Frankreich: Alljährlich gegen Mitte Juni zittert die Grande Nation mit den Schülern, die das baccalauréat – „le bac“ – ablegen. Die Medien berichten über alle Facetten der Prüfung. Wie nicht anders zu erwarten, handelt es sich in Frankreich um ein Zentralabitur, bei dem den Prüflingen landesweit dieselben Fragen vorgelegt werden. Traditionell eröffnet die Philosophie den Reigen der schriftlichen Prüfungen. Passend zur Schwarzgeldaffäre des Jérôme Cahuzac, die im April 2013 zum Ausschluss des ehemaligen Haushaltsminister aus der Parti Socialiste führte, lautete eine der Fragen: „Que devons-nous à l‘Etat?“ („Was schulden wir dem Staat?“). Der Höhepunkt der allgemeinen Nervenanspannung ist Anfang Juli erreicht, wenn die Ergebnislisten in den Schulgebäuden ausgehängt werden. Jubelszenen mischen sich mit tiefer Verzweiflung. Allerdings überwiegen die Freudenszenen.
Der taux de réussite, also der Prozentsatz der Schüler, die „das bac“ bestehen, hat 2013 mit 86,8 Prozent einen historischen Rekord erreicht. Der Ministre de l’Éducation Nationale erblickte darin einen Beleg für den Erfolg der französischen Bildungspolitik, die seit Präsident François Mitterand unter dem Motto „démocratisation du bac“ auf eine starke Ausweitung der Absolventenzahlen zielt. Achtzig Prozent eines Altersjahrgangs sollte „das bac“ erreichen, so die Vorgabe aus den 1980er-Jahren. Eine Quote, die trotz aller Bemühungen noch immer verfehlt wird: Die 86,8 Prozent erfolgreicher Absolventen entsprechen 73 Prozent eines Altersjahrgangs.
Erst in jüngster Zeit regen sich Zweifel, ob das kluge Politik ist. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit von fast 26 Prozent wirft mehr und mehr die Frage auf, ob die Politik Hoffnungen geweckt hat, die sich nun nicht erfüllen lassen. Den sozialen Aufstieg aus „einfachen Verhältnissen“ insbesondere für Einwandererkinder wollte man voranbringen. Langsam wird deutlich: „Das bac“ ist keine Eintrittskarte für eine gute Berufsausbildung und gesicherte Beschäftigung.
Noch schwieriger ist die Situation für jene 27 Prozent eines Jahrgangs, die am Ende kein Zentralabitur in der Tasche haben. So verfestigt die Schulpolitik die gesellschaftlichen Ränder, statt sie aufzulösen. Mehr als einer von vier Jugendlichen scheidet ohne Abschluss aus der Schule aus. Das sind die eigentlichen Verlierer eines Schulsystems, das den Erfolg des Bildungswesens einseitig am Prozentsatz der „bac“-Absolventen misst.
Norbert Wagner, Auslandsbüro Paris der KonradAdenauerStiftung
Großbritannien: Zur Halbzeit der aktuellen Koalitionsregierung (Conservatives – Liberal Democrats) treibt Bildungsminister Michael Gove einschneidende Reformen voran, die eine Reihe bildungspolitischer Schritte der Labour-Vorgängerregierung wieder rückgängig machen würden. Ob sie umgesetzt werden, hängt vorwiegend vom Ergebnis der Unterhauswahlen 2015 ab. Sollte die Regierung bestätigt werden, dann sollen die ersten Sekundarschüler mit dem neuen System starten und 2017 ihren Abschluss machen.
Das Schulwesen besteht gegenwärtig im Wesentlichen aus fünf Grundschuljahren (primary school) und fünf Jahren Sekundarschule (secondary school), die mit dem GCSE (General Certificate of Secondary Education) abgeschlossen werden. Wer gute Noten im GCSE vorweisen kann, dem steht der Weg zur Fortsetzung der schulischen Bildung um weitere zwei Jahre offen. Die höheren Abschlüsse bestehen in einer dem Abitur vergleichbaren allgemeinen Hochschulberechtigung, dem sogenannten A Level, und spezialisierten Zugängen wie dem BTEC (Business and Technology Education Council), dem IB (International Baccalaureate) oder dem elitären Cambridge PreU.
