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Wie der Mensch vom Zerstörer zum Bewahrer der Schöpfung werden kann

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Technologischer Fortschritt und Wachstum haben ihren Preis: Der Ausstoß von klimaveränderndem CO2 nimmt zu, die Aussterberate steigt, Meere sind verschmutzt und als Lebensraum bedroht. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Der Schweizer Wissenschaftler Mathis Wackernagel hat ein Konzept entwickelt, mit dem er den Verbrauch von Natur in beanspruchte Fläche umrechnet. Er nennt das den ökologischen Fußabdruck und kommt zu dem Ergebnis, dass wir rechnerisch die zur Verfügung stehende Fläche der Erde pro Jahr 1,5mal verbrauchen. Wenn aber alle so leben und wirtschaften würden wie wir in Deutschland, dann würde die Erde 2,4mal pro Jahr verbraucht, wenn alle Menschen Amerikaner wären, 4,4mal. Und es wird nicht besser, da die Weltbevölkerung steigt und sich viele die westliche Lebensweise zum Vorbild nehmen. Sie wollen leben wie wir, den gleichen Wohlstand haben. Das bedeutet: mehr Energie, mehr Abfall, einen tieferen ökologischen Fußabdruck. Die Erde und ihre Ressourcen werden dramatisch übernutzt, bereits jetzt schon.

Allerdings hat es nur in der christlich geprägten Welt eine Entwicklung gegeben, die auf immer stärkere Naturbeherrschung und Naturausbeutung zielte. Nur im Christentum hat sich die Idee eines stetigen und kontinuierlichen Wachstums der Wirtschaft entwickelt. Keine andere Kultur hat den Gedanken hervorgebracht, dass es in Ordnung sei, die Natur für eigene Zwecke auszubeuten; dass es in Ordnung sei, nach immer mehr Wohlstand zu streben. Und das verlangt schon nach einer Erklärung. Das Alte Testament berichtet, dass Gott dem Menschen die Schöpfung überantwortet. Zur Hege und Pflege allerdings, nicht zur Ausbeutung. Macht euch die Erde untertan, heißt es in Genesis 1,28. Damit ist gemeint: die Erde dienstbar machen, aber in verantwortlicher Weise. Das erschließt sich auch aus einer anderen Stelle der Schöpfungsgeschichte. Im zweiten Kapitel des ersten Buch Mose führt Gott dem Menschen die Tiere vor, damit der Mensch sie benennt. Etwas zu benennen heißt aber, es nicht nur als ein Objekt anzusehen. Damit unterscheidet sich das Tier von bloßen Objekten. Es hat einen anderen, einen höheren Wert.

Die Schöpfungsgeschichte legt also ein Naturverständnis nahe, das von Ehr furcht geprägt ist. Die Natur ist dem Menschen zwar anvertraut, aber er hat sie in Ehren zu halten. Er darf ihr entnehmen, was er für seinen Lebensunterhalt benötigt. Er ist Herr und Hüter der Natur, aber die Oberherrschaft ist immer noch Gottes. Man kann auch sagen: Er ist Treuhänder der Natur und der Schöpfung. Damit sind auch Grenzen der Aneignung der Natur benannt. Es geht nicht um den Erwerb von Reichtümern durch die Ausbeutung der Natur, sondern um ein harmonisches Verhältnis der Schöpfung insgesamt. Und: Der Mensch ist ein Teil dieser Schöpfung. Das ist ein Selbstverständnis, das sich jahrhundertelang in der christlichen Tradition fortsetzt. Es sind drei Entwicklungen, die dieses Verständnis völlig auf den Kopf stellen: erstens ein sich änderndes Verhältnis von Glauben und Vernunft; zweitens die Entdeckung des Ich als Glaubensgrundsatz und drittens ein sich änderndes Verständnis der Arbeit.

