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Das politische Erbe des Kommunismus im vereinten Deutschland

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Die Wiedervereinigung hat das ganze Deutschland nachhaltig verändert. Die frühe Klage Richard von Weizsäckers, dass der DDR das System der Bundesrepublik „übergestülpt“ worden sei, trifft die neue politische Wirklichkeit nicht, mit der wesentlichen Ausnahme der Geltungskraft des Grundgesetzes, die allerdings von der großen Mehrheit auch so gewollt war. Innerhalb dieses Verfassungsrahmens aber ist Deutschland östlicher, linker und konfessionsloser geworden.

Damit ist schon angedeutet, dass das politische Erbe des Kommunismus ebenso wirkungsmächtig wie vielgestaltig und oftmals schwer zu quantifizieren ist. Es wirkt vielfach gebrochen weiter und schlägt sich eher indirekt und mittelbar nieder. Hatte die Staatsideologie der SED-Diktatur praktisch in alle Lebensbereiche hineingewirkt, wirken ihre Restbestände – und nur darum geht es –, Geisteshaltungen, politischen Parameter, Traditionen, ihre eigene Erinnerungskultur mit ihren Deutungsmustern und Ritualen in vielen Feldern weiter und in den Westen hinein. Dabei wurden im Westen bereits bestehende politische Einstellungen und Minderheitentrends gesamtdeutsch verstärkt. Früh gab es im Westen sympathisierende Milieus weit über die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) hinaus – namentlich bei Intellektuellen und Künstlern, in linksprotestantischen Kreisen und bei einigen Gewerkschaften, die der Idee des Kommunismus und selbst den offiziellen politischen Positionen der DDR einiges abgewannen.

Das galt beispielsweise für antikapitalistische, antiamerikanische, neutralistische, pazifistische und sogenannte antifaschistische Haltungen, gleichermaßen für egalitäre und wohlfahrtsstaatliche Vorstellungen, für die Ablehnung der NATO und die Sympathie für Russland. Die Einflüsse, die dadurch auf der politischen Einstellungsebene stattfanden und bis heute stattfinden, können hier nur angedeutet werden. Sie sind in ihrem Weiterwirken politisch jedoch mindestens ebenso gewichtig wie die Restbestände des institutionell konservierten kommunistischen Erbes in der Partei „Die Linke“.

Politisch eindeutig manifestiert hat sich das Erbe des Kommunismus in Gestalt der Partei, die sich seit 2007 „Die Linke“ nennt, juristisch aber immer noch dieselbe Rechtsperson wie die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) ist, obwohl sie mehrfache Umbenennungen, vor allem aber auch politisch-programmatische Metamorphosen hinter sich hat. Dabei hat die Partei drei wesentliche Zäsuren durchlaufen: Die erste, existenziell wichtige Zäsur erfolgte 1990, als die mittleren Kader à la Gysi die Führung übernahmen und der SED zunächst den Zusatz „PDS“ (Partei des Demokratischen Sozialismus) verpassten, der bei den Märzwahlen 1990 zum alleinigen Parteinamen wurde. Damit gelang ihnen ein doppelter Spagat: Sie formten aus einer moskautreuen Kaderpartei eine nationale linkssozialistische bis linksextremistische sogenannte Strömungspartei, die das Grundgesetz als Handlungsrahmen akzeptierte, gleichzeitig aber die Brücke zu den alten Kadern intakt hielt und sich als Treuhändler der DDR, ihrer Errungenschaften und ihrer gläubigen Anhängerschaft positionierte.

Die zweite, entwicklungsgeschichtlich bedeutsame Zäsur datiert 1994, als die PDS in Sachsen-Anhalt zum inoffiziellen Koalitionspartner der SPD-Minderheitsregierung unter Reinhard Höppner avancierte; 1998 wurde diese Partnerschaft offiziell. Seither erscheint die Partei als gouvernemental etabliert und in das Parteien- und Regierungssystem der Bundesrepublik integriert.

Die dritte Zäsur bildete 2007 die Fusion mit der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), einer Gruppierung linker, SPD-kritischer Gewerkschafter, die als Folge der Agenda 2010 entstand. Damit stieg die ostdeutsche Regionalpartei zur gesamtdeutschen Linkspartei auf. Zu ihrem innerparteilichen Pluralismus gehören die off n prokommunistischen Flügel wie die Antikapitalistische Linke und die Kommunistische Plattform. Somit rivalisieren radikale und gemäßigte Strömungen innerhalb der „Linken“ und machen eine eindeutige Verortung der Partei unmöglich. Ihr Ziel ist die „Überwindung des Kapitalismus“ und der „bestehenden Eigentumsverhältnisse“ hin zu einem „demokratischem Sozialismus“ in einer Traditionslinie, die auf Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zurückgeht. Im Grundgesetz sieht Die Linke „eine Aufforderung zu einem demokratischen Sozialismus“. Damit knüpft sie an die exotische teleologische Grundgesetzinterpretation des Marburger Marxisten Wolfgang Abendroth von 1966 an, die im Widerspruch zur prinzipiellen Offenheit des modernen Verfassungsstaates steht, der gerade nicht zielorientiert ist.

