Die gemeinsame Währung ist das wohl ambitionierteste Projekt der Europäischen Union. Denn es verbindet die politische, wirtschaftliche und soziale Dimension Europas und führt damit wesentliche Begründungspfade der europäischen Integration zusammen. Deshalb steht mit der Krise des Euro auch mehr auf dem Spiel als eine Währung. Und seine Verteidigung ist aller Mühen wert.
Die Rettungsmaßnahmen zugunsten von Griechenland, Irland, Portugal und Spanien, die strukturellen Veränderungen auf europäischer Ebene, wie die Banken- und Kapitalmarktunion, der Fiskalpakt oder der Europäische Stabilitätsmechanismus ebenso wie die teilweise schmerzhaften Reformen in den Mitgliedstaaten, sie sind zu Recht nicht allein unter wirtschaftlichen, sondern auch unter politischen Gesichtspunkten zu bewerten. Aber so sehr diese Veränderungen einen erstaunlichen politischen Willen zur Stabilisierung des Euro dokumentieren, der große Anerkennung verdient, so bleiben wesentliche ökonomische Fragen weiterhin unbeantwortet oder zumindest vage: Warum setzt ein Land wie Griechenland mit einer überschaubaren ökonomischen Bedeutung die gesamte Eurozone seit mehr als sechs Jahren derart unter Druck? Und weshalb gelingt auch nach der Verabschiedung von insgesamt drei Rettungspaketen mit Garantien und Schuldennachlässen in einer Größenordnung von mehreren Hundert Milliarden Euro keine dauerhafte Lösung der Situation? Wie kann der Euro mittelfristig wieder zu einer stabilen Währung werden, die getragen wird von einer dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung in den Mitgliedstaaten und von soliden Staatsfinanzen? Und wie können die nationalen und die gemeinsamen Verantwortlichkeiten bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen besser aufeinander abgestimmt werden?
Irrweg Transferunion
Bodo Herzog von der Reutlingen University beantwortet diese Fragen in seiner aktuellen Publikation über die Neujustierung der Governance in der Eurozone in der Tradition der deutschen Ordnungspolitik.
Die Rückkehr der europäischen Wirtschaft zu breiter ökonomischer Dynamik und einer stabilen Währung führt nach seiner Überzeugung nicht über den Weg einer Transferunion, über fiskalische Konjunkturpakete oder unorthodoxe geldpolitische Maßnahmen. Denn mit einer Transferunion würde das akute Problem auseinanderfallender Haftung und Verantwortung nur auf eine höhere Ebene verschoben, aber nicht gelöst. Und weder fiskalische noch geldpolitische Stimuli können eine selbsttragende pekuniäre Dynamik auf Grundlage wettbewerbsfähiger wirtschaftlicher und staatlicher Strukturen ersetzen.
Das Fundament sichern
Vielmehr kann eine Neujustierung der Governance der Eurozone nur über ein besseres Regelwerk und die gemeinsame und strikte Einhaltung dieser Regeln entsprechend den wesentlichen Grundprinzipien einer stabilen Wirtschafts- und Währungsordnung geschehen, deren Grundlage Bodo Herzog in der Tradition der Ordnungspolitik verankert sieht.
Dazu gehört zum einen, dass das bisherige Regelwerk ergänzt wird: Neben der staatlichen Verschuldung muss die private Verschuldung in den Blick genommen werden. Und auch eine bessere Überwachung des Banken- und Finanzsektors ist dringend angeraten, um die Realwirtschaft und die Steuerzahler vor möglichen Übertreibungen der Finanzmärkte besser zu schützen.
Vor allem gilt es, das unverrückbare Fundament einer stabilen Währung, die Solidität der Staatsfinanzen, besser zu gewährleisten. Denn nur stabile Staatsfinanzen ermöglichen die Aufrechterhaltung des Primats der Währungspolitik. Und das bisherige Regelwerk war im Sinne stabiler Staatsfinanzen für eine Währungsunion leider unvollständig. Die Regel, dass jeder Mitgliedstaat für seine eigenen Staatsfinanzen verantwortlich ist (No-bail-out-Klausel), ist nicht glaubwürdig, wenn es an einem Verfahren zur Umsetzung einer geregelten Restrukturierung der Staatsschulden (default) fehlt und gleichermaßen der Weg versperrt ist, einzelne Mitgliedstaaten bei fortgesetzten Verstößen gegen die Regelungen solider Staatsfinanzen auch zu einem (gegebenenfalls zeitlich begrenzten) Austritt aus der Währungsunion verpflichten zu können (no exit).
Wenn es gelingt, mit besseren Regelungen und ihrer strikten Einhaltung die Marktkräfte als disziplinierende Kräfte für solide Staatsfinanzen zu imitieren, dann würde in die Eurozone wieder ein ordnungspolitisches Fundament ökonomischer Vernunft gelegt, das schon einer Sozialen Marktwirtschaft (heute immerhin mit dem Lissabon-Vertrag auch das Wirtschafts- und Sozialmodell der Europäischen Union) zugrunde liegt und das aus der Eurozone jene Stabilitätsunion machen kann, zu der es mit einer Transferunion gerade nicht kommen würde.
Gemeinsame Wirtschaftspolitik ist Voraussetzung
Bodo Herzog führt auf überzeugende Weise aus, dass eine Transferunion gerade keines der zugrunde liegenden ordnungspolitischen Probleme lösen würde, die die Eurozone in diese Krise geführt haben, sondern dass diese Probleme nur auf eine höhere Ebene verlagert würden. Dieses Problem auf europäischer Ebene tatsächlich nachhaltig ordnungspolitisch zu lösen, würde eine wirkliche Politische Union, eine gemeinsame Wirtschaftspolitik mit einer eindeutigen, auch demokratischen Legitimation durch das Europaparlament und (s)einer europäischen Regierung voraussetzen. Im Lichte der Brexit-Diskussionen scheint dies aktuell eher ein ebenso ambitioniertes wie ehrenwertes Projekt der nächsten Generation von Europäern zu sein, aber kein wirklich realistischer Ausblick.
Der Autor skizziert eine Alternative: Von zentraler Bedeutung ist dabei – solange eine vollständige europäische Demokratisierung der Regelüberwachung nicht möglich ist – eine Automatisierung bei der Regeldurchsetzung, beispielsweise durch eine Stimmfunktion in Relation zur Regeleinhaltung. Dieser Mechanismus wäre ein Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips; eine Verletzung der („Ex-ante“-)Regeln hätte automatisch einen schrittweisen Verlust der Einflussnahme auf die Gestaltung des Verfahrens und die Entscheidungen aller Mitgliedstaaten zur Folge.
Wenn die jetzige Generation der Europäer eine Politische Union (noch) nicht umsetzen kann, dann wird sie sich gewiss für eine stabile Eurozone verantwortlich fühlen und kann sich dazu von der überzeugenden Tradition der Ordnungspolitik inspirieren lassen. Bodo Herzogs Beitrag liefert dazu lesenswerte und diskussionswürdige Impulse.
Matthias Schäfer, geboren 1968 in Stuttgart, Leiter des Teams Wirtschaftspolitik, Hauptabteilung Politik und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.