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Bernhard Vogel zum 90. Geburtstag

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Im November 1985 nahm Bernhard Vogel an einer Diskussion mit Studenten und Professoren der Universität Peking (Beida) teil. In der vom ZDF übertragenen Diskussionsrunde wurden auch Fragen der deutschen Teilung und Perspektiven einer friedlichen Wiedervereinigung thematisiert. Vogel betonte, man gebe die Hoffnung auf die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Frieden und Freiheit nicht auf, möge diese auch „jenseits der Jahrhundertgrenze liegen“.

Zu diesem Zeitpunkt hätte Bernhard Vogel es sich nicht träumen lassen, dass nur vier Jahre später eine friedliche Revolution die Mauer zum Einsturz bringen und im Jahr darauf die Wiedervereinigung von Bundesrepublik und DDR vollzogen werden würde. Und vollends absurd wäre ihm wohl der Gedanke erschienen, dass er selbst im Februar 1992 zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt werden könnte. Es ist dieses „Alleinstellungsmerkmal“ der Ministerpräsidentschaft in zwei verschiedenen Ländern, von 1976 bis 1988 in Rheinland-Pfalz und von 1992 bis 2003 in Thüringen, das wohl vielen in den Sinn kommt, wenn sie den Namen Bernhard Vogel hören. Andere mögen daran denken, dass sein älterer Bruder Hans-Jochen ein prominenter, dem Land und seiner Partei ebenfalls in vielen Ämtern dienender SPD-Politiker war.

Norbert Lammert, seinerzeit Bundestagspräsident und heute Nach-Nachfolger Bernhard Vogels im Amt des Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung, bemerkte 2007 anlässlich der Verleihung des Leibniz-Rings an die Brüder Vogel, in „nachdynastischen Zeiten“ habe „keine andere Familie mehr und länger herausragende politische Ämter besetzt“. Spekulationen, seine Entscheidung für die CDU sei die Trotzreaktion eines jüngeren Bruders gewesen, der gegen den dominanten älteren aufbegehrte, erteilt Bernhard Vogel selbst eine klare Absage: Die politische Entwicklung sei völlig unabhängig erfolgt und davon geprägt gewesen, dass Hans-Jochen, der ab 1943 Kriegsdienst leistete, einen völlig anderen Erfahrungshorizont gehabt habe. Während dieser aufgrund der beeindruckenden Persönlichkeit Kurt Schumachers zur SPD gekommen sei, hätten ihn selbst Person und Programm Konrad Adenauers fasziniert und überzeugt. Für beide Brüder habe aber mit Blick auf den jeweils anderen gegolten: besser in der falschen Partei als in gar keiner!

 

Mit Leinewasser getauft

 

Obwohl familiär in Bayern verwurzelt, kam Bernhard Vogel am 19. Dezember 1932 im niedersächsischen Göttingen – der Vater war dort Privatdozent – auf die Welt und wurde „mit Leinewasser getauft“. Als Vogel senior kurz darauf einen Ruf auf den Lehrstuhl für Tierzucht und Milchwirtschaft an der Universität Gießen erhielt, siedelte die Familie dorthin um, und für Bernhard Vogel begannen „die glücklichsten Jahre“ seiner Kindheit. 1949 erfolgte ein weiterer Umzug, dieses Mal nach München, wo er 1953 am Max-Gymnasium das Abitur ablegte. Da Vogel auf keinen Fall – wie es der mütterlichen Familientradition entsprochen hätte – Jura studieren wollte, entschied er sich für Fächer, an denen ihn das damals Neuartige und Unbekannte reizte: Soziologie und Politische Wissenschaft. Beide Studienrichtungen waren in Heidelberg durch Alfred Weber und Dolf Sternberger prominent vertreten, und so bot die Studienwahl auch die Möglichkeit, gut begründet nicht in München zu studieren und sich so vom Elternhaus abzunabeln. Auf Drängen des Vaters, der die Fächerwahl für „brotlos“ hielt, kam noch Volkswirtschaft hinzu, in der Vogel zwar nicht abschloss, aber alle für die Zulassung zur Prüfung erforderlichen Scheine erwarb.

