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Das Populäre und der Populismus

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Populär ist, was von vielen beachtet wird. Mit dieser griffigen Bestimmung1 ist der Kern einer kulturellen Logik bezeichnet, die ihre Relevanz und Überzeugungskraft allein aus der Beachtung ableitet. Vor ihrem Hintergrund haben die Dinge keinen ästhetischen, intellektuellen oder moralischen Eigenwert, der sie anderen Dingen gegenüber derart auszeichnen könnte, dass die zahlenmäßig höhere Beachtung dadurch aufgewogen würde. Allein die große Zahl, die sich erheben und ablesen lässt, entscheidet. Populäre Kultur zeichnet sich dadurch aus, dass sie Beachtungserfolge „ständig ermittelt“ und in „Charts, durch Meinungsumfragen und Wahlen“ festlegt, „was populär ist und was nicht“.2 Beachtung ist als ein intendierter Medieneffekt zu verstehen. Wenn sich jemand eines Kommunikationsmediums bedient, zielt dies auf Beachtung bei einem Publikum. Um Popularität bemühte Kommunikation interessiert sich weniger dafür, wer konkret angesprochen wird, als für die größtmögliche Reichweite.

Diese Kommunikation existiert, seit es Medien gibt, mittels derer sich ein unbestimmtes Massenpublikum jenseits exklusiver Gemeinschaften erreichen lässt. Neue Medien haben in ihrer jeweiligen historischen Situation immer einen Vorsprung gegenüber anderen, etablierten und institutionell gepflegten Kommunikationsmöglichkeiten besessen. Die dabei unverändert gebliebene Grundfrage stellt sich stets hinsichtlich der Bewertung von Beachtung: Wer möchte aus welchen Gründen, dass andere etwas beachten oder eben auch nicht beachten? Darin liegt logischerweise immer ein Konkurrenzverhältnis begründet: Jeder Aufmerksamkeitserfolg enthält allen anderen, die in derselben Disziplin oder Sparte agieren, diese Aufmerksamkeit vor. Hinzu kommt: Neue Medien haben stets den Vorteil gehabt, dass sie schneller, billiger, in größerer Stückzahl oder Reichweite mehr Publikum erreichen – oder sogar neue Publika erschließen – konnten. Das Populäre hat immer wieder seine inklusive Macht gezeigt, indem es neue Gruppen in Kommunikationsgemeinschaften geholt hat, die vorher ausgeschlossen, unwissend und unbeteiligt gewesen sind. Popularität fungiert damit als Indikator für einen erfolgreichen Medieneinsatz, der darin besteht, ihre Affordanzen, ihre Angebote und Möglichkeiten, bestmöglich auszuschöpfen.

 

Popularisierung von Inhalten

 

Erstmalig hat sich dies in der reformatorischen Öffentlichkeit gezeigt, die Martin Luther begründete und in der seine Anhänger in großer Zahl mit Flugschriften bedient wurden. Diese schnell und billig produzierten, massenhaft verbreiteten Text-und-Bild-Medien trugen theologische Inhalte in die Welt außerhalb geschlossener Gelehrtendiskurse – in der Volkssprache anstelle des exklusiven Lateins. Neben der Popularisierung von Inhalten wurde auch die Person Luther bekannt gemacht, in Wort und Bild, ein früher Medienstar. Luthers Theologie wurde ebenso populär wie er selbst;3 und seine Gegner hatten einen schweren Stand, solange sie sich nicht dazu herabließen, die gleiche Sprache zu sprechen und dieselben Medien für ihre Entgegnungen zu nutzen. Die „Herablassung zum Volk“ wurde zum Modell populärer Vermittlung.

