Sie schlagen eine beliebige Zeitung auf. Wie viele Artikel überspringen Sie? Welche überfliegen Sie? Und wie viele Artikel lesen Sie wirklich? Kein Medium bietet ein Programm, das absolut jedem zusagt. Und kein Medium hat diesen Anspruch. Nur der Social Media Algorithmus.
Was auf Instagram die Explore-Page ist, die Entdecker-Seite, wird auf TikTok zur For-You-Page. Die Seiten kuratieren sich selbstständig. Der Algorithmus nimmt wahr, welche Inhalte gefallen und welche „weggeswiped“ werden. Um die Nutzer nicht mit Inhalten zu fluten, die sie nicht interessieren, sortiert der Algorithmus aus. Weniger von dem, was „unwichtig“ ist, und mehr von dem, was gefällt.
Aus einem Rezept wird, begleitet von Tipps für Küche und Wocheneinkauf, ein ganzes Kochbuch. Derzeit im Trend: frisch zubereitete Lebensmittel, am besten regional. Nur aufmerksamen Zuschauern fällt zwischen Sauerteig-Startern und Einmachgläsern auf, dass so manche Köchin mit dem Hashtag #tradwife ein sehr gestriges Rollenbild vertritt. Ein Like und schon reagiert der Algorithmus – der Feed passt sich an. Man rutscht in eine Bubble. Inhalte mit anderen Sichtweisen, egal wie unterschwellig, verschwinden vom Bildschirm. Es ist nicht problematisch, wenn eine Frau sich für ein traditionelles Familienleben entscheidet oder jemand ein konservatives Weltbild hat. Doch die automatisierte Isolation führt in soziale Echokammern.
Die Echokammer-Theorie beschreibt den Prozess in geschlossenen Gruppen, in dem moderate Meinungen zunächst verstärkt und dann immer extremer werden. Fühlt man sich von einer Gruppe in seinen Aussagen bestätigt, teilt man sie umso offener. Die Zustimmung der Gruppenmitglieder lässt das Thema immer lauter und präsenter werden. Aussagen, die in anderen Runden grenzwertig oder gar extrem sind, wirken nur noch leicht überspitzt. Sie fügen sich anfangs subtil in die Debatte ein, bis sie nach genug Bestätigung die Tonalität verändern und radikaleren Einwänden den Weg ebnen. Gegenstimmen werden nicht mehr gehört. Werden sie doch Teil der Diskussion, wertet man sie kollektiv ab.