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Spotlights: Islamistischer Terror

Vier Beispiele, wie andere Länder betroffen sind

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Pakistan: Nach der Kolonialzeit 1947 als unabhängiger „Muslimstaat“ auf dem indischen Subkontinent gegründet, bezeichnet sich das Land offiziell als „Islamische Republik“. Der Islam ist Staatsreligion, und auch historisch gehört die Religion zu den Grundlagen des pakistanischen Selbstverständnisses. Gleichzeitig ist das Land weltweit in besonderer Weise von religiös motivierten Terroranschlägen betroffen. Das Institute for Economics and Peace stuft Pakistan in seinem Terrorismusindex auf Rang drei von 162 untersuchten Ländern ein – nach dem Irak und Afghanistan auf den ersten beiden Plätzen (siehe dazu www.visionofhumanity.org/#page/indexes/terrorism-index/2013/PAK/OVER). Allein 2014 wurden fast 2.000 terroristische Attacken registriert, denen mehr als 2.000 Menschen zum Opfer fielen.

Einen neuen, schrecklichen Höhepunkt erreichte der Terror mit dem verheerenden Anschlag vom 16. Dezember 2014 im nordpakistanischen Peshawar, als bei einem Angriff auf eine Schule mehr als 130 Schulkinder getötet wurden. Der nationale Schock erhöhte den Druck auf die Regierung und führte zu einem bis dahin beispiellosen Konsens in der Gesellschaft, wirksame Schritte gegen extremistische Organisationen im Land einzuleiten, die den ideologischen Nährboden für Anschläge bilden und jahrelang vom Staat toleriert worden waren. Im Ergebnis wurde Anfang Januar 2015 ein „National Action Plan“ (NAP) zur Terrorismusbekämpfung verabschiedet. Er beinhaltet unter anderem die zunächst auf zwei Jahre befristete Einrichtung von Militärgerichten zur raschen Aburteilung von Terrorverdächtigen und die Anwendung der Todesstrafe. Darüber hinaus wurde damit begonnen, die Aktivitäten aller politischen und religiösen Organisationen im Land und deren Finanzierung zu überprüfen. Davon sind erstmals auch die Zehntausende Madrasas (Koranschulen) im Land betroffen, die über viele Jahre unbehelligt von jeglicher staatlicher Kontrolle tätig sein konnten.

Bereits im Juni 2014 hat das pakistanische Militär eine groß angelegte Bodenoffensive in Nord-Waziristan gegen die Taliban und andere terroristische Gruppierungen eröffnet. In der Folge musste fast eine Million Zivilisten ihre Heimat verlassen und in Flüchtlingscamps ziehen. Der Wiederaufbau der zerstörten Dörfer und die staatliche Unterstützung der betroffenen Zivilbevölkerung ist eine Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Befriedung von Nord-Waziristan. Sollte das nicht gelingen, würde das ein zusätzliches Einfallstor für radikale Kräfte bedeuten.

Sowohl die laufende Militäroperation als auch der Aktionsplan zur Terrorbekämpfung zeigen, dass die Regierung von ihrer früheren Absicht einer Verhandlungslösung mit den Taliban gänzlich abgerückt ist. Im März 2014 hatte sie direkte, letztlich aber ergebnislose Gespräche aufgenommen, wobei sich unter anderem das Problem stellte, dass es „die Taliban“ eigentlich nicht gibt und die Regierung nur mit einer Gruppierung, den Tehrik-e-Taliban (TTP), verhandelte.

Gerade weil Pakistan vom islamistischen Terror in besonderer Weise betroffen ist und nun enorme Anstrengungen unternimmt, ihn zu bekämpfen, betrachtet man die derzeitige weltweite Häufung religiös motivierter Anschläge mit großer Sorge. So ist der tödliche Angriff auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Pakistan sehr wohl zur Kenntnis genommen und auch verurteilt worden. Es wird in sämtlichen offiziellen Stellungnahmen allerdings verdeutlicht, dass Pakistan jegliche Verunglimpfung der islamischen Religion, auch in Form von Cartoons, nicht nur als inakzeptabel betrachtet, sondern dadurch auch eine weitere Stärkung radikaler Kräfte befürchtet: Meinungsfreiheit dürfe nicht dazu genutzt werden, Hass zwischen Religionen zu schüren.