Zwischen Kommunismus und Sozialdemokratismus

Der Parteivorsitzende Oskar Lafontaine ordnete Die Linke in seiner Rede auf dem Gründungsparteitag 2007 „in die Tradition derer ein, die vom Sozialistengesetz Bismarcks verfolgt waren, und derer, die in den Konzentrationslagern Hitlers umgekommen sind , die als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der DDR eingesperrt waren, ebenso wie den Kommunistinnen und Kommunisten, die in der BRD eingesperrt und verfolgt wurden. Beides gehört zusammen und beides muss gesagt werden“ – eine meines Erachtens sehr fragwürdige Gleichsetzung, standen doch Kommunisten und Sozialdemokraten für fundamental unterschiedliche Regime. Die geistesgeschichtliche Positionierung der Linken oszilliert demnach zwischen Kommunismus und Sozialdemokratismus und bleibt mehrdeutig, um eine möglichst breite Identifikationsfläche zu bieten, selbst wenn dies zulasten demokratischer Eindeutigkeit und Verfassungstreue geht.

Die Linke ist nach den Bundestagswahlen 2017 mit 9,2 Prozent der Zweitstimmen (vorläufiges Endergebnis) im Bundestag vertreten, bei der Europawahl 2014 erreichte sie 7,4 Prozent. Sie sitzt zurzeit in zehn Landesparlamenten, allen ostdeutschen einschließlich Berlins sowie in Hessen, im Saarland, in Hamburg und Bremen mit zumeist zweistelligen Stimmenanteilen. In Thüringen stellt sie seit 2014 den Ministerpräsidenten in der ersten rot-rotgrünen Koalition der Bundesrepublik, in Brandenburg und Berlin ist sie an den SPD-geführten Landesregierungen beteiligt. Über den Bundesrat bestimmt sie die Bundespolitik mit.

Unbestritten hat Die Linke das Parteiensystem der Bundesrepublik seit 1990 essenziell verändert. Sie hat zu seiner Diversifizierung links der Mitte beigetragen und die SPD dezimiert. Ihr linker Sozialdemokratismus mit staatssozialistischen und populistischen Zügen hat das Parteienspektrum deutlich nach links geöffnet und die alte Sozialdemokratie unter Druck gesetzt. Das moderat-pluralistische Mehrparteiensystem der 1980er-Jahre mit zwei Volksparteien und zwei Kleinparteien (Grüne und FDP) wandelte sich seit den 1990er-Jahren fortschreitend in ein polarisiertes Vielparteiensystem, das nach der Bundestagswahl 2017 zwei links- und rechtspopulistische Flügelparteien (Die Linke und AfD) sowie vier weitere Parteien aufweist, von denen nach heutigem Stand nur noch die Union uneingeschränkt als Volkspartei zu bezeichnen ist. Natürlich spielten beim skizzierten Wandel des Parteiensystems viele andere Faktoren mit, aber Die Linke war dabei ein bedeutender Akteur. Sie ist inzwischen im Bund und in vielen Ländern für Koalitionsbildungen links der Mitte unentbehrlich geworden.

Ganz anders sieht es mit der Rolle der Linken beim Umgang mit der diktatorischen Vergangenheit aus. Statt kritischer Aufarbeitung wird das kommunistische Erbe bei Gedenktagen und Revolutionsjubiläen zelebriert. Die Distanzierung von der DDR bleibt dabei verhalten, leidenschaftslos und vage: „Die Einschränkung von Freiheiten“, „Erfahrungen staatlicher Willkür“ und der „Aufbau eines staatlichen Überwachungsapparats gegen die eigene Bevölkerung“ werden zwar eingeräumt, aber eine grundlegende Kritik an der DDR als Parteidiktatur mit ideologischem Absolutheitsanspruch und totalitärer Herrschaftspraxis wird konsequent vermieden. Allein die Thüringer Linken unter Bodo Ramelow hatten den Mut, die DDR als „Unrechtsstaat“ zu charakterisieren. Wie weit das den Koalitionsverhandlungen geschuldet war, sei dahingestellt. Nur mit dem „Stalinismus als System“ wird „unwiderruflich gebrochen“, ansonsten wird die Legitimität des Versuchs der DDR bekräftigt, eine „bessere Gesellschaftsordnung“ auch mit Gewalt aufzubauen. Selbst die Zwangsvereinigung von KPD und SPD wird von der Historischen Kommission der Linken ex post noch einmal schöngeschrieben; angeblich sei die große Mehrheit der Mitglieder von KPD und SPD damals dafür gewesen.

