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Über die Genese des neuen Islamgesetzes

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Der österreichische Nationalrat hat ein neues Islamgesetz verabschiedet. Ein intensiv vorbereitetes und von den islamischen Religionsgesellschaften gestütztes Vorhaben, das eine Errungenschaft im Verhältnis zwischen Staat und Islam darstellt. Ein Erfolg, insbesondere in einer Zeit des Terrors in Europa, in der eine sachliche Gesetzgebungsdebatte über die Rechtsstellung der islamischen Religionsgesellschaften mit einer polarisierenden Debatte über die Angst vor dem radikalen Islamismus einerseits und der Angst der Muslime vor einem Leben unter Generalverdacht andererseits konkurriert.

Die institutionelle Anerkennung des Islam hat in Österreich eine lange Tradition, auf welcher der Ruf einer europaweiten Vorreiterrolle in der Regelungsstruktur des Verhältnisses zwischen Staat und Muslimen fußt. Das bisherige Islamgesetz[1] entstammte dem Jahr 1912 und entwickelte sich in der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie als Reaktion auf die zahlreichen muslimischen Gläubigen, die nach der im europäischen Großmachtskonzert vereinbarten Annexion von Bosnien und Herzegowina unter österreichisch-ungarische Herrschaft kamen. Nunmehr – nach über hundertjährigem Bestand des Islamgesetzes – wurde das Streben des institutionalisierten Islam nach Novellierung dieses Gesetzes verwirklicht. Es wurde gestärkt durch Wissenschaft und Praxis sowie das Bedürfnis des Staates, für die über 570.000 Muslime in Österreich Rechtssicherheit in der täglichen Ausübung ihres Glaubens zu schaffen.

 

Religion – nicht Teil des Problems, sondern der Lösung

Der Entstehungsprozess des neuen Islamgesetzes ist eng verknüpft mit dem Beginn der bundesweiten Integrationsarbeit in Österreich. 2011 wurde ein Staatssekretariat für Integration eingerichtet, das sich die Koordination und Umsetzung einer nationalen Integrationsstrategie zur Aufgabe machte. Dabei wurde der interkulturelle und -religiöse Dialog als inhaltliche Priorität definiert, dem Grundgedanken folgend, dass Religion im Integrationsprozess nicht „Teil des Problems“, sondern als Brückenbauer vielmehr „Teil der Lösung“ sein kann. Der polarisierenden gesellschaftspolitischen Debatte, entstanden durch die Ängste der Mehrheitsbevölkerung vor dem Fremden einerseits und die Unsicherheiten der Muslime über ihre Rolle in der Gesellschaft andererseits, trat man mit einem sachlichen, institutionalisierten Dialog zwischen Staat, Gläubigen, Zivilgesellschaft und Wissenschaft entgegen. Gemeinsam mit der „Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (IGGIÖ), die bis 2013 die einzig anerkannte islamische Religionsgesellschaft darstellte, wurde kurz nach Amtsantritt des damaligen Staatssekretärs für Integration Sebastian Kurz das Dialogforum Islam geschaffen. An der Schnittstelle zwischen Staat und Religion setzte es sich aus sieben Arbeitsgruppen zu den bedeutendsten Themen zusammen, wie beispielsweise „Islam und Medien“, „Werte- und Gesellschaftsfragen“ oder „Islamismus und Islamfeindlichkeit“. Der gemeinsam mit der IGGIÖ erarbeitete Arbeitsbericht umfasste nachhaltig relevante Empfehlungen, wie die Etablierung eines islamisch-theologischen Studiums, die Einrichtung von Ansprechstellen für radikalisierte Jugendliche oder die Beratung von Gemeinden in Fragen des viel diskutierten Moscheenbaus. Die wohl bedeutendste Empfehlung, die einem Anliegen der Religionsvertreter folgte, war die Novellierung des Islamgesetzes. Dies machte deutlich, dass seit der Verabschiedung des ersten Islamgesetzes im Jahre 1912 das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgesellschaft sowie das gesamte Grundrechtsverständnis einem Wandel unterworfen waren, weshalb – neben dem Fehlen von gesetzlichen Grundlagen für wesentliche religionsrechtliche Regelungsbereiche – eine Neufassung geboten war. Dieser Notwendigkeit trägt auch das aktuelle Regierungsprogramm für die Legislaturperiode 2014 bis 2018 Rechnung. In weiterer Folge erarbeitete das zuständige Kultusamt[2] auf Basis der Ergebnisse des Dialogforum Islam den Gesetzesentwurf, wobei der Gesetzwerdungsprozess in regelmäßigem Austausch mit den – zwischenzeitlich nun zwei – anerkannten islamischen Religionsgesellschaften stattfand. Die Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft (ALEVI) wurde 2013 als neue islamische Religionsgesellschaft anerkannt[3] und wird daher vom Islamgesetz 2015, dessen Inhalte die ALEVI von Beginn an vollständig mittrug, einbezogen. Die zahlreichen Arbeitstreffen mit muslimischen Vertretern gipfelten in einer mehrstündigen Gesprächsrunde der zuständigen Bundesminister[4] mit dem Obersten Rat der IGGIÖ, die dem Gesetzesentwurf vor der parlamentarischen Beschlussfassung am 25. Februar 2014 schlussendlich zustimmte. Die mehrjährigen Vorbereitungsarbeiten stehen dem von muslimischen Vereinen außerhalb der Organisationsstruktur der staatlichen Religionsgesellschaften vorgebrachten Vorwurf entgegen, es handle sich um „Anlassgesetzgebung“, ausgelöst durch die Sicherheitsbedrohungen islamistischer Terrorgruppen innerhalb Europas – insbesondere deren Rekrutierungen in Österreich.

