Die im Jahr 2013 gegründete Alternative für Deutschland (AfD) ist noch eine relativ junge Partei, hat jedoch den politischen Wettbewerb in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahren maßgeblich mitbestimmt. Mittlerweile ist sie in allen Landtagen und im Bundestag vertreten und fällt in den Parlamenten durch ein aggressives und provozierendes Auftreten auf (Hensel et al., 2017; Schroeder et al., 2018). In Baden-Württemberg wurde die AfD bei der Landtagswahl im März 2016 mit 15,1 Prozent der Stimmen drittstärkste Partei und ist seitdem mit 23 Abgeordneten im Landtag vertreten. Nach Meinung einiger Parlamentarier hat sich die Diskussionskultur im Stuttgarter Landtag seit Einzug der AfD verschärft. Muhterem Aras, Präsidentin des baden-württembergischen Landtags, berichtet beispielsweise: „Die AfD-Fraktion bewegt sich mit ihren Debattenbeiträgen häufig an der Grenze zum Tabu. Das führt zu Provokationen, und bedauerlicherweise steigen die anderen Fraktionen in der Regel darauf ein. Dadurch ist eine Streitkultur im Landtag entstanden, die der Würde des Parlaments nicht förderlich ist“ (Reiners, 2017). Die Frage ist: Hat der Einzug der AfD in den baden-württembergischen Landtag zu einer beobachtbaren Veränderung des Verhaltens der Fraktionen im Plenum geführt?
Die Untersuchung von Zwischenrufen und anderen Zwischenreaktionen – wie Beifall, Lachen oder Heiterkeit – bietet eine Möglichkeit, diese Frage zu beantworten. Zwischenrufe sind kurze Einwürfe von Abgeordneten im Plenum, die gerade kein Rederecht haben, aber trotzdem eine Meinungsäußerung zum Redner, zu seiner Rede oder auch zu anderen Beteiligten abgeben wollen. Abgeordnete nutzen diese Zwischenrufe insbesondere, um Redner konkurrierender Fraktionen zu kritisieren und aus dem Konzept zu bringen oder um die der eigenen Fraktion zu unterstützen (Hitzler, 1990). Sie sind damit per se Ausdruck einer spezifisch parlamentarischen Diskussionskultur. Auch mittels Beifall oder Heiterkeit kann Abgeordneten im Plenum Zustimmung signalisiert werden, oder mithilfe von Lachen, das die Parlamentsstenografen bei hämischem, abfälligem Lachen notieren, Geringschätzung und Kritik (Burkhardt, 2004).
Unsere Ergebnisse basieren auf zwei Inhaltsanalysen: einer automatisierten Analyse des Vorkommens der Zwischenreaktionen in den Plenarprotokollen der aktuellen und der vorherigen Legislaturperiode des baden-württembergischen Landtags (Legislaturperioden [LP] 15 und 16) sowie einer manuellen quantitativen Inhaltsanalyse von 1.897 Zwischenrufen in zwanzig aktuellen Debatten in diesen Legislaturperioden (zehn Debatten pro Legislaturperiode). Bei der manuellen Analyse wurden unterschiedliche Eigenschaften der Zwischenrufe, wie zum Beispiel der Urheber und der Adressat des Zwischenrufs sowie die Tendenz des Zwischenrufs (Kritik oder Unterstützung), festgehalten.
Unsere Analysen zeigen, dass die Fraktionen im Stuttgarter Landtag Zwischenreaktionen bewusst einsetzen, um sich von anderen Fraktionen abzugrenzen oder diese zu unterstützen. Die Zuordnung zur Regierung oder zur Opposition ist entscheidend bei der Frage, welche Fraktionen kritisiert beziehungsweise unterstützt werden. Beim Beifall, beim positiven und negativen Lachen sowie bei den Zwischenrufen kritisieren sich Oppositions- und Regierungsparteien jeweils in der Mehrheit gegenseitig. Sie nutzen diese Strategien in den meisten Fällen jedoch auch, um den jeweiligen Oppositionsbeziehungsweise Regierungspartner zu unterstützen.
Die Oppositionsparteien SPD und FDP setzen im Landtag hierbei besonders häufig auf kritische Zwischenrufe, um ihren Widerspruch gegenüber den Regierungsparteien CDU und Grüne zum Ausdruck zu bringen. Nicht zu diesem Muster passen jedoch in der aktuellen Legislaturperiode das Verhalten der AfD-Fraktion selbst sowie das Verhalten ihr gegenüber. Es sind keine Allianzen der anderen Parteien gegenüber der AfD zu erkennen. Stattdessen grenzen sich die anderen Fraktionen mithilfe verschiedener Mittel von der AfD ab. So spenden sie erstens Rednern der AfD so gut wie keinen Beifall (Abbildung 1 - siehe PDF-Version!). Sie reagieren zweitens eigentlich nie mit Heiterkeit auf deren Redebeiträge (Abbildung 2 - siehe PDF-Version!). Drittens werden die Redner der AfD am stärksten von allen anderen Parteien in Zwischenrufen kritisiert und damit angegriffen (Abbildung 3 - siehe PDF-Version!). Und viertens werden die Zwischenrufe von AfD-Parlamentariern am häufigsten von den anderen Fraktionen ignoriert.
