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Eine Analyse zur Wahl des neuen US-Präsidenten

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„Wenn ihn auch die Tat anklagt, so muss ihn der Erfolg doch entschuldigen.“
Niccolò Machiavelli, Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio (1531)

 

Das Entsetzen über den Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahlen hat seine Ursache vor allem darin, dass sich der Wahlsieger Donald Trump den Zynismus von Machiavelli ohne Einschränkung zu eigen gemacht hat. Dass der Zweck die Mittel heiligt, ist aber kein Bestandteil demokratischer Kultur. deprimierend ist, dass Trump damit – wenn auch knapp – erfolgreich war.

Ermutigend ist, dass die klare Mehrheit der Wähler Trump nicht folgte: Hillary Clinton erhielt insgesamt fast drei Millionen Stimmen mehr als Donald Trump. Dennoch setzte sich dieser in populistischer Arroganz bei seiner Amtseinführung selbst mit „dem Volk“ gleich: „Der 20. Januar 2017 wird in Erinnerung bleiben als der Tag, an dem das Volk wieder zum Souverän wurde.“ Denen, die nicht auf seiner Seite sind oder vor ihm Verantwortung trugen, spricht er damit unumwunden die demokratische Legitimation ab. Auch nach seiner Wahl will Trump ganz offenbar der Strategie treu bleiben, die ihn ins Weiße Haus brachte. Die Freunde Amerikas werden damit auf eine harte Probe gestellt.

Trump hatte mit seinem radikalpopulistischen Ansatz bereits im Wahlkampf kein Interesse an inhaltlicher Substanz, sondern pries sich als Meister der einfachen Lösungen in einer komplizierten Welt an. Zugleich waren Trump und Clinton die unpopulärsten Präsidentschaftskandidaten, die Demokraten und Republikaner jemals aufgestellt hatten. Deshalb verfolgten beide auch die gemeinsame Strategie, die Wahl zum Referendum über den jeweils anderen zu machen.

Es entwickelte sich der bitterste und zugleich ungewöhnlichste Präsidentenwahlkampf in der modernen US-Geschichte. Ständige Überraschungen, die nichts mit politischen Inhalten, aber alles mit der Person der Kandidaten zu tun hatten, bestimmten die Schlagzeilen: Vier Wochen vor dem Wahltag wurde ein Tonbandmitschnitt bekannt, in dem Donald Trump mit sexuellen Anzüglichkeiten zu hören war und damit prahlt, als bekannter Star könne er mit Frauen machen, was er wolle. Fast zeitgleich begann Wikileaks mit der Veröffentlichung vertraulicher E-Mails aus dem demokratischen Lager. Die Verantwortung für die dafür ursächlichen Hackerangriffe sehen die amerikanischen Sicherheitsbehörden einmütig bei Putin, der erkennbar auf einen Sieg Trumps hoffte. Die gestohlenen Mails gaben zwar Einblicke in die Interna der Clinton-Kampagne, enthielten aber nichts Skandalöses. Ihre anhaltende Veröffentlichung vermittelte dem Publikum jedoch den Eindruck eines Dauerskandals.

Zehn Tage vor der Wahl teilte der FBI-Direktor der Öffentlichkeit mit, man ermittle gegen Hillary Clinton wegen der eventuell strafbaren Nutzung eines privaten E-Mail-Servers in ihrer Zeit als Außenministerin. Vier Tage vor dem Wahltag erklärte das FBI dann, die Ermittlungen seien ergebnislos beendet worden. Clinton selbst meinte nach der Wahl, auch diese letzte Mitteilung habe ihr geschadet, weil sie das leidige Thema einmal mehr in die Schlagzeilen gebracht hatte. 


Lehrbuch populistischer Strategie

Trump dominierte den Wahlkampf, indem er lehrbuchartig fünf Leitsätze einer radikalpopulistischen Strategie anwandte:

(1) Diskreditierung demokratischer Institutionen: Trump diffamierte in ständiger Wiederholung das politische System pauschal als „korrupten Sumpf“ und „moralisch verkommen“. Zuvor hatte er jahrelang wahrheitswidrig behauptet, Barack Obama sei nicht in den USA geboren und deshalb kein legitimer Präsident.

(2) Nationalistische Abschottung: Trump stellte offensiv einen radikalen amerikanischen Nationalismus in den Mittelpunkt seiner Aussagen und nahm dafür die Konfrontation mit internationalen Verbündeten und Partnern bewusst in Kauf.

