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Fortschritte und Folgen des Genome Editing

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Mit „Genome Editing“ wird in den Biowissenschaften eine neuartige Möglichkeit bezeichnet, die Erbsubstanz (DNA) zu verändern. Der Durchbruch gelang mit CRISPR/Cas9, einem neuen Typ von Nukleasen (molekulare„Scheren“), die DNA zielgenau und spezifisch schneiden. Mit ihrer Hilfe gelingt es sehr viel besser als bei der bisherigen Gentechnik, DNA zu verändern.

Genome Editing arbeitet so exakt, dass nun Forschungsvorhaben und Anwendungen realisierbar sind, die bislang unmöglich schienen. Dazu gehört die Veränderung der menschlichen DNA in Körperzellen und in der Keimbahn, das sind jene Zelllinien, zu denen Ei- und Samenzellen gehören. Wichtig dabei ist: Eine genetische Veränderung in diesen Zellen wird an die nächsten Generationen weitervererbt. Sie betrifft also nicht nur das jeweilige Individuum, sondern wirkt sich auf alle Nachkommen aus, wird also Bestandteil der Evolution des Menschen. Hier liegt die besondere Brisanz des Genome Editing.

Technisch lassen sich mit Genome Editing vielfältige Probleme lösen. Ethisch, rechtlich und gesellschaftlich bleiben jedoch viele Fragen offen. Es geht um nicht weniger als die conditio humana, um Grundwerte und Grundrechte.

Zweifellos ist Genome Editing von großem Nutzen, etwa um die Immuntherapie gegen Krebs zu verbessern oder in der Grundlagenforschung zelluläre Regulationsmechanismen aufzuklären. Auch die Gentherapie, die bisher hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, könnte sie voranbringen. Doch darf die Keimbahn des Menschen verändert werden? Dürfen Menschen die genetische Zukunft ihrer Gattung steuern? Welche Risiken sind damit verbunden, und was muss getan werden, um Missbrauch zu verhindern? Vieles, was heute utopisch klingt, wird schneller Realität, als uns lieb sein mag. Wir dürfen deshalb das Nachdenken nicht in die Zukunft verschieben.

Disruptive Innovation

CRISPR/Cas9 ist eine „Designer-Nuklease“, die im Labor so modifiziert werden kann, dass sie jede gewünschte DNA-Sequenz erkennt und genau dort ihren Schnitt setzt. Einfache Gestaltbarkeit, hohe Spezifität und große Effizienz machen sie zu einem wichtigen molekularbiologischen Instrument und zu einer echten „disruptiven Innovation“, die die Biowissenschaften grundlegend verändert.

Solange die zu bearbeitende DNA relativ klein ist, sind die bisherigen Nukleasen hilfreich. Sollen jedoch größere Genome (Gesamtheit der DNA eines Lebewesens), wie etwa das menschliche Genom mit einer Größe von 3,3 Milliarden Basenpaaren, bearbeitet werden, so häufen sich die Fehler herkömmlicher Nukleasen. Sie schneiden oft nicht nur an der gewünschten Stelle, sondern aufgrund von Fehlerkennungen auch an unspezifischen Stellen (sogenannte Off-Target-Veränderungen). Hohe Fehlerraten sind in der Humananwendung, besonders in der (Gen-)Therapie, unannehmbar – der genetische Schaden wäre größer als der gewünschte Nutzen. Daher war die Entdeckung neuer Nukleasen entscheidend für das genaue Bearbeiten großer DNA.

„Zinkfingernukleasen“ und „TALENs“ sind bekannte Entwicklungsschritte auf dem Weg zum Genome Editing – und seit 2012 CRISPR, das wesentlich von Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entwickelt wurde.

