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Polnisch-Deutsche Anschauungsnähe

Richard von Weizsäcker in meiner Erinnerung

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In den Jahren des Krieges und der zerstörerischen Besetzung Polens war der tief verwurzelte Hass gegenüber den Deutschen als unbarmherzigen Okkupanten allgemein gegenwärtig. Als zwanzigjähriger Teilnehmer der polnischen Untergrundbewegung, die der Exilregierung in London unterstand, und gleichzeitigem Mitglied einer geheimen katholischen Organisation begegnete ich jedoch Menschen, die sich ernsthaft mit dem Problem auseinandersetzten, wie man dem Hass vorbeugen kann, der letztlich jenen größeren Schaden bringt, die hassen, als denen, die gehasst werden. Vor rund fünf Jahren hatte ich am 16. September 2009 anlässlich des 70. Jahrestages des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs die Ehre und Freude, an einer öffentlichen Diskussion in Warschau mit dem ehemaligen Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland Richard von Weizsäcker teilzunehmen, der erneut nach Polen gereist war. Moderiert wurde das Gespräch von zwei herausragenden politischen Publizisten der deutschen Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der polnischen Gazeta Wyborcza. Ich selbst war damals Staatssekretär in der Kanzlei des Ministerpräsidenten und Beauftragter von Donald Tusk für internationale Beziehungen. Mein Gesprächspartner Richard von Weizsäcker und ich kannten uns persönlich aus der Zeit, als er zu Beginn der 1980er-Jahre Regierender Bürgermeister von West-Berlin war, und es verband uns seit Jahren eine weitgehende Anschauungsnähe. Im Verlauf der erwähnten Debatte sagte ich: „Manche Geistliche spielten die positive Rolle der Moderatoren unserer Handlungen. Einige von ihnen lernte ich auch nach dem Krieg kennen. Nach vielen Jahren in kommunistischen Gefängnissen führte mich mein Lebensweg in den Krakauer Kreis um Bischof Karol Wojtyła. Es begannen meine ersten Kontakte mit evangelischen Christen, mit einer ganzen Gruppe aus der DDR. Ich folgte dabei der Überzeugung, dass auf unsere ausgestreckte Hand nur jemand antworten kann, der den Umfang des von den Nazis und von den Kommunisten begangenen Bösen erkannte. Einen anderen Weg sah ich nicht – nur vorwärts. Später kamen das bekannte Memorandum der Evangelischen Kirche und der Brief der polnischen Bischöfe.“

Die Antwort des geschätzten Gastes, die ich hier aus der Erinnerung zitiere, erfolgte auf ähnlicher Wellenlänge: „Die Kirchen bahnten den Weg zur Versöhnung, die Worte ‚Wir vergeben und bitten um Vergebung‘ 1965 spielten dabei eine entscheidende Rolle. Sie bedeuteten eine auch emotionale Neubewertung und waren zugleich ein Akt des besonderen Mutes. Viele Menschen in Deutschland, die Übersiedlung erlitten haben, überlegten, ob der Friedensvertrag zur Rückkehr in die alte Heimat führen kann. Das war eine Illusion, und das Bewusstwerden einer neuen Realität wurde zur Basis der ersten Schritte zur Verständigung mit den Polen. Es war nicht leicht, die deutschen politischen Parteien davon zu überzeugen. Einige Jahre waren noch nötig, bis die Regierung von Willy Brandt den Vertrag mit Warschau aushandelte. Danach kam es auf deutscher Seite zu einem längeren Streit. Erst nach der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Helsinki im Jahre 1975 konnte die Überzeugung gewonnen werden, dass wir einander näherkommen können.“

Diese Annäherung wurde mit der Zeit zur erprobten Tatsache, was natürlich einen entscheidenden Einfluss auf persönliche Beziehungen zahlreicher Menschen in beiden Staaten hatte – sowohl politisch engagierter als auch solcher, die in beiden großen christlichen Kirchen aktiv waren und ein Gemeinschaftsgefühl empfanden. Ein letztes Mal war es mir gegeben, Richard von Weizsäcker und seiner Frau bei einem Festempfang zu begegnen, der im Frühling 2012 aus Anlass meines 90. Geburtstages und auf Einladung des Bundespräsidenten Joachim Gauck im Berliner Schloss Bellevue stattfand. Zu Beginn des Gedenkjahres 2015 hat mich der Abschied von ihm tief berührt. Im Kondolenzschreiben an Marianne Freifrau von Weizsäcker versuchte ich diesen Verlust in Worte zu fassen: „Richard von Weizsäcker wird vielen Menschen – auch in Polen – fehlen. Seine Klugheit, sein Verantwortungsgefühl, einfach seine Größe.“

 

Władysław Bartoszewski, geboren 1922 in Warschau (Polen), wurde im Konzentrationslager Auschwitz interniert, 1941 schwer krank entlassen und nahm 1944 am Warschauer Aufstand teil; der Historiker und Publizist wurde 2007 Staatssekretär und außenpolitischer Berater des damaligen polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk.

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