 

Vernunft veredelt die Schöpfung

Häufig erscheinen Glauben und Vernunft als entgegengesetzte Vermögen. Der Glaube fängt dort an, wo die Vernunft aufhört. Seit der Scholastik ging es aber darum, Glaube und Vernunft zu vereinen. Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist ein bedeutender Vertreter dieser Tradition. Die Vernunft zu nutzen, um den Glauben zu erhellen, ist ein wahrhaft humanes Anliegen, denn es verlangt vom Glauben, seine Aussagen und Handlungen zu begründen. Wenn Gott durch die Vernunft erkannt werden kann, dann können auch die göttlichen Werke durch die Vernunft erforscht werden, allen voran die Schöpfung, die so der menschlichen Erkenntnis zugänglich ist: durch allgemeine Regeln und Gesetze, die der Mensch nur entdecken müsse. Die Welt ist dieser Auffassung zufolge also logisch und nachvollziehbar aufgebaut. Es gilt, ihre geheimen Gesetze zu entschlüsseln, um der Mechanik ihres Wirkens auf die Spur zu kommen. Wissen ist Macht, so Francis Bacon (1561 bis 1621, in den Meditationes Sacrae), nämlich Macht über die Natur, und deswegen müsse man die Natur auf die Streckbank der Erkenntnis legen, um ihr ihre Geheimnisse zu entreißen. Es gab keine Tabus auf dem Weg zu wissenschaftlicher Erkenntnis. Mehr noch: Wissenschaft hieß, die Schöpfung zu entdecken und zu veredeln. Das ist der Kern des neuzeitlichen naturwissenschaftlichen Verständnisses.

 

Das „Ich“ als Glaubensgrundsatz

Kann man im Glauben Gewissheit bekommen? Was ist der nicht mehr hintergehbare Grundtatbestand der Erkenntnis? Diese Fragestellte sich der Franzose René Descartes (1596 bis 1650). Seine Antwort: der methodische Zweifel. Ich kann die Existenz aller Dinge anzweifeln, und dies aus guten Gründen. Eines kann ich aber nicht anzweifeln: die Existenz desjenigen, der den Zweifel äußert. „Ich denke, also bin ich“: Diese Grundformel des Descartes erwies sich auch für das moderne Weltbild als revolutionär. Er reduzierte alle Erkenntnis auf das erkennende, auf das denkende Subjekt und baute von diesem Fixpunkt ausgehend Glauben und Welt neu auf. Das hatte Folgen für unser Verständnis von Natur und Schöpfung: Wir sind nicht mehr in einen Lebenszusammenhang als Ganzes eingebunden, sondern sehen die Natur als Objekt, als etwas, das uns gegenübersteht.

 

Arbeit und Eigentum

Zu einem weiteren Punkt: einem sich ändernden Verständnis von Arbeit. Arbeit war für das Christentum immer wichtig, anders als für die antike griechische Welt. Jesus selbst hat wohl ein Handwerk erlernt, seine Jünger ebenfalls. Die protestantische Theologie aber schreibt schließlich der Arbeit einen beinahe überhöhten Wert zu. Hinzu kam nun eine zweite sehr folgenreiche Idee des Engländers John Locke (1632 bis 1704): dass Eigentum dadurch entsteht, dass man Dinge durch Arbeit gestaltet und sie sich über den unmittelbaren Gebrauch hinaus aneignen kann. Das war ein Abschied von dem christlichen Gedanken, Gott sei letztlich der Eigentümer aller Dinge, der Mensch allenfalls ihr Besitzer. Der Mensch wird nun zum Eigentümer über die Natur, sofern er seine Arbeit in sie einbringt. Er hat Gott als Eigentümer enteignet.

 

Eine zweite Schöpfung – ein schöner Traum

Die Entwicklung der Wissenschaften und der Technik hat ungeahntes Wachstum erzeugt, hat die Menschen von vielen Jämmerlichkeiten des Daseins befreit, Hunger und Seuchen weitgehend eingedämmt, den Lebensstandard erhöht, die Lebensdauer deutlich verlängert. Wir le ben in einer Welt des Überflusses. Das ist nicht grundsätzlich schlecht, denn ein Zustand, in dem selbst lebensnotwendige Güter knapp sind, ist nicht erstrebenswert. Da gilt das böse Wort von Thomas Hobbes, dass in einer solchen Welt das menschliche Leben einsam, ekelhaft, tierisch und kurz sei. In einer solchen Welt möchte niemand leben. Deswegen haben einige Philosophen der Aufklärung auch vermutet: Mit den materiellen Möglichkeiten, mit der Anhebung des Lebensstandards verbessere sich der Mensch als sittliches Wesen. Einige haben sogar davon gesprochen, dass wir selbst die Schöpfung vollenden und uns auf ein neues goldenes Zeitalter hinbewegen, ein Zeitalter, das keinen Hunger kennt, kaum Krankheiten und darum auch keinen Neid, keine Missgunst unter den Menschen – paradiesische Zustände also. Eine zweite Schöpfung: Der Mensch besiegt die Natur und damit auch die primitive Natur in sich selbst. Ein schöner Traum, aber eben nur ein Traum.

