Etwa ein Fünftel der in Deutschland lebenden Bevölkerung hat eine Zuwanderungsgeschichte. Diese Menschen sind Teil der deutschen Gesellschaft, teilweise schon seit vielen Jahrzehnten: Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer aller nach Deutschland Zugewanderten betrug 2014 22,4 Jahre.
Laut Statistischem Bundesamt lebten 2014 in Deutschland etwa 16,3 Millionen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Das sind 20,3 Prozent der Bevölkerung. Darunter sind 9,2 Millionen Deutsche mit Migrationshintergrund (11,3 Prozent der Bevölkerung) und rund 7,1 Millionen Ausländer (9,0 Prozent der Bevölkerung). Unter den Migranten sind 3,1 Millionen Menschen als (Spät-)Aussiedler nach Deutschland zugewandert (3,8 Prozent der Bevölkerung).
Dennoch gibt es relativ wenige Studien über das politische Verhalten und die Einstellungen zu Themen wie Politik oder Integration von Deutschen mit Migrationshintergrund und in Deutschland lebenden Ausländern. Die existierenden Studien sind zudem meist nicht repräsentativ. Des Weiteren werden häufig nur Zuwanderer befragt. Das ermöglicht jedoch keinen Vergleich mit der autochthonen Bevölkerung, der wiederum sinnvoll ist, weil nur so Besonderheiten in den Einstellungsmustern von Zuwanderern aufgedeckt werden können. Deshalb hat die Konrad-Adenauer-Stiftung im Frühjahr 2015 eine repräsentative Umfrage unter Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund und in Deutschland lebenden Ausländern durchgeführt. Flüchtlinge wurden nicht befragt.
Dabei stellte sich heraus: Migranten und Ausländer leben gern in Deutschland und sind willens, sich zu integrieren. Eine deutliche Mehrheit meint, Zuwanderer sollten die deutsche Sprache lernen und ihr Verhalten der deutschen Kultur anpassen. Zudem fühlen sich Zuwanderer umso verbundener mit Deutschland, je länger sie hier leben. Parallel dazu sinkt im Laufe der Zeit die Verbundenheit mit dem Herkunftsland.
Über die Hälfte der Migranten und Ausländer fühlt sich in Deutschland zudem immer mit Respekt behandelt. Allerdings meint auch jeder zehnte Ausländer, er werde nur selten mit Respekt behandelt. Der Anteil derjenigen, denen nach eigener Angabe nur selten respektvoll begegnet wird, ist unter türkischstämmigen und muslimischen Zuwanderern besonders hoch. 18 Prozent der türkischstämmigen und 17 Prozent der muslimischen Zuwanderer fühlen sich selten mit Respekt behandelt.
Gerade Muslime identifizieren sich nicht allein mit Deutschland oder ihrem Herkunftsland, sondern zu einem gewissen Grad über ihre Religion. Dabei sind sie aber nicht religiöser als beispielsweise Katholiken. Ein Fünftel der befragten Muslime und Katholiken bezeichnet sich als wenig religiös und etwa die Hälfte als durchschnittlich religiös. Als stark religiös stufen sich sogar lediglich 23 Prozent der Muslime, aber 31 Prozent der Katholiken ein. Protestanten sehen sich etwas weniger religiös als Katholiken und Muslime.
Die in Deutschland lebenden Muslime sind gespalten, was die wörtliche Auslegung des Korans angeht. Ein Drittel der Muslime glaubt, ein wahrer Muslim sei nur, wer die Regeln des Korans buchstabengetreu befolgt. Dagegen meint eine Mehrheit von zwei Dritteln, dass die Lehre des Islams an die Bedingungen der modernen Welt angepasst werden müsse. Dieser Anteil sinkt mit steigender Religiosität. Aber selbst unter den stark religiösen
Muslimen befürwortet fast die Hälfte eine Anpassung des Islams an die moderne Welt. Eine knappe Mehrheit der Muslime identifiziert sich trotz der insgesamt durchschnittlichen Religiosität stark genug mit ihrer Religion, um sich durch Mohammed-Karikaturen beleidigt zu fühlen. Mit zunehmender Religiosität nimmt dieser Anteil zu. Diese Identifikation scheint sich jedoch nicht in politischem Verhalten zu manifestieren. Etwa drei Viertel der Muslime geben an, sich die Wahl einer christlichen Partei vorstellen zu können. Zwar sinkt der Anteil mit steigender Religiosität, aber unter stark religiösen Muslimen kann sich über die Hälfte vorstellen, für eine christliche Partei zu stimmen.
Höhere Identifikation über die Religionszugehörigkeit
Durch die Identifikation über die Religionszugehörigkeit zeigt sich eine gewisse Gruppensolidarität unter einigen Muslimen. Im Zuge dieser Solidarität wird von einer Minderheit eine bewusste Benachteiligung der islamischen Welt vermutet. Der Aussage „Der Westen verhindert eine wirtschaftliche Entwicklung der islamischen Welt“ stimmen nur 17 Prozent der Deutschen, jeder fünfte Migrant und jeder fünfte Ausländer zu. Gleichzeitig glaubt dies aber gut jeder dritte Muslim. Allerdings gibt auch jeder fünfte Muslim an, diese Aussage nicht beurteilen zu können. Dennoch zeigt eine große Minderheit der Muslime ein kollektives Viktimisierungsgefühl. Das Gefühl, ein Opfer des Westens zu sein, steigt mit zunehmender Religiosität.
