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Notizen zu einem „Wörterbuch für Gedankenlose“

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Allen, die versuchen, mit der Sprache pfleglich umzugehen, gilt Aus dem Wörterbuch des Unmenschen als ein Muster wirksamer Sprachkritik. Von den Beispielen für die Sprache des „Dritten Reichs“, die Dolf Sternberger gemeinsam mit Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind unter diesem Titel zusammengetragen hat, blieb kaum etwas im Sprachgebrauch erhalten. Bezeichnende Ausnahme ist der „Kulturschaffende“ als Ausdruck der Fürsorge, die ein erfolgloser Maler und seine „Bewegung“ Auserwählten dieser Gruppe angedeihen ließ. Der meist ahnungslos verwendete Begriff dient leider weiterhin als Sammelbezeichnung für höchst unterschiedliche Arten von Künstlern, wenn es um deren Förderung geht.

Auch wenn der Jargon der „Volksgenossen“ nahezu versickert ist, bleibt Sprachkritik doch unverzichtbar für eine politische Kultur, in der wir auf den Zugang zu Informationen angewiesen sind, der uns erlaubt, obwohl grundverschieden, in staatsbürgerlicher Gleichheit an öffentlichen Auseinandersetzungen teilzunehmen. Dabei reichen die Gegenstände solcher Kritik von leichteren, jedoch keineswegs folgenlosen Verfehlungen an der Sprache bis hin zu Formen des Gesinnungszwangs oder gar der unverhohlenen Refeudalisierung, also dem Versuch, individuelle Rechte in Gruppenprivilegien zu verwandeln.

Es ist daher nicht unbedingt ein bildungsbürgerlicher Snobismus, Politiker zu kritisieren, wenn sie, „um etwas rüberzubringen“, die Sprache durch eine vermeintlich populäre Ausdrucksweise malträtieren. Ebenso ist es mehr als schlichtes Beharren auf dem Gewohnten, das Gendern zu hinterfragen, wenn es nicht nur Sätze zerhackt, sondern auch zu widersinnigen Aussagen führt, die im Interesse der Correctness hingenommen werden. Fatale Missverständnisse drohen, wenn Journalisten allzu oft anderes verbreiten, als sie eigentlich ausdrücken wollten, weil sie die indirekte Rede nicht beherrschen. Bewusste Irreführung ist es dagegen, wenn ein unangenehmer Zwang im Sinne eines „Newspeak“ – „Neusprech“ – euphemistisch umbenannt wird, und schließlich entwertet es die Verfahren der Meinungsbildung, wenn diese nicht mehr als Mittel der Entscheidungsfindung, sondern als selbstzweckhafte, gemeinschaftsbildende Veranstaltung beschrieben werden – ganz zu schweigen von identitären Ausdrucksformen, die den Menschen als Funktion zugeschriebener Eigenarten behandeln.

Ein „Wumms“ also, die denkbare Reaktion eines im Auto festgeschnallten Kindes auf eine Karambolage, fällt als politische Aussage in die Kategorie „platt, aber nicht gefährlich“. Abgesehen von der betrüblichen Einschätzung unserer Verständnisfähigkeit handelt es sich lediglich um ein Selbstlob dessen, der uns erklären will, wie sehr er sich unseretwegen ins Zeug gelegt habe. Anders als im Falle der „Ruck-Rede“ eines Bundespräsidenten ist damit allerdings nicht die Aufforderung verbunden, wir sollten uns bewegen, und zwar in eine bestimmte Richtung.

 

„Allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“

 

Sehr wohl zur Mitwirkung aufgerufen sind wir jedoch, wenn die Beeinträchtigung des Redeflusses der Gendergerechtigkeit dienen soll oder wenn ein neu ins Amt gekommener Minister uns jedenfalls anfangs an seinen Gewissensqualen teilhaben und deren Auflösung zu Ende denken ließ, als sei Heinrich von Kleists Traktat Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden ein Lehrbuch der Rhetorik. Auch diese beiden sonst recht unterschiedlichen Versuche unserer Einbeziehung sind kaum beängstigend und scheinen sich auf wiederum verschiedene Weise von selbst zu erledigen. Ohne Gewalt gegen die Sprache oder die Logik kann man dem Gendergebot entsprechen, wenn geschlechtsneutrale Bezeichnungen wie „Studierende“ zur Hand sind. Der unbedingte Zwang jedoch führt sich ad absurdum, so etwa, wenn in einer Nachrichtensendung zu hören ist, „die Mehrheit der Teilnehmer:innen“ sei „weiblich“ gewesen. Der Minister schließlich, der uns mitnehmen will, indem er uns zu Leidensgenossen macht, wurde längst von der Wirklichkeit eingeholt und klingt inzwischen eben wie ein Minister.