Medizinische Anwendungsgebiete

Gentechnik haftet oft der Geruch des Artifiziellen, des „Anti-Natürlichen“, an. Viele Kritiker beziehen sich in ihren Argumenten ausdrücklich auf das „Natürliche“ als ethischen Bezugspunkt. Doch auch die Molekularbiologie beziehungsweise Gentechnik bedient sich „natürlicher“ Mittel. So auch beim Genome Editing: CRISPR beruht auf einer bei Bakterien natürlichen Art von Immunabwehr gegen virale Infektionen. Die Ergebnisse des Genome Editing sind vielfach nicht von natürlicher DNA zu unterscheiden. Es wird daher zu Recht darüber nachgedacht, CRISPR-veränderte Pflanzen nicht mit gentechnisch-veränderten Pflanzen rechtlich gleichzusetzen.

In vielen Labors ist CRISPR als Standardmethode etabliert. Sie lässt sich für pflanzliche, tierische und menschliche Zellen verwenden. Die Zielsetzungen decken alle Bereiche ab, die mit genetischer Steuerung zu tun haben – angefangen bei der Zellbiologie bis hin zur Krankheitsursachenforschung. Mit dem Genome Editing lassen sich Gene ausschalten, neue Gene einfügen oder Gene mit krankheitsverursachenden Mutationen durch Genkopien ohne Defekte ersetzen.

In der Medizin wird Genome Editing angewandt, um sehr unterschiedliche Erkrankungen zu therapieren: etwa Krebserkrankungen, schwere Infektionserkrankungen, wie HIV, oder monogenetische Erbkrankheiten. Die Gentherapie erhält durch Genome Editing einen innovativen Schub. Erste Heilversuche stimmen optimistisch. Schwerkranken Menschen kann voraussichtlich besser geholfen werden. Doch es gilt abzuwarten. Noch ist nicht klar, in welchem Maße Genome Editing in medizinischen Therapien tatsächlich Fuß fassen wird.

Während die somatische Gentherapie, insbesondere wenn die entscheidenden Schritte der DNA-Modifizierung in vitro erfolgen, relativ risikoarm und vergleichsweise einfach realisierbar ist, gibt es bei einer Keimbahntherapie sehr hohe, nicht nur methodische, sondern vor allem ethische Hürden. Einer der Hauptgründe, die bisher gegen eine Keimbahntherapie sprachen, war die hohe technische Fehlerrate. Sie scheint durch Genome Editing beherrschbar geworden zu sein. Erste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Keimbahntherapien – trotz aller ungelösten Probleme – in naher Zukunft technisch möglich sein werden. Doch unabhängig von der technischen Realisierbarkeit bleibt die Frage der ethischen Legitimität und gesellschaftlichen Erwünschtheit.

Veränderungen an menschlichen Embryonen

Im April 2015 ließ eine Nachricht die Welt aufhorchen: Eine chinesische Arbeitsgruppe um Junjiu Huang hatte mit CRISPR erstmalig die DNA menschlicher Embryonen verändert, mit dem Ziel, einen Gendefekt zu korrigieren, der Beta-Thalassämie verursacht – eine schwere, oft tödlich verlaufende Erkrankung. Sie erzielte jedoch nur bei vier von 86 Embryonen das gewünschte Ergebnis und blieb deutlich hinter ihren Erwartungen zurück. Hinzu kamen viele Off-Target-'Veränderungen.

Diese Experimente waren eine Zäsur – weniger in medizinischer Hinsicht, sondern aufgrund des begangenen Tabubruchs. Sowohl der Keimbahneingriff als auch die verbrauchende Embryonenforschung sind ethisch überaus umstritten. Entsprechend einhellig war die Kritik weltweit. Den chinesischen Forschern war das Problem durchaus bewusst. Sie verwendeten Embryonen, die einen dreifachen statt des normalen doppelten Chromosomensatzes enthielten und damit nicht dauerhaft lebensfähig waren. Dennoch bleiben ihre Experimente ethisch verwerflich. Nach einem ersten entsetzten Aufschrei verstummte die Öffentlichkeit jedoch wieder.