(3) Gesellschaftliche Polarisierung: Trump setzte auf die Vergiftung des politischen Klimas, Minderheiten wurden als Sündenböcke für alle Probleme gebrandmarkt und politische Konkurrenten durch abstruse Verschwörungstheorien zu politischen Feinden stilisiert oder durch systematische Beleidigungen lächerlich gemacht.

(4) Politischer Fanatismus: Trump radikalisierte seine Anhänger gezielt durch ständige Tabubrüche und feierte dann ihre blinde Gefolgstreue: „I could stand in the middle of Fifth Avenue and shoot somebody and I wouldn’t lose any voters“.

(5) Verleugnung der Wirklichkeit: Trump verbreitete ständig Halb- und Unwahrheiten, sprach Journalisten und Medien jegliche Glaubwürdigkeit ab („Lügenpresse“) und verführte seine Anhänger so in einen realitätsfernen eigenen Kommunikationsraum.

Um selbst das zentrale Gesprächsthema zu bleiben, zog Trump alle Register. Über Twitter produzierte er einen unaufhörlichen Strom ständiger Provokationen, die insbesondere Fernsehsender bereitwillig aufnahmen, denn die Gier des Publikums nach immer neuen Grenzüberschreitungen versprach hohe Auflagen und Einschaltquoten. Trump brauchte keine Werbespots, er war mit seinen Ausfällen Bestandteil des regulären Programms. Das war der Kern seines Geschäftsmodells: Den eigenen Namen hatte er durch nachhaltige Präsenz in den Boulevardmedien und TV-Realityshows zur kommerziell nutzbaren Marke gemacht. 


Mehr Niederlage als Sieg

Die qualitative Analyse von Trumps Wahlkampfstrategie offenbart, dass er vor fast keinem Mittel zurückschreckte, um den eigenen Wahlsieg zu sichern. Die quantitative Wahlanalyse zeigt nicht nur, wie knapp das Wahlergebnis tatsächlich war, sondern offenbart auch, dass es sich weniger um einen Sieg Trumps als vielmehr um eine strategische Fehleinschätzung Clintons handelte. Dabei profitierte Trump vom amerikanischen Wahlsystem mit seinem auf Bundesstaaten bezogenen Mehrheitswahlrecht.

Die Wahlbeteiligung war gegenüber 2012 um fast sechs Prozent auf circa sechzig Prozent angestiegen. Mit 65,8 Millionen Stimmen gewann Hillary Clinton in etwa so viele Stimmen wie zuletzt Barack Obama. Trump erhielt mit 62,9 Millionen Stimmen zwar mehr Stimmen als Mitt Romney 2012, blieb aber beim Stimmenzuwachs hinter dem Anstieg der Wahlbeteiligung zurück.

Prozentual entfielen auf Hillary Clinton 48,0 Prozent (Obama 2012: 51,0) und auf Donald Trump 46,0 Prozent (Romney 2012: 47,2) der Stimmen. Gegenüber diesen Einbußen haben die weiteren Kandidaten – vor allem der Libertarian Gary Johnson (3,3 Prozent) und die Grüne Jill Stein (1,4 Prozent) – ihren Stimmenanteil von zusammen 1,7 Prozent 2012 auf 5,9 Prozent 2016 mehr als verdreifacht. Die „Third-Party“-Kandidaten erhielten insgesamt mehr als 8,2 Millionen Stimmen und hatten erstmals seit Ross Perot (1992/1996) und Ralph Nader (2000) wieder einen direkten Einfluss auf den Wahlausgang. Dies galt insbesondere für die „Swing-States“ mit einem geringen Abstand zwischen Demokraten und Republikanern. Clinton verteidigte dabei Colorado, Maine, Minnesota, Nevada und ganz knapp New Hampshire. Trump verteidigte Arizona (trotz deutlicher Verluste), Georgia und North Carolina, nahm aber den Demokraten Florida, Iowa, Michigan, Ohio, Pennsylvania und Wisconsin ab. In allen Staaten, in denen Trump einen Mehrheitswechsel schaffte, gewann er selbst jeweils deutlich weniger Stimmen hinzu als Clinton verlor.

