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Einst ein Frauengefängnis, heute ein Ort des Gedenkens

Dr. Nancy Aris am Tag der Deutschen Einheit über die Eröffnung der Gedenkstätte Hoheneck

Ein Interview mit Dr. Nancy Aris, Sächsische Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Über das berüchtigtste Gefängnis der DDR, einen Ort an dem Tausende Frauen inhaftiert waren, über Schicksale, und warum ihre Geschichten nicht vergessen werden dürfen.

Kurz vor dem Tag der Deutschen Einheit öffnet die Gedenkstätte Hoheneck ihre Tore für die Öffentlichkeit. Welche Bedeutung hat dieses Ereignis mit Blick auf jenes Datum - für Sachsen und Deutschland? 

Dr. Nancy Aris: Die Eröffnung der Gedenkstätte Frauengefängnis Hoheneck im 35. Jahr der Deutschen Einheit ist ein wichtiges Ereignis – nicht zuletzt auch, weil es aus meiner Sicht längst überfällig war. Hoheneck war das zentrale Frauengefängnis der DDR, in dem Tausende Frauen aus politischen Gründen eingesperrt wurden. Sie landeten dort, weil sie mutig Widerstand geleistet hatten, weil sie die DDR in Richtung Westen verlassen wollten oder weil sie einfach Lebensentwürfe hatten, die der Staatsführung missfielen.

Nach ihrer Haft kamen viele der Frauen über den Häftlingsfreikauf in die Bundesrepublik und begannen dort ein neues Leben in Freiheit. Hoheneck war für sie erst einmal weit weg. Und während in anderen ehemaligen Haftorten, in denen Männer eingesperrt waren, wie Bautzen oder Berlin Hohenschönhausen, bereits in den 1990er Jahren Gedenkstätten entstanden, blieb Hoheneck lange Jahre auf der erinnerungskulturellen Landkarte unsichtbar – trotz aller Mahnungen der ehemaligen Hoheneckerinnen.

Insofern schließt sich mit der Eröffnung auch ein Kreis. Denn diejenigen, die damals in den Westen ausgereist sind und dort mit der Aufarbeitung begannen, kommen zurück nach Hoheneck, an diesen Ort des Schreckens, der nun ein Ort der Aufklärung ist und gesamtdeutsche Bedeutung besitzt.

Warum gesamtdeutsch? – mag der eine oder andere fragen. Schließlich sperrte die DDR und nicht die Bundesrepublik ihre Regimegegner dort ein. Das ist natürlich richtig, aber es trifft nur einen Aspekt der Betrachtung, denn letztlich prägten die Tausenden ausgereisten ehemaligen Hoheneckerinnen mit ihren Erfahrungen auch die bundesrepublikanische Gesellschaft. Aber es gibt noch andere Verbindungen.

Neben dem Häftlingsfreikauf, für den die Bundesrepublik über drei Milliarden DM an die DDR zahlte, ist auch das Thema Haftzwangsarbeit zu nennen. Denn westliche Firmen nutzten die billige Arbeitskraft der Inhaftierten und ließen Strumpfhosen und Bettwäsche in Hoheneck produzieren. Die Strumpfhosen, an denen die Frauen in Akkordarbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen im Dreischichtsystem arbeiteten, landeten unter der Handelsmarke „Sayonara“ als Schnäppchen auf dem Grabbeltisch bei Aldi..

Der Tag der Deutschen Einheit, an dem wir das Zusammenwachsen von Ost und West und die Überwindung der Deutschen Teilung feiern, sollte auch ein Tag sein, an dem wir Fragen an die Vergangenheit stellen. Fragen, die die Verantwortlichkeiten – auch im Westen – in den Blick nehmen. Dann würde deutlich, dass es „Die DDR-Geschichte“ gar nicht gibt, sondern dass es eine verzahnte deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte ist.
 

