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Was sie wollten, was sie waren, was sie bewirkten

Die Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

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Mit den beiden Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages zur „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (1992 bis 1994) und zur „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“ (1995 bis 1998), die der DDR-Bürgerrechtler Rainer Eppelmann (CDU) leitete, wurde wie mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) und der Installation der „Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)“ im Spätherbst 1991 einem zentralen Anliegen der Oppositionsbewegung in der DDR entsprochen.

Die zunächst favorisierte Idee eines „Tribunals“ über die DDR-Vergangenheit konnte sich aufgrund rechtsstaatlicher Bedenken nicht durchsetzen. Sehr rasch wurde auch darüber Einigkeit erzielt, die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur könne nicht auf „Vergangenheitsbewältigung“ zielen, vielmehr müsse die „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ als ein fortdauernder Prozess und eine zentrale Aufgabe des geeinten Deutschland begriffen werden. Die Einrichtung einer Enquete-Kommission des Bundestages war das geeignetste Instrument, diesen Prozess in Gang zu setzen.

Nach Paragraph 56 seiner Geschäftsordnung richtet der Bundestag Enquete-Kommissionen „zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe“ ein. Im Unterschied zu anderen Ausschüssen des Bundestages sind Enquete-Kommissionen „gemischte Gremien“, in denen neben Abgeordneten externe Sachverständige gleichberechtigt mitwirken.

„SED-Staat war eine Diktatur“

Die erste Enquete-Kommission veranstaltete insgesamt 81 Plenarsitzungen, von denen 44 als öffentliche Anhörungen in Bonn und Berlin, aber auch in Halle, Rostock, Erfurt, Dresden und Jena durchgeführt wurden. Im Rahmen dieser Anhörungen kamen 327 Sachverständige und Zeitzeugen aus ganz Deutschland und den verschiedensten Lebens- und Wirkungsbereichen zu Wort. Besonders eindrücklich waren jene Veranstaltungen, in denen die Kommission Opfer der SED-Diktatur und Vertreter von Opposition und Widerstand in der DDR anhörte.

Bei der Ausarbeitung ihres Berichts an das Plenum des Bundestages konnte sich die Kommission darüber hinaus auf rund 150 Expertisen, Gutachten und Berichte stützen. Die Protokolle der Anhörungen und die wissenschaftlichen Gutachten ergaben zusammen eine umfangreiche Textsammlung von 15.000 Seiten, die der Deutsche Bundestag 1995 in einer achtzehn Bände umfassenden Edition der Öffentlichkeit zugänglich machte.

Das Programm und die Ergebnisse der Arbeit der ersten Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ sind bereits in ihrem Titel festgehalten. Es ging um die historische und politische Aufarbeitung von Geschichte in einem fortwährenden Prozess, in den immer auch schon die Betrachtung der Folgen dieser Geschichte einbezogen werden sollte. Die Enquete-Kommission charakterisierte die DDR unmissverständlich als SED-Diktatur und korrigierte damit die Perspektiven einer systemimmanenten Betrachtungsweise, wie sie sich in Teilen der westdeutschen DDR-Forschung eingebürgert hatte. Mit dem erst spät in den Kommissionstitel aufgenommenen Zusatz „in Deutschland“ verdeutlichte die Enquete-Kommission zudem ihre einmütige Auffassung, dass die deutsche Teilungsgeschichte und die gesamtdeutschen Bezüge bei einer Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur nicht ausgeblendet werden dürfen.

„Einzigartiges Zeugnis der Vergewisserung“

Die wichtigsten inhaltlichen Feststellungen der Enquete-Kommission fasste der interfraktionelle Entschließungsantrag prägnant zusammen, den sich das Plenum des Deutschen Bundestages am 17. Juni 1994 mit überwältigender Mehrheit zu eigen machte:

(1) „Der SED-Staat war eine Diktatur. Er war dies nicht durch Fehlentwicklung oder individuellen Machtmißbrauch – der kam im Einzelnen hinzu –, sondern von seinen historischen und ideologischen Grundlagen her.“

(2) „Die Hauptverantwortung für das Unrecht, das von diesem System begangen wurde, trägt die SED.“

(3) „Die politisch-moralische Verurteilung der SED-Diktatur bedeutet keine Verurteilung der ihr unterworfenen Menschen, im Gegenteil. Die Deutschen in der SBZ/DDR haben den schwereren Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte zu tragen gehabt. Es ist das bleibende Verdienst der Deutschen in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und dem Ostteil Berlins, daß sie das SED-Regime stürzten und den Weg zur Demokratie und damit zur Vereinigung Deutschlands freigemacht haben!“

(4) „Die innere Einheit Deutschlands und damit die Beseitigung der materiellen und immateriellen Folgeschäden der SED-Diktatur bleibt die herausragende Aufgabe der bevorstehenden Jahre.“

(5) „Zu den geistigen Grundlagen einer innerlich gefestigten Demokratie gehört ein von der Gesellschaft getragener antitotalitärer Konsens. Dies bedeutet die Absage an jedwede Form totalitärer Ideologien, Programme, Parteien und Bewegungen.“

Die erste Enquete-Kommission konnte mit ihrer Arbeit eine beachtliche Öffentlichkeitswirksamkeit erreichen. Die Materialien dieser Kommission hat die Präsidentin des Bundestages, Rita Süssmuth, deshalb zu Recht als „einzigartiges Zeugnis der Vergewisserung gerade eben erlebter Vergangenheit“ bezeichnet.

