft denkbar. Da diese aber ungleich verteilt ist, können auch nicht alle gleichermaßen frei entscheiden, was und wie viel sie konsumieren. Damit haben die Ärmeren aber auch weniger Möglichkeiten, sich als verantwortlich zu erweisen. Indem ihr Konsumhandeln eingeschränkt ist, drohen sie vielmehr, als gleichgültig und unsensibel abgestempelt zu werden – oder nehmen sich gar selbst als zu schwach wahr, um Verantwortung demonstrieren zu können.
So entsteht die paradoxe Situation, dass die einen, die vermögend sind, viel – ideell Überhöhtes – konsumieren und gerade deshalb als verantwortungsvoll gelten, die anderen hingegen, die nicht vermögend sind, viel weniger – und nicht durch Werte Veredeltes – konsumieren, sich daher allerdings auch moralisch nicht profilieren können. Zugespitzt formuliert: Wer am meisten konsumiert, hat die besten Chancen, als vorbildlich zu gelten, während denjenigen, deren Konsum über das Lebensnotwendigste kaum hinausgeht, unterstellt wird, unverantwortlich zu sein. Und je nachdrücklicher man Konsumprodukte mit Werten auflädt, je emphatischer das Konsumieren als verantwortungsvolles Handeln dargestellt wird, desto stärker setzt sich auch insgesamt eine Idee von Ethik durch, die in ihrer Anlage nichtegalitär ist und moralisches Handeln an ökonomische Voraussetzungen knüpft.
Begünstigt wird die Verknüpfung von Verantwortung mit Konsum zudem dadurch, dass sich Konsumprodukte als Beweisstücke für Gesinnungen eignen. Produkte von Marken mit starkem Werte- und Verantwortungsdesign fungieren als moralische Statussymbole – und haben nicht zuletzt dank der sozialen Medien Hochkonjunktur. So wird mancher Kauf heutzutage sogar vornehmlich deshalb getätigt, weil man auf dem eigenen Instagram-Account wieder einmal demonstrieren will, was für ein verantwortungs- und wertebewusster Mensch man ist. Polemisch zugespitzt: Gerade in einigen Milieus von Besserverdienenden besteht die Arbeit an der eigenen moralischen Qualifikation vor allem darin, Fotos werthaltiger Produkte, ergänzt mit passenden Hashtags, zu posten.
Infolge dieser Auffassung von Verantwortungsdesign wird jedoch nicht nur mehr als ohnehin schon konsumiert; es droht zudem auch eine Beschleunigung von Konsumkreisläufen. Wer sein Verantwortungsgefühl via Konsum zum Ausdruck bringt, nutzt viele Dinge nämlich nicht, bis sie kaputt sind, sondern nur so lange, bis er oder sie in einer anderen Spielart Verantwortung demonstrieren will oder etwas findet, mit dem sich Verantwortungs- und Wertebewusstsein noch aktueller, prägnanter, witziger oder stilvoller zur Geltung bringen lässt. So kauft man vielleicht neue Sneaker ohne umweltschädliche Kunststoffe, obwohl ein anderes Paar aus dem Fair-Trade-Shop oder eines mit einer feministischen Botschaft erst ein paar Monate alt und eigentlich noch tadellos ist.
Verantwortliches Konsumieren für alle?
Es kommt also zu seltsamen Formen von Wettbewerb, deren Hauptregel darin besteht, dass mehr moralische Autorität erwirbt, wer mehr konsumiert und immer noch weitere Werte berücksichtigt. So endet der Wettlauf um verantwortliches Konsumhandeln in umso größerem Ressourcenverbrauch und damit – zumindest in ökologischer Hinsicht – in einem hohen Maß an Unverantwortlichkeit.
Daher ist ein neues Verantwortungsdesign notwendig. Statt Konsumprodukte weiter als Manifestation von Werten zu inszenieren und den Konsum immer weiter anzuheizen und zugleich Formen gesellschaftlicher Ungleichheit zu forcieren, sollten die Kriterien für verantwortungsvolles Handeln grundsätzlich von allen Menschen gleichermaßen erfüllbar sein.