Ein Jahr später, im April 2016, machte eine andere Arbeitsgruppe aus China unter Leitung von Young Fan von sich reden. Wieder war es ein CRISPR-Versuch mit frühen Embryonen. Auch diese Embryonen enthielten drei statt zwei Chromosomensätze und waren nicht dauerhaft lebensfähig. Ziel-Gen war CCR5, das für einen Rezeptor codiert, an den das HI-Virus bindet. Die angestrebte genetische Veränderung sollte den Rezeptor so verändern, dass eine HI-Infektion nicht mehr möglich ist. Auch in diesem Fall war die Erfolgsquote inakzeptabel gering. Von 213 verwendeten Embryonen wiesen nur vier die gewünschte Korrektur auf. Die Veröffentlichung hätte die Welt alarmieren müssen. Doch auch hier gab es keine nachhaltige Reaktion.

Anfang August 2017 schlug eine Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Nature, verfasst von einer Arbeitsgruppe der Oregon Health and Science University (Portland, USA) unter Leitung von Shoukhrat Mitalipov, hohe Wellen. Mitalipov hatte schon früher für Aufsehen gesorgt: Mithilfe des Somatischen Zellkern-Transfers stellte er humane Stammzellen her und erforschte neue Behandlungsmöglichkeiten für mitochondriale Krankheiten, die zu sogenannten Drei-Eltern-Babys führten. Nun berichteten die Forscher aus Portland von einer CRISPR-Behandlung, die ein Gen reparieren sollte, das für hypertrophe Kardiomyopathie, eine schwere Herzerkrankung, verantwortlich ist. Sie führten ihre Versuche an sehr frühen menschlichen Entwicklungsstadien durch – zum Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Die Rahmenbedingungen waren offenbar so gut gewählt, dass der Gendefekt bei 42 von 58 Embryonen beseitigt werden konnte. Die hohe Effizienz ging mit einer niedrigen Fehlerquote einher, verbunden mit nur sehr wenigen Off-Target-'Veränderungen. Zum ersten Mal gelang ein Genome Editing, das die erwartete hohe Genauigkeit des Verfahrens auch bei der Anwendung an menschlichen Embryonen bestätigte.

Wie geht es weiter?

Diese Forschung zu Keimbahninterventionen wird fortgesetzt werden – nicht in Deutschland, aber in vielen anderen Ländern, in Europa und weltweit. In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz solche Versuche. Das entbindet Politik und Gesellschaft jedoch nicht davon, sich mit Genome Editing und Keimbahneingriffen auseinanderzusetzen.

Forschungen zur somatischen Gentherapie mithilfe des Genome Editing werden ebenfalls vorangetrieben werden, mit dem Ziel, Wirksamkeit, Sicherheit und Effizienz der Gentherapie zu verbessern, um sie als Standardtherapie in der Medizin zu etablieren. Noch gibt es viele Erkrankungen, wie etwa Krebs, die trotz aller Anstrengungen nicht ausreichend behandelbar sind. Der Bedarf an neuen Therapieformen ist groß. Auch hier gilt es, ethische Standards, wie das Nichtschadensprinzip und den informed consent – die Einwilligung nach erfolgter Aufklärung –, zu beachten.

„Life Sciences“ und „Digital Sciences“

Auch in der Grundlagenforschung wird Genome Editing an Bedeutung gewinnen. Vermutlich bleibt es nicht bei CRISPR. Neue, noch bessere „Designer-Nukleasen“ werden entwickelt werden. Genome Editing wird künftig mehr und mehr mit anderen biowissenschaftlichen Disziplinen verknüpft, besonders mit der Humangenomforschung, die seit der vollständigen Sequenzierung des menschlichen Genoms über eine enorme Datenfülle verfügt. „Life sciences“ und „digital sciences“ nähern sich einander an – mit der Perspektive neuer disruptiver Innovationen. Die Erkenntnisse in der Biologie werden sich dadurch vertiefen und im besten Fall von großem medizinisch-pharmazeutischem Nutzen sein. Sie können aber auch zu Anwendungen führen, die neue ethische und rechtliche Probleme aufwerfen.