Ronny Heine, Auslandsbüro Islamabad der Konrad-Adenauer-Stiftung

 

Nigeria: Das bei Weitem bevölkerungsreichste Land Afrikas ist kulturell höchst vielfältig. Allerdings stellen Muslime, die meist im Norden des Landes beheimatet sind, mit rund fünfzig Prozent der Bevölkerung die größte Religionsgruppe dar. Seit der Unabhängigkeit Nigerias 1960 haben Korruption und Ungerechtigkeit unter wechselnden Militärdiktaturen immer wieder islamische Bewegungen herausgefordert und zur Radikalisierung beigetragen.

Auch die Demokratisierung des Landes 1998 hat bisher nicht zu einer Befriedung der innenpolitischen Lage geführt. Vor allem die 2002 gegründete Boko Haram (übersetzt etwa: „Westliche Bildung ist verboten“) sorgte durch brutale Gewaltakte und Entführungen weltweit für Aufsehen. Zwischen 2006 und 2013 gingen insgesamt 469 Anschläge und gewalttätige Übergriffe mit insgesamt 5.861 Toten auf das Konto der Terrororganisation (siehe Pérouse de Montclos, Marc-Antoine: Nigeria’s Interminable Insurgency? Adressing the Boko Haram Crisis, Research Paper, Chatham House, Africa Programme, September 2014). Bis Ende 2014 hat sich die Zahl der Getöteten auf mehr als 10.000 erhöht. Die meisten dieser Anschläge ereigneten sich in den nordöstlichen Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa, den traditionellen Hochburgen der Boko Haram. Ihre Opfer waren größtenteils Muslime.

Der Gründer der Jamaatu Ahlis-Sunnah Liddaawati Wal Jihad („Sunnitische Gemeinschaft zur Verbreitung der Lehre des Propheten und des Jihad“), wie die vollständige Bezeichnung von Boko Haram lautet, war der 1970 geborene Ustaz Mohammed Yusuf. Der Schüler saudischer Salafisten setzte sich – anknüpfend an das historische Kalifat von Sokoto, das im 19. Jahrhundert Gebiete weit über den nördlichen Teil des heutigen Nigeria hinaus umfasste – für die Errichtung eines neuen Kalifats ein.

Boko Haram erwuchs aus einer permanenten Konfrontation mit dem Staat, war jedoch nicht von Beginn an gewalttätig. Armut, Korruption und die verbreitete Unzufriedenheit mit der politischen Führung Nigerias verschafften der Gruppe rasch großen Zulauf. Eine erste Radikalisierung erfuhr die Organisation, nachdem 2009 Mohammed Yusuf außergerichtlich und im Polizeigewahrsam hingerichtet worden war (Pérouse de Montclos, 2014, 11). Attentaten und Bombenangriffen Boko Harams folgte ein verstärkter Einsatz des nigerianischen Militärs. Seither führen auch durch staatliche Sicherheitskräfte verübte Übergriffe und Vergeltungstaten von Boko Haram zu einer immer schnelleren Bewegung der Gewaltspirale. Inzwischen greifen auch Nachbarstaaten Nigerias militärisch ein.

Die soziale Zusammensetzung der Gruppe, ihre Hierarchie, ihre Ziele und Strategien liegen weitgehend im Dunkeln. Genaues ist über Verbindungen zu internationalen Terrornetzwerken kaum bekannt. Ansaru, eine 2011 entstandene radikale Splittergruppe der Boko Haram, gilt als professionelle Terrororganisation mit Verbindungen zu Al-Kaida, und Boko Haram hat sich am 7. März 2015 öffentlich zu ISIS bekannt.