Dieses Verständnis von Kommunikation wurde auch zwei Jahrhunderte später zum Motor der nächsten revolutionären Popularitätskonjunktur: der Popularisierung der Aufklärung. Auch hier waren es das Bestreben um Inklusivität – die exklusive Gelehrtenkommunikation zu überschreiten und das „Volk“ direkt zu adressieren – und medienstrategische Überlegungen, mit welchen Mitteln sich theoretisches wie praktisches Wissen verbreiten ließ. Rudolph Zacharias Becker wurde zum erfolgreichsten Volksaufklärer. Sein Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute (1788) wurde durch einen „generalstabsmäßig geplanten Einsatz von Werbemitteln ‚hochgesellert‘“.4 Landesfürsten kauften große Kontingente auf und ließen diese ihren Untertanen zukommen. Bis weit hinein ins 19. Jahrhundert wurden so mehrere Generationen mit alltagspraktischem Wissen versorgt. Becker bettete die Ratschläge zur Veranschaulichung in eine Romanhandlung ein, in der sich das Volk wiedererkennen sollte. Es ging also einerseits um die Bewertung, welches Wissen gemeinnützig und es demnach wert ist, verbreitet zu werden. Andererseits ging es um den Anspruch, das „Volk“ zu repräsentieren, was wiederum die Behauptung voraussetzt, es besser zu kennen als andere und natürlich auch besser als dieses sich selbst. Becker bediente zunächst mit Unterstützung der Obrigkeit den Markt, der zum Hauptumschlagplatz der Aufklärung werden sollte.5 Mit Beginn der Revolutionsbestrebungen in Frankreich nahm der Adel zunehmend Abstand von derartigen Popularisierungsbestrebungen.

 

Akkumulierende Steigerungslogik

 

Aus dem „Volk“, das um konkreter Interessen und Vermittlungsinhalte wegen adressiert worden war, wurde am Markt die Masse. Dieser wurden in jeder Hinsicht unspezifische Angebote vorgelegt, aus denen sie wählen konnte. Am Buchmarkt zeigte sich, dass die Wahl eher auf die unterhaltenden Romane denn auf nützliche Bücher fiel. Anders als die aufklärerische Popularisierung gehorcht die rein marktförmige Popularisierung einem Selbstzweck, der darin besteht, den eigenen Marktanteil zu erhöhen und sich den Produkten der Konkurrenz gegenüber positiv zur Geltung zu bringen. Suchten die Agenten der Volksaufklärung noch über die Vermittlung von Wissen das kulturelle Langzeitgedächtnis zu prägen, bespielte das marktförmig Populäre nur das Kurzzeitgedächtnis – aufblitzend im Spektakel. Ihm fehlte die institutionelle Sicherung, es war als mediales Kommunikat bald versendet, wenn es nicht wiederholt, erneuert oder gesteigert wurde. Hier hat die bis heute wirksame Form von Popularität als einer akkumulierenden Steigerungslogik ihren Ursprung. Sie weckt das Begehrnis (so Gernot Böhme) nach Beachtung, das sie durch immer neue Produkte anreizt und über diese ihre Erfolge auf Dauer stellt.6 Werbung und Kritik wurden zu zentralen Verfahren der bürgerlichen Öffentlichkeit, in der es nach ihrer idealistischen Konzeption darum gehen sollte, qua Deliberation möglichst viele mündige Individuen auf das bessere Argument wie das beste Produkt zu vereinen. Doch Popularität, die über rein quantitative Verhältnisse bestimmt wird, bezieht sich nicht automatisch auf die bessere Option.

Über diesen Zusammenhang von Markt und medialer Verbreitung, die Beachtungserfolge in Konsum übersetzt, ist besonders im Kontext der Kritischen Theorie nachgedacht worden. Entscheidend dabei ist die Feststellung, dass Medien und Maschinen inhaltsblind sind. Druckerpresse, Radio und Kamera bilden unterschiedslos ab, was ihnen einbeziehungsweise vorgegeben wird. Eine „Auslese vor der Apparatur“ findet nicht statt. Sie bringt daher den „Star“ ebenso wie den „Diktator“ hervor, wie Walter Benjamin über die enge Verbindung von „Markt“ und „personality“ bemerkt.7 Die entscheidende Strategie, die beide erst entstehen lässt, ist die Wiederholung. Sie schleift den Eindruck ein, dass es etwas mit diesem Wiederholten auf sich haben müsse – und es darüber normalisiert und letztlich auch legitimiert.8

