Angespannter Wahlabend mit ungewissem Ausgang
Staatspräsident Macky Sall verkündete seit dem 18. Februar siegessicher, dass seine Wiederwahl im ersten Wahlgang unausweichlich sei. Die starke Zustimmung bei all seinen Wahlkampfauftritten habe ihn zu dieser Feststellung kommen lassen. Die meisten Beobachter gingen davon aus, dass Macky Sall als Amtsinhaber mit einer positiven Bilanz wiedergewählt würde. Ungewiss und kontrovers diskutiert blieb vor dem Wahlsonntag allerdings, ob ihm eine Wiederwahl direkt im ersten Wahlgang gelingen sollte. Zu sehr schaffte es Idrissa Seck in den vergangenen Wochen eine Allianz von politischen Bündnissen zu schmieden, die sich hinter ihm versammelten und zu ungewiss erschien, wie sich die mehrheitlich jungen und in sozialen Netzwerken umtriebigen Anhänger von Ousmane Sonko am Wahltag an die Wahlurnen mobilisieren ließen. Noch am Tag vor der Wahl glaubten viele, Macky Sall habe zwar eine Mehrheit, könnte es aber nicht zu einer benötigten absoluten Mehrheit bereits im ersten Wahlgang schaffen.
Nach der Verkündigung der ersten Auszählergebnisse in den landesweiten Fernseh- und Radioanstalten wurde rasch deutlich, dass der Amtsinhaber in vielen der Wahlbüros vor seinen Mitbewerbern lag. Dennoch traten Idrissa Seck und Ousmane Sonko am Wahlabend gegen 23 Uhr demonstrativ gemeinsam vor die Presse. Sie kritisierten beide in offensiver Deutlichkeit die in ihren Augen tendenziöse und parteiische Berichterstattung senegalesischer und internationaler Medien und erwähnten namentlich France24 und RFI sowie senegalesische Medien der Groupe Futurs Médias (GFM)-Gruppe, z.B. 2STV. Deren einseitige Berichterstattung habe frühzeitig den Präsidenten zum Wahlsieger erklärt. Seck und Sonko zeigten sich hingegen sicher, dass es zu einem zweiten Wahlgang kommen müsse. Die Verantwortlichen der GFM-Gruppe wiesen die Anschuldigungen noch in der Wahlnacht als haltlos zurück. Die Oppositionspolitiker peitschen durch solche Beschuldigungen die öffentliche Stimmung unnötig auf und gefährdeten somit den Zusammenhalt des Landes.
Kurz nach Mitternacht trat schließlich Premierminister Mohamed Ben Abdallah Dionne als Wahlkampfleiter der Präsidentenkoalition BBY vor die Presse und verkündete mit „mindestens 57 Prozent“ den Sieg Macky Salls im ersten Wahlgang. Dieser Auftritt sorgt für Unverständnis, da es nicht die Aufgabe des Premierministers ist, das vorläufige Wahlergebnis zu verkünden. Dies obliegt der unabhängigen Wahlkommission und bietet Verschwörungstheorien Vorschub, wonach das Ergebnis bereits vor Auszählung aller Stimmen festgestanden habe.
Tatsächlich liegt Macky Sall in der Hauptstadt Dakar und in den Regionen Fatick, Matam, Saint Louis, Kedougou, Kolda und Tambacounda vor seinen Mitbewerbern. Ousmane Sonko hat seine Herkunftsregion Ziguinchor in der Casamance für sich entschieden, Idrissa Seck liegt in seiner Herkunftsstadt Thiès und in Touba vorne – letzteres dürfte dem Präsidenten besonders missfallen, da Touba von der einflussreichsten Bruderschaft Senegals, den Muriden, geprägt wird und durch seine Anhänger politisch und wirtschaftlich großen Einfluss ausüben kann.
Die Wahlbeteiligung stieg im Vergleich zur letzten Wahl erheblich und betrug 65 Prozent. Die gestiegene Wahlbeteiligung ist ein weiterer Beleg für den schwindenden Einfluss Abdoulaye Wades. Sein Aufruf zum Wahlboykott verhallte vollends. Bei den Präsidentschaftswahlen 2000 und 2012 lag die Wahlbeteiligung je unter 60 Prozent, lediglich 2007 bei knapp 71 Prozent. Die Wahl verlief – auch nach Angaben internationaler Wahlbeobachter der Europäischen Union, der Afrikanischen Union und der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS – transparent und frei. Knapp 6,7 Mio. Senegalesinnen und Senegalesen konnten landesweit in 14.600 Wahlbüros und international in 49 Ländern ihre Stimme abgeben.