Etwa 24.000 Frauen waren zwischen 1950 und 1989 in Hoheneck inhaftiert, darunter 8.000 aus politischen Gründen. Was können Sie uns über die Geschichte dieses Ortes sagen? Welchen Stellenwert hat Hoheneck für die deutsche Erinnerungskultur?

Dr. Nancy Aris: Burg Hoheneck wurde schon im Kaiserreich zum Gefängnis ausgebaut. Im Februar 1950 begann die DDR-Geschichte auf der Burg. Damals kamen etwa 1000 Frauen und 30 Kinder aus dem Sowjetischen Speziallager Sachsenhausen nach Stollberg. Diese, von sowjetischen Militärtribunalen Verurteilten, wurden in die Obhut der DDR-Verwaltung übergeben. Statt der erhofften Erleichterungen erlebten die Frauen noch schlechtere Haftbedingungen: Gewalt, Hunger und Kälte. Die hygienischen Bedingungen waren eine Katastrophe. Bis Mitte der 1950er Jahre gab es Kübel statt Toiletten.

Hoheneck gewann bald DDR-weit den Ruf, eines der berüchtigtsten Gefängnisse zu sein. Dazu trug das Wachpersonal bei, das die inhaftierten Frauen entrechtete und permanent schikanierte. Die „Politischen“ wurden bewusst zusammen mit schwerstkriminellen Gefangenen untergebracht, um sie zusätzlich zu demütigen. In der Gefangenenhierarchie standen sie ganz unten, waren den Angriffen der Kriminellen schutzlos ausgeliefert.

Hinzu kam die ständige Überbelegung der Zellen. Manche Strafgefangene hatte nicht einmal ein eigenes Bett. Die Zellen, in denen zum Teil mehr als 40 Frauen hausten, waren beengt. Die Arbeit im Dreischichtsystem sorgte für permanente Unruhe in den Zellen. Nirgends gab es einen Ort der Ruhe. Dies, die hohen Arbeitsnormen und die Mangelernährung führten zu Erschöpfungszuständen, bis hin zu tödlichen Arbeitsunfällen.

Durch die abgelegene Lage im Erzgebirge war es für die Angehörigen schwierig, ihre Lieben zu besuchen. Umso wichtiger war der Zusammenhalt unter den Strafgefangenen. In den 1970er und 1980er Jahren waren die „Politischen“ meist Republikflüchtlinge.

Hoheneck ist der zentrale Ort, der an die politische Verfolgung von Frauen in der DDR erinnert. Er zeigt, wie inhuman die sich nach außen human gebende DDR in Wirklichkeit war und wie sehr die Gewinnmaximierung durch Haftarbeit den Haftalltag der Frauen bestimmte.

Für die Erinnerungskultur ist dieser Ort extrem wichtig, weil er zeigt, dass Frauen signifikant Widerstand leisteten und verfolgt wurden. Ohne Hoheneck hätten wir eine weitgehend männliche Perspektive. Andererseits macht Hoheneck deutlich, dass es frauenspezifische Formen der Repression gab, die vor allem über die Kinder ausgeübt wurde. Gleichzeitig ist Hoheneck ein Beweis dafür, dass widrigste Umstände durch Solidarität überwunden werden können. Eindrückliches Beispiel hierfür ist der Hungerstreik von 1953, bei dem trotz Unterernährung fast alle mithungerten, um eine Revision der Strafurteile zu erzwingen.


Welche individuellen Schicksale berühren Sie besonders?

Dr. Nancy Aris: Jedes Schicksal ist einzigartig, von daher ist es schwer hier eine Art Rangliste aufzustellen. Dennoch ist es so, dass die Frauen, die bei der Inhaftierung bereits Kinder hatten, besonders litten. Die Ungewissheit, was nach der Verhaftung mit den Kindern passiert war, belastete die Frauen neben der ohnehin schon schweren Haft enorm. Nicht zuletzt wurden Kinder auch als Druckmittel genutzt. Es wurden Fotos und Briefe einbehalten, es wurde mit Heimeinweisung gedroht, um den Frauen Informationen abzuringen oder um sie gefügig zu machen. Manche Mutter hat nach der Haft nie wieder ein normales Verhältnis zum eigenen Kind aufbauen können. Das schmerzt mich sehr.