Der neuere Populismus, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten seines Zeichens große Popularität erringen konnte, vereint von dem bisher Ausgeführten alle Elemente auf sich. Er erscheint als das Populäre der Politik, indem er beansprucht, das „‚Volk“ gegenüber korrumpierten Eliten tatsächlich zu repräsentieren,9 und zu wissen vorgibt, was es wirklich benötigt. Dabei bezieht er sich auffallend häufig auf seine Beachtungserfolge und die jenseits von offiziellen Wahlen erbrachten Zustimmungswerte. Er treibt seine Popularisierung über den Nachweis der eigenen Popularität voran: über Likes, Klicks und Follower-Zahlen. Social-Media-Plattformen sind die Basis der Popularität des neueren Populismus, die medientechnischen Revolutionen des Web 2.0 sein Ausgangspunkt. Gegenüber den Massenmedien begründet vor allem der Wegfall von Torwächtern, die in den Redaktionen von Zeitungen und Rundfunkanstalten über Sagbarkeitsschwellen entscheiden, einen Strukturwandel der Öffentlichkeit. Dieser Schritt hat gleich mehrere Vorteile für eine um Popularität bemühte Kommunikation. Diese liegen zum einen in der großen Schnelligkeit und der hohen Frequenz, mit der über Social Media kommuniziert werden kann. Zum anderen garantieren sie eine unverstellte, „authentische“ Kommunikation, die gerade angesichts des oft kolportierten Generalvorwurfs der „Lügenpresse“ strategisch optimal ist.

 

„Frechdachsigkeit“ als Kommunikationsstil

 

Hinzu kommt das Spektakel als Strategie der Aufmerksamkeitsgewinnung. Alles kann durch emotionale Aufheizung skandalisiert werden. Populistische Kommunikation erscheint in seiner „Frechdachsigkeit“10 dem Pop verwandt, jedoch geht es ihr weder um ästhetische Formen noch um konsistente moralische Positionen, die hinter der kommunizierten Empörung stehen, sondern um bloße Beachtung zur Selbstlegitimation. Beachtung, zu der auch all jene beitragen, die sich kritisch zu den jeweiligen populistischen Akteuren oder Parteien verhalten, denn jeder Klick zählt gleich, und jeder Aufmerksamkeitserfolg erhöht in der algorithmisierten Logik der Plattformen die Wahrscheinlichkeit weiterer Beachtung. Populisten deuten diese Zahlen daher als Akte der Akklamation durch das wahre „Volk“.11

Populisten betreiben mit diesem Kampf um Beachtung eine Doppelstrategie. Sie suchen nicht nur die positive Popularisierung der eigenen Person oder Partei, sondern zugleich auch eine negative, die, gekoppelt an Provokationen und Invektiven, alle politischen Gegner verächtlich zu machen und zu delegitimieren trachtet.

 

Dimensionen einer entgrenzten Öffentlichkeit

 

In der neutralen Beachtung steckt Achtung. Eine Akzeptanz dessen, was von vielen Aufmerksamkeit erfährt. Zur reinen Beachtung ist mit den spektakulären Invektiven populistischer Parteien und Akteure die Verachtung hinzugekommen. Eine Verachtung, die sich der noch weitgehend nicht justiziablen Formen der Verächtlichmachung bedient, wie sie auch nicht politisch organisierte Akteure auf Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter, stärker aber noch auf Imageboards wie 4Chan eingeübt und zu großer Popularität unter ihren Peergroups gebracht haben. Die rechtliche Dimension ist die eine Seite dieser neuen Form einer nahezu völlig entgrenzten Öffentlichkeit, an der mehr Menschen denn je zuvor teilhaben können, in der die Logik des Populären regelt und in der sich Aufmerksamkeitserfolge selbst perpetuieren. Eine weitere ist die mediale. Hier gilt es, die Affordanzen der sozialen Medien zu verstehen, aber auch ihnen zu widerstehen.

Masse durch Masse bezwingen zu können, erscheint vor diesem Hintergrund ebenso unwahrscheinlich, wie Einzelfiguren durch Kritik erfolgreich auf demokratische Fairness zu verpflichten. Nicht ungewollt zu dieser Popularität populistischer Akteure beizutragen, hieße, nicht über jedes Stöckchen zu springen, das Empörungssüchtige immer wieder ausstellen. Ihr Moralismus ist Mittel zu Zwecken der Erregung, nicht Ausdruck moralischer Prinzipien.