Ruhiger Wahlkampf ohne Topthema
Der seit dem 3. Februar 2019 geführte Wahlkampf verlief im Vorfeld weitestgehend ruhig und wurde professionell geführt. Staatspräsident Macky Sall dürfte mit Abstand am meisten in seine Wahlkampagne investiert haben. Seine Plakate mit dem Wahlslogan „Un Sénégal pour tous“ (Deutsch: Ein Senegal für alle) waren in städtischen Gebieten omnipräsent und wurden von weiteren Plakaten flankiert, die Macky Sall abwechselnd mit fertiggestellten Autobahnabschnitten, dem Schnellzug TER oder Prestigeobjekten in der Satellitenstadt Diamniado abbildeten – jeweils sollten dem Wähler die großen Erfolge der vergangenen sieben Jahre der Regierung Sall im Infrastrukturbereich verdeutlicht werden. Selbst die staatliche Einrichtung zur Förderung des Unternehmertums, La Délégation Générale à l´Entreprenariat Rapide (DER), machte offenen Wahlkampf für den Präsidenten. Die DER verwies auf Großplakaten auf die 30 Mrd. FCFA (450.000 Euro), die der Präsident für Frauen und junge Erwachsene durch diese neue Behörde zur Unternehmensgründung zur Verfügung stellte.
Alle Kandidaten bereisten wochenlang die 14 Regionen Senegals und mobilisierten mit Karawanen und öffentlichen Auftritten sowie Besuchen bei religiösen Würdenträgern ihre Anhänger. Die öffentlichen Auftritte waren mitunter sehr gut orchestriert, T-Shirts und kleine Geldbeträge wurden punktuell an mögliche Wähler ausgegeben. Während Ousmane Sonko vor allem in sozialen Medien wiederholt durch Provokationen gegen die Regierung auf sich aufmerksam machte und u.a. den Ausstieg aus der westafrikanischen und an den Euro gekoppelten Gemeinschaftswährung FCFA forderte, konnten vor allem Macky Sall und der frühere Premierminister Idrissa Seck durch eine ausgewogene und staatsmännische Wahlkampfführung immer stärker die Gunst der Bevölkerung für sich gewinnen. Der frühere Außenminister Madické Niang war seit Beginn des Wahlkampfes ein Außenseiter und konnte in den Wochen der Wahlkampagne keine eigenen Akzente setzen. Der islamisch-religiöse Kandidat Issa Sall, der von der Moustarchidine-Bewegung und der Parti de l´Unité et du Rassemblement (PUR) getragen wird, sprach gezielt die ärmere, ländliche Bevölkerung an und gestand am Wahlabend als erster seine Niederlage ein. Madické Niang folgte in den frühen Morgenstunden und versicherte im Falle eines zweiten Wahlgangs Idrissa Seck dessen Unterstützung.
Bis auf einen Zusammenstoß von Anhänger des PUR-Kandidaten mit Unterstützern der Präsidentenkoalition Benno Bokk Yakaar (BBY) Mitte Februar in Tambacounda mit zwei Toten verlief der Wahlkampf friedlich und ohne größere Auffälligkeiten. Alle fünf Kandidaten konnten ihre Programminhalte verdeutlichten, obschon ein übergeordnetes Wahlkampfthema fehlte. Präsident Macky Sall vollzog einen strikten Bilanzwahlkampf und verwies auf die Erfolge seines 2014 verabschiedeten und konsequent umgesetzten „Plan Sénégal Émergent“. In den letzten Wahlkampftagen versprach der Präsident im Falle einer Wiederwahl bis 2024 die Schaffung von 1 Mio. neuer Arbeitsplätze im Land. Der Staatspräsident erklärte im Hinblick auf die Vision seines bis 2035 umzusetzenden Entwicklungsplans: „Ich verspreche eine strahlende Zukunft für 2024 bis 2035.“ Während die Öl- und Gasfunde vor Senegals Küste und deren Erschließung sowie Ressourcenverteilung erstaunlicherweise keine größere Erwähnung im Wahlkampf fanden, traten folgende Themen wiederholt auf: die Regierungsführung unter Macky Sall, wirtschaftliche Vorhaben der Kandidaten und der Zugang zu sozialen Sicherungssystemen. Das Thema der Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für die junge Bevölkerung kam erst in den letzten Wahlkampftagen hervor. Migration, Bevölkerungsentwicklung, Außen- und Sicherheitspolitik wurden nicht thematisiert.
Zum ersten Mal seit der Einführung des senegalesischen Mehrparteiensystems 1974 traten die beiden (ehemals) einflussreichen Parteien Senegals, die sozialistische Parti Socialiste (PS) und die als liberal geltende Parti Démocratique Sénégalais (PDS), unfreiwillig nicht zur Wahl an. Deren Kandidaten, der frühere Oberbürgermeister Dakars und ehemalige Abgeordnete der Nationalversammlung Khalifa Sall und Karim Wade, der ehemalige Minister und Sohn des früheren Staatspräsidenten, wurden wegen ihrer Korruptionsverurteilungen nicht zur Wahl zugelassen. Khalifa Sall ließ während des Wahlkampfs aus der Haftanstalt in Dakar verlauten, dass er seinen Anhängern die Wahl Idrissa Secks empfehle. Spätestens seit dieser prominenten Wahlempfehlung erhielt die Kampagne Secks neuen