Schon bedenklicher – wenn auch ohne irreführende Absicht – ist es, dass viele Nachrichtenredaktionen der Rundfunkanstalten mit der indirekten Rede „auf Kriegsfuß“ zu stehen scheinen. So hört man immer wieder, eine Regierung, ein Politiker oder ein Verband habe angekündigt, man „würde“ dies oder jenes unternehmen, obwohl solche Akteure, denen selten das notwendige Selbstvertrauen fehlt, sich durchaus nicht konditional ausgedrückt hatten, also keineswegs vorsichtshalber sagen wollten, sie „würden“ etwas in die Tat umsetzen, sollten gewisse Voraussetzungen erfüllt sein. Umgekehrt fehlt das „würde“ oft dort, wo es gefordert wäre: so in der Nachricht, die Grünen akzeptierten jetzt das wiederzubelebende CETA-­Abkommen, das sie vor Jahren ablehnten, weil es „die Interessen der Konzerne begünstigte“. Anders als der Nachrichtenredakteur, der in diesem Falle nicht bemerkt hat, dass er sich die Meinung der damaligen Grünen zu eigen macht, weiß sein Arbeitgeber sehr wohl, was er tut, wenn er die zutreffend so genannte „Gebühreneinzugszentrale“ zum „Beitragsservice“ umbenennt.

Ebenso deplatziert ist es, eine Sozialhilfe als „Bürgergeld“ zu bezeichnen, obwohl es weder um einen staatsrechtlichen Status noch um einen kulturellen Habitus geht, die gemeinten Empfänger also keineswegs „eingebürgert“ oder gar „bürgerlich“ sein müssen. Immerhin verstehen wir meist richtig, was mit der verunglückten indirekten Rede gemeint war, und die euphemistische Bezeichnung der Rundfunkfinanzierung lässt uns keineswegs deren Zwangscharakter vergessen, auch wenn sie so klingt, als sei Franziska Giffey am Werk gewesen.

 

Quasiständische Repräsentation imaginierter Interessen

 

Ganz anders verhält es sich mit „Demokratisierung“ und „Diskurs“ – zwei Konzepten, die sich beständig weiterverbreitet haben, weil „Mehr Demokratie wagen“ und „Wir können über alles reden“ so klingt, als werde doch nur eingefordert, worauf wir uns im Grund längst verpflichtet hätten. Sollte Willy Brandts Forderung nach mehr Demokratie politisch verstanden werden, sodass es darum ginge, alle jeweils Betroffenen an allen sie jeweils betreffenden Entscheidungen zu beteiligen, bliebe doch immer noch die Frage, wer damit eigentlich gemeint sein könnte. Wenn nämlich die soziale Ordnung immer weniger dem Bild einer ständischen Gesellschaft entspricht, in der, sollte es sie je gegeben haben, alle sozusagen mit „Haut und Haaren“ deutlich unterscheidbaren Gruppierungen angehörten und sich ihnen zurechneten, dann ist Teilhabe an Herrschaft und deren Kontrolle nicht mehr durch Addition solcher zugesprochenen Identitäten organisierbar. Versucht man es dennoch, so erweist sich der undemokratische Charakter der Demokratisierung: Im harmloseren Falle als quasiständische Repräsentation imaginierter Interessen in einem Rundfunkrat, die man wie auch immer kombinieren kann, ohne Anforderungen an das Sendeprogramm zu erkennen, oder aber in den noch weniger hinnehmbaren, aber verbreiteten Fällen, in denen etwa die Beschäftigten eines Bereiches ihre Interessen als eine Forderung des Allgemeinwohls präsentieren und zulasten der Nutzer durchsetzen; eine „Demokratisierung“, die auch durch die Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Betroffenheit nicht überzeugender wird.

Die andere, gegenwärtig noch gängigere Behauptung eines Demokratiedefizits, deren Fremd- und Selbstbezeichnung sich nicht vom griechischen demos, sondern vom lateinischen populus herleitet, löst das Problem der Bemessung von Betroffenheit auf simple Weise: Das scheinbar inklusive „Wir sind das Volk“ wird gleich danach exklusiv durch Nennung derer ergänzt, die nicht dazugehören. Bei den amerikanischen Erfindern dieser Denkweise waren es in den 1880er-­Jahren „millionairs and tramps“ – und nicht nur bei Donald Trump haben inzwischen Chinesen, Migranten und „Sozialschmarotzer“ die Rolle der Tramps, also der Landstreicher, übernommen.

