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Über die deutsch-israelischen Beziehungen

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Die deutsch-israelischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg sind im Kern von drei Faktoren bestimmt: Erstens vom Völkermord an den rund sechs Millionen Juden während des Krieges, zweitens von den Wirtschaftsverflechtungen Deutschlands mit Israel als auch mit den arabischen Staaten und drittens von den daraus resultierenden gesellschaftlichen Komplikationen und politischen Missverständnissen.

„Nach der Katastrophe lastete auf Deutschland ein herem, ein Bann. Niemand hatte ihn verhängt, und doch war er allgegenwärtig“, schreibt der israelische Historiker Dan Diner. Der Völkermord an den europäischen Juden war seit Gründung der beiden Staaten eine nicht zu schulternde Hypothek: Weder Wiedergutmachung (shilumim) noch Sühne (kapara) und Verzeihen waren nach der Barbarei möglich. Wie hätte ein solches Verbrechen auch je wiedergutgemacht werden können? Die Toten kamen nicht mehr zurück.

„Die Geschichte des Pardons ist in Auschwitz zu Ende gegangen“, bringt es der jüdische Philosoph Vladimir Jankélévitch auf den Punkt. Umso mehr war es in dieser politisch schwierigen Phase unmittelbar nach Ende des Krieges das große Verdienst von Konrad Adenauer, einen neuen Anfang gewagt zu haben. Kurz nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 kündigte er in einem Interview mit der Wochenzeitung der Juden in Deutschland an, dass sich die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches dem begangenen Unrecht stellen und zumindest eine Entschädigung leisten wolle. In seiner Regierungserklärung anlässlich des jüdischen Neujahrsfestes am 27. September 1951 bekräftigte Adenauer nochmals die moralische und materielle Notwendigkeit einer „Wiedergutmachung“. In einem diplomatischen Kraftakt, bei dem auf deutscher Seite insbesondere der CDU-Bundestagsabgeordnete und Ökonom Franz Böhm, auf israelischer Seite der Vorsitzende der Jewish Claims Conference, Nahum Goldmann, beteiligt waren, gelang es 1952 in Luxemburg tatsächlich, ein Abkommen zu schließen. Es sah Zahlungen Deutschlands an Israel in Millionenhöhe vor. Gezahlt wurde durch Warenlieferungen: Stahl, Eisen, chemische Stoffe und Agrarprodukte halfen Israel beim Aufbau des jungen Staates. In Deutschland wurden rasch kritische Stimmen laut, die meinten, Israel habe kein Recht auf Reparationen, da es während der NS-Herrschaft gar nicht existiert habe. Walter Hallstein beharrte deshalb auf dem Hinweis, dass es sich um freiwillige Zahlungen handele.

 

„Leichengeld vom Teufel“

Erschwerend kam hinzu, dass bei vielen Deutschen bereits eine „Schlussstrich-Mentalität“ vorherrschte. David Ben Gurion hingegen hatte in Israel mit dem Vorwurf zu kämpfen, „Leichengeld vom Teufel“ anzunehmen. Zweifellos galt es für ihn, einerseits den jüdischen Bann nicht zu brechen, andererseits aus Staatsraison eine deutsche Restitution zu erwirken. Von den klassenkämpferischen, prosowjetischen und jüdisch-nationalen Wortmeldungen ließ sich Ben Gurion nicht beirren. Nachdem Deutschland die Möglichkeit privater Klagen der Hinterbliebenen von NS-Opfern ermöglicht hatte, forderte er 1957 erstmals, diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Doch die Krisensituation im Nahen Osten und die Angst der Deutschen, die arabischen Staaten könnten den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik durch die Anerkennung der DDR beantworten, führte dazu, dass zunächst nur auf militärischem Gebiet eine Zusammenarbeit angestrebt wurde. Die Verteidigungsminister Franz Josef Strauß und Shimon Peres trafen daraufhin Absprachen über Rüstungslieferungen.