Bereits Friedrich Schiller ahnte, dass „das Dunkel“ nur dann eintritt, „wenn die Personen die Sache verdrängen“, wo aber „mit Vernunftgründen und aus lauterm Interesse an der Wahrheit gestritten wird, streitet man niemals im Dunkeln“.12 Hier liegt vielleicht die entscheidende Differenzierung begründet. Populismus kann ein Indikator sein, der auf tatsächliche Sorgen und Probleme verweist,13 der aber nur wenig zu ihrer Lösung anzubieten hat. Das hieße, sich im Großen wie im Kleinen inhaltlich an den Sachen abzuarbeiten und auf dieser Grundlage Problemlösungen anzubieten, die der Dauererregungsmaschinerie populistischer Akteure den Treibstoff entzieht. Diese Problemlösungen wiederum gilt es – nicht in der Erregung über, sondern in der Begeisterung für etwas – positiv zu popularisieren.

 

Niels Penke, geboren 1981 in Lüneburg, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Germanistik und Neuere deutsche Literaturwissenschaft, Universität Siegen.

 

1 Thomas Hecken: Populäre Kultur. Mit einem Anhang „Girl und Popkultur“, Posth Verlag, Bochum 2006, S. 85.

2 Ebd.

3 Vgl. Manuel Braun: „‚Wir sehens, das Luther bey aller welt berympt ist‘. Popularisierung und Popularität im Kontext von Buchdruck und Religionsstreit“, in: Gereon Blaseio / Hedwig Pompe / Jens Ruchatz (Hrsg.): Popularisierung und Popularität, DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2005, S. 21–42.

4 Reinhart Siegert: Nachwort, in: Rudolph Zacharias Becker: Nothund Hülfsbüchlein für Bauersleute, Nachdruck der Erstausgabe von 1788, hrsg. und mit einem Nachwort von Reinhart Siegert, Harenberg, Dortmund 1980, S. 461–480, hier S. 468.

5 Siehe Heinrich Bosse: „Aufklärung und Kapitalismus. Meditation über einen Zusammenhang“, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 73. Jg. Heft 847, 2019, S. 90–99.

6 In diesem Sinne argumentiert Gernot Böhme für die Unterscheidung von Bedürfnissen und Begehrnissen – letztere sind steigerbar. „Für Ausstattung, Glanz und Sichtbarkeit gibt es keine natürlichen Grenzen“, siehe Gernot Böhme: Ästhetischer Kapitalismus, Suhrkamp, Berlin 2016, S. 29.

7 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit [1936]. Drei Studien zur Kunstsoziologie, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1963, S. 28.

8 In diesem Sinne argumentiert Adorno gegen die Gefährlichkeit der Wiederholung, die, wenn sie verfängt, zur Verstetigung von Popularität führt: „What is repeated again and again accumulates the prestige of social establishment. The listener is led to believe that it is repeated either because it is particularly good or because so many people like it“, Theodor W. Adorno: „On Popular Music“ [1941], in: ders.: Nachgelassene Schriften, hrsg. vom Theodor W. Adorno Archiv, Abteilung I: Fragment gebliebene Schriften, Bd. 3, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, S. 399– 476, hier S. 427.

9 Zum Angriff des Populismus auf das Prinzip der Repräsentation vgl. die Beiträge zu: „Repräsentation in der Krise?“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), 40–42/2016.

10 Diedrich Diederichsen: Der lange Weg nach Mitte. Der Sound und die Stadt, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999, S. 286.

11 Exemplarisch dafür sind die Medienpraktiken Donald Trumps. Vgl. dazu Niels Werber: „Donald Trumps Medien“, in: Lars Koch / Tobias Nanz / Christina Rogers (Hrsg.): The Great Disruptor. Über Trump, die Medien und die Politik der Herabsetzung, Metzler, Stuttgart/Berlin 2019, S. 115–133.

12 Friedrich Schiller: „Verteidigung des Rezensenten gegen obige Antikritik“, in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, hrsg. von G. Fricke und H. G. Göpfert, Bd. 5, 5. Aufl., München 1975, S. 985–991, hier S. 991.

13 Paul A. Taggart: Populism, Buckingham u. a. 2000.

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