Sollte der Gesetzgeber verbindliche Quotenregelungen schaffen, um den Frauenanteil im Deutschen Bundestag und in den Landesparlamenten zu erhöhen? Dürfte er das überhaupt, oder würden sogenannte Paritätsgesetze gegen das Grundgesetz verstoßen? Diese Fragen sind heftig umstritten. In einem Punkt herrscht jedoch weitgehend Einigkeit: Das entscheidende Wort über Gesetze zur geschlechtergerechten Zusammensetzung von Parlamenten dürfte das Bundesverfassungsgericht sprechen. Noch ist kein entsprechendes Verfahren in Karlsruhe anhängig. Aussagen über mögliche Erfolgschancen wären auch deshalb verwegen, da unterschiedliche Paritätsregelungen diskutiert werden und unterschiedliche Deutungen und Gewichtungen der Grundrechte und Grundprinzipien – auf sie kommt es im Paritätsstreit an – zur Debatte stehen. Frühere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts können zwar eine gewisse Orientierung bieten, aber inwieweit das Karlsruher Gericht daran anknüpft oder neue Akzente setzt, bleibt abzuwarten.
Drei „Schwergewichte“ der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen im Mittelpunkt der Debatte: der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung (Artikel 3 Grundgesetz [GG]), die Gleichheit bei der Ausübung des Wahlrechts (Artikel 38 GG) sowie die Rechte der politischen Parteien (Artikel 21 GG). Umstritten ist, ob Paritätsgesetze mit diesen Vorgaben vereinbar sind.
Reißverschluss-, Duo- und Tandemmodell
Zwei miteinander kombinierbare Wege werden diskutiert, um den Frauenanteil in den Parlamenten zu erhöhen: Ein Vorschlag setzt bei den Landeslisten der Parteien an, auf denen künftig im „Reißverschlussverfahren“ abwechselnd Bewerberinnen und Bewerber nominiert werden sollen. Eine entsprechende Reform des Landeswahlgesetzes hat Brandenburg in diesem Jahr verabschiedet. Der zweite Vorschlag nimmt die Direktmandate in den Blick. So soll den Parteien vorgegeben werden, in den Wahlkreisen Bewerberpaare bestehend aus einer Kandidatin und einem Kandidaten zu nominieren. Dieser Vorschlag wird in zwei Varianten diskutiert.
Nach dem „Duo-Modell“, für das unter anderem der SPD-Abgeordnete und Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann plädiert, würde die Zahl der Direktmandate verdoppelt. Es gäbe also künftig nicht nur einen Direktabgeordneten pro Wahlkreis, sondern es würden beide, die Bewerberin und der Bewerber, mit den jeweils meisten Stimmen in den Bundestag einziehen. Um zu verhindern, dass der Bundestag durch die Verdoppelung der Direktmandate noch größer wird, als er ohnehin schon ist, soll gleichzeitig die Zahl der Wahlkreise verringert werden.
Nach dem zweiten, sogenannten „Tandem-Modell“, das die schleswig-holsteinische Justizministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) angeregt hat, soll es bei einem Direktmandat pro Wahlkreis bleiben. Aus dem Bewerbertandem ist also Frau oder Mann zu wählen. Die Parteien werden jedoch gezwungen, weiblichen und männlichen Mitgliedern gleichermaßen Chancen auf ein Direktmandat zu geben. Wer am Ende das Rennen macht, ob Mann oder Frau, entscheidet der Wähler.
Je nachdem, welchen dieser Vorschläge der Gesetzgeber gegebenenfalls aufgreift, hat dies unterschiedliche Folgen für kandidierende Frauen und Männer, für die Wählerinnen und Wähler, für die politischen Parteien und für die repräsentative Demokratie insgesamt.
Wahlgleichheit und Parteienrechte
Frauen und Männer sind nach dem Grundgesetz gleichberechtigt. Eine spezielle Ausprägung dieses allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes ist der Grundsatz der Wahlgleichheit. Dieser ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Gleichheit zu verstehen“; alle Staatsbürger müssen das aktive und passive Wahlrecht möglichst in formal gleicher Weise ausüben können.