Die Gräueltaten der Boko Haram, der beständige Landgewinn und die Vertreibung von Hunderttausenden Menschen aus ihren Dörfern rufen Angst und Wut in den angrenzenden Staaten und ein wachsendes Misstrauen von Christen gegenüber Moslems im gesamten Land hervor. Das wiederum könnte die Präsidenten- und Parlamentswahlen im März 2015 beeinflussen, bei denen sich der Christ Goodluck Jonathan und der Moslem Muhammadu Buhari gegenüberstehen. Es bleibt abzuwarten, wem man eine Lösung des Problems Boko Haram und eine Befriedung der nördlichen Landesteile eher zutraut. Sollten die christlichen Bevölkerungsteile zwischen islamistischen Terrorgruppen und muslimischen Politikern deutlich unterscheiden und letzteren sogar ihr politisches Vertrauen aussprechen, wäre dies – wenn das Vertrauen nicht enttäuscht wird – die größte Niederlage für terroristische islamistische Gruppen in Nigeria.

Hildegard Behrendt-Kigozi, Auslandsbüro Abuja der Konrad-Adenauer-Stiftung

 

Israel: Die Reaktionen auf die jüngsten Terrorangriffe in Frankreich und Dänemark gehen in zwei Richtungen. Zum einen herrscht eine „Binnensicht“ auf den Terror vor: Man fühlt sich – insbesondere in der politischen Elite – bestätigt: Die Europäer hätten die Gefahren des Islamismus und des Terrorismus unterschätzt. Man habe dort eine fast naive Freude über den Arabischen Frühling empfunden, die aus israelischer Sicht immer auf Illusionen beruhte. Man habe sich zu sicher gefühlt und geglaubt, IS und Al-Kaida seien weit entfernt und trieben ihr Unwesen vor allem im Nahen Osten. Jetzt erlebten die Europäer ihr „böses Erwachen“. Verbunden wird damit die Hoffnung, für den Kampf gegen die Terrororganisationen Hamas und Hisbollah, die mit den Attentätern in Paris und anderswo in eine Reihe gestellt werden, neue Unterstützung und Verständnis mobilisieren zu können.

Zum anderen wächst in Israel verständlicherweise das subjektive Bedrohungsempfinden. Angesichts der Tatsache, dass mehr als die Hälfte der jüdischen Israelis eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen und viele über Verwandtschaftsbeziehungen in den europäischen Ländern verfügen, ist das Entsetzen nur allzu nachvollziehbar. Dabei stellen Paris und Kopenhagen nur Teile des Gesamtbildes dar. Auch die Tatsache, dass die jüngste Gaza-Operation in vielen europäischen Ländern zu Demonstrationen geführt hat, bei denen Antisemitismus unverhüllt zur Schau getragen wurde, trägt zu wachsender Furcht bei. Dass zudem der Attentäter in Dänemark exakt dem Muster der Terroristen in Paris gefolgt ist, zunächst ein Fanal gegen die freie Meinungsäußerung setzte und dann jüdische Opfer suchte, weckt große Ängste vor einer Serie von Anschlägen dieser Art.

Nicht unkritisch wird in den Medien und der Politik die unverblümte Aufforderung der Regierung Netanjahu an Juden in Europa gesehen, nun nach Israel, als dem einzig sicheren Ort, auszuwandern, an dem Juden frei leben könnten. Das sei widersprüchlich, argumentieren Kritiker, wenn man zugleich darauf hinweise, dass mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Sicherheit der Menschen in Israel geschützt werden müsse, da sie durch Terror massiv bedroht sei.

Schon dieses Beispiel zeigt, wie sich die Sicht auf den internationalen Terror und die Angst vor Antisemitismus zu einer Gleichung zusammenfügen: Ein ohnehin sehr hohes Bedrohungsempfinden der Israelis inmitten asymmetrischer Gefahren wird durch unkalkulierbare, irrational agierende Terrorgruppen, durch zerfallende Staaten, aber auch durch den wachsenden Antisemitismus noch einmal massiv gesteigert – ein begründetes Bedrohungsgefühl, das im postmilitaristischen, postreligiösen und postnationalistischen Deutschland nicht immer genügend verstanden wird. Da dieses Empfinden leider auch dazu beiträgt, dass die Skepsis gegenüber einer Zweistaatenlösung in der israelischen Öffentlichkeit weiter wächst, bleibt es eine wichtige Aufgabe Deutschlands, alles dafür zu tun, dieses Ziel als einzige langfristige Garantie der Sicherheit und Existenz Israels im Bewusstsein zu verankern.

