Am 2. Juli 1979 entschied die Bundestagsfraktion der Union, dass der CSU-Vorsitzende und Ministerpräsident Bayerns Franz Josef Strauß zur Bundestagswahl 1980 als Kanzlerkandidat der Union antreten werde. Dem voran ging ein mehrwöchiges Ringen: voll politischen Misstrauens des Führungspersonals von CDU und CSU und Beschwörungen der Einheit der Union.Am 2. Juli 1979 entschied die Bundestagsfraktion der Union, dass der CSU-Vorsitzende und Ministerpräsident Bayerns Franz Josef Strauß zur Bundestagswahl 1980 als Kanzlerkandidat der Union antreten werde. Dem voran ging ein mehrwöchiges Ringen: voll politischen Misstrauens des Führungspersonals von CDU und CSU und Beschwörungen der Einheit der Union.
Der Zweikampf ist eröffnet…
Am 26. Mai 1979 erschien im Münchner Merkur eine Erklärung der Bayerischen Staatskanzlei: Ministerpräsident Franz Josef Strauß stehe bei Bedarf als Kanzlerkandidat der Union zur Verfügung.[1] Nach der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. Mai 1979 war diese Entscheidung vor allem auf Helmut Kohls Verzicht auf eine Kandidatur und das Drängen einer großen Zahl von CDU-Politikern zurückzuführen.[2]
Am 28. Mai 1979 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht rechne damit, zum Kanzlerkandidaten nominiert zu werden.[3] Johann Georg Reißmüller sah die Union auf eine Zerreißprobe zwischen Helmut Kohls Kandidaten Albrecht und Strauß zusteuern. Ob sich Albrecht von Kohl emanzipieren und die CSU seine Kandidatur akzeptieren könne, sei – wie auch die wahren Absichten von Strauß – unsicher.[4]
Am 28. Mai 1979 berichtete die Welt von wachsender Unterstützung für Franz Josef Strauß. Die Positions- und Richtungskämpfe würden jedoch die Einheit der Union gefährden. Während die gesamte CSU hinter Strauß stehe, werde Albrecht nur von Kohl und einigen norddeutschen Landesverbänden gestützt. Kohl und Generalsekretär Geißler würden Albrecht auch gegen den Willen der CSU nominieren.[5]
Hans Reiser sah in der Süddeutschen Zeitung vom 30. Mai 1979 Helmut Kohl im Abwehrkampf. „Höhere Personalpolitik“ sei „in der CDU stets mit Absicherung nach allen Seiten […] betrieben“ worden. Albrecht wolle nur kandidieren, wenn die Nominierung einstimmig ausfalle. Die CDU müsse mit einem eigenen Kandidaten in die Gespräche mit der CSU gehen.[6]
Konflikt zwischen CDU und CSU
In einem Interview mit dem Münchner Merkur vom 1. Juni 1979 bezeichnete CSU-Landesgruppenchef Friedrich Zimmermann Strauß wegen seiner innen- und außenpolitischen Erfahrung als den geeignetsten Kandidaten der Union. Er nehme aber nicht an, dass Kohl bei der CDU zur Disposition stünde. Und er bezweifele, dass die CDU Albrecht im Bewusstsein ihrer Verantwortung für die Einheit der Union nominiert habe.[7]
Nach einem Bericht der Welt vom 31. Mai 1979 hatte Strauß Kohl – in einem Fernschreiben – vorgeworfen, mit der Nominierung Albrechts bisherige Vereinbarungen gebrochen zu haben. Die CSU dürfe nicht (wie 1976, Anm. MK) vor vollendete Tatsachen gestellt und der Wahlkampf 1980 nicht durch Voreiligkeit, Unverständnis und Unbeweglichkeit belastet werden. Die Strategiedebatte müsse „mit zeitlichem und sachlichem Vorrang“ geführt und die Vereinbarungen eingehalten werden.[8]
Am 1. Juni 1979 erschienen zwei Interviews in der Zeit und in der Deutschen Zeitung/Christ und Welt, in denen Heiner Geißler und Norbert Blüm Albrecht unterstützten und sich gegen jede Spaltung der Union wandten. Für Blüm repräsentierte Albrecht das Christlich-Soziale, das Liberale und das Konservative.[9] Auch für Geißler stand Albrecht für „eine Politik der Mitte, die wir nicht dem Bundeskanzler [Helmut Schmidt, Anm. MK] überlassen dürfen“.[10]
Dem Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt vom 3. Juni 1979 zufolge müsse die CDU ihren Favoriten Ernst Albrecht durchsetzen, um nicht ihr Gesicht zu verlieren. Die Wähler wollten klare Alternativen, und „Schmidt oder Albrecht“ sei die erfolgversprechendere. Deshalb müsse Kohl sich zurückziehen und Strauß es ihm gleichtun.[11]
Dass die Kür des CDU-Favoriten Albrecht holprig verlaufen sei, stellte der Spiegel vom 4. Juni 1979 fest. Warnende Stimmen habe man nicht hören wollen. Ob Albrecht und Strauß ihre Kandidaturen auch zum Preis einer Spaltung der Union aufrechterhielten, werde sich zeigen. Albrecht sei zum Kampf entschlossen, bei Strauß sei dies nicht sicher.[12]
