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Zur Visualisierung von Autorität im Parlamentarismus

Christoph Schönberger: Auf der Bank. Die Inszenierung der Regierung im Staatstheater des Parlaments, C. H. Beck, München 2022, 282 Seiten, 29,95 Euro.

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Allein sitzend, rechts neben dem Rednerpult des Deutschen Bundestags: Das sind bekannte ikonische Darstellungen deutscher Bundeskanzler, womit deren herausgehobene Rolle als Regierungschefs optisch unterstrichen wird. Wenn diese Bilder in den Medien gezeigt werden, dann kommt es offenbar mal wieder „auf den Kanzler an“ oder, wie in den Jahren zwischen 2005 und 2021, auf die Kanzlerin.

Wie wird Herrschaft, wie das Verhältnis von Legislative und Exekutive, sei es in Deutschland, sei es in anderen Staaten, öffentlich dargestellt? Gibt es Unterschiede zwischen parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen? Bilder erzeugen Sinn, sie besitzen ihren eigenen Logos: Herrschaftsbilder bleiben in Erinnerung, kluge Verfassungstexte nicht so sehr. Bilder sind weitaus wirkmächtiger als Texte und Zahlen. Von den alten Hochkulturen der Sumerer und Ägypter bis hin zu Päpsten, Königen und (Provinz-)Fürsten der Gegenwart bewirken Bilder tiefgreifende Vorstellungen von Herrschaft, die sowohl in dem individuellen wie in den kollektiven Gedächtnissen bleiben. Der Jurist Christoph Schönberger, Direktor des Seminars für Staatsphilosophie und Rechtspolitik an der Universität zu Köln, untersucht in einer exzellenten Studie die visuelle Repräsentanz von Regierungen im Parlament. Schon mit dem präzise formulierten Untertitel macht Schönberger darauf aufmerksam, dass Herrschaft in einer Demokratie der Repräsentation bedarf und auch öffentlich inszeniert werden muss. Wollte man darauf verzichten, bestünde der Verdacht, dass etwas verschleiert wird.

Wie ist also das Verhältnis der Herrschenden zum Staatsvolk und seinen Repräsentanten? Im Parlament kann die staatliche Verfassung praktisch deutlich werden, auch und gerade wenn einzelne Akteure dabei nicht immer einen regulären Platz haben.

Der Kanzler also vorn und erhöht? In anderen Parlamenten sind die Exekutive und ihr Chef oft völlig anders positioniert: In London sitzt der Premierminister im House of Commons inmitten „seiner“ parlamentarischen Mehrheit; in der französischen Assemblée nationale ist die Regierung ebenso wie im spanischen Parlament in den ersten Reihen des Halbkreises mit Blick zum Parlamentspräsidenten positioniert; in der italienischen Abgeordnetenkammer sitzt die Regierung umgekehrt „zu Füßen“ des Parlamentspräsidenten, jedoch Auge in Auge mit den Abgeordneten. Im Bundeshaus in Bern gibt es im Nationalratssaal des Schweizer Parlamentsgebäudes lediglich vier Plätze für die sieben Bundesräte (Regierungsmitglieder), räumlich zudem aufgeteilt und eingefügt zwischen dem Nationalratspräsidium und den Stimmenzählern. In den USA hat die Regierung im Kongress überhaupt keinen eigenen Platz; allenfalls wird der Präsident einmal im Jahr im Rahmen einer gemeinsamen Sitzung der beiden Kammern des Kongresses für die Rede zur Lage der Nation als Gast empfangen.

Offenbar existieren, historisch und vom Verfassungsverständnis her begründet, unterschiedliche politische Traditionen, die in der jeweiligen Innenarchitektur der Parlamentsgebäude zum Ausdruck gebracht werden.

Das Erbe der historischen ständestaatlichen „rechteckigen“ Saalordnung ist am ehesten noch im britischen Unterhaus erkennbar. Von Frankreich ausstrahlend, ist heute jedoch der Halbkreis eines der häufigsten Parlamentsmodelle, verschiedentlich auch die Ellipse oder der Kreis.

 

Putin am überlangen Tisch

 

Kernfrage bei der Sitzordnung ist das zugrunde liegende Bild der Staatsrepräsentation. In Russland oder China wird Herrschaft anders abgebildet: Es gibt zwar Bilder von Wladimir Putin im Parlamentsgebäude der Staatsduma, weitaus bekanntere politische „Ikonen“ sind hingegen Aufnahmen dieses „Zaren“ beim Durchschreiten großer Türen, allein sitzend im Kreml vor handverlesenem, andächtigem Publikum oder bei der Audienz an einem überlangen Tisch. Bei den nur einmal jährlich stattfindenden Tagungen des Nationalen Volkskongresses der Volksrepublik China wiederum residiert der Staatsund Parteichef auf einer Tribüne im Zentrum mehrerer Tausend Delegierter.

Im präsidialen US-System mit seiner strengen Gewaltenteilung wird die Macht des Präsidenten idealtypisch am Schreibtisch des Weißen Hauses abgebildet oder aber bei der jährlichen Rede zur Lage der Nation als Gast vor beiden Kammern des Kongresses. Entstanden aus der englischen Tradition, erinnert das an eine Thronrede, sodass auch keine Diskussion stattfindet. Politischer Dialog findet bei den Pressekonferenzen im Weißen Haus statt; allerdings nicht mit gewählten Volksvertretern, sondern mit Journalisten als Vertretern der Öffentlichkeit.

