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Vom Ende der populistischen Ära

Lateinamerika und die Linkspopulisten

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Der Populismus geht wieder um. Allerdings ist er nicht dort unterwegs, wo er sich besonders wohlfühlt, sondern in Europa und den Vereinigten Staaten. Lateinamerika war so etwas wie das natürliche Revier des Populismus, ja, es schien mitunter, als gebe es gar keine andere Politikform als diese, als spiele der Ausgang einer Wahl kaum eine Rolle, weil sowieso das immer Gleiche gewinne: traditioneller Paternalismus, postkolonialer Personalismus, Hemdsärmeligkeit als Regierungsstil und Vetternwirtschaft aus Prinzip.

Den berühmten Stammtisch haben lateinamerikanische Politiker zwar nie bedient – allerdings auch nur mangels Stammtischen auf dem Kontinent. Die einfachen Lösungen galten ohnedies als die besten, und wie das Volk zu erreichen sei, wusste man auch. „Gebt mir einen Balkon in jedem Dorf, und ich werde Präsident“, sagte der Ecuadorianer José María Velasco Ibarra (1893 bis 1979), und er selbst war der Beweis für diese viel zitierte Erfolgsformel: Gleich fünfmal zog Ibarra in den Präsidentenpalast ein.

Die Lateinamerikaner sind jedoch anspruchsvoller und misstrauischer geworden, man könnte auch sagen: endlich erwachsen, nach einer schier ewigen Kindheit. Denn so wurden sie lange behandelt, und so ließen sie sich auch gerne behandeln von der Politik: wie Kinder, wie willfährige, schnell verführbare, leichtgläubige Untertanen. Der Patron, der sich von oben herab um alles kümmert, war lange die Sehnsuchtsfigur vieler Wähler.

 

Vielfältige Populismen

Eine Ursache für die Langlebigkeit des Populismus in Lateinamerika liegt in seinem Erfindungsreichtum. Es gab und gibt ihn nicht nur in seiner klassischen linken und rechten Variante, er war stets anpassungsfähig und wandelbar. So begleitete der radikale Populismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Landflucht der Bauern; der Entwicklungspopulismus mit seinem Stammvater Juan Domingo Perón richtete sich gegen die etablierte Herrschaft der Oligarchie und reichte von der Nachkriegszeit bis in die 1970er-Jahre; die 1990er-Jahre gehörten dem kühlen neoliberalen Populismus, der den mühelosen Wohlstand versprach. Mittlerweile liegt bereits dessen Antipode, geboren um die Jahrtausendwende, im Sterben oder ist zumindest bettlägerig.

Auch das ist ein Wesenszug des populismo hecho en Latinoamérica: Er steigt auf inmitten einer wirtschaftlichen, sozialen und institutionellen Krise und geht irgendwann genau darin wieder unter – eine Problemlösung, die selbst zum Problem geworden ist. Das Urbild des linken Millenniumspopulismus verkörperte Hugo Chávez, der Anführer der sogenannten Bolivarischen Revolution in Venezuela. Chávez betrat 1992 als Offizier die politische Bühne und versuchte sich zunächst – ganz traditionell – an einem Putsch. Er wurde eingesperrt und stieg doch zum Hoffnungsträger der Enttäuschten im Land auf. Chávez bekam so, was ein Populist braucht: Ruhm und eine mythische Aura. Er war der Unbeugsame, der für seine Ideale sogar ins Gefängnis ging. Sechs Jahre nach seinem Wechsel in die Politik gelangte er ans Ziel, wurde zum Präsidenten gewählt, ganz demokratisch, und blieb es bis zu seinem Tod 2013.

Populisten sind Profiteure. Sie nutzen die Schwachstellen im politischen System, wenn der Maschinenraum der Demokratie schlecht gewartet ist. Sie werden als Reparateure gerufen und ersehnt. Chávez profitierte von einer langen Wirtschaftskrise und der Unglaubwürdigkeit der traditionellen Parteien. Der politische Seiteneinsteiger in Uniform versprach ein Ende der in ihren Ritualen erstarrten Traditionsparteien und entwarf eine Koalition aus autoritären nationalistischen und linksextremen Kräften, vereint im Streben, nicht nur die Regierung, sondern gleich den ganzen Staat zu übernehmen.