Sollten künftig bestimmte Listenplätze für Frauen reserviert werden, ergäbe sich eine Ungleichbehandlung zulasten konkurrierender männlicher Kandidaten, die auf einen nachrangigen Platz verwiesen werden. Künftig könnte nicht mehr jedes Parteimitglied unabhängig vom Geschlecht mit gleichen Erfolgschancen für die Landesliste kandidieren. Spiegelbildlich könnten Wähler, die für einen Kandidaten stimmen möchten, der quotenbedingt auf einen tieferen Listenplatz rutscht, weniger Einfluss auf den Wahlausgang nehmen, kritisieren Gegner von Paritätsgesetzen.
Auch Quotenregelungen bei der Vergabe der Direktmandate hätten negative Folgen für die Wahlgleichheit. Müsste künftig jede Partei eine Frau und einen Mann für das Mandat nominieren, verringert die weibliche Konkurrenz die Chancen der bislang zahlenmäßig überlegenen männlichen Direktbewerber, in den Bundestag einzuziehen. Dies wäre jedenfalls der Fall, wenn die Tandempartner um die bisherige Zahl der Direktmandate konkurrieren müssten. Umstritten ist, ob auch bei einer Verdoppelung der Direktmandate die Wahlgleichheit beeinträchtigt ist. Dazu heißt es, den männlichen Direktkandidaten werde nichts weggenommen, wenn man zusätzliche Direktmandate für Frauen schaffe. Kritiker wenden ein, dieser Argumentation liege eine dem Wahlrecht fremde Gruppenbetrachtung zugrunde. Sollte es künftig mehr Direktmandate geben, gebiete das Prinzip strenger und formaler Wahlrechtsgleichheit, dass Bewerber unabhängig von ihrem Geschlecht gleiche Chancen auf diese zusätzlichen Plätze hätten. Würde die Hälfte der Direktmandate für Frauen reserviert, wäre die Wählbarkeit von Männern eingeschränkt.
Verbindliche Quotenregelungen würden außerdem die Freiheit der Parteien beeinträchtigen. Diese besteht darin, ohne staatliche Einflussnahme bestimmen zu können, durch wen sie sich in den Parlamenten repräsentieren lassen. Ferner sei zu bedenken, dass die Haltung zu Paritätsregelungen auch das politisch-gesellschaftliche Selbstverständnis der Parteien und deren programmatische Ausrichtung berührt, sagen Kritiker. Moniert wird außerdem ein Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien. So verweist der Bayerische Verfassungsgerichtshof darauf, dass Parteien und Wählergruppen, in denen ein Geschlecht deutlich unterrepräsentiert sei, deutlich größere Schwierigkeiten hätten, die Quotenvorgaben zu erfüllen. Womöglich seien diese Parteien nicht mehr in der Lage, ihre Listenplätze vollständig zu füllen. Ihre Chancen im politischen Wettbewerb würden damit geringer.
Wie weit reicht der Gleichberechtigungsauftrag?
Wenn der Gesetzgeber in Freiheitsrechte eingreift, ist das nicht automatisch unzulässig. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Differenzierungen gestattet. Allerdings legt das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit Wahlen besonders strenge Maßstäbe an, da Grundprinzipien der Demokratie betroffen sind. Eingriffe in die Wahlfreiheit lassen sich demnach nur rechtfertigen, wenn sie durch die Verfassung selbst legitimiert sind oder ein vergleichbares Gewicht wie die Wahlrechtsfreiheit haben und staatspolitisch geboten sind.
Eine Kernfrage des Paritätsstreits liegt darin, ob Quotenvorgaben durch die Verpflichtung des Staates, die „tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken“, gerechtfertigt sind. Wie weit dieses sogenannte Gleichberechtigungsgebot reicht und in welchem Verhältnis es zu anderen Grundrechtsnormen steht, darüber herrscht Uneinigkeit. Zum Teil sagen Kritiker von Paritätsgesetzen, das Gebot sei auf das Wahlrecht und das Recht der Parteien nicht anwendbar, da hier der Grundsatz streng formaler Gleichheit gelte. Befürworter von Quotenregelungen halten dagegen, das Gebot zur Beseitigung faktischer Nachteile gelte für den gesamten staatlichen und gesellschaftlichen Bereich. Folgt man dieser Auffassung, stellt sich die Frage, was legitimerweise Ziel des Gleichberechtigungsauftrags sein darf: Chancengleichheit der Geschlechter oder Ergebnisgleichheit, also eine zahlenmäßig gleiche Repräsentation von Frauen und Männern im Parlament?