Dabei war der Vorsprung für Trump in Michigan (circa 11.000 Stimmen), Wisconsin (circa 22.000 Stimmen) und Pennsylvania (circa 70.000 Stimmen) besonders knapp. Man kann davon ausgehen, dass hier die „ThirdParty“-Kandidaten Anti-Trump-Stimmen auf sich zogen, die sich nicht für Hillary Clinton entscheiden wollten. Zugleich hatte Clinton diese sicher geglaubten Staaten in ihrer Wahlkampfstrategie sträflich vernachlässigt. Hätte sich auch nur die Hälfte der Wähler von Johnson und Stein für Clinton entschieden, hätte diese in Pennsylvania, Michigan, Wisconsin und auch Florida Trump überholt und die Präsidentschaftswahl gewonnen. 


Das Ego im Fokus

Wer gehofft hatte, nach der Wahl würde Trump anders vorgehen als im Wahlkampf, wurde enttäuscht. Auch in Vorbereitung auf die Amtsübernahme polarisierte er und attackierte meist mit Beleidigungen jeden, der ihn zu kritisieren wagte – sei es Meryl Streep, der Nachrichtensender CNN, der republikanische Senator Graham oder der demokratische Kongressabgeordnete Lewis, der als Bürgerrechtler schon an der Seite von Martin Luther King aktiv war.

Damit wollte er von einem für ihn besonders heiklen Punkt ablenken: den erkennbaren Interessenkonflikten zwischen seinen Amtspflichten als Präsident und dem Wohlergehen seiner über 500 Unternehmen in mindestens vierzehn Ländern, deren Eigentümer er bleiben will. Ausgerechnet seinen Söhnen – also denen, die ihm am nächsten stehen – überträgt Trump die Führung seines Unternehmensimperiums. Da er seine Steuererklärungen nicht veröffentlicht, ist dabei der tatsächliche Umfang der internationalen Verflechtung seiner Unternehmen nicht bekannt. Trump ignoriert so die ethischen Maßstäbe, die seine Vorgänger etabliert haben, und beansprucht für sich ein Sonderrecht, das rechtlich bei keinem seiner Minister möglich wäre. Dagegen haben über die Parteigrenzen hinweg die Ethikberater der Präsidenten George W. Bush und Barack Obama Klage eingereicht.

Im Wahlkampf hatte Trump Hillary Clinton unaufhörlich eine Vermischung von staatlichen und privaten Interessen („play for pay“) vorgeworfen. Für sich selbst lässt er dies nicht gelten und sagte zurNew York Times: „The law is totally on my side, the president can’t have a conflict of interest.“ Die Aussage erinnert fatal daran, wie sich Richard Nixon auf dem Höhepunkt der Watergate-Affäre verteidigte: „When the president does it, it’s not illegal.“

Auch Trumps Personalentscheidungen offenbaren, dass der Populist vor allem sich selbst als Bezugspunkt sieht. Gleich mehrfach berief er Finanzjongleure von der Wall Street, die er im Wahlkampf noch zur Stimmenmaximierung gegeißelt hatte. Wie wenig es Trump dabei auf Inhalte ankommt, zeigt das überraschende Eingeständnis des von ihm vorgeschlagenen Außenministers, der nach seiner Nominierung sagte, über das zentrale Thema Russland habe er mit Trump nicht gesprochen.

Dass seine Kabinettskandidaten bei den Anhörungen im republikanisch dominierten Senat reihenweise von Positionen des gewählten Präsidenten abrückten, ist ungewöhnlich, aber wenig überraschend: Ob er die NATO für überflüssig erklärt, für Investitionsprogramme die Staatsverschuldung erhöhen oder Freihandel durch Protektionismus ersetzen will – viele von Trumps Vorhaben stehen in diametralem Widerspruch zu den bisherigen Grundsätzen der Republikaner. Deren Stimmen aber brauchten Trumps Kandidaten, um für die Berufung ins Kabinett bestätigt zu werden. 


"Divides States of America"

Zu seinem Amtsantritt musste sich Trump mit einer Zustimmungsrate von lediglich vierzig Prozent begnügen. Siebzig Prozent der Amerikaner meinen – im Unterschied zu Trump selbst –, dass Putin die Wahlen zu Trumps Gunsten beeinflussen wollte. Mehr als die Hälfte hält den neuen Präsidenten für „unqualified for office“. Über sechzig Prozent glauben nicht, dass er die richtigen Entscheidungen für Amerikas Zukunft treffen werde. Das sind bei Weitem die schlechtesten Werte, seit solche Daten zum Amtsantritt eines Präsidenten erhoben werden.