Zum wichtigsten akademischen Lehrer in Heidelberg wurde Dolf Sternberger, der im Geistesleben der jungen Bundesrepublik nicht nur als einer der (Wieder-)Begründer des Fachs Politische Wissenschaft, sondern auch als bedeutender Publizist eine wichtige Rolle spielte und der als einer der „Gründungsväter der zweiten deutschen Republik“ gewürdigt wurde, „soweit diese auch eine Republik der Geister, eine Republik des öffentlichen Gesprächs und der kritischen Verhandlung war und ist“ (Ulrich Raulff). Über seine nicht unumstrittene, gelegentlich missinterpretierte Wortschöpfung vom „Verfassungspatriotismus“, die nicht den nationalen Patriotismus ersetzen, sondern verdeutlichen wollte, dass dieser auch etwas mit der Staatsverfassung zu tun habe, meint Bernhard Vogel, dieser Ansatz, biete nach wie vor „eine nützliche und hilfreiche Orientierung für unser nationales Selbstverständnis“ (Die Politische Meinung, Nr. 452, Juli 2007). Ein Patriot sei jemand, „der nicht nur die Landschaft oder die Berge oder die Seen, sondern auch seine demokratische Verfassungsordnung liebt“.

Hinsichtlich der Möglichkeit, die Politik zum Beruf zu machen, hegte Bernhard Vogel zunächst keinerlei Ambitionen. Diese richteten sich vielmehr darauf, an der Universität zu bleiben und der Promotion über „Die Unabhängigen in den Kommunalwahlen westdeutscher Länder“ eine Habilitationsschrift zum britischen Regierungssystem folgen zu lassen. Beim Einzug in den Heidelberger Stadtrat 1963 ließ er sich zusichern, das Mandat niederlegen zu können, sollte dies für die Fertigstellung der Habilitation notwendig sein.

Und auch bei der Wahl in den Deutschen Bundestag 1965 hegte er noch den Plan, nach vier Jahren politischer Praxis zur Wissenschaft zurückzukehren. Erst bei der Berufung zum rheinland-pfälzischen Kultusminister zwei Jahre später, so Vogel rückblickend, habe ihm „gedämmert, dass es wohl bei der Politik bleiben werde“.

In der Politik machte er in der Folgezeit rasch Karriere. Den jeweils zwei Jahren im Heidelberger Stadtrat und als Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Neustadt/Speyer folgte 1967 die Berufung zum Kultusminister von Rheinland-Pfalz, in „stürmischer Zeit“ – man denke nur an das Stichwort „68er“. 1974 wurde Vogel Nachfolger Helmut Kohls, den er schon aus Heidelberger Studientagen kannte und der eigentlich Heiner Geißler für das Amt favorisierte, im Landesvorsitz der CDU Rheinland-Pfalz. 1976 folgte er Kohl auch im Amt des Ministerpräsidenten nach – und setzte sich erneut gegen den von diesem präferierten Kandidaten, Finanzminister Johann Wilhelm Gaddum, durch.

 

Eindeutschung des Zweiten Vatikanischen Konzils

 

Mit der Wahl zum Ministerpräsidenten legte Vogel ein anderes Amt nieder, das er seit 1972 in bewegter Zeit mit Herzblut ausgeübt hatte: das des Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. In dieser Funktion spielte er eine wichtige Rolle im Rahmen der Würzburger Synode, die sich die „Eindeutschung“ des Zweiten Vatikanischen Konzils auf die Fahnen geschrieben hatte. Bis heute hegt Bernhard Vogel große Wertschätzung für die Arbeit und die Ergebnisse der Synode, verbunden mit dem Bedauern darüber, dass wichtige Fragen wie die Priesterweihe verheirateter Männer und das Frauendiakonat nach wie vor einer befriedigenden Lösung harren.

Außerdem sah er sich mit der Strategie des Vatikans konfrontiert, den Regierungen des Ostblocks durch Entgegenkommen in organisatorischen und personellen sowie in Statusfragen Freiräume für die Seelsorge abzuhandeln und die Situation der Kirche dort zu verbessern. Dies betraf auch die Frage einer Verselbstständigung der katholischen Kirche in der DDR durch Neuzuschnitt der Diözesen und die Einrichtung einer eigenständigen Bischofskonferenz sowie deren diplomatische Anerkennung durch Entsendung eines Apostolischen Nuntius nach Ost-Berlin. Vogel und seine Mitstreiter in der CDU/CSU und im deutschen Katholizismus setzten „Himmel und Erde in Bewegung“, um aus ihrer Sicht zu weit gehende Schritte des Vatikans zumindest hinauszuzögern und die Funktion der katholischen Kirche als eine der wenigen verbliebenen Klammern zwischen den beiden Staaten in Deutschland möglichst lange zu erhalten. Tatsächlich gelang dies, bis durch die Wahl Johannes Pauls II. im Oktober 1978 eine neue Situation eintrat und die vatikanischen Pläne hinsichtlich der DDR ad acta gelegt wurden.