Zwischen 1959 und 1967 kam es so zu einer gegenseitigen Lieferung militärischer Ausrüstungen und Waffen. Als 1959 ein Spiegel-Artikel mit dem Titel „Granaten aus Haifa“ über israelische Exporte an Deutschland berichtete, kamen rasch Spekulationen der arabischen Staaten über die Lieferung deutscher Rüstungsgüter nach Israel auf. Und in Israel fragte Menachem Begin, dessen Eltern und Geschwister von den Nazis ermordet worden waren, provokativ: „Sollen diejenigen, die ihre Hände mit jüdischer Seife gewaschen haben, auch jüdische Waffen tragen?“

Abseits dieser Kontroversen begannen die ersten zivilen Projekte: 1958 die Aktion Sühnezeichen, die soziale Projekte förderte und Hilfe von deutschen Jugendlichen für NS-Opfer bereitstellte, sowie 1959 die von der Max-Planck-Gesellschaft ins Leben gerufene Minerva-Stiftung, die seither die deutsch-israelische Wissenschaftszusammenarbeit unterstützt. Bei dem sagenumwobenen Treffen zwischen Ben Gurion und Adenauer in New York 1960 kam es zwar zu einem konstruktiven Gespräch über weitere Wirtschaftshilfen und Rüstungslieferungen. Die sogenannte „Aktion Geschäftsfreund“, zu deren nachdrücklichem Widersacher Außenminister Gerhard Schröder 1961 avancierte, zielte jedoch noch mit keinem Wort auf diplomatische Beziehungen.

 

„Mit Steinen empfangen und mit Rosen verabschiedet“

Das änderte sich bald. Der Prozess gegen Adolf Eichmann, Cheforganisator der Judendeportationen, dokumentierte Anfang der 1960er-Jahre nicht zuletzt die unzureichenden politischen Bemühungen um eine Aufarbeitung der Vergangenheit. In den folgenden Jahren wuchs zudem der moralische Druck der Evangelischen Kirche, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und verschiedener Medien auf die Politik, diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Der Durchbruch gelang am 12. Mai 1965. Maßgeblichen Anteil daran hatte das politische Geschick, das Bundeskanzler Ludwig Erhard nach monatelangen schwierigen und zeitweise unterbrochenen Verhandlungen bewies. Den Erfolg kommentierte Israels Ministerpräsident Levi Eschkol in der Knesset: „Am 7. März gab die Bundesregierung Deutschland ihren Beschluss bekannt, diplomatische Beziehungen mit Israel aufzunehmen. Am gleichen Tage übersandte Bundeskanzler Erhard einen Sonderbeauftragten nach Jerusalem, um mit uns einige zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland noch offenstehende Probleme zu beraten. Am 14. März beschloss die Regierung, das Angebot der Bundesrepublik Deutschland, alsbaldige diplomatische Beziehungen mit Israel herzustellen, anzunehmen.“ Der ehemalige Wehrmachtsoffizier und enge Vertraute Hallsteins Rolf Pauls reiste just zu jenem Zeitpunkt, da in Frankfurt der erste Auschwitz-Prozess zu Ende ging, als erster Botschafter nach Israel. Er wurde „mit Steinen empfangen“ und 1968 „mit Rosen verabschiedet“.

Niemand glaubte in dieser Zeit ernsthaft an eine Normalisierung der Beziehungen. Doch dass das Verhältnis zwischen Israel und Deutschland insbesondere in der sozialliberalen Regierungszeit trotz Inauguration der Botschaften so kompliziert werden würde, hatte niemand vorhergesehen.

Zwar war noch während des Sechs-Tage-Krieges im Juni 1967 eine pro-israelische Stimmung zu vermelden, doch bereits in dieser Zeit sah ein Großteil der deutschen Linken in Israel nur noch einen „Brückenkopf des US-Imperialismus“.

Als dann im November 1972 Mitglieder der Terrorgruppe „Schwarzer September“ freigelassen wurden, um die als Geiseln genommenen Passagiere einer Lufthansa-Maschine freizukaufen, zeigte sich Israel schockiert von der bundesdeutschen Haltung; bei den Freigelassenen handelte es sich um die drei überlebenden Attentäter des Anschlags auf die Olympischen Spiele im August 1972, bei dem neun israelische Sportler ums Leben kamen.