Ähnliches gilt für die Verflechtung des Genome Editing mit der Stammzell- und der Embryonenforschung. Auch hier liegen Chancen und Risiken nahe beieinander. Gesellschaftliche Abwägungen zwischen Erwünschtem und Unerwünschtem werden immer wieder erforderlich sein. Der Gesetzgeber muss überprüfen, ob Gesetze, etwa das Embryonenschutzgesetz, angesichts des rasanten wissenschaftlichen Fortschritts noch den gewünschten Schutzzielen entsprechen. Dabei sollten Forschungs- und Anwendungsverbote sorgfältig unterschieden werden. Die in Deutschland grundgesetzlich garantierte, aber von manchen wenig wertgeschätzte Wissenschaftsfreiheit darf nur dann eingeschränkt werden, wenn andere verfassungsrechtlich geschützte Güter gefährdet sind. Darüber hinausgehende Forschungsverbote müssen vermieden werden.

Drohen ethische Dammbrüche?

Die Gefahr eines ethischen Dammbruchs ist gerade bei Keimbahninterventionen besonders groß. Es ist heute schon absehbar, dass es nicht bei der reinen Forschung bleiben und man Embryonen mit genetischen Veränderungen in der Keimbahn zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nutzen wird. Deshalb sind dringend weltweite, völkerrechtlich verbindliche Regeln für Keimbahninterventionen notwendig.

Bereits 2015 hat eine Gruppe renommierter amerikanischer Wissenschaftler ein Moratorium initiiert. In Deutschland setzten sich der Nationale Ethikrat, die Wissenschaftsakademien, etwa die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, und viele Wissenschaftler über Disziplingrenzen hinweg mit Genome Editing und Keimbahninterventionen kritisch auseinander. Die Bedenken, die es unter Wissenschaftlern in den USA und weltweit gibt, müssen in der Politik Gehör finden. Auch die Kirchen, die seit Langem eine „menschendienliche Perspektive“ der Biowissenschaften anmahnen und konsequent auf die Beachtung der Menschenwürde und des Lebensschutzes hinweisen, sind starke Partner, wenn es darum geht, notwendige Grenzen zu ziehen.

Ungeklärte Verantwortungskompetenzen

Den richtigen Weg zu finden, ist nicht einfach. Befürworter einer Keimbahntherapie verweisen darauf, dass mit einem solchen Eingriff schwere vererbbare Erkrankungen geheilt werden können, nicht nur beim Einzelnen, sondern auch in allen ihm nachfolgenden Generationen. Kritiker wenden ein, dass auch mögliche Fehler über Generationen hinweg vererbt würden, und fragen, wer dafür die Verantwortung übernähme.

Hinzu kommt, dass Keimbahninterventionen nicht nur für Heilungszwecke, sondern auch für genetisches Enhancement (Verbesserung menschlicher Fähigkeiten) genutzt werden können. Medizinisch indizierte Therapie und genetische Optimierung lassen sich in Grenzbereichen nicht eindeutig trennen. Doch genetisches Optimierungsstreben verstößt gegen das Instrumentalisierungsverbot und damit gegen die Menschenwürde. Entscheidungs- und Verantwortungskompetenzen sind ungeklärt. Es geht um nicht weniger als um das genetische Erbe der Menschheit.

Genome Editing ist also mehr als nur eine neue innovative Disziplin in den Lebenswissenschaften. Mit seiner Hilfe lassen sich Erkenntnisse über das Leben vertiefen, und es kann das Selbstverständnis des Menschen verändern. Genome Editing eröffnet neue Handlungsoptionen, die dem Menschen dienen werden, die aber auch zu seiner Selbstoptimierung missbraucht werden können. Um das Legitimierbare vom Illegitimen und das Wünschenswerte vom Unerwünschten zu trennen, braucht es mehr als einen wissenschaftlichen Diskurs. Wir alle müssen heute darüber nachdenken, wie wir künftig leben wollen.

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Norbert Arnold, geboren 1958 in Ellar, Biologe, Leiter des Teams Bildungs- und Wissenschaftspolitik, Hauptabteilung Politik und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.

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