 

Desillusionierung und Kosten-Nutzen-Analysen

Nun sind wir seit dem 20. Jahrhundert über die Möglichkeiten unserer sittlichen Vervollkommnung durch den Fortschritt von Technik und Naturwissenschaften doch einigermaßen desillusioniert. Ein einflussreicher Buchautor hat wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben, es könne keine Kriege mehr geben. Das sei nämlich irrational und unlogisch. Das traf eine weit verbreitete Stimmung, sie wurde bekanntlich aber gründlich enttäuscht. Der Erste Weltkrieg war die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, der weitere folgen sollten – unter anderem auch die Monstrosität des Holocaust mit der industriellen Vernichtung menschlichen Lebens. Die Moderne hatte sich gegen sich selbst gerichtet. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts treten wir dann in etwas ein, was der Historiker Joachim Radkau als das Zeitalter der Ökologie bezeichnet. Wir werden uns der Folgewirkungen unserer Technikorientierung zunehmend bewusst. Umweltzerstörung, die Veränderung des natürlichen Klimas, Giftmüllskandale: Es steigt die Bereitschaft, Kosten Nutzen-Analysen vorzunehmen. Unter keinem Aspekt einer Kosten-Nutzen-Analyse ist Atomkraft gerechtfertigt. Aber auch fossile Brennstoffe bergen erhebliche Gefahren: Durch die Verbrennung fossiler Energieträger wird CO2 freigesetzt, und dies führt zu einer allmählichen Erwärmung der Erde mit katastrophischen Konsequenzen. Und an anderer Stelle: Die Aussterberate bei Tieren und Pflanzen hat ein noch nie in der Erdgeschichte gesehenes Hoch erreicht. Was bedeutet das für unsere Umwelt? Was bedeutet es für die biologischen Kreisläufe? Wir wissen es nicht, weil vieles noch unerforscht ist.

 

Unwirtliche Erde im „Anthropozän“

Der niederländische Wissenschaftler Paul Crutzen hat im Jahr 2000 den Begriff „Anthropozän“ zur Kennzeichnung der neuen Epoche vorgeschlagen, in der wir uns befinden: einer Epoche, in der die Menschheit selbst zu einem geologischen Faktor geworden ist. Die Erde ist dabei, zu einem unwirtlichen Ort zu werden. Ein wenig sind wir wie der Zauberlehrling aus Goethes gleichnamigem Gedicht, der die Geister, die er rief, nun nicht mehr los wird. Was sollen wir tun? Auf Wachstum verzichten? Auf Konsum verzichten? Unseren Wohlstand aufgeben? Maschinen und Technik verbieten?

Die erste Antwort lautet: Wir haben bis lang noch jede Technikfolgedurch Folgetechnik in den Griff bekommen. Wir müssen nur weiter Technik und Wissenschaft fördern und für Marktchancen sorgen, dann können wir auch diese Krise überwinden. Das ist im Wesentlichen die Haltung der Marktliberalen und Fortschrittsoptimisten.

Die zweite Antwort lautet: Wir müssen uns vom Fetisch des Wachstums befreien. Wir müssen unsere Wirtschaft so organisieren, dass wir weniger konsumieren, nicht mehr wachsen und in einem Gleichgewicht mit der Natur leben. Das ist die Position der sogenannten Postwachstumsökonomie. Sie wird aber auch von einigen konservativen Wachstumskritikern geteilt. Bei den einen geht sie einher mit einer grundlegenden Kritik am Wirtschaftssystem, bei den anderen mit einem Plädoyer dafür, Maß und Mitte wiederzugewinnen und die klassischen Tugenden neu zu beleben.