Die Neue Ruhr-Zeitung vom 5. Juni 1979 berichtete, dass Geißler Strauß zum Verzicht aufgefordert habe.[13] CSU-Generalsekretär Stoiber warf Geißler, so der Münchner Merkur, „disziplinloses Gerede“ vor. Der CDU-Bundesvorstand habe „eine Kandidatur Albrechts […] als Angebot“ betrachtet. Nun entstehe der Eindruck, man wolle Fakten schaffen.[14]
Erster Trend zu Strauß
Das Handelsblatt vom 6. Juni 1979 spricht im Vorfeld eines Treffens von Strauß und Albrecht von verhärteten Standpunkten. Für beide sei ein Verzicht ohne Gesichtsverlust kaum möglich. Aus der CSU sei zu hören, man könne sich auf einen dritten Kandidaten einigen oder als Unionsparteien getrennt Wahlkampf führen. Die CDU überlege, Kohl als Fraktionsvorsitzenden durch Alfred Dregger oder Kurt Biedenkopf zu ersetzen.[15]
Der Kandidatenstreit habe, wie die Schwäbische Zeitung vom 9. Juni 1979 berichtete, auch im CDU-Landesverband Baden-Württemberg für Unruhe gesorgt. Ministerpräsident Lothar Späth beabsichtige im Gespräch mit den Kreisvorsitzenden, die Meinungen der Basis einzuholen. Eine Zuspitzung auf „Strauß oder Ende der Union“ wolle er vermeiden, da der Landesverband dann für Strauß eintrete. Dem Kurs Geißlers werde er nicht folgen.[16]
Das Handelsblatt vom 13. Juni 1979 beschäftigte sich mit einem Treffen von Albrecht und Strauß. Während Strauß seine Bereitschaft zur Kandidatur aufrechterhalten wolle, habe es vor dem Treffen Hinweise auf eine schwindende Unterstützung für Albrecht gegeben. Die Einheit der Union sei führenden CDU-Politikern mehrerer Landesverbände (Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg u.a.) wichtiger als die Kandidatur Albrechts, der bereits den Rückzug erwäge.[17]
Heiner Geißler wurde in Stuttgart auf einer geheimen Sitzung mit Ministerpräsident Lothar Späth und den CDU-Kreisvorsitzenden des Landesverbandes Baden-Württemberg mit massiven Vorwürfen konfrontiert, wie die Stuttgarter Zeitung vom 15. Juni 1979 meldete. Geißler habe den personellen Streit mit der CSU verschärft. Späth sei für seine neutrale Haltung in der Kandidatenfrage kritisiert worden. Eine Mehrheit der Kreisvorsitzenden tendiere zu Strauß.[18]
Die Stuttgarter Nachrichten vom 23. Juni 1979 berichteten von einer Sitzung der Strategiekommission der Unionsparteien, auf der man Fragen der „Parteienlandschaft“ und des strategischen Vorgehens erörtert und die Entscheidung über den Kanzlerkandidaten auf den 1. Juli vertagt habe. Doch seien Strategie- und Personalfragen nicht streng zu trennen.[19]
Die Entscheidung
[i] Mm: Strauß: Jetzt geänderte Umstände, Münchener Merkur, 26.05.1979.
[ii] Fy: Strauß will Kanzlerkandidat der Union werden – Das CDU-Präsidium für Albrecht, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.05.1979, S. 1.
[iii] Tgn: Albrecht rechnet fest mit seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.05.1979, S. 2.
[iv] Reißmüller, Johann Georg: Die Union in Flammen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.05.1979, S. 1.
[v] Schell, Manfred: In der CDU wächst die Unterstützung für den Bayern Franz Josef Strauß, Welt, 28.05.1979.
[vi] Reiser, Hans: Kohls letztes Gefecht, Süddeutsche Zeitung, 30.05.1979.
[vii] Friedrich Zimmermann im Interview mit Karl Hugo Pruys, CSU Presse-Mitteilungen, Nr. 304/1979, Bonn, 31.05.1979.
[viii] Ms: „Lieber Helmut, Deine Darstellung ist falsch“, Welt, 31.05.1979.
[ix] Norbert Blüm im Interview, Deutsche Zeitung/Christ und Welt, 1.06.1979.
[x] Heiner Geißler im Interview mit Rolf Zundel, Zeit, 1.06.1979
[i] Geschke, Günther: Kanzlerkandidaten im Angebot oder: die Union am Kreuzweg, Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 3.06.1979.
[ii] Anonymus: CDU: Zum Durchmarsch entschlossen, Spiegel, 4.06.1979.
[iii] Anonymus: Geißler fordert den Verzicht von Strauß, Neue Ruhr-Zeitung, 5.06.1979.
[iv] Anonymus: Geißler fordert den Verzicht von Strauß, Neue Ruhr-Zeitung, 5.06.1979.
[v] Sottorf, Hans Jörg: Schlupfloch-Suche aus der selbstgestellten Zwickmühle, Handelsblatt, 6.06.1979.
[vi] Zodel, Chrysostomus: Für die Einheit der Union auch für Franz Josef Strauß?, Schwäbische Zeitung, 9.06.1979.
[vii] Krieger, Heinz: Strauß zieht nicht zurück, Handelsblatt, 13.06.1979.
[viii] Anonymus: Baden-württembergische CDU übt Kritik an Späth und Geißler, Stuttgarter Zeitung, 15.06.1979.
[ix] Ddp: Union noch uneins über Kandidaten, Stuttgarter Nachrichten, 23.06.1979.