Chancengleichheit oder Ergebnisgleichheit?
Nach überwiegender Ansicht, das Bundesverfassungsgericht eingeschlossen, zielt das Gleichstellungsgebot prinzipiell nicht auf Ergebnisgleichheit. Die Abgrenzung zwischen Chancen- und Ergebnisgleichheit ist allerdings nicht immer einfach. Werden die Landeslisten künftig abwechselnd mit Frauen und Männern besetzt und Direktmandate künftig im „Doppelpack“ an ein geschlechtergemischtes Duo vergeben, zielen diese Maßnahmen darauf, dass in den Parlamenten künftig beide Geschlechter in gleicher Zahl vertreten sind. Das Resultat wäre also Ergebnisgleichheit. Befürworter argumentieren, nur über diesen Weg lasse sich das individuelle Recht jeder einzelnen Kandidatin auf eine faire und chancengleiche Teilhabe an der Parlamentsarbeit gewährleisten. Wie die bisherige Praxis gezeigt habe, reichten freiwillige parteiinterne Maßnahmen nicht aus.
Von zentraler Bedeutung für die Debatte über Paritätsregelungen sind auch divergierende Vorstellungen von politischer Repräsentation. Volksherrschaft und repräsentative Demokratie, so die Argumentationslinie der Quotenbefürworter, bedeuteten, dass die Perspektiven und Anliegen des weiblichen und männlichen Staatsvolkes im Parlament gleichberechtigt präsent sein müssten. Rechtswissenschaftlerinnen, die sich in diesem Sinne äußern, gestehen allerdings zu, dass die angestrebte „gewährleistende Dimension“ zugunsten der bisher unterrepräsentierten Frauen nicht dem derzeit herrschenden grundgesetzlichen Demokratieverständnis entspreche. Kritiker von Paritätsgesetzen wenden denn auch ein, die auf Geschlechtergerechtigkeit zielende Reglementierung von Parlamentswahlen verkenne die Eigenlogik des demokratischen Willensbildungsprozesses. Zu dessen Wesenskern gehöre es, dass der Wähler subjektive Entscheidungen treffe, mögen diese auch nicht geschlechtergerecht sein. Wer mit dem Ziel „gerechter Staatlichkeit“ Wahlentscheidungen reduziere, indem er Parität vorschreibe, treffe ins Mark demokratischer Selbstbestimmung.
Auf den ersten Blick mag es überraschen, wenn der Ansicht widersprochen wird, mangelnde parlamentarische Repräsentation von Frauen sei ein Demokratiedefizit. Immerhin ist die Hälfte der Wahlberechtigten weiblich, und die Bundestagsabgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Nach Auffassung von Quotenkritikern ist es jedoch verfehlt, sich auf den Anteil der Frauen in der Gesamtbevölkerung zu fokussieren. Vielmehr komme es auf die Geschlechterzusammensetzung in den politischen Parteien an, da aus deren Reihen faktisch die Kandidatinnen und Kandidaten für die Parlamentswahlen gewonnen würden. Nehme man die Parteien als Bezugsgröße, erscheine die Repräsentanz von Frauen in den Parlamenten in einem günstigeren Licht. Die Paritätsregeln, die sich an der Gesamtbevölkerung orientierten, seien deshalb unverhältnismäßig.
Was bedeutet Repräsentation?
Vor allem aber geben die Gegner von Paritätsvorgaben zu bedenken, dass ein ganzes Bündel unterschiedlicher Kriterien für eine Wahlentscheidung maßgeblich sein könne. Mit der Einführung von Paritätsregelungen werde Frauen (und Männern) misstraut, selbstbestimmt nach eigener Präferenz über die Zusammensetzung des Parlaments zu entscheiden. Leitbild parlamentarischer Repräsentation nach dem Grundgesetz sei die gemeinsame Identität der Staatsbürger, nicht die Idee, dass die Angehörigen verschiedener sozialer Gruppen entsprechend ihrer gesellschaftlichen Stärke durch „ihre“ Repräsentanten im Parlament vertreten sein müssten. Konsequent weitergedacht, dränge sich dann die Frage auf, ob es nicht auch Quotenregelungen für andere parlamentarisch unterrepräsentierte Gruppen, etwa für Behinderte, Sozialhilfeempfänger oder junge Menschen geben müsse. Damit sei man bei einer Art „ständischer Repräsentation“. Den Leitvorstellungen des Grundgesetzes entspreche dies nicht.