Am augenfälligsten ist das kommunistische Erbe der DDR in den Bezeichnungen zahlloser Straßen und Plätze in Ostdeutschland, in denen die Namen alter Kommunisten und Parteikader weiterleben, und in zahlreichen Denkmälern aus DDR-Zeiten. So grüßt eine lebensgroße Bronzestatue des Stalinisten Ernst Thälmann immer noch die Besucher Weimars in der Bahnhofstraße und lässt die Frage aufkommen: Warum fehlt es bei diesen öffentlichen Relikten der SED-Diktatur an Sensibilität für die Opfer des Kommunismus? Welche Kräfte beharren auf diesem Erbe und mit welcher Absicht? Warum nehmen wir das hin? Ist das Ausdruck von Resignation, von Gleichgültigkeit oder von Großmut? Wir haben uns anscheinend weithin daran gewöhnt, dem Kommunismus vergangener Zeiten im Alltag immer wieder zu begegnen. Unser Umgang mit den sichtbaren Relikten der SED-Diktatur ist nonchalant geworden.

Der Kommunismus hat seine Schrecken offenbar verloren. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Marxismus(-Leninismus) hält kaum jemand noch für notwendig – vielleicht, weil eine Wiederkehr realsozialistischer oder artverwandter Herrschaft außerhalb unseres Vorstellungsvermögens liegt. Dabei erleben wir gegenwärtig überall auf der Welt politisch-historische Rückentwicklungen, die wir als liberale Demokraten nicht für möglich gehalten haben. Das sollte uns zu denken geben.

Die dritte Facette der skizzierten Erinnerungskultur (neben kommunistischer Traditionspflege und öffentlicher Nonchalance) ist für die Demokratie sicher die wesentlichste, nämlich die umfassende Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und dem Kommunismus in Deutschland. Hierfür hat die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eine herausgehobene Verantwortung, auch als Fördereinrichtung für die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Aufarbeitungsinitiativen. Denn im Osten Deutschlands ist eine vitale Gedenkstättenlandschaft entstanden, die Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung, dokumentiert hat (Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, 3. Auflage, Ch. Links Verlag, Berlin 2016, 664 Seiten).

Geburtsfehler der Aufarbeitung der SED-Diktatur

Die Gedenkstättenarbeit ist bis heute allerdings weithin fokussiert auf den Repressionsapparat der DDR, die allgegenwärtige Stasi und auf ihre Opfer in den zu Gedenkstätten umgewidmeten ehemaligen Stasi-Haftanstalten. Diese einseitige Ausrichtung bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur war gewiss ein Fehler: Die Partei blieb im Schatten, während das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und seine Hinterlassenschaft ins Rampenlicht des öff ntlichen Interesses traten. Das war sicher nicht die Absicht der Bürgerrechtler und der frei gewählten Volkskammer, lag aber im Interesse der alten SED/ PDS-Elite und wirkt bis heute in der Gedenkstättenarbeit nach. Dabei versteht sich von selbst, dass der dominierende Blick auf die Opfer für die Gedenkstättenarbeit unverzichtbar ist. Dennoch gehört der beschriebene Geburtsfehler dringend korrigiert, und dies in zweifacher Hinsicht: Zum einen müssen die ehemaligen MfS-Haftanstalten deutlicher erkennbar in den gesamten Kontext der SED-Herrschaft gestellt werden. Das MfS war immer „nur“ „Schild und Schwert“ der Partei. Zum anderen müssen Resistenz, Widerstand und Opposition gegen das Parteiregime bis zu seiner Überwindung in der Friedlichen Revolution viel stärker herausgearbeitet werden. Die Gedenk- und Bildungsstätte „Andreasstraße“ der Stiftung Ettersberg in Erfurt kann hierfür als Vorbild dienen.

Für die weitere Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur generell muss der primär historische Blickwinkel erweitert werden. Nicht nur über die Vergangenheit und den Kommunismus orthodox-sowjetischer Prägung sollte aufgeklärt werden, sondern auch verstärkt über eine immer noch mögliche Zukunft des Kommunismus oder artverwandter autoritärer oder totalitärer Herrschaftsformen nachgedacht werden. Die Sensibilisierung für neue Formen diktatorischer Herrschaft muss deshalb im Zentrum jeder Aufarbeitung stehen. Denn das letztliche Ziel aller Aufarbeitung ist und bleibt, frei nach Adorno, die Erziehung zur Demokratie und die Sicherung ihrer freiheitlichen Lebensform.

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Hans-Joachim Veen, geboren 1944 in Straßburg, ehemaliger Vorsitzender der Stiftung Ettersberg.

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