Unterstützt vom Volk (oder jenen Venezolanern, die er dazu zählte), griff er nicht nur die Eliten an. Der hohe Weltmarktpreis für Erdöl half, die sozialen Wohltaten zu bezahlen, mit denen sich der selbst ernannte Sozialist des 21. Jahrhunderts Gefolgschaft erkaufte. Regimegegner und Andersdenkende blieben von den Sozialprogrammen ausgeschlossen.

Für die nach dem Zusammenbruch des Kommunismus deprimierten radikalen Linken im Westen wurde Chávez zur Ikone. Auch das unterscheidet den bedeutenden lateinamerikanischen Populisten von allen anderen: Er hat Jünger in der Alten Welt. Chávez wurde ein internationaler Medienstar, er gab mal den bunten Vogel, der sich an kein Protokoll hielt, mal den Rebellen, der sich mit der Weltmacht USA anlegte (und ihr trotzdem venezolanisches Öl verkaufte).

Natürlich wurde der Chavismo bald kopiert – von Evo Morales (Bolivien), Rafael Correa (Ecuador), Daniel Ortega (Nicaragua) sowie Néstor und Cristina Kirchner (Argentinien). Sie alle versprachen ähnliches: eine anti-elitäre Politik, soziale Inklusion, ein Ende der Armut. Im Rückblick erkennt man auch ein nahezu identisches Amtsverständnis, als gäbe es eine Bedienungsanleitung für den linkspopulistischen Präsidentialismus. Man strebt nach mehr Macht, indem man die institutionellen und zeitlichen Grenzen des Amtes schleift, erhöht die öffentlichen Ausgaben, man greift die Privatwirtschaft an und schmiedet zugleich Allianzen mit Ländern, in denen Rechtsstaat und Demokratie wenig gelten. Der Staat übernimmt die unabhängigen Medien oder bekämpft sie, um der Opposition ihre Stimme zu nehmen.

 

Zeitenwende in Lateinamerika?

Der Sieg des konservativ-liberalen Argentiniers Mauricio Macri bei der Präsidentschaftswahl Ende 2015 über den seit zwölfeinhalb Jahren regierenden Kirchnerismus wirkt momentan wie ein Dominoeffekt. Es war die erste große Niederlage einer linkspopulistischen Bewegung auf dem Kontinent; bestraft wurde sie auch für Misswirtschaft und Korruption. Lateinamerika steuert wohl auf eine Zeitenwende zu. In Brasilien hat Dilma Rousseff – wenngleich in einem umstrittenen Amtsenthebungsverfahren – die Herrschaft schon verloren. Der erfolgsverwöhnte Bolivianer Morales, der seit 2006 regiert, blitzte im Februar bei seinem Volk ab, als er per Referendum um eine Verfassungsänderung bat. So wollte er sich 2019 entgegen der Verfassung zum vierten Mal wählen lassen und bis 2025 durchregieren. Selbst in Venezuela, dort, wo alles begonnen hat, brechen allmählich andere Zeiten an. Die Opposition gewann bei der Parlamentswahl im Dezember die Mehrheit der Sitze. Das war eine unerwartete Schlappe für Präsident Nicolás Maduro, der wie erwartet reagierte: Er lässt das Parlament jetzt links liegen und regiert per Notstandsdekret.

Venezuela schafft es immer noch in die weltweiten Nachrichten, auch zwei Jahre nach dem Tod von Comandante Hugo Chávez – nun allerdings erzählen sie von einem ruinierten Land, von politischem Chaos und langen Schlangen vor Supermärkten. Nicht einmal unter Europas Linken hat der venezolanische Sozialismus noch viele Anhänger – und das zeigt, wie ernst es wirklich um ihn steht.


Guillermo Aveledo Coll, geboren 1978 in Caracas, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Metropolitana in Caracas (Venezuela).
Kristin Wesemann, geboren 1975 in Schwerin, Leiterin des Regionalprogramms „Parteienförderung und Demokratie in Lateinamerika“ der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Montevideo (Uruguay).

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