Goves Reformpläne zielen auf eine stärkere Diversifizierung und Deregulierung vor allem des Grundschulwesens mit einer dezidierten Förderung freier Schulen (Free Schools und Academies) und auf der Ebene des Sekundarschulwesens auf eine strengere und anspruchsvollere Leistungskontrolle. Die nach Meinung der Regierung in den vergangenen Jahren inflationär vergebenen guten Schulnoten im Bereich der GCSE-Prüfungen sollen durch strenge Abschlussprüfungen am Ende der letzten beiden Jahre der Sekundarschule ersetzt werden. Allerdings regt sich schon jetzt Widerstand beim liberalen Koalitionspartner. Auch von den Universitäten kommt Kritik. Rund zwei Drittel der 22 führenden Universitäten haben sich laut einer Umfrage gegen diese Veränderung ausgesprochen, da sie zu einer Benachteiligung der untersten Bildungsschichten führe.
55 Prozent der Schulabgänger eines Jahrgangs gehen an die Universitäten, womit Großbritannien deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 42 Prozent liegt. Daran wird deutlich, dass bis vor Kurzem ein universitäres Studium vielen als alternativlos galt. Inzwischen mehren sich die Anzeichen dafür, dass unter den 300.000 Schülern, die Mitte August 2013 ihre GCSE-Noten zwischen Hoffen und Bangen erwarteten, eine wachsende Zahl von Absolventen ist, die einer nicht-universitären Ausbildung den Vorzug geben könnten. Dem entspricht, dass auch die Arbeitgeberseite der beruflichen Ausbildung mehr Gewicht geben will. So haben Firmen wie PricewaterhouseCoopers, British Airways oder Unilever verlauten lassen, dass sie das Angebot an Ausbildungsplätzen für Schüler nach Abschluss der zehnten Klasse deutlich erhöhen werden.
Hans-Hartwig Blomeier, Auslandsbüro London der Konrad-Adenauer-Stiftung
USA: Harvard, das Massachusetts Institute of Technology (MIT) oder Berkeley glänzen international. Aber in den USA wächst die Befürchtung, dass das amerikanische Schulsystem nicht genug herausragende Absolventen hervorbringt, um langfristig die Spitzenstellung in Forschung und Lehre halten zu können. Viele Experten mahnen dringend Reformen an. Der Zeitpunkt könnte günstig sein, denn am Ende dieses Jahres endet der Higher Education Act, der die Finanzierung und die Qualitätssicherung höherer Bildung regelt.
Schon länger klagen die Colleges und Universitäten über die ungenügenden Kenntnisse und Fähigkeiten ihrer Studienanfänger. Dabei geben die USA im internationalen Vergleich pro Schüler das meiste Geld aus. Das heißt: Die Schulbildung ist überaus teuer, aber sie erzielt längst nicht die entsprechend guten Ergebnisse.
Zwar bringt das amerikanische Bildungssystem – trotz steigender Studiengebühren – einen hohen Anteil an College- und Universitäts-Absolventen hervor; nach OECD-Angaben ist es bei den 25bis 64-Jährigen weltweit die fünfthöchste Quote. Schaut man auf die 25bis 34-Jährigen, belegen die USA allerdings nur noch Platz 12. Offenbar wird die Motivation, ein kostenintensives Studium aufzunehmen, dadurch beeinträchtigt, dass akademische Abschlüsse – anders als früher – nicht mehr automatisch einen gut bezahlten Arbeitsplatz garantieren. Gleichzeitig fragt die Wirtschaft zunehmend berufspraktische Fähigkeiten nach. Diese werden aber im bisherigen System zu wenig vermittelt.