Roland Koch bezeichnete Bernhard Vogel anlässlich seines 85. Geburtstages in dieser Zeitschrift als „Lehrmeister mit innerem Kompass“ (Die Politische  Meinung, Nr. 547, November/Dezember 2017). Vogel selbst betont, dass der christliche Glaube für ihn „in ganz entscheidender Weise lebensbestimmend“ sei. Prägend hierfür waren die Mitgliedschaft im „Bund Neudeutschland“, einem katholischen Ableger der Jugendbewegung, der seine Mitglieder zur „Lebensgestaltung in Christus“ anhielt, sowie die intensive Auseinandersetzung mit der Katholischen Soziallehre. Schon als Student und Doktorand leitete Vogel hierzu Kurse für Jugendliche und Erwachsene im Mannheimer Heinrich-Pesch-Haus der Jesuiten.

 

Prägung durch die Katholische Soziallehre

 

Der seinerzeitige Nestor der Katholischen Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning, wurde neben Sternberger prägend für sein Denken. Besonders das Prinzip der Subsidiarität hat Vogel verinnerlicht und zählt dessen Bewahrung und Umsetzung zu den zentralen gesellschaftlich-politischen Aufgaben der Gegenwart und Zukunft.

Der Parlamentarische Rat hat durch das Postulat der im christlichen Menschenbild wurzelnden Menschenwürde das Grundgesetz unter eine ethische Grundnorm gestellt. Auf dieser Grundlage verficht Bernhard Vogel eine pragmatische und lösungsorientierte Herangehensweise an Politik, verbunden mit einer ausgeprägten Abneigung, politische Streitthemen allzu rasch zu Prinzipienfragen zu erheben, die für Kompromisse nicht mehr zugänglich sind. Als der Philosoph Karl Jaspers 1966 das politische System und die politische Praxis der Bundesrepublik scharf kritisierte, konstatierte der junge Bundestagsabgeordnete, Jaspers fehle „das theoretische Verständnis für die Wirkweise des parlamentarischen Regierungssystems“ sowie „erst recht jede praktische Anschauung“: „Für den Philosophen mag allein die grundsätzliche Gesinnung zählen, für den Politiker zählt sie auch, aber für ihn ist darüber hinaus von Bedeutung, ob er die Inhalte dieser Gesinnung auch verwirklichen kann.“ Demokratie beinhalte die „Verpflichtung zur Toleranz“. Jahrzehnte später, nach vielfältigen politischen Erfahrungen, bekräftigte Vogel, es gebe „in der Politik eine ganze Menge Entscheidungen, bei denen es nur darauf ankommt, dass entschieden wird“. Vergleichsweise wenige – aber dann natürlich besonders wichtige – seien „wirklich von grundsätzlicher Bedeutung“. Darum ärgere ihn die verbreitete Neigung, „aus dem Unterschied des jeweiligen Konzepts eine Beschimpfung des politischen Kontrahenten zu machen“. Aus Anlass seines 70. Geburtstags würdigte Roman Herzog ihn als „lebendes Beispiel“ für die Vereinbarkeit von „Toleranz und Grundsatztreue, Pflichterfüllung und Offenheit, Realismus und Zuversicht“.

Dementsprechend war Vogels Amtsführung als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz auf Ausgleich und Moderation hin angelegt. Eine politikwissenschaftliche Untersuchung charakterisiert ihn als „Bundespräsident[en] im Amt des Ministerpräsidenten“. In seinen Regierungserklärungen legte er Wert darauf, auch Fragen grundsätzlicher Natur anzusprechen und sich nicht ausschließlich an Alltagsproblemen abzuarbeiten. Ähnliches trifft auf seine Amtszeit in Thüringen zu, wenngleich hier unvermeidlich die bisweilen profanen Erfordernisse des Auf-, Um- und Neubaus breiten Raum einnahmen. Vogel setzte in Mainz den unter Helmut Kohl begonnenen Kurs der Modernisierung und des Strukturwandels fort. Durch das von ihm forcierte Kabelpilotprojekt Ludwigshafen spielten Rheinland-Pfalz und er persönlich eine wichtige Rolle bei der Einführung des dualen Rundfunksystems aus privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern.