Die AfD nimmt im baden-württembergischen Landtag im Vergleich zu den anderen Fraktionen folglich eine isolierte Position ein. Sie selbst wiederum verhält sich den anderen Fraktionen gegenüber meist extrem ablehnend. Dabei fällt beispielsweise auf, dass sie mit Abstand am häufigsten das Mittel des hämischen und abfälligen Lachens einsetzt, um Redner anderer Parteien lächerlich zu machen (Abbildung 2). Außerdem kritisiert die AfD in Zwischenrufen die anderen Fraktionen stärker, als die anderen Fraktionen sich gegenseitig kritisieren.
Durch den Einzug der AfD in den baden-württembergischen Landtag hat sich das Verhalten der Fraktionen im Plenum folglich leicht verändert. Das stark abgrenzende Verhalten aller Fraktionen gegenüber einer anderen Fraktion konnte in der vorherigen Legislaturperiode, als die AfD noch nicht Mitglied des Landtags war, nicht identifiziert werden. Grüne, CDU, SPD und FDP grenzen sich durch ihr Verhalten im Parlament eindeutig von der AfD ab.
Die AfD wiederum verhält sich den anderen Fraktionen gegenüber ebenfalls sehr abweisend, insbesondere gegenüber den Regierungsparteien Grüne und CDU sowie der SPD. Zusätzlich zu der immer noch existenten Konfliktlinie zwischen den beiden Regierungsparteien Grüne und CDU sowie den beiden Oppositionsparteien SPD und FDP tritt folglich eine weitere Konfliktlinie auf, die alle anderen Parteien der AfD gegenüberstellt.
Die von uns gewonnenen Ergebnisse haben durch den Fokus auf den Stuttgarter Landtag nur eine begrenzte Aussagekraft. Analysen des Plenargeschehens in anderen Landtagen und im Bundestag sind notwendig, um aussagekräftigere Ergebnisse zum Umgang mit der AfD und zu dem Verhalten der AfD in unterschiedlichen Parlamenten zu erhalten. Unbeantwortet ist auch die Frage, ob die Skepsis und Abgrenzung gegenüber der AfD nur auf ihre inhaltliche Ausrichtung oder auch auf ihren Status als Parlamentsneuling zurückzuführen sind. Vergleiche mit den Reaktionen auf andere Neulinge in Parlamenten könnten hier aufschlussreich sein. Denn auch beim Einzug der Grünen in den Deutschen Bundestag in den 1980er-Jahren oder der Republikaner in den baden-württembergischen Landtag Anfang der 1990er-Jahre wurden Veränderungen in der politischen Diskussionskultur wahrgenommen. Die Kommunikation im Parlament bleibt ein spannendes Forschungsfeld, mithilfe dessen Erkenntnisse zu einer veränderten politischen Diskussionskultur gewonnen werden können.
Catharina Vögele, geboren 1988 in Filderstadt, seit 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Hohenheim.
Claudia Thoms, geboren 1989 in Berlin, seit 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Hohenheim.
Literatur
Burkhardt, Armin: Zwischen Monolog und Dialog. Zur Theorie, Typologie und Geschichte des Zwischenrufs im deutschen Parlamentarismus, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2004.
Hensel, Alexander / Finkbeiner, Florian / Dudek, Philipp / Förster, Julika / Freckmann, Michael / Höhlich, Paula: Die AfD vor der Bundestagswahl 2017. Vom Protest zur parlamentarischen
Opposition. Eine Studie der Otto Brenner Stiftung, Georg-August-Universität, Göttingen 2017, www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/02_Wissenschaftsportal/ 03_Publikationen/AH91_AfD_BTWahl_Goettingen_2017_07_17.pdf [Zugriff am 21.05.2019].
Hitzler, Ronald: „Die Politik des Zwischenrufs. Zu einer kleinen parlamentarischen Form“, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 21. Jg., Heft 4, Nomos Verlag, Tübingen 1990, S. 619–630.
Schroeder, Wolfgang / Weßels, Bernhard / Berzel, Alexander: „Die AfD in den Landtagen: Bipolarität als Struktur und Strategie – zwischen Parlamentsund ‚Bewegungs‘-Orientierung“, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 49. Jg., Heft 1, Nomos Verlag, Tübingen 2018, S. 91–110, www.nomos-elibrary.de/ 10.5771/0340-1758-2018-1-91/die-afd-in-den-landtagen-bipolaritaet-als-struktur-und-strategiezwischen-parlaments-und-bewegungs-orientierung-jahrgang-49-2018-heft-1?page=1&select-row= abstract [Zugriff am 21.05.2019].
Reiners, Willi: „‚Der Ton dürfte deutlich rauer werden‘. Muhterem Aras zur AfD im Bundestag“, in: Stuttgarter Nachrichten, 25.09.2017, www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.landtagspraesidentinaras-zur-afd-im-bundestag-der-ton-duerfte-deutlich-rauer-werden.883db7e7-4778-45ea-9663f83dc7e5c128.html [Zugriff am 21.05.2019].
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