Eine solche Gruppensolidarität zeigt sich nicht nur bei Muslimen, sondern auch bei russischstämmigen Zuwanderern und (Spät-)Aussiedlern. Der Aussage „Der Westen versucht bei internationalen Konflikten, Russland allein als Schuldigen dastehen zu lassen“ stimmen 39 Prozent der Deutschen und etwa genauso viele Ausländer zu. Unter Migranten liegt die Zustimmung schon bei 46 Prozent. Unter russischstämmigen Zuwanderern und (Spät-) Aussiedlern vertritt mehr als jeder Zweite die Meinung, Russland würde einseitig die Schuld zugeschoben. Obwohl russischstämmige Zuwanderer und (Spät-)Aussiedler (vermutlich gute) Gründe hatten, ihr Land zu verlassen und nach Deutschland zu kommen, solidarisieren sie sich mit Russland. Diese Verbundenheit kann durch aktuelle Vorfälle aktiviert werden, was sich wiederum auf die politischen Einstellungen und eventuell das politische Verhalten dieser Zuwanderergruppe auswirken kann.
Ein Drittel der Zuwanderer glaubt, ein Politiker mit Migrationshintergrund könne ihre Interessen besser vertreten als ein Politiker ohne Migrationshintergrund. Wenn man anschließend nachfragt, welchen deutschen Politiker mit Migrationshintergrund sie denn dafür geeignet halten, nennt die Mehrheit allerdings einen Politiker ohne Migrationshintergrund. Dabei sind die Antworten sehr heterogen. Die meisten Nennungen erhält Cem Özdemir, allerdings mit lediglich 12 Prozent. Das deutet darauf hin, dass es für die Mehrheit der Migranten letztlich keine große Rolle spielt, ob ein Politiker einen Migrationshintergrund besitzt oder nicht.
Die Demokratiezufriedenheit fällt sowohl unter Deutschen als auch unter Migranten und Ausländern sehr hoch aus. 88 Prozent der Deutschen und der Migranten sowie 90 Prozent der Ausländer sind sehr oder einigermaßen zufrieden mit der Demokratie. Dennoch gibt es Minderheiten mit Einstellungstendenzen, die Anlass zur Sorge geben. Unter anderem finden Verschwörungstheorien einen recht hohen Anklang. Etwa ein Drittel der Migranten und Ausländer sowie über 40 Prozent der Muslime (aber nur 12 Prozent der Deutschen ohne Migrationshintergrund) meinen, hinter den Anschlägen vom 11. September 2001 steckten in Wirklichkeit die USA. Auch Homophobie ist unter Migranten und Ausländern weiter verbreitet als unter Deutschen. Etwa ein Viertel der Zuwanderer erklärt, keine homosexuellen Freunde haben zu wollen. Das gilt lediglich für 6 Prozent der Deutschen.
Darüber hinaus gibt es in allen drei Gruppen eine etwa gleich starke Tendenz zu Autoritarismus. 30 Prozent der Deutschen, 33 Prozent der Migranten und 39 Prozent der Ausländer finden, es müsse wieder jemanden geben, der sagt, wo es langgeht. Hinzu kommt unter Zuwanderern eine gewisse Gewaltaffinität. Etwa 15 Prozent der Zuwanderer vertreten die Auffassung, dass auch in der Demokratie manche Konflikte mit Gewalt ausgetragen werden müssten. Lediglich 4 Prozent der Deutschen sind dieser Ansicht. Eine leicht überdurchschnittliche Gewaltaffinität weisen Zuwanderer aus Russland (20 Prozent) und der Türkei (17 Prozent) auf.
Es gibt sicherlich noch viel zu tun. Einige Zuwanderer sind mit dem deutschen Parteiensystem und deutschen Politikern so wenig vertraut, dass sie nicht wissen, wen sie wählen sollen, welcher Partei sie zutrauen, Probleme zu lösen oder welcher Politiker mit Migrationshintergrund ihre Interessen vertreten könnte. Dieser Anteil sinkt jedoch, je länger die Migranten und Ausländer in Deutschland leben. Offenbar brauchen Zuwanderer einfach Zeit, um sich mit der politischen Landschaft in Deutschland vertraut zu machen.
Auch bei den verschiedenen Integrationsindikatoren deuten die Ergebnisse in eine ähnliche Richtung. Je länger Zuwanderer in Deutschland leben, desto besser sind sie integriert. Gleichzeitig sollte von Zuwanderern nicht erwartet werden, dass sie ihre Herkunftsidentität vollständig aufgeben. Es sind besonders die Formen der Integration weit fortgeschritten, die eine additive Integration ermöglichen. Es fällt leichter, neben den Freunden aus dem eigenen Herkunftsland deutsche Freundschaften zu pflegen, als die eigene Religion aufzugeben und eine andere anzunehmen.
Kultureller Integrationsbedarf
Besonders im Bereich der Auffassungen zu religiösen Fragen gibt es noch kulturellen Integrationsbedarf. Deutschland hat schon mehrfach bewiesen, dass es in der Lage ist, größere Mengen an Zuwanderern aufzunehmen und zu integrieren. Die Zuwanderer leben gerne in Deutschland und äußern eine hohe Bereitschaft, sich kulturell anzupassen. Sicherlich reicht das allein noch nicht aus. Aber die Integration ist doch auf einem guten Weg, und die Bereitschaft, sich zu integrieren, ist eine wesentliche Grundlage für einen schnellen Integrationsprozess.
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Sabine Pokorny, geboren 1981 in Wesel, Koordinatorin Empirische Sozialforschung, Hauptabteilung Politik und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.
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