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Ein Beitrag zu einem gerechten Urteil über die Treuhand

Franz Schuster: Thüringens Weg in die soziale Marktwirtschaft. Privatisierung, Sanierung, Aufbau. Mit einem Vorwort von Bernhard Vogel, Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2015, 263 Seiten, 19,90 Euro.

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Dieses Buch ist durch ein anderes veranlasst. Im Jahre 2012 hat die Thüringer Allgemeine eine große Artikelserie zur Treuhand in Thüringen veröffentlicht. Leser schilderten ihre Erlebnisse, Journalisten boten Recherchen. Daraus entstand ein Buch: Treuhand in Thüringen. Wie Thüringen nach der Wende ausverkauft wurde (Dietmar Grosser, Hanno Müller, Paul-Josef Raue [Hrsg.], Essen 2013). Diese Artikelserie hat die Konrad-Adenauer-Stiftung 2013 mit dem „Deutschen Lokaljournalistenpreis“ ausgezeichnet. Das kann man insofern rechtfertigen, als die Thüringer sich ihren Ärger über die Treuhand von der Seele schreiben durften. Man kann aber nicht behaupten, dass aus so viel Betroffenheit eine brauchbare Grundlage für ein gerechtes Urteil über die Arbeit der Treuhand hervorgehen konnte.

Es ist ein Skandal der Einigungsgeschichte, dass bis heute sehr viele den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft nicht der SED und der sozialistischen Planwirtschaft zuschreiben, sondern der Treuhandanstalt. In allen ehemals sozialistischen Ländern gab es diese Zusammenbrüche (wenn auch nicht so plötzlich) – aber ohne das Wirken der Treuhand. Gerhard Schürer, oberster Planungs-Chef der SED, hat doch zusammen mit anderen Spitzenfunktionären den katastrophalen Zustand der DDR-Wirtschaft und der Staatsfinanzen im sogenannten Schürer-Gutachten im Herbst 1989 vertraulich für Egon Krenz beschrieben, wie man im Internet nachlesen kann. Da gab es noch gar keine Treuhand.

Die Tendenz im Untertitel jenes Buches „Ausverkauf“ hat den ehemaligen Thüringer Ministerpräsidenten Bernhard Vogel empört – ganz zu Recht, denn es wird ja damit unterstellt, er habe stumm zugesehen bei dieser Untat. Er hat deshalb die neue Studie angeregt. Franz Schuster war in Vogels Regierung Minister, erst in der Staatskanzlei, dann als Wirtschaftsminister. Auf der Grundlage der ihm zugänglichen Unterlagen (die Treuhandakten sind ja noch nicht zugänglich, aber hoffentlich bald), seiner eigenen Erfahrungen und von Befragungen anderer damaliger Akteure bietet er ein Gesamtbild der Privatisierung in Thüringen.

Es gibt bisher drei Gattungen von Texten zur Treuhand: erstens die Erlebnistexte. Betroffene schildern, wie sie den Zusammenbruch ihres Unternehmens und den Verlust des Arbeitsplatzes erlebt haben. Dafür sind sie auch authentische Zeugen. Aber die Opfer eines Erdbebens wissen über dessen Ursachen zumeist sehr wenig.

Zweitens die Skandaltexte unter der Überschrift „Pleiten, Pech und Pannen“. Neben den echten Skandalen wiederholen sie bis heute unkritisch Fehlurteile, wie: Aus 600 Milliarden D-Mark Industrievermögen der DDR habe die Treuhand 250 Milliarden D-Mark Schulden gemacht, drei Viertel der Arbeitsplätze in der Industrie habe sie vernichtet, neunzig Prozent des Industrievermögens seien an Westdeutsche gegangen. Das ist alles nachweislich falsch, wird aber dennoch bis heute wiederholt.

Drittens Texte, die die Treuhand selbst über ihre Arbeit publiziert hat. Das sind gar nicht so wenige, sie werden aber oft unter dem Generalverdacht der Schönfärberei leichtfertig beiseitegeschoben.

Bisher fehlen wissenschaftlich fundierte Arbeiten über die Treuhand, die zugleich allgemein verständlich in die Grundprobleme einführen. Solange die Treuhandakten noch nicht zugänglich sind, kann das Buch von Franz Schuster hier gute Dienste leisten.