Trump hat die Wahl gewonnen, aber nicht zu Unrecht bezeichnete ihn das Time Magazine als „President of the Divided States of America“. Noch nie haben sich so viele Abgeordnete geweigert, an der offiziellen Amtseinführung des Präsidenten teilzunehmen, noch nie war die Zahl der Gegendemonstranten so hoch. Mit seiner Rede zur Amtseinführung vertiefte Trump die Gräben. Er sprach nicht zur Nation, sondern bediente die eigenen Anhänger mit den üblichen Pauschalurteilen: „Politikern ging es gut, aber die Arbeitsplätze gingen ins Ausland, und die Fabriken wurden geschlossen. Das Establishment schützte sich selbst, aber nicht die Bürger dieses Landes. Während sie in unserer Hauptstadt feierten, gab es für viele Familien in unserem Land kaum einen Grund zur Freude. Dieses amerikanische Gemetzel hört auf, und zwar hier und jetzt.“

Die Rede trug die Handschrift von Trumps Chefberater Steve Bannon, der lange für eine radikale rechtspopulistische Website voller Verschwörungstheorien, Diffamierungen und wahrheitswidriger Irreführungen verantwortlich war. Im Weißen Haus ausdrücklich mit dem Stabschef gleichgestellt, kündigte Bannon an: „Wir werden eine völlig neue politische Bewegung aufbauen.“ Er machte dabei keinen Hehl aus seinem destruktiven strategischen Ansatz: „Darkness is good. Dick Cheney. Darth Vader. Satan. That’s power.“ Das sollten die Republikaner als Drohung ernst nehmen: Entweder sie geben ihre programmatische Identität zugunsten von Trumps populistischer Ideologie auf oder sie müssen mit der Konkurrenz von Trumps „Bewegung“ rechnen.

Für viele republikanische Abgeordnete zeichnet sich das Dilemma ab, durch Zurückhaltung gegenüber Trump die eigene Nominierung für die Parlamentswahl 2018 zu riskieren oder durch allzu große Nähe zu ihm ihre Wahlkreise an die Demokraten zu verlieren. Vor Ort hat man nicht vergessen, dass Trump drei Millionen Stimmen weniger als Clinton bekommen hat, denn dieser Abstand spiegelt sich in fast jedem Wahlkreis wider.

Dass er als Präsident nicht wie im eigenen Unternehmen Alleinherrscher ist, sondern im Kongress die republikanische Mehrheit braucht, scheint Trump bisher wenig zu interessieren. Er ist nicht als Republikaner, sondern als Populist ins Amt gekommen. Je mehr Trump freilich die Erwartungen seiner Anhänger befeuert, desto mehr manövriert er sich selbst in das unauflösbare Dilemma, beim Versuch der Umsetzung seiner Wahlversprechen an deren Realitätsferne zu scheitern oder von Wahlversprechen abzurücken und mit bisher nicht geübtem Realitätssinn die eigene Anhängerschaft zu enttäuschen. Auf Dauer wird Trump dabei auch nicht helfen, dass er ständig in einer Endlosschleife von Superlativen von sich selbst spricht: Er sei beispielsweise „der größte Arbeitsplatzbeschaffer, den Gott je geschaffen hat“, und sein Kabinett habe „den höchsten IQ aller Zeiten“.

Dass europäische Rechtspopulisten vom Front National bis zur AfD ausgerechnet den amerikanischen Präsidenten Trump zu ihrem Vorbild erkoren haben und sich Putin über dessen Erfolg demonstrativ freut, ist für Freunde Amerikas besonders schwer erträglich. Umso mehr gilt es, einer Gleichsetzung von Trump mit „den Amerikanern“ entgegenzutreten. Viele in den USA sind von seinem Wahlsieg tief getroffen und machen sich große Sorgen um die Zukunft.

Zugleich wächst die Verantwortung der Europäer. Misst man ihn an seinem bisherigen Verhalten, kann man sich Präsident Trump kaum als „Führer der freien Welt“ vorstellen. Umso wichtiger ist es, dass ein geeintes und selbstbewusstes Europa die gemeinsamen Grundwerte der transatlantischen Partnerschaft verteidigt, wie sie nach 1945 gewachsen sind. Dabei geht es um mehr als um den neuen Hausherrn im Weißen Haus, zumal wenn sich dieser – was zu befürchten steht – im Amt nicht verändert.

 

Stephan Eisel, geboren 1955 in Landau, 2007 bis 2009 Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag für den Wahlkreis Bonn.

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