Abwägungsprozesse des Bundesverfassungsgerichts
Im Raum steht, wie das Bundesverfassungsgericht die Argumente für und gegen Paritätsregelungen gewichtet. Wie viel am Ende die Wahlfreiheit, die Rechte der Parteien und das Demokratieverständnis klassischer Prägung im Vergleich zum Gleichberechtigungsauftrag zählen, ist eine Frage der Abwägung. Für diesen Abwägungsprozess dürfte auch eine Rolle spielen, ob und wie Paritätsregelungen vom Gesetzgeber miteinander kombiniert werden. Gäbe es künftig verpflichtende Vorgaben für die Landeslisten und für die Nominierung der Direktkandidaten wäre der Eingriff gravierender – aber aus Sicht der Befürworter auch effektiver –, als wenn es bei einer Maßnahme bliebe. Kritiker von Paritätsgesetzen geben zu bedenken, schon jede Paritätsbestimmung für sich genommen sei unverhältnismäßig und damit grundgesetzwidrig. So gebe es andere Möglichkeiten, auf eine Erhöhung des Frauenanteils in den Parlamenten hinzuwirken. Von den bisherigen Landeslisten mit starrer Rangfolge der Kandidaten könne man zu einem System „offener“ quotierter Listen wechseln. Die Bürger könnten dann selbst entscheiden, wen sie auf der Liste wählen möchten. Befürworter von Quotenregelungen wiederum wenden ein, der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers würde unzulässig eingeschränkt, wollte man ihn auf ein System offener Listen verpflichten.
Was ist mit Personen des „dritten Geschlechts“?
Eine weitere Kontroverse zur Einführung von Paritätsgesetzen sei nur am Rande erwähnt: So stellt sich die Frage, welche Regelungen für Personen gelten sollen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen. Das Bundesverfassungsgericht hat bislang ausdrücklich nur für das Personenstandsrecht gefordert, dass die grundrechtlich geschützten Bedürfnisse von Personen des sogenannten dritten Geschlechts zu berücksichtigen sind. Seitdem wird intensiv diskutiert, ob und welche weiteren Rechtsanpassungen erforderlich sind, um Diskriminierungen von Menschen des dritten Geschlechts zu vermeiden. Nach dem neuen Wahlgesetz Brandenburgs sollen sie entweder für Listenplätze der männlichen oder weiblichen Bewerber kandidieren können. Es gibt jedoch Zweifel, dass diese Regelung grundrechtskonform ist, da Personen des dritten Geschlechts damit wiederum in das traditionelle Mann-Frau-Schema eingeordnet werden.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der Streit über Paritätsregeln für Parlamentswahlen zahlreiche grundlegende Fragen zum Verständnis von Demokratie, zu Fragen der Repräsentation und zu Vorstellungen von Geschlechtergerechtigkeit aufwirft. Gemessen an der bisherigen verfassungsrechtlichen Lesart, spricht vieles dafür, dass Paritätsgesetze grundgesetzwidrig sind. Davon zu trennen ist die Frage einer Verfassungsänderung. Nach überwiegender Ansicht könnte der deutsche Gesetzgeber dem französischen Beispiel folgen und durch eine Ergänzung des Grundgesetzes den Weg für Parité-Gesetze frei machen – wenn sich dafür die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit findet. Die Folgen einer solchen Reform würden allerdings weit über die Frage der Geschlechtergerechtigkeit hinausreichen. Damit verbunden wäre eine Verschiebung verfassungsrechtlicher Leitvorstellungen von Demokratie und Repräsentation. Nicht nur konservative Staatsrechtslehrer mahnen, es ginge um die prinzipielle Frage, wie wir politische Vertretung durch das Parlament künftig definieren und organisieren – getrennt nach Interessengruppen oder dem Ideal gemeinsamer gruppenübergreifender Ziele folgend?
Katja Gelinsky, geboren 1967 in Osnabrück, Koordinatorin für Recht und Politik, Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.