 

Keine „lebenden Subventionen“

Das Gesetz regelt das Verhältnis zwischen dem Staat und den anerkannten islamischen Religionsgesellschaften, die Körperschaften öffentlichen Rechts darstellen. Durch die Verleihung des Öffentlichkeitsrechts erhalten Religionsgesellschaften bestimmte Privilegien, die anderen organisierten Religionsformen nicht zuteil werden, wie beispielsweise die Durchführung eines konfessionellen Religionsunterrichts an Schulen. Diesen Rechten, die durch die staatliche Anerkennung erwachsen, stehen Pflichten gegenüber, wie die Anzeigepflicht bei wichtigen organisatorischen Änderungen oder eine transparente Vereinsstruktur. Innerreligiöse Angelegenheiten werden durch das Gesetz nicht berührt, sondern bleiben im Regelungsbereich der Religionsgesellschaften.

Das Islamgesetz setzt sich aus zwei Teilbereichen zusammen, wobei der erste allgemeine organisatorische Voraussetzungen für Religionsgesellschaften formuliert, wie Erwerb und Versagung der Rechtspersönlichkeit. Der zweite Teil spezifiziert die Rechte und Pflichten beider anerkannten Religionsgesellschaften. Das Gesetz folgt mit dieser Systematik den Gesetzesvorbildern der evangelischen sowie der griechisch-orthodoxen Kirche und bildet unterschiedliche Konfessionen gemeinsam ab,[5] wobei es die Möglichkeit der künftigen Aufnahme neuer islamischer Religionsgesellschaften in das Gesetz offenlässt.

Die durch das Islamgesetz 2015 für die Glaubensausübung der Muslime statuierten Rechte sind von besonderer Bedeutung. Beispielsweise schafft das Gesetz erstmals Bestandssicherheit für islamische Friedhöfe und regelt die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Justizanstalten, wobei Qualitätskriterien für die religiösen Betreuer verankert sind. Islamische Feiertage werden religionsrechtlich geschützt, Nahrungsmittel können nunmehr auch gesetzlich legitimiert nach den jeweiligen Glaubensregeln erzeugt werden. Bezeichnungen, die einen Bezug zu einer Religionsgesellschaft herstellen, dürfen nunmehr mit Genehmigung der Religionsgesellschaft geführt werden – der Name der Religion kann so vor Missbrauch geschützt werden. Auch die Verbreitung der religiösen Lehre sowie die religiöse Betreuung der Gläubigen können jetzt durch die Religionsgesellschaft selbst erfolgen. Von großer Tragweite ist auch die Förderung der Weiterentwicklung eines Islam europäischer oder österreichischer Prägung, insbesondere durch die Etablierung eines islamischen Theologiestudiums. Das Gesetz legt den Aufbau entsprechender Strukturen an der Universität Wien bis 2016 fest – ein bedeutender Meilenstein für den Islam in Österreich insgesamt und insbesondere für das Alevitentum, da für diese Glaubensanhänger europaweit kaum vergleichbare Ausbildungsmöglichkeiten bestehen.