 

Bildungsprozess als kollektive Veranstaltung

 

Doch ging es bei „Mehr Demokratie wagen“ wirklich nur um politische Mitwirkungsrechte? Schon Brandts gequälte Erläuterung seiner Parole, „Demokratie“ sei als „grundsätzliches Prinzip“ zu verstehen (wie könnte ein Prinzip nicht grundsätzlich sein?), „das alles gesellschaftliche Sein des Menschen beeinflussen und durchdringen muss“, deutet in eine andere Richtung. Es blieb einem Pädagogen überlassen, die erzieherische Idee deutlich zu formulieren: Nach Hartmut von Hentig kommt es darauf an, „demokratisch zu leben, nicht nur in einer Demokratie“.

Ob Jean-Jacques Rousseau an dieser Stelle erwähnt werden muss oder auch nicht – wir haben es jedenfalls mit einem Bildungsprozess zu tun, der als kollektive Veranstaltung gedacht ist, wobei der Weg schon als das Ziel erscheint.

 

Der Diskurs wird ubiquitär

 

So auch im Falle des Diskurses, eines Begriffs, der aus einer sozialphilosophischen Schule stammend als gesunkenes Kulturgut in die Alltagssprache eingesickert ist. Wiederum bietet sich eine vordergründige Erklärung an, die wegen der angeblichen Harmoniesucht der Deutschen auch plausibel wirkt: Diskurs klinge so viel umgänglicher als etwa „Auseinandersetzung“ oder gar „Streit“. Doch auch in diesem Falle steckt mehr dahinter. Es geht nicht um Politik als ein Entscheiden zwischen Handlungsalternativen, sondern um das (platonische, idealistische) Freilegen einer nur durch die beklagenswerten Gegebenheiten verdunkelten Übereinstimmung, was wiederum nach einer kollektiven Veranstaltung verlangt, da der Einzelne „keine allgemeinen Interessen antizipieren kann“. Dem so argumentierenden Philosophen gelingt dies freilich, während er allein an seinem Schreibtisch sitzt. Diskurs wird jedenfalls ubiquitär, sei es als gedankenlos verwendete Floskel, wenn in der Einladung zur Mitgliederversammlung eines Vereins ein Diskurs angekündigt wird, sei es als Rechtfertigung einer Verwechslung von Aufgaben, wenn die Direktorin der Kasseler documenta nicht das Präsentieren von Kunst, sondern das In-Gang-Setzen von Diskursen als ihre Aufgabe hervorhebt, und schließlich auch in Verhaltensweisen, die dem Argumentationsmuster ohne Verwendung des Diskursbegriffs entsprechen, indem ein Papst nur Entwicklungen anstoßen will, von deren Ergebnissen er einstweilen keine Vorstellung hat.

Auch in solchen Fällen wird das Mittel zum Ziel oder die Ziellosigkeit zum Mittel. Es entsteht der Glaube an eine entgrenzte Kommunikation, den es nicht irritiert, gleichzeitig als Selbstzweck sowie als Vielzweck dienen zu sollen, weshalb laut Jürgen Habermas „kein Fixpunkt mehr außer dem des demokratischen Verfahrens selber“ benötigt wird. Vorsichtig ausgedrückt: Diesem Denken fällt es schwer, Gesellschaft als ein System arbeitsteilig verbundener Einheiten zu verstehen, die in jeweils andersartigen Verfahrensweisen ihrer eigenen Logik folgen. Gegen solche Illusionen helfen sprachkritische Beiträge zu einem „Wörterbuch für Gedankenlose“, besonders in der Form der Glosse, also der geschärften Zunge. Ein neues „Wörterbuch des Unmenschen“ dürfte freilich gefordert sein gegen identitäre Parolen, denn diese sind im strikten Sinne unmenschlich, weil sie Rechte und Erkenntnisfähigkeit nicht dem Menschen als solchem („wie er geht und steht“), sondern nur dem Träger bestimmter zugeschriebener oder von ihm selbst reklamierter Eigenarten zugestehen.

 

Michael Zöller, geboren 1946 in Würzburg, emeritierter Professor für Politische Soziologie und Leiter der Amerika-Forschungsstelle, Universität Bayreuth.

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