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Zuckerbergs Zentralbank?

by Stefan Berger

Europas Antwort auf Facebooks Währungspläne

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In diesem Jahr wird Facebook seinen digitalen Stablecoin, die Kryptowährung „Libra“, auf den Markt bringen. Europäische Finanzinstitute und -dienstleister sind in Alarmbereitschaft, denn Verbraucher könnten zunehmend auf Zuckerbergs kaum regulierbare Währung ausweichen. Nun muss Europa vom kritischen Beobachter zum Player auf dem Finanzmarkt werden, und für die Europäische Zentralbank gilt es, ihre geldpolitische Hoheit zu verteidigen, ohne Innovationsbremse zu sein. Die richtige Antwort auf Libra liegt zwischen Regulieren und Agieren: Europa benötigt einen juristischen und aufsichtsrechtlichen Rahmen für Digitalwährungen, sollte jedoch gleichzeitig einen eigenen europäischen Stablecoin als Alternative zu Libra schaffen.

Von Kaurischnecken und Edelmetallen bis hin zu Papiergeld und Kreditkarte hat Geld, wie wir es heute kennen, eine bemerkenswerte Evolution hinter sich. Durch PayPal und Co. sind Zahlungen nur einen Mausklick entfernt, und die Macht der Kryptografie ermöglichte Satoshi Nakamoto die Erschaffung des Bitcoins auf Basis eines dezentral organisierten Buchungssystems. Mit Facebooks Ankündigung, 2020 die Währung „Libra“ auf den Markt zu bringen, beginnt jedoch eine neue Ära des digitalen Geldes – das Zeitalter der Stablecoins. „Libra is for the world“, deklariert Facebook als Vision seines Währungsprojekts in seinem Libra White Paper. Das Unternehmen will ein internationales Zahlungsnetzwerk schaffen, in dem möglichst viele Menschen Finanztransaktionen vollziehen und von Netzwerkeffekten profitieren können. 2,5 Milliarden Menschen nutzten im Jahr 2018 Facebook, Instagram oder WhatsApp und wären damit ebenso potenzielle Libra-Nutzer. Weltweit könnte Libra Menschen in instabilen Volkswirtschaften mit hohen Inflationsraten Zugang zu einer umfassenden Finanzstruktur verschaffen, schnell und einfach über das Social-Media-Profil anstelle von Bankkonten.

Facebooks Währung basiert auf der Blockchain-Technologie, die unmittelbare Überweisungen zwischen den Zahlern und Zahlungsempfängern ermöglicht, ohne dass eine dritte vertrauenswürdige Institution, beispielsweise eine Geschäftsbank, benötigt wird. Auch bietet die Blockchain-Infrastruktur einen großen Geschwindigkeitsvorteil gegenüber herkömmlichen Transaktionswegen und gilt als kaum manipulierbar. Mithilfe der für Libra eigens entwickelten Programmiersprache „Move“ sollen Zahlungen in Form von Smart Contracts automatisch, ohne manuelle Prüfung, möglich sein. Zur Aufbewahrung der Coins dient die Software „Calibra“. Die Kontrolle des Zahlungsverkehrs soll der Libra Association, einem Konsortium privatwirtschaftlicher Unternehmen, unterliegen. Anders als Bitcoins, die durch das Wechselspiel von Kurseinbrüchen und astronomischen Kursanstiegen charakterisiert sind, handelt es sich bei Libra um einen Stablecoin, also um eine stabile Währung. Während der Wert eines Bitcoins durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird, soll Libra gänzlich durch Vermögenswerte gedeckt sein. Das eingetauschte Geld soll von der Libra Association als Reserve behandelt werden, die aller Voraussicht nach im Billionen-Euro-Bereich liegen wird. An etablierte Währungen gekoppelt und durch Staatsanleihen abgesichert, gilt Libra als besonders robust gegen Wertschwankungen.

 

„Verlockend, aber tückisch“

 

Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bank, warnte kürzlich davor, dass Facebooks Projekt „verlockend, aber tückisch“ sei. Gerade die Anleihekäufe, die Facebook als Sicherheitsgarantie beschreibt, könnten bestimmte Länder in die Abhängigkeit zwingen und Teile der Welt nahezu kolonialisieren. Da Facebook auf Anleihen von Staaten mit niedrigen Inflationsraten und stabilen Zentralbanken abzielt, würde die Kreditwürdigkeit bestimmter Länder davon abhängen, ob Facebook ihre Anleihen akzeptiert. Zwar verspricht die Libra Association, die Zinserträge für gemeinnützige Projekte oder Forschungszwecke einzusetzen, behielte aber den weitaus größten Teil selbst und könnte mit ihrem Billionen-Umfang „beiläufig“ zum größten Anleger der Welt werden.

Je nach Akzeptanz der Währung könnte Libra das europäische Bankensystem untergraben und die Euro-Nachfrage erheblich mindern. Würden Bankkunden mit hohen Negativzinsen belastet, wäre nicht auszuschließen, dass Verbraucher vom Euro zur Libra abwandern, zumal Big Tech-Firmen ohnehin zunehmend Vertrauen in der Bevölkerung genießen. Denkt man das Libra-Szenario weiter, könnte sich Zuckerbergs Coin nach einer gewissen Zeit sogar von ihrem Reservekorb entkoppeln und selbst zur Fiatwährung, also zu einem Zahlungsmittel, das nicht an den Preis eines Rohstoffes wie Gold oder Silber gebunden ist, werden. Damit hätte Facebook ein kaum regulierbares Geldmonopol geschaffen, könnte Kredite vergeben und wäre für einen Bank-Run anfällig. Nicht zuletzt stehen Libras Datenschutz – Facebook ist Meister darin, sensible Kundendaten in Geld zu verwandeln – sowie sein Anlegerschutz stark in der Kritik. Offen ist auch, ob Verbraucher für die angekauften Libras ihren ursprünglichen Kaufbetrag zurückerhalten können.