Ein reformiertes Verantwortungsdesign könnte bei der ästhetischen Erfahrung ansetzen. Geht die Aneignung und erste Nutzung eines Produkts etwa damit einher, dass es bereits irreversibel verändert, in seiner makellosen Neuheit verletzt wird, dann entsteht nicht nur eher ein Gefühl von Eigentum und damit von Verpflichtung, sondern es wird auch eigens spürbar, wie sehr Konsumieren insgesamt ein Eingreifen und damit eine verantwortungsreiche – oder verantwortungslose – Sache ist. Die ökologische Sensibilität kann auf diese Weise erhöht werden; man sieht sich dann eher in der Pflicht, auf die eigenen Produkte zu achten und sie sachgemäß zu entsorgen.
Allerdings könnten Produkte mit solchen Eigenschaften zu unbeliebt sein, um sich auf dem freien Markt durchzusetzen. Leichter könnten es Produkte haben, deren Design verstärkt auf Effekte guten Alterns ausgerichtet ist. Galt in früheren Jahrhunderten etwa Patina als Statussymbol, weil man damit demonstrierte, traditionsbewusst, verlässlich, im besten Sinne konservativ zu sein, so könnte es künftig von entwickeltem ökologischem Bewusstsein zeugen, hätte man vor allem Gegenstände um sich, die schon lange in Gebrauch sind und denen das auch anzusehen ist. Bevorzugt müssten also Materialien Verwendung f inden, die durch Gebrauchsspuren interessanter werden: individueller oder markanter. Das Neue, Glatte, Makellose erschiene im Kontrast als neureich und obszön verschwenderisch, ja als Zeichen mangelnden Verantwortungsbewusstseins.
Derartige Designstrategien führten jedoch immer noch nicht dazu, dass alle die gleichen Chancen haben, sich als verantwortlich zu erweisen, denn Produkte mit interessanten Alterungseffekten wären vermutlich so teuer, dass nur Wohlhabendere sie sich leisten können. Ein radikaleres Verantwortungsdesign könnte daher darin bestehen, Konsum nicht nur über Geld zu regeln. Gerade Marken, die Kultstatus besitzen und Fans haben, könnte hier eine bedeutende Rolle zukommen, könnten sie den Verkauf ihrer Produkte doch an weitere Bedingungen knüpfen, also etwa daran, wie viel CO2 die an einem Produkt interessierte Person gespart, auf welche Weise sie sich ernährt oder wie viel gemeinnützige Arbeit sie geleistet hat.
Alternative Formen des Handelns
So sehr der Erwerb eines Produkts den Charakter einer Belohnung besäße, so sehr würden jedoch auch bereits vorhandene Ängste vor einer totalen Kontrollgesellschaft geschürt werden. Immerhin würden auf diese Weise Techniken des Scorings etabliert, denn jede Person müsste ja belegen können, sich auf eine bestimmte Weise verhalten zu haben und damit die Voraussetzungen für einen Produkterwerb zu erfüllen. Im Extremfall mündete das in eine von Unternehmen mit Kultstatus betriebene Wertediktatur.
Ein Mehr an Verantwortung ohne allzu gefährliche Folgen wird vermutlich nur dadurch möglich werden, dass Konsumieren nicht länger als an sich gute und verantwortliche Form des Handelns gilt, sondern dass man ihm ausweicht und es mit anderen Formen des Handelns vergleicht. Statt auf jedes Problem mit dem Konsum neuer Produktvarianten zu reagieren, wird man überlegen, ob man nicht lieber in eine Partei eintritt, die das betreffende Problem auf dem Weg der Gesetzgebung bekämpfen will. Oder könnte man nicht eine Nichtregierungsorganisation unterstützen, die Proteste und Boykotts organisiert oder sich für andere Infrastrukturen einsetzt?
Vor allem aber: Könnte man nicht einfach auf etwas verzichten – und das gesparte Geld spenden? Auch das ließe sich ja kundtun, indem man etwa Spendenquittungen statt Produkte postet. Nach und nach würde Nicht-Konsum vielleicht sogar zu einem der beliebtesten Statussymbole. Ärmere könnten zwar weniger spenden als Wohlhabende, aber im Nicht-Konsum kämen doch alle überein. Bestenfalls folgte auf die nichtegalitäre Werteethik also eine Renaissance einer egalitären Pflichtenethik, ja etablierte sich eine neue Variante von Immanuel Kants Kategorischem Imperativ, nämlich ein konsumistischer Imperativ, der dann lautet: „Konsumiere nur das, von dem du zugleich wollen kannst, dass alle es konsumieren.“
Wolfgang Ullrich, geboren 1967 in München, Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler, unter anderem 2006 bis 2015 Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie, Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, seither freiberuflich in Leipzig als Autor, Kulturwissenschaftler und Berater tätig.