Besonders tragisch sind natürlich  die Todesfälle, die Arbeitsunfälle, Frauen, die hätten überleben können, wenn man sie medizinisch behandelt hätte – wie beispielsweise Edeltraut Eckert. Sie starb mit nur 25 Jahren an Wundstarrkrampf, weil sie mit ihren Haaren in eine Maschine gekommen war und erst Tage danach behandelt wurde.

Was empfinden die Opfer von damals, wenn nun aus dem Ort der Unterdrückung und Willkür ein Gedenkort wird?

Dr. Nancy Aris: Sie empfinden große Genugtuung. Aber der Aufbau der Gedenkstätte war ein langer Weg, ein zu langer Weg. Viele derer, die in den 1950er Jahren in Hoheneck inhaftiert waren, sich nach 1990 im „Kreis der ehemaligen Hoheneckerinnen“ zusammenschlossen und für einen Gedenkort kämpften, leben heute nicht mehr.

Bei der Eröffnung ist aber etwa Annemarie Krause dabei gewesen. Sie kam mit dem ersten Transport 1950 nach Hoheneck. Für sie war der 11. Juli 2024 und das Zusammentreffen mit dem Bundespräsidenten ein ganz besonderer Tag, denn in den letzten Jahren hatte sie keine Gelegenheit ausgelassen, um stellvertretend für ihre verstorbenen Kameradinnen über das erlebte Leid zu sprechen.

Die Frauen besorgt , dass der Ort auch zweckentfremdet wird, dass im ehemaligen Gefängnis politische Massenveranstaltungen stattfinden, die die Würde des Ortes und der Opfer missachten. Hier wünschen sie sich mehr Sensibilität. Die Diskussion, was Gedenkstätte und was Gedenkort ist, muss erst noch geführt werden, denn offenbar herrscht in der Stadtverwaltung Stollberg die Meinung, dass sich die Gedenkstätte auf die zweite Etage des Westflügels beschränkt. Das sehen die Opfer anders, denn im Gefängnishof erlebten sie ebenfalls Drangsal. Und sie wünschen sich, dass die Gedenkstätte nach außen hin sehr viel deutlicher in Erscheinung tritt und besser zugänglich ist. Derzeit sind die Öffnungszeiten noch sehr beschränkt.


Die Eröffnung der Gedenkstätte ist ein Ausrufezeichen für Aufarbeitung der Diktaturerfahrung in der DDR. Dennoch die Frage: Ist das Thema der politischen Verfolgung und des Unrechts durch die SED genügend in den Köpfen und Herzen der Deutschen in „Ost“ wie „West“ präsent? 

Dr. Nancy Aris: Ich denke, dass allgemein wenig bekannt ist. Unter dem Label „Stasi“ wissen viele Menschen heute, dass es da so etwas Unangenehmes gab in der DDR, sie wissen, dass nicht jeder das sagen konnte, was er wollte, dass man bespitzelt wurde. Aber sowohl das schiere Ausmaß der Verfolgung als auch die Vielfältigkeit der Methoden und die anhaltenden Folgen sind weitgehend unbekannt. Insofern ist die Gedenkstätte auch ein Ort, der die politische Verfolgung konkret fassbar macht und dem Unrecht individuelle Gesichter gibt. Hier kommen Zeitzeuginnen zu Wort. Sie berichten, warum sie hinter Gittern landeten und was sie dort erlebten.