 

„Polittourist“ im Fokus der Staatssicherheit

 

Zu den Feldern, denen seine Aufmerksamkeit galt, gehörte auch die Deutschlandpolitik. Seit 1977 unternahm Vogel jährlich eine kurze Privatreise in eine Region der DDR. Angesichts der fortwährenden Teilung und der Abgrenzungsbemühungen des SED-Regimes war in seinen Augen wichtig, dass möglichst viele Bundesbürger dorthin reisten, „sei es, um die Kontakte nicht abreißen zu lassen, sei es, um die Landschaften und Menschen […] kennenzulernen“. Insgesamt elf Mal fuhr Vogel in die DDR und vermied dabei lange Zeit bewusst offizielle Begegnungen mit Vertretern des Staats- und Parteiapparats. Erst in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre kam es zu Begegnungen mit dortigen Spitzenfunktionären. So erneuerte er im Februar 1987 im Auftrag von Bundeskanzler Helmut Kohl die Einladung an Staats- und Parteichef Erich Honecker zu einem Besuch in der Bundesrepublik. In den Begegnungen mit Honecker sprach er so deutlich wie wenige andere bundesdeutsche Politiker die untragbaren Zustände an der innerdeutschen Grenze an, wo Menschen „in Lebensgefahr geraten, wenn sie von Deutschland nach Deutschland wollen“.

Zu einer unfreiwilligen Unterbrechung seiner regelmäßigen DDR-Besuche kam es 1982, als sein Einreiseantrag abschlägig beschieden wurde. In den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit heißt es dazu, Vogel habe sich nach seinem letzten Besuch „verleumderisch und diffamierend über den Zustand von Kulturdenkmälern in der DDR geäußert“. Tatsächlich hatte dieser seiner Erschütterung über den Zustand des Doms von Halle und der dortigen Altstadt Ausdruck verliehen, die „verrotten und verfallen“ würde. Deshalb wurde ihm auf persönliche Anweisung von Erich Honecker die künftige Einreise verweigert, das Verbot allerdings einige Monate später wieder aufgehoben.

Jeder Besuch Vogels rief das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) auf den Plan, das einen enormen Überwachungsaufwand betrieb. In einer 1984 entstandenen Ausarbeitung des MfS hieß es, der „Polittourismus“ in die DDR vor allem seitens „der CDU/CSU und anderer entspannungsfeindlicher Kräfte [sei] eine feste Größe im Rahmen der politisch-ideologischen Diversion“. Dabei wurden namentlich Bernhard Vogel und auch die Konrad-Adenauer-Stiftung genannt – im Rückblick eine ausgesprochen ehrenvolle Erwähnung. Nach der Abwahl als CDU-Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz 1988 trat Bernhard Vogel, wie vorher für diesen Fall angekündigt, auch vom Amt des Ministerpräsidenten zurück – ein Vorgang, der Narben hinterlassen hat. Kurze Zeit später folgte die Wahl zum Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung. Hier sah er sich angesichts der Umbrüche in Deutschland und Europa vor die Aufgabe gestellt, die Stiftung auf die neuen Herausforderungen einzustellen, sie in den jungen Ländern der Bundesrepublik zu etablieren und Außenstellen in Staaten des ehemaligen Ostblocks zu eröffnen. Die Nachricht vom Fall der Mauer erreichte ihn in Warschau am Vorabend der Eröffnung des dortigen Büros. Zudem wurde eine tiefgreifende Strukturreform der Konrad-Adenauer-Stiftung in Angriff genommen. Die Grundzüge der seinerzeit etablierten Organisationsstruktur mit fünf Arbeitsbereichen haben sich als langlebig erwiesen und bis heute erhalten.