Mehr und mehr geriet die Bundesrepublik Deutschland zwischen die Fronten: Der Jom-Kippur-Krieg von 1973 und der Ölpreisschock waren der Auftakt einer Zeit der Missverständnisse. Einen vorläufigen Höhepunkt bildete die im Jahre 1975 mit der Mehrheit der arabischen Staaten verabschiedete UN-Resolution zum Zionismus, welcher darin als „Rassendiskriminierung“ gebrandmarkt wurde. Außenminister Hans-Dietrich Genscher pflegte in dieser Zeit zwar ein durchaus gutes und beinahe freundschaftliches Verhältnis zu seinem Amtskollegen Jigal Allon, doch spätestens mit dem Wechsel in der israelischen Regierung 1977 wurde die Beziehung wieder frostiger: Moshe Dajan und Menachem Begin missbilligten die Ende der 1970er-Jahre aufkommende proarabische Neuorientierung in der Bundesrepublik zutiefst. Darüber hinaus kam es zu massiven Unstimmigkeiten über den Abzug Israels von der Sinai-Halbinsel, den das Abkommen von Camp David 1978 und der israelisch-ägyptische Friedensvertrag 1979 vorsahen.

Doch das war längst nicht alles: Die öffentliche Diskussion über die Verjährung von NS-Verbrechen sowie die deutsch-französischen Rüstungsgeschäfte mit Syrien und die Waffenlieferungen an Saudi-Arabien stellten die Beziehung der beiden Staaten auf eine harte Probe. Zu allem Überfluss bezichtigte der FDP-Politiker Jürgen Möllemann Israel des staatlichen Terrorismus. 1980 erkannte der Europäische Rat das Recht auf Selbstbestimmung der Palästinenser an, und die PLO wurde gleichsam als Vertretung der Palästinenser akzeptiert.

Die größte Kluft entstand 1981 zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Ministerpräsident Menachem Begin. Anlass waren die Diskussion über die Lieferung der Leopard-II-Panzer an Saudi-Arabien sowie die Weigerung Schmidts, nach Israel zu reisen. Es folgten gegenseitige Unterstellungen und Diffamierungen, begleitet von der Kritik an der israelischen Siedlungspolitik und am Libanon-Krieg. Vor allem das Massaker an palästinensischen Zivilisten in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila unter Duldung der israelischen Armee rief lautstarke Proteste in ganz Europa hervor.

 

„Vergangenheit, die nicht vergehen will“?

Zunächst schien es so, als setzten sich diese Missverständnisse nach dem deutschen Regierungswechsel fort. Denn Bundeskanzler Helmut Kohl hatte in Bezug auf die deutsch-israelischen Beziehungen einen holprigen Start. Als er Anfang 1984 in der Knesset eine Rede hielt, in der er über die „Gnade der späten Geburt“ philosophierte, kommentierte der Spiegel mit den Worten: „Wie eine Flagge trägt der Kanzler sein gutes Gewissen vor sich her […] Doch wie jedem Deutschen, der in Israel dabei ist, muss auch ihm auf Schritt und Tritt klar werden, dass seine Waffenhändlernormalität mit seiner proklamierten geschichtlichen Verantwortung nicht zusammengeht […] Der Kanzler bemüht seine Eltern, seine Söhne und bis zum Überdruss sein Geburtsdatum und Martin Buber, um seine persönlichen Voraussetzungen für ein normales Verhältnis zum Judentum darzulegen.“