Die dritte Antwort ist: Wir müssen nur richtig wachsen. Dazu müssen wir die Weichen richtig stellen, nämlich hin zu „grünem Wachstum“. Das bedeutet: Bestimmte Bereiche unserer Wirtschaft müssen schrumpfen, andere müssen wachsen, wie etwa die Technologien für erneuerbare Energien.

Alle drei Antworten greifen zu kurz, weil sie letztlich davon ausgehen, dass Technik im weitesten Sinn auch die Probleme der Technik wird lösen können. Unsere Probleme liegen aber tiefer, sie haben mit einem Grundverständnis von Mensch und Natur zu tun, das sich über viele Jahrhunderte entwickelt hat. Dies kann man nicht von heute auf morgen durchbrechen. Max Weber spricht von einem ehernen Gehäuse der Hörigkeit, und das scheint auch hier wirksam zu sein: Unser ganzes Leben ist von dieser Denkweise durchzogen. Wir müssen also die Grundlagen unserer Lebensweise in fragestellen, das, was der Wiener Politikwissenschaftler Uli Brand als imperialen Lebensstil bezeichnet: nicht nur im Verhältnis zu anderen, weniger entwickelten Ländern, sondern imperial auch in unserem Verhältnis zur Natur.

 

Im Einklang mit der Schöpfungsordnung

Gehen wir einmal zurück, in das 13. Jahr hundert. Eines der berühmtesten Gedichte jener Zeit ist der „Sonnengesang“ des Franziskus von Assisi. Er preist den Herrn mit allen seinen Kreaturen: Bruder Wind, Schwester Wasser, Mutter Erde – also alles zu Land, zu Wasser, in der Luft. Die Seele preist den Herrn dadurch, dass sie sich seinen Geschöpfen öffnet. Modern ausgedrückt: dass sie die Schöpfung als Mitschöpfung sieht und sich nicht als Herr über sie erhebt. Das ist das alte, voraufklärerische Verhältnis zur Natur: Es ist ein ganzheitliches Verhältnis, das die Natur nicht als Umwelt, sondern als Mitwelt sieht. Der Mensch ist Teil dieser Natur und nicht, wie es Descartes und Bacon interpretiert haben, exponiert. Die Natur als Bruder, Schwester und Mutter zu bezeichnen, zeigt eine gänzlich andere Haltung, als sie auf die Streckbank zu legen, um ihr Erkenntnisse zu entreißen. Eine solche Achtsamkeit im Umgang mit der Natur als Grundlage der Naturerkenntnis und Wissenschaft zu etablieren, wäre Voraussetzung für alle anderen Antworten auf unsere gegenwärtigen Probleme.

Aller Fortschritt zählt nämlich wenig, wenn die Opfer des Fortschritts zu groß werden und wir am Ende Schaden an unserer Seele nehmen.

Das ist auch die Hauptrichtung der Argumentation in der bemerkenswerten Enzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus. In ihr fließen die Kritik am Konsumismus, die Kritik an einer Wirtschaftsweise, die tötet, die Kritik an einem rein positivistischen und materialistischen Weltbild, einer Welt ohne Gott; die schonungslose Bestandsaufnahme der Schäden, die wir bereits angerichtet haben, aber auch Hoffnung auf ein gutes Leben, auf die Befreiung von Zwängen, auf ein Leben im Einklang mit der Schöpfungsordnung, zusammen. In dieser Konzeption des achtsamen, des nachhaltigen Lebens und Wirtschaftens sind den Möglichkeiten der Entwicklung des Menschen keine Grenzen gesetzt; Franziskus legt aber Wert darauf, dass eine solche Entwicklung nur möglich wird, wenn wir uns selbst Grenzen setzen. Dazu bedarf es nicht nur einer neuen Theologie der Nachhaltigkeit, sondern auch einer Politik, die diese Grenzen ernst nimmt und als Erfordernis der Gerechtigkeit etabliert: damit wir nicht Zerstörer, sondern Be wahrer der Schöpfung werden.


Matthias Zimmer, geboren 1961 in Marburg (Lahn), Honorarprofessor an der Universität zu Köln, seit 2009 Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.


Zum Weiterlesen

Zimmer, Matthias: Nachhaltigkeit! Für eine Politik aus christlicher Grundüberzeugung, Herder Verlag, Freiburg i. Br. 2015.

 

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