Ich denke, dass das Unrecht zu wenig präsent ist, weil die Verstehensdimension häufig fehlt: Es ist schwer, in einer Demokratie wirklich zu verstehen, was eine Diktatur ausmacht. Da gibt es eine emotionale Kluft. Diejenigen, die es nicht erlebt haben, können sich einfach nicht vorstellen, dass kleinste Abweichungen von den Verhaltensnormen dazu führen konnten, im Gefängnis zu landen – wie beispielsweise bei Katrin Siebeck, die nach Hoheneck kam, weil sie 1983 Schmetterlinge an einen grauen S-Bahntunnel gemalt hatte.

Auch ist es kaum möglich, die Grausamkeit der Täter nachzuvollziehen. Dieses psychologisch nachvollziehbare Unvermögen führt aber dazu, die Schreckensdimension der DDR zu unterschätzen und sie als peinlichen Unfall mit hässlicher Mode und einem Regierungschef mit Fistelstimme zu belächeln.

Jüngste Wahlergebnisse zeigen ein Erstarken der politischen Ränder. Welche Folgen für die Gedenkstättenarbeit fürchten Sie? Welche Konsequenzen müssen Sie daraus für die Arbeit der Gedenkstätten ziehen?

Dr. Nancy Aris: Die Gedenkstätten müssen politisch unabhängig bleiben. Jede Form der Vereinnahmung hat zu unterbleiben. Wir müssen die Gedenkstätten stärken – finanziell und institutionell. Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass jede Schülerin und jeder Schüler, der die Schule verlässt, einmal eine Gedenkstätte besucht hat. Aus Forschungen wissen wir, dass Gedenkstätten und Zeitzeugen, die einen emotionalen Zugang zur Vergangenheit ermöglichen, das Geschichtsbewusstsein maßgeblich prägen. Ich bin nicht für Zwangsgedenkstättenbesuche á la DDR, aber für ein breites und niederschwelliges Angebot für die Schulen.

Gedenkstätten sollten aber nicht nur in die Vergangenheit schauen, sondern auch die Gegenwart in den Blick nehmen. Wenn wir uns beispielsweise mit der inhumanen Haftzwangsarbeit in Hoheneck beschäftigen und fragen, welchen Anteil westdeutsche Firmen daran hatten, sind wir plötzlich in der Gegenwart. Denn bis heute sind die meisten Firmen nicht bereit, sich dieser Vergangenheit zu stellen und Verantwortung zu übernehmen – wenn auch nur symbolisch.

Unlängst wurde in der Presse berichtet, dass der AfD-Landtagsabgeordnete Jörg Dornau in seiner in Belarus ansässigen Firma ‚Cybulka-Bel‘ politische Gefangene für sich arbeiten lassen soll. Er soll eine entsprechende Vereinbarung über die ‚Erbringung von Dienstleistungen‘ mit dem Gefängnis unterzeichnet haben. Für fünf Euro Tageslohn sollen Häftlinge bei der Zwiebelernte elf Stunden am Tag arbeiten – unter widrigsten Bedingungen, ohne Essen und ohne entsprechende Arbeitskleidung.. Dass in belarussischen Gefängnissen politische Gefangene gefoltert werden, ist bekannt. Wie kommt da ein Landtagsabgeordneter, der in der DDR sozialisiert wurde, dazu, Geschäfte mit einer Diktatur zu machen?

Dieses Beispiel zeigt, dass man gar nicht lange suchen muss, um bei Fragen zu landen, die uns hier und heute beschäftigen, und dass sich vergangenes Unrecht leicht wiederholen kann. Allerdings warne ich davor, die Institution Gedenkstätte mit einer eierlegenden Wollmilchsau zu verwechseln. Gedenkstätten sind keine Gesinnungswaschmaschinen, in die braune Nazis reingeworfen werden, die nach dem Gedenkstättenrundgang als blütenweiße Demokraten aus der Waschtrommel herauspurzeln.

Gedenkstätten können Angebote machen, können Einblicke geben, können Perspektiven zeigen. Die Wertebildung findet aber nicht nur dort, sondern an vielen Orten statt: in der Schule, im Freundeskreis und in der Familie. Manchmal helfen auch einfache Gespräche am Küchentisch.   

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