 

Raumordnung als choreographisches Element

 

Wie funktionieren Kommunikation und Interaktion im Parlament, in dessen Namen das Wort parlare (sprechen!) von zentraler Bedeutung ist? Welche Botschaft vermittelt die Sitzordnung? Ausgehend vom Plenarsaal des Deutschen Bundestags in Berlin, untersucht Schönberger historisch kundig und instruktiv das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament im Plenarsaal und vergleicht es mit früheren räumlichen Inszenierungen sowie mit anderen demokratischen Staaten.

Die Raumanordnung ist dabei jeweils ein wesentliches choreographisches Element. Wie wird der Dialog durch den Raum strukturiert? Wie sitzen die Abgeordneten, im Kreis, im Halbkreis? Gibt es ein Oben, ein Unten, ein Vorn? Wo ist das Zentrum, wo sind die Pole der Interaktion? Zwei parlamentarische Modelle lassen sich erkennen: Im Deutschen Bundestag bildet, ähnlich wie in der französischen Assemblée nationale, das Rednerpult unterhalb des Präsidenten das Zentrum der Interaktion. Von hier aus sprechen die Parlamentarier, ebenso die Regierungsmitglieder und gegebenenfalls auch die Bundesratsmitglieder.

In Deutschland ist die Regierung seit der Reichsgründung 1871 neben dem Parlamentspräsidium und gegenüber den Abgeordneten erhöht positioniert. Schönberger sieht darin eine Art „Thronersatz“. Versuche, dies nach 1945 zu ändern, blieben trotz verschiedener Anläufe und umfangreicher Diskussionen letztlich ohne Erfolg: Der Vorschlag des Architekten Hans Schwippert 1948 für eine kreisrunde Sitzordnung im Bonner Plenarsaal scheiterte ebenso wie Überlegungen der 1950er-Jahre für eine sogenannte Westminster-Lösung. 1969 wurde immerhin die „erhabene“ Regierungsbank bei einem Umbau um fünf Stufen abgesenkt. Die „Loge war im Parterre angekommen“, kommentiert Schönberger.

Mit dem in den 1980er-Jahren geplanten neu errichteten Bonner Behnisch-Bau wurde zwar ab 1992 eine optisch ansprechende „demokratische“ Kreislösung geschaffen, doch die großen Abstände zum Rednerpult und andere Mängel ließen das Parlament nicht wie erhofft „interaktiver“ werden, sodass nach der Deutschen Einheit beim Bau des völlig neu konzipierten Berliner Bundestagsplenums in der Hülle des historischen Reichstagsgebäudes vom kreisrunden Plenum wieder Abstand genommen wurde.

 

Enklave für die Regierungsbank

 

Mit der heutigen, elliptisch gestauchten Kreislösung wurde in Berlin eine Kompromisslösung gefunden, mit der alle Beteiligten seit 1999 überwiegend zufrieden sind. Das Rednerpult in der Mitte ist das Zentrum des Raums, die Regierungsbank eine Art „Enklave im Plenarsaal“.

Im Bundestag findet die politische Auseinandersetzung zwischen der Regierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheit auf der einen Seite und der parlamentarischen Opposition auf der anderen Seite fokussiert am Rednerpult statt. Legendär sind die Debatten mit Urgesteinen wie Herbert Wehner (SPD) oder Franz Josef Strauß (CSU), der später auch als bayerischer Landespolitiker von der Bundesratsbank aus am Rednerpult des Parlaments den Bundestag als Forum zur Auseinandersetzung mit der Bundesregierung nutzte. Willy Brandt, Helmut Kohl, Gerhard Schröder, Angela Merkel: Vom Rednerpult aus wirkt das Wort, von der Regierungsbank aus wirkt die visuelle Aura der Macht.

In anderen europäischen Parlamenten, in denen die Exekutive räumlich anders positioniert ist – vom Unterhaus in London bis zum italienischen Parlament – wird üblicherweise vom jeweiligen Platz des Redners gesprochen, sodass sich das Zentrum der Aufmerksamkeit bei jedem Redner im Raum verändert.

In den sechzehn deutschen Landesparlamenten sind beide Formen vorhanden: sowohl die Kreisanordnung, der Halbkreis, als auch die (über)mächtige frontale Anordnung, beispielsweise im 2005 neu gestalteten Plenarsaal des Bayerischen Landtags, in dem die Abgeordneten einer breiten Regierungsbank gegenübersitzen. Auch im Europäischen Parlament, in Straßburg ebenso wie im Brüsseler Plenarsaal, sprechen alle Redner üblicherweise von ihrem jeweiligen Platz. Im optisch runden Saal sitzen an den Segmenten links und rechts vom Parlamentspräsidenten die Kommissare beziehungsweise die Vertreter des Rats der Europäischen Union. Es ist aus demokratietheoretischer Sicht erfreulich, dass im Europäischen Parlament, dem zentralen Organ der Europäischen Union, in dem die demokratische Legitimation europapolitischen Handelns abgebildet ist, auch die Interaktion der beiden legislativen Organe mit der Exekutive sichtbar wird. Die Legitimation europäischen Handelns wird nicht durch „Familienfotos“ der im Europäischen Rat versammelten Staatsund Regierungschefs deutlich, sondern in dem von den Bürgern unmittelbar demokratisch gewählten Europäischen Parlament.

 

 

Burkard Steppacher, geboren 1959 in Wiesentheid/Unterfranken, promovierter Politikwissenschaftler, Honorarprofessor der Universität zu Köln, Mitglied der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste, Altstipendiat und Mitarbeiter der Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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