Bildung hat in den USA nach wie vor einen starken sozialen Aspekt: Diejenigen, die teure Privatschulen besucht haben und sich noch dazu die für manche unerschwinglichen privatwirtschaftlich organisierten Vorbereitungskurse für die Zulassungstests zu Colleges und Universitäten leisten können, sind mehrheitlich klar im Vorteil. Dabei ist es nicht so, dass öffentliche Schulen durchweg weniger leistungsstark sind als private. Aber dort, wo das soziale Umfeld einer Schule schwierig ist, sind die Ergebnisse meist weitaus schlechter.
Einige Reformen sind bereits auf dem Weg: So sollen landesweit einheitliche Tests in den Kernfächern Englisch und Mathematik für Lehrer und Schüler klare Leistungsmaßstäbe definieren und Anreize zu verstärkten Anstrengungen geben. Dabei geht es darum, das allgemeine Bildungsniveau an den Schulen – vor allem durch Betonung der Kernkompetenzen Lesen und Schreiben – zu heben. Auch das kritische und naturwissenschaftliche Denken soll gefördert werden. 46 der fünfzig Bundesstaaten, in deren Kompetenz die Bildungspolitik liegt, haben sich inzwischen auf gemeinsame Kriterien geeinigt.
Im Mittelpunkt der Debatte steht aber die Kostensenkung an den Colleges. Zugleich wird darüber diskutiert, ob nicht auch andere Bildungswege stärker gefördert werden sollten, wie etwa Online-Studien Massive Open Online Courses (MOOCs) und die Berufsausbildung an den community colleges.
Lars Hänsel, Auslandsbüro Washington der Konrad-Adenauer-Stiftung
Südafrika: „Our kids can’t spell, count or understand what they read”, so titelte die Tageszeitung City Press am 21. Juli 2013. Das öffentliche Bildungssystem Südafrikas steht in der Kritik. Dabei sind die Fortschritte seit der Abschaffung der Apartheid 1994 durchaus vorzeigbar. Das menschenverachtende System der Bantu-Erziehung – der gezielten Hinführung von schwarzen Südafrikanern zu wenig qualifizierter Arbeit – wurde zerschlagen. Auch in den ländlichen Regionen wurden flächendeckend Schulen eingerichtet, die Einschulungsquote liegt inzwischen bei fast 100 Prozent. Von 1994 bis 2009 stieg die Zahl der Studierenden um 71 Prozent, inzwischen sind zwei Drittel der Studierenden schwarz. Immerhin neunzehn Prozent des nationalen Gesamthaushaltes macht der Etat für Bildung aus.
Aber: Wer die Schulpflicht bis zur neunten Klasse durchlaufen hat und in drei weiteren Jahren das National Senior Certificate (Matric) anstrebt, steht vor beträchtlichen Hürden. Die Abbrecherquote liegt in den Klassen 10 bis 12 bei fast fünfzig Prozent. Siebzig Prozent einer Abschlussklasse bestehen zwar, aber nur etwa ein Viertel davon schafft beim Matric die notwendigen Zensuren, um sich für die Universität zu qualifizieren.
Trotz aller Anstrengungen bleibt die Schulbildung in Südafrika ein Abbild der sozialen Situation, geprägt von erheblichen Ungleichheiten in Bezug auf die Lebenschancen. Die früher benachteiligten Schulen, die vor 1994 der Erziehung von schwarzen und farbigen Kindern dienten, haben weiterhin oft nicht dieselbe Infrastruktur wie die Schulen, die früher den „Weißen“ vorbehalten waren. Die Lehrer sind schlechter qualifiziert, und die Wahrscheinlichkeit, in einer anderen Sprache als der eigenen Muttersprache unterrichtet zu werden, ist hoch.