Michael Borchard, Auslandsbüro Jerusalem der Konrad-Adenauer-Stiftung

 

Jordanien: Die letzten Terroranschläge in Jordanien liegen einige Jahre zurück. Am 9. November 2005 kamen bei fast zeitgleichen Selbstmordattentaten auf drei Hotels in Amman sechzig Menschen ums Leben, 115 weitere wurden verletzt. Eine Attentäterin, eine Irakerin, deren Sprengstoffgürtel nicht gezündet hatte, wurde verhaftet und zum Tode verurteilt. Im Februar dieses Jahres wurde die Frau hingerichtet. Dies geschah, nachdem der abgestürzte jordanische Kampfpilot Muath al-Kasasbeh vor laufender Kamera bei lebendigem Leib verbrannt worden war und die Bedrohung durch den islamistischen Terror auf dramatische Weise erneut deutlich wurde. Die aufwühlenden Bilder lösten in der jordanischen Bevölkerung größtenteils heftige Empörung aus. Die Regierung kündigte an, Jordanien werde den IS „mit allem, was wir haben, verfolgen“ (Außenminister Nasser Judeh). Seither haben die jordanischen Streitkräfte ihre Luftschläge ausgeweitet – mittlerweile sollen zwanzig Prozent der Luftangriffe von den Jordaniern geflogen werden.

Innerhalb des Landes gelten seit April 2014 neue Anti-Terror-Gesetze. Sie ermöglichen den Behörden, Terrorverdächtige ohne Anklage festzusetzen, und stellen unter anderem die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Werbung dafür sowie die Finanzierung und Bewaffnung terroristischer Organisationen unter strenge Strafe. Der Staat reagierte damit auf die zunehmende Anzahl von jordanischen Staatsbürgern, die sich von islamistischen Gruppen wie Dschabhat al-Nusra oder dem IS in Syrien rekrutieren ließen und die bislang wenigstens 2.000 Personen umfassen. Die Befürchtungen richten sich nun vor allem auf die Rückkehrer – allein im Sommer 2013 sollen es rund 300 gewesen sein; von Dezember 2013 bis April 2014 wurden mehr als 120 ehemalige Kämpfer verhaftet. Kritiker der neuen Gesetze wenden ein, dass diese die politischen Freiheiten massiv einschränken würden. Vor allem die Muslimbruderschaft oder Salafisten beklagen, dass die Regelungen – ähnlich wie in Ägypten – gegen sie verwendet werden könnten. Dass sie selbst den geistigen Nährboden für den Weg in den Terror mit bereiten, blenden sie hingegen aus.

Mancher Beobachter gewinnt den Eindruck, dass die Sicherheitsbehörden mit der aktuellen Lage überfordert seien. Lange Zeit hatte man sich auf die Abwehr der Gefahren aus den Nachbarländern Syrien und Irak konzentriert und dabei die Gefahren aus dem Inneren der jordanischen Gesellschaft übersehen. Als problematisch stellt sich nun heraus, dass die Muslimbruderschaft – auch im westlichen Ausland oft als moderat missverstanden – über Jahrzehnte fast ungestört aktiv sein konnte. Ende der 1980er-Jahre hat sie, zuständig für das Erziehungsministerium, alle schulischen Lehrpläne ihrem Denken angepasst – mit noch unabsehbaren Folgen. Im Moment unterstützt die jordanische Bevölkerung zu großen Teilen den Rachefeldzug gegen den IS. Die Anhänger des politischen Islam ducken sich einstweilen weg. Doch werden die Islamisten wieder lauter zu vernehmen sein, wenn die Woge der Solidarität mit dem ermordeten Piloten verebbt.

Otmar Oehring Auslandsbüro Amman der Konrad-Adenauer-Stiftung

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