 

„Mutmacher“ und Landesvater

 

Als Bernhard Vogel im Februar 1992 überraschend in das Amt des thüringischen Ministerpräsidenten gewählt wurde, fragte Die Zeit höchst unfreundlich, ob es keine andere Möglichkeit gebe, als „eine hölzerne Blockflöte aus dem Osten einzutauschen gegen eine schon arg angeschrammte, zweite Geige aus dem Westen“.

Als Vogel die Erfurter Staatskanzlei 2003 verließ, lauteten die resümierenden Urteile gänzlich anders. Er habe, so Die Welt, das Maß verkörpert, „das die heimatstolzen und schon zu DDR-Zeiten renitenten Thüringer an West-Import ertrugen: ein Landesvater, der mehr moderieren als dirigieren wollte, und der nach und nach zur unumschränkten Autorität wurde“. Und die Süddeutsche Zeitung konstatierte, nun gehe nach Kurt Biedenkopf und Manfred Stolpe „der letzte jener großen Landesväter der Nachwende-Jahre, deren Aufgabe vor allem im ideellen Bereich, im Mutmachen lag“. Es sei auch Vogels Wirken zu verdanken, „dass die Opfer leichter zu ertragen waren – ohne dass die junge Demokratie auf breiter Front in Frage gestellt wurde“. Insofern war die Wahl 1992 nicht nur für ihn persönlich ein – wie er später sagte – „unverhofftes Glück“.

Anders als zu rheinland-pfälzischen Zeiten tat sich Vogel in Thüringen leichter, die Bezeichnung „Landesvater“ zu akzeptieren – wohl auch Folge des mittlerweile erreichten Lebensalters: Mit annähernd sechzig Jahren vermag man sich eher mit einem derartigen Etikett abzufinden denn mit Mitte vierzig. Wie schon in seiner rheinland-pfälzischen Amtszeit nahm Bernhard Vogel als thüringischer Ministerpräsident, im Gegensatz zu manchen seiner Amtskollegen, an nahezu allen Sitzungen des Bundesrats teil, dem er so lange angehörte wie kein anderer Politiker. Es ist ein weiterer Beleg für seine bei vielen Gelegenheiten zum Ausdruck gebrachte Hochschätzung des föderalen Prinzips als zentrales Element unserer politischen Ordnung. Die zunehmende Aushöhlung des Föderalismus – für ihn Voraussetzung heilsamen Wettbewerbs und Element freiheitssichernder Gewaltenteilung – betrachtet er daher mit Sorge.

Auch nach dem Ausscheiden aus dem Vorsitz der Konrad-Adenauer-Stiftung, den er von 1989 bis 1995 und von 2001 bis 2009 innehatte, ist Bernhard Vogel ein gefragter Ratgeber, Redner und Diskussionsteilnehmer geblieben, der das politische Geschehen aufmerksam-kritisch beobachtet. Seine Funktion als Ehrenvorsitzender seit 2010 fasst er nicht nur als Ehre, sondern ebenso sehr als Pflicht auf. Beleg hierfür sind die zahlreichen Termine und Verpflichtungen, die er nach wie vor für die Stiftung wahrnimmt. Man kann davon ausgehen, dass er dies auch nach dem Eintritt in das zehnte Lebensjahrzehnt fortsetzen wird.

„[…] wer nicht weiß, wo er steht und worauf er gründet, fällt allzu oft der Versuchung zur Beliebigkeit anheim.“ Dies schrieb Bernhard Vogel 2006 zum fünfzigjährigen Jubiläum der Zeitschrift Die Politische Meinung (Nr. 439, Juni 2006), für die er seit 1990 – inzwischen gemeinsam mit Norbert Lammert – die Verantwortung als Herausgeber trägt. Seine Impulse und sein intensives Interesse an der Arbeit der Zeitschrift mit dem Ziel, den zentralen Fragen der Zeit ein offenes Forum zu bieten, aber auch Position zu beziehen, sind seit der 248. Ausgabe – bei allen Veränderungen in Layout und Erscheinungsweise – richtunggebende Konstanten. Sein für die Redaktionsarbeit geprägtes Motto schließt auf ihn selbst zurück: „Unbestechlich im Grundsätzlichen, kritisch-konstruktiv im Konkreten.“

 

Christopher Beckmann, geboren 1966 in Essen, promovierter Historiker, Referent Wissenschaftliche Dienste / Archiv für Christlich-Demokratische Politik, Konrad-Adenauer-Stiftung.

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