Aber ein ehemaliger Minister der Staatskanzlei – steht der nicht auch unter dem Verdacht der Schönfärberei? Eine Krähe hackt der anderen doch kein Auge aus! Zwischen der Treuhand und den Landesregierungen gab es so oft beachtliche Interessenunterschiede, dass von einem damaligen Landesminister jedenfalls keine Hofberichterstattung für die Treuhand erwartet werden kann. Dafür hat er sich zu oft über Treuhandentscheidungen geärgert. Schuster erklärt eine ganze Reihe von Treuhandentscheidungen schlicht für falsch, von denen einige wohl heute noch von Treuhandvertretern verteidigt werden. Schuster verfährt sozusagen zweigleisig. Sein eigentliches Thema ist ja Thüringen, das er in- und auswendig kennt.

Er gibt deshalb über die Privatisierung in den verschiedenen Thüringer Regionen detailreich Auskunft. Er hat aber außerdem die Aufgabe der Umgestaltung der DDR-Wirtschaft im Ganzen, den Auftrag der Treuhand, die Arbeit ihrer – den meisten unbekannten – Nachfolgeorganisation

„Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben“ (BvS) und die Bilanz der Treuhand zum Thema gemacht. Und der Inhalt dieser allgemeinen Teile verdient es, im 25. Jahr der Gründung der Treuhand Allgemeingut zu werden. Davon sei hier einiges hervorgehoben.

Zur Art der Privatisierung: Die Treuhand hat die Unternehmen weder versteigert mit der Konsequenz „aus den Augen, aus dem Sinn“, sprich: egal, was der neue Eigentümer damit macht. Noch hat sie die Unternehmen per Anteilscheine an die Belegschaft oder die Bevölkerung verteilt, denn so wäre weder das nötige Kapital noch das neue Knowhow noch das Eigentümerengagement zu beschaffen gewesen und marktwirtschaftliche geschulte Führungskräfte wohl auch nicht. Sie hat vielmehr Käufer gesucht, die die Branche kannten. Sie mussten einen detaillierten Plan vorlegen sowie Arbeitsplätze und Investitionen in verbindlich festgelegtem Umfang vertraglich garantieren, mit vereinbarten Vertragsstrafen. Plattmachen geht anders. Dass es dennoch so massenhaft zu Arbeitslosigkeit kam, lag einerseits daran, dass die Betriebe durchweg überbesetzt waren, was die Arbeitsproduktivität senkte und die Produktionskosten hochtrieb, andererseits daran, dass bei manchen Unternehmen die Umstellung auf weltmarktfähige Produkte nicht gelang. Wenn behauptet wird, dass die Treuhand zwei Drittel der industriellen Arbeitsplätze vernichtet habe, werden weder diese Arbeitsplatzzusagen der Investoren noch die neuen Arbeitsplätze mitgezählt, die bei der Abwicklung von Unternehmen durch Ausgründungen und Neugründungen entstanden. Schuster beziffert sie auf dreißig Prozent der Arbeitsplätze der liquidierten Unternehmen.

Grundsätzlich bemängelt Schuster, dass die Privatisierung der DDR-Wirtschaft zumeist nur für die Zeit der Treuhandanstalt, also bis 1994, betrachtet wird. Da war aber ein großer Teil der Privatisierungen noch gar nicht vollzogen. Das Wirken der BvS hat sich im Verborgenen vollzogen, nicht weil es geheim gehalten worden wäre, sondern weil sich die Öffentlichkeit nun einmal auf die Treuhand als Buhmann eingeschossen hatte. Zur Arbeit der BvS gehörte übrigens auch das Vertragsmanagement, das heißt, die Kontrolle der privatisierten Betriebe auf Einhaltung der Zusagen. Aufs Ganze sind sie sogar übertroffen worden. Die privatisierten Betriebe haben sich übrigens in der Folgezeit als überdurchschnittlich krisenfest erwiesen. Das Wirken der BvS ist auch deshalb interessant, weil die Kooperation mit den Ländern sich verstärkte und bei den schwer zu privatisierenden Unternehmen nun auch (vorläufige) Sanierungen unvermeidlich waren. Die Idee, die gesamte DDR-Industrie erst zu sanieren und dann schön teuer zu verkaufen, verweist Schuster dagegen zu Recht ins Märchenland, weil keine staatliche Organisation denkbar ist, die das hätte ins Werk setzen oder auch nur beaufsichtigen können. Insofern war der Grundsatz „Sanieren durch Privatisieren“ grundsätzlich richtig, aber es gab es auch gute Gründe für Ausnahmen.

 

Richard Schröder, geboren 1943 in Frohburg (Sachsen), emeritierter Professor am Lehrstuhl für Philosophie und Systematische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, Abgeordneter im Deutschen Bundestag zur Zeit der Wiedervereinigung, Fraktionsvorsitzender der SPD in der letzten Volkskammer der DDR.

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