Es gibt Bücher, die fliegen unter dem öffentlichen Radar, und das obwohl sie von allen Politikerinnen und Politikern, die im Kulturbetrieb unterwegs sind und die über die Vergabe von öffentlichen Fördermitteln entscheiden, gelesen werden sollten. Und nicht nur von ihnen: Auch Künstlerinnen und Künstler, Kuratorinnen und Kuratoren, Museumsdirektorinnen und -direktoren, all jene, denen KollegInnen wegen ihrer Haltung zu Israel gerade den Job schwer machen, sollten sich „Judenhass im Kunstbetrieb. Reaktionen nach dem 7. Oktober 2023“ zu Gemüte führen. Herausgegeben von Matthias Naumann und erschienen im Neofelis-Verlag, versammelt der Band Autoren, die aus den Bereichen Literatur und Bildende Kunst, Musik, zeitgenössischer Tanz und aus der Filmbranche berichten, was im vergangenen Jahr, aber auch schon davor, an antisemitischen Umtrieben im zumeist öffentlich geförderten Kulturbetrieb zutage getreten ist.
Die Autoren beschreiben, dass das Massaker vom 7. Oktober 2023 zu einem erschreckenden Aufflammen des Antisemitismus geführt hat. Und das in Milieus, die sich vornehmlich als progressiv, links und weltoffen verstehen – im Kunst- und Kulturbetrieb und an Universitäten. Als Beispiele werden hasserfüllte Posts genannt, offene Briefe oder immer wiederkehrende Störungen von Veranstaltungen. Und dann ist da noch, was fast noch schlimmer ist, die Empathielosigkeit und das Schweigen weiter Teile der Kulturszene, die sich sonst bei jeder Gelegenheit lautstark zu Wort meldet. Die Autoren analysieren Ursachen und Erscheinungsformen des Antisemitismus, sie diskutieren Gegenpositionen und mögliche Konsequenzen. Und sie sind besonders glaubwürdig, weil sie mit dem jeweiligen Bereich des Kunstbetriebs, über den sie berichten, tief vertraut sind und weil sie auch die rar gesäten Beispiele der Solidarität mit Israel dokumentieren. So ein Posting, das das Berliner Maxim Gorki Theater am 14. Oktober 2023 veröffentlichte: Die Theaterleute solidarisierten sich mit Israel und wurden dafür mit Hass überschüttet. Oder die Begrüßung des Intendanten des Friedrichstadtpalastes am 11. Oktober 2023, in der er sich mit Israel solidarisch erklärte. Neben vereinzelten Buhrufen aus dem Publikum gab es Standing Ovations.
Besonders öffentlichkeitswirksame antiisraelische Aktivitäten werden aus der Bildenden Kunst beschrieben und dem zeitgenössischen Tanz. So wenn die Potsdamer Tanztage 2024 unter der Überschrift „Body and Resistance“ ihr kuratorisches Konzept in den Kontext antiisraelischer Gewalt stellten. Während nach dem 7. Oktober in der zeitgenössischen Tanzszene schnell antiisraelische und antisemitische Positionen offen formuliert wurden, hatten Spielstätten wie das HAU – Hebbel am Ufer nicht mal einen Halbsatz übrig, um ihre Solidarität mit den jüdischen Opfern des 7. Oktober zu bekunden.