„We hope to have approximately 100 members of the Libra Association by the target launch in the first half of 2020“, heißt es in Zuckerbergs Libra White Paper. Mittlerweile hat der öffentliche Druck auf Facebooks Vorhaben diese Ambitionen infrage gestellt. Richtig ist, dass nur 21 Mitglieder die Gründungsurkunde der Libra Association am 14. Oktober 2019 unterzeichneten, denn PayPal, Visa, Mastercard, eBay und andere stiegen vorläufig aus dem Projekt aus. Doch bedeutet das nicht, dass sich die Unternehmen permanent von einer Mitgliedschaft in der Libra Association distanzieren oder Libra-Transaktionen per se nicht unterstützen würden. Zudem gehören neben der Facebook-Tochter Calibra große Namen wie Uber, Spotify oder Vodafone der Libra Association an. Weitere 180 Rechtsträger, die die Mitgliedskriterien der Organisation erfüllen, haben ebenfalls ihr Interesse an dem Projekt bekundet. Folglich kein Grund für Europa, nun aufzuatmen.

 

Umfassende Regulierung ist notwendig

 

Währungspolitisch bedenklich wird es, wenn Libra systemrelevante Dimensionen erreicht, Kontrollmechanismen nicht greifen und die Stabilität des Zahlungsverkehrs nicht mehr sichergestellt werden kann. Eine Möglichkeit für die Europäische Zentralbank zur Verteidigung ihrer Hoheitsstellung wäre es, Libra nicht anzuerkennen. So wurde im Rahmen des G7-Finanzministertreffens 2019 bereits Skepsis hinsichtlich der Einführung Libras in ihrer jetzigen Form laut, die Bundesfinanzminister Olaf Scholz und der französische Finanzminister Bruno Le Maire nochmals wiederholten. Dennoch: Im internationalen Währungswettbewerb wird früher oder später kein Weg an Digitalwährungen vorbeiführen. Notwendig wird daher eine umfassende Regulierung sein, für die sich auch der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Valdis Dombrovskis, im Dezember 2019 aussprach. Seine Behörde habe bereits mit der Vorbereitung einer Regulierung für Digitalwährungen begonnen.

Währenddessen hofft die Europäische Zentralbank darauf, dass die Menschen im Falle des Einzugs Libras dem klassischen Finanzsystem nicht den Rücken zukehren werden. Doch damit dies nicht geschieht, müssen Verbraucher eine Alternative zu Libra erhalten, die hohe Standards im Bereich Daten- und Anlegerschutz an den Tag legt. Internationale Finanztransaktionen müssten schneller und günstiger werden, und die Chancen von Public-Private-Partnership im Bankensektor sollten genutzt werden.

 

Ein europäischer Stablecoin

 

Die Bank of Canada diskutierte 2016, lange vor Libras Zeit, ob die Herausgabe einer eigenen digitalen Währung sinnvoll sei und wie diese gestaltet werden sollte. Mark Carney, Gouverneur der Zentralbank von England, ließ bereits Forderungen nach einem digitalen Dollar mit Verantwortung bei den Zentralbanken laut werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion schlägt in ihrem Positionspapier vom Juni 2019 einen digitalen Euro unter Anwendung der Blockchain-basierten Schlüsseltechnologie vor, sodass ein kleiner Teil des bereits bestehenden Geldes digitalisiert und der globalen Finanzinfrastruktur zugänglich gemacht wird. Die Volksrepublik China hingegen hat die Phase des Brainstormings längst überschritten und wird in Kürze eine eigene digitale Währung einführen.

Für Europa ist es höchste Zeit, seine Rolle im Währungswettbewerb neu zu definieren. Libra sollte uns nicht ängstigen, sondern vielmehr unseren Innovationsgeist wecken. Die Europäische Zentralbank äußerte in einer Stellungnahme, dass nicht etwa private Anbieter, sondern nur eine unabhängige Zentralbank mit einem starken Mandat verlässliche Geldmittel anbieten und das Vertrauen der Menschen in diese konsequent wahren könne. Hieraus kann man ihre Verantwortung ableiten, einen eigenen europäischen Stablecoin zu entwickeln, der auf einheitlichen europäischen Regulierungsstandards für Sichteinlagen basiert. Unter anderem ließen sich auch Sicherheitsstandards, wie etwa Know your customer (KYC), etablieren. Wirtschaft und Politik müssen sich dafür intensiv mit dem europäischen Stablecoin befassen, zügig Expertenwissen generieren und eine detaillierte Folgenabschätzung für Finanzsystem und Verbraucher vornehmen.

In den kommenden Monaten wird die Libra Association intensiv daran arbeiten, 100 Gründungsmitglieder zu gewinnen. Noch ist Facebooks Währung ein Gedankenexperiment, doch kommt sie erst einmal auf den Markt, werden ihre Auswirkungen auf die Finanzwelt gewaltig sein und erfordern nicht nur Achtung, sondern Aktion. Schaut Europa nur tatenlos vom Spielfeldrand zu, werden wir allenfalls bezeugen können, wie vor unseren Augen die Büchse – beziehungsweise das Wallet – der Pandora geöffnet wurde.

 

Stefan Berger, geboren 1969 in Mönchengladbach, seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments in der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten), Mitglied des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europäischen Parlaments.

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