Demgegenüber stehen auch Pflichten der Religionsgesellschaften als Körperschaften öffentlichen Rechts, wie der Grundsatz der Selbsterhaltungsfähigkeit. Der „laufende Betrieb“ einer Religionsgesellschaft muss aus dem Inland finanziert werden. Die Regelung umfasst auch „lebende Subventionen“. So dürfen zum Beispiel Imame, die Bedienstete des türkischen Religionsamtes sind, nicht mehr in Österreich tätig werden. Der österreichische Gesetzgeber verfolgt damit das Ziel, die inländischen Religionsgesellschaften vor Einfluss und Diktat ausländischer Staaten zu schützen.

 

„Positive Grundeinstellung zu Gesellschaft und Staat“

Neben Rechten und Pflichten werden zudem gesetzliche Klarstellungen vorgenommen, wie das Erfordernis, die religiöse Lehre einschließlich der wesentlichen Glaubensquellen der Behörde in Amtssprache darzulegen. Regelungszweck ist die Möglichkeit der Behörde, neue Religionsgesellschaften, die um Anerkennung ansuchen, von den bereits bestehenden unterscheiden zu können und somit anerkannte religiöse Lehren zu schützen.

Eine letzte Klarstellung, die das Gesetz aufgreift, wird meist als „Vorrang des staatlichen Rechts“ bezeichnet. Lehre, Einrichtungen und Gebräuche dürfen danach nicht im Widerspruch zu den gesetzlichen Regelungen stehen und die Religionsgesellschaft muss eine positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat aufweisen. Dieses Erfordernis wurde schon im Islamgesetz von 1912 festgehalten und nunmehr in zeitgemäßer Formulierung in den Gesetzesbestand überführt. Gleichsam verhält es sich mit dem Erfordernis der „positiven Grundeinstellung zu Gesellschaft und Staat“ der Religionsgesellschaften, das nach bereits geltender Rechtslage Voraussetzung für die Zulassung neuer Religionsgesellschaften darstellt.

Nach über einhundert Jahren der Anerkennung des Islam in Österreich und nach fünfzig Jahren Arbeitsmigration sind Muslime ein fester Bestandteil der österreichischen Gesellschaft. Das Islamgesetz 2015 setzt das Zusammenleben auf eine sichere Basis und schafft die Voraussetzungen für die weitere Entwicklung eines Islams europäischer beziehungsweise österreichischer Prägung.

 

Susanne Knasmüller, geboren 1984 in Vöcklabruck (Österreich), Leiterin der Abteilung Integrationskoordination im Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres der Republik Österreich.

[1] Gesetz vom 15. Juli 1912 betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams als Religionsgesellschaft idF BGBl Nr. 164/1988.
[2] Das Kultusamt war vormals Teil des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur und wurde mit Änderung des Bundesministeriengesetzes 2014 Teil des Bundesministeriums für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien; vgl. BMG BGBl 76/1986 idF BGBl 11/2014.
[3] Verordnung zur Anerkennung der Anhänger der Islamischen Alevitischen Glaubensgemeinschaft als Religionsgesellschaft, BGBl 133/2013.

[4] Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien Dr. Josef Ostermayer und Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Sebastian Kurz.
[5] Auch diese umfassen mehrere Glaubensrichtungen in einem Gesetzeswerk: Armenisch-, Syrisch-, Koptisch-Orthodoxes bzw. Helvetisches Bekenntnis und Augsburger Bekenntnis.

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