Dann zog der Besuch Ronald Reagans in Bitburg 1985 eine heftige Kontroverse nach sich, da in Bitburg auch Angehörige der Waffen-SS begraben liegen. Dabei sollte der Besuch des amerikanischen Präsidenten eine Versöhnungsgeste anlässlich der deutschen Kapitulation im Mai 1945 sein. Eine solche Geste gelang wenige Tage später Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Deutschen Bundestag, als er den 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ definierte. Mit Sicht auf Israel sagte er: „Wer über die Verhältnisse im Nahen Osten urteilt, der möge an das Schicksal denken, das Deutsche den jüdischen Mitmenschen bereiteten und das die Gründung des Staates Israel unter Bedingungen auslöste, die noch heute die Menschen in dieser Region belasten und gefährden.“ Sodann ging von Weizsäcker auf das Schicksal der europäischen Juden ein: „Der Völkermord an den Juden ist beispiellos in der Geschichte.“ Deshalb sei der 8. Mai ein Tag der Erinnerung. „Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, dass es zu einem Teil des eigenen Innern wird. Das stellt große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit. Wir gedenken heute in Trauer aller Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft. Wir gedenken insbesondere der sechs Millionen Juden, die in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden.“

Infolge der Weizsäcker-Rede entwickelte sich 1986 eine hitzige akademische Debatte, die unter dem Schlagwort „Historikerstreit“ bekannt geworden ist. Im Feuilleton wurde darüber gestritten, ob die Shoah einen einmaligen Zivilisationsbruch darstelle. Ernst Noltes Beitrag „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ löste einen Sturm der Entrüstung aus. Vor allem seine Fragen: „War nicht der ‚Archipel Gulag‘ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ‚Klassenmord‘ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ‚Rassenmords‘ der Nationalsozialisten?“ stießen auf breiten intellektuellen Widerstand. Nolte rechtfertige den Antisemitismus, hieß es.

In dieser Zeit wurden Befürchtungen eines erneut aufkeimenden Antisemitismus laut. Israels Ministerpräsident Yitzhak Shamir meldete aus diesem Grunde 1990 ernste Bedenken gegen die deutsche Wiedervereinigung an. Die unterschiedlichen Auffassungen zwischen ihm und Kohl konnten zwar aus der Welt geräumt werden, doch schon bald begann eine Serie von ausländerfeindlichen Anschlägen unter anderem in Rostock-Lichtenhagen und Mölln. Die menschenverachtenden Taten beunruhigten auch Israel. Einmal mehr schien die Vergangenheit tatsächlich nicht vergehen zu wollen. Und so wirkte in dieser Situation Martin Walsers anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998 geäußerte Kritik an der Ritualisierung der Erinnerungskultur (einschließlich der Erinnerung an den Nationalsozialismus) auf viele wie eine Brandrede und ein Störfeuer für den deutsch-jüdischen Dialog. „In einer Welt“, so Walser damals, „in der alles gesühnt werden müsste, könnte ich nicht leben.“

 

Und heute?

In den vergangenen Jahren hat sich das deutsch-israelische Verhältnis jedoch äußerst positiv entwickelt. Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, im Jahr 2000 zunächst gegründet, um Zahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter zu leisten, fördert heute unter anderem internationale Schul- und Jugendprojekte zwischen Deutschland und den Ländern Mittel-, Ostund Südosteuropas sowie Israel. Der deutsch-israelische Jugendaustausch ist eine Säule der gemeinsamen Zukunft beider Länder. Nach wie vor sind es keine selbstverständlichen und auch keine einfachen Beziehungen. Doch Deutschland bekennt sich heute ganz klar zur Verantwortung und zur Existenz des Staates Israel. Das ist nicht zuletzt das Verdienst von Angela Merkel.

Es gibt neben den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen einen kultur- und bildungspolitischen Austausch sowie Städtepartnerschaften. Seit 2008 finden jährlich Regierungskonsultationen statt. Deutschland ist einer der wichtigsten Handels- und Geschäftspartner Israels.

Die historische Hypothek aber lässt eine über diese Beziehungen hinaus gehende deutsch-israelische Freundschaft (noch) nicht zu. Das hat nicht zuletzt die Kritik am Gebrauch der deutschen Sprache in den Reden von Johannes Rau, Horst Köhler und Angela Merkel vor der Knesset gezeigt. Es ist in der Tat so, dass die Geschichte des Pardons in Auschwitz zu Ende gegangen ist.

 

Jürgen Nielsen-Sikora, geboren 1973 in Köln, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Bildungsphilosophie, Hans Jonas Institut der Universität Siegen.

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