Die riesigen sozialen Probleme des Landes lassen sich von den Schulen nicht fernhalten. Die Familienverhältnisse sind in der Mehrzahl wenig stabil; nur ein Drittel der Kinder lebt mit beiden Elternteilen. Eine andere Zahl wirft ein noch grelleres Licht auf die sozialen Bedingungen an vielen Schulen: Fast ein Drittel aller Schulmädchen ist HIV-positiv!
Folglich sind die durchschnittlichen schulischen Leistungen südafrikanischer Schüler selbst im Vergleich zu vielen anderen afrikanischen Ländern schlecht. Wer es sich irgendwie leisten kann, flüchtet vor diesen schwierigen Zuständen. Zwischen 2000 und 2010 wuchs die Zahl von sogenannten lowfee independent schools um 44 Prozent, Tendenz steigend. Die südafrikanische Regierung ist alarmiert und sieht dringenden Handlungsbedarf in der Bildungspolitik.
Holger Dix, Auslandsbüro Johannesburg der Konrad-Adenauer-Stiftung
Indonesien: Ein durchschnittlich sechsprozentiges Wirtschaftswachstum, sprudelnde Direktinvestitionen und eine kauffreudige Mittelschicht – die Entwicklung des südostasiatischen Inselreiches ist eine Erfolgsgeschichte, trotz jüngster Turbulenzen. Schon will das G-20-Mitgliedsland mit seinen 240 Millionen Einwohnern mehr: weg von der stark rohstoffbasierten Wirtschaftsnation und hin zu einer modernen Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft. Damit das gelingt, ist ein deutlicher Anstieg der Zahl qualifizierter Fachkräfte und Hochschulabsolventen notwendig.
Bislang führen zwei Wege zu höheren Bildungsabschlüssen: Die Sekolah Menengah Atas (SMA) gleicht der deutschen Oberschule beziehungsweise dem Gymnasium und ist damit die übliche Vorstufe für ein Hochschulstudium. Die Sekolah Menengah Kejuruan (SMK) ist eine höhere Sekundarschule mit beruflicher Ausrichtung in den Bereichen Technik, Wirtschaft und Dienstleistung. Bei den Hochschulen, zu denen man aufgrund der Ergebnisse einer landesweit einheitlichen Aufnahmeprüfung zugelassen wird, unterscheidet man polytechnische Hochschulen, Institute, Akademien und Universitäten.
Die Anzahl der weiterführenden Bildungseinrichtungen hat sich seit 1990 vervierfacht. Die meisten davon sind in privater und islamischer Trägerschaft. Allerdings besuchen derzeit nur ungefähr elf Prozent eines Jahrgangs eine dieser Hochschulen – viel zu wenig, wenn man sich den steigenden Bedarf an gut ausgebildeten jungen Menschen vor Augen führt.
Die Regierung in Jakarta hat seit 2003 bedeutende Fortschritte erzielt: So wurde der Bildungsetat verdreifacht (2009 flossen erstmals die geforderten zwanzig Prozent der Staatsausgaben in das Bildungswesen), eine verbesserte Lehrerausbildung wurde umgesetzt, und die Provinzen erhielten eine größere bildungspolitische Autonomie. Doch noch hat das nicht zu einer messbaren Qualitätsverbesserung geführt. In einer OECD-Vergleichsstudie schnitten fünfzehnjährige Indonesier in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Sprachen im regionalen Vergleich schlecht ab.
In den abgelegenen Regionen des indonesischen Archipels besuchen oftmals weniger als sechzig Prozent der Kinder eine Schule. Landesweit setzen nur zwei Drittel der Schüler nach der sechsjährigen Grundschule ihre Schullaufbahn fort. Private Organisationen ergreifen angesichts dieser Situation die Initiative: So entsendet die Organisation Indonesia Mengajar Universitätsabsolventen als Lehrer auf Zeit in entlegene Landesteile des riesigen Inselreiches.
Philipp Müller, Auslandsbüro Jakarta der Konrad-Adenauer-Stiftung