In der 13. Legislaturperiode des Bundestages widmete sich dann die zweite Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“ dem Auftrag, „aufbauend auf den Ergebnissen der Vorgängerkommission, Beiträge zu einer politisch-historischen Analyse und einer politisch-moralischen Bewertung der SED-Diktatur (zu) leisten, den gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitungsprozeß (zu) fördern und für die Zukunft Vorschläge für seine Weiterführung zu machen“. Die Erträge der zweiten Kommission, einschließlich ihres Schlussberichts, wurden gleichfalls in einer Edition von umfangreichen vierzehn Bänden veröffentlicht.

Zeichen der Normalisierung

Die zweite Enquete-Kommission stand eindeutig nicht mehr in dem Maße im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses wie die erste, obwohl auch sie sehr gründlich gearbeitet hat: 117 Gutachten wurden eingeholt. Bundesbehörden und Sachverständige lieferten 43 Berichte. Bei 24 Anhörungen kamen 292 Politiker, auswärtige Sachverständige und Zeitzeugen zu Wort. Wenn trotz dieser Aktivitäten die zweite Enquete-Kommission weniger deutlich wahrgenommen wurde, dann war das auch ein Zeichen der Normalisierung im vereinigten Deutschland. Vieles von dem, was in der Arbeit der ersten Kommission noch sensationell wirkte, war in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre schon selbstverständlicher Bestandteil des antitotalitären Konsenses im vereinigten Deutschland.

Ob es der zweiten Kommission gelang, dazu beizutragen, „daß sich Menschen mit ihren unterschiedlichen Biographien im Einigungsprozeß besser wiederfinden“, wird sehr unterschiedlich beurteilt werden. Besonders schwierig war es, das Alltagsleben in der DDR und den neuen Ländern angemessen zu beschreiben. Die Analysen der Sozialwissenschaftler leisteten dazu wichtige Beiträge. Andererseits beharrten die eingeladenen Zeitzeugen aber auch immer wieder auf der Unverwechselbarkeit ihrer individuellen Biographien, die sich der wissenschaftlich-systematischen Erfassung verweigerten. Der wiederholte Appell Rainer Eppelmanns „Wir müssen uns voneinander erzählen“ fand nur begrenzte Resonanz.

Mit besonderer Aufmerksamkeit beschäftigte sich die zweite Enquete-Kommission mit den gesamtdeutschen Formen der Erinnerung an die beiden deutschen Diktaturen und deren Opfer. Die damit verbundenen Probleme wurden insbesondere im Zusammenhang mit den Orten einer „doppelten Vergangenheit“ leidenschaftlich diskutiert: Darf man, muss man die Erinnerung an stalinistisches Unrecht der an die Verbrechen der Nationalsozialisten nachordnen? Die Kommission konnte dazu beitragen, die unterschiedlichen Opfergruppen und die Gedenkstättenleitungen miteinander ins Gespräch zu bringen und die Arbeiten an der „Gedenkstättenkonzeption“ des Bundes zu konkretisieren.

Wachhalten der Erinnerung

Die Aufarbeitung der SED-Diktatur durch die Enquete-Kommissionen wird heute durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED fortgeführt. Mit der Gründung dieser Stiftung 1998 hat sich der Deutsche Bundestag mit großer Einmütigkeit – lediglich bei der PDS gab es eine Gegenstimme – dazu bekannt, welche Bedeutung er auch in Zukunft der Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland und der Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit zumisst. Aufgabe der Stiftung Aufarbeitung, wie sie inzwischen allgemein genannt wird, ist es, „Beiträge zur umfassenden Aufarbeitung von Entstehung, Geschichte und Folgen der SED-Diktatur zu leisten sowie zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie, zur Festigung des antitotalitären Konsenses, zu einer demokratischen politischen Kultur und zur Vollendung der inneren Einheit Deutschlands beizutragen“ (Zwischenbericht).

Zahlreiche ehemalige Mitglieder der Enquete-Kommissionen beteiligen sich bis heute an der Tätigkeit der Stiftung. Deren Aufgabenfelder „Unterstützung von gesellschaftlichen Aufarbeitungsinitiativen und von Verbänden der Opfer der SED-Diktatur“, „Beratung und Hilfe für die Opfer der SED-Diktatur“, Unterstützung der „Auseinandersetzung mit der zweiten deutschen Diktatur und ihren Folgen im Vereinigungsprozess“, Förderung der „weiteren wissenschaftlichen Aufarbeitung der SED-Diktatur“, Sicherung der „zahlreichen Dokumente und Materialien des Widerstandes und der Opposition gegen die SED-Diktatur“ sowie das Wachhalten der „Erinnerung an die Teilung Deutschlands und die Opfer des SED-Regimes“ spiegeln nicht nur sehr präzise die Anliegen der beiden Enquete-Kommissionen wider, sondern tragen auch entscheidend dazu bei, diese Aufgaben in der demokratischen Kultur des vereinigten Deutschland dauerhaft zu verankern.

Literatur

Deutscher Bundestag (Hrsg.): Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages). Neun Bände in 18 Teilbänden, Nomos Verlag, Baden-Baden 1995; Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995.

Deutscher Bundestag (Hrsg.): Materialien der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der Deutschen Einheit“ (13. Wahlperiode des Deutschen Bundestages). Acht Bände in 14 Teilbänden, Nomos Verlag, Baden-Baden 1999; Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999.

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Peter Maser, geboren 1943 in Berlin, war an der Arbeit beider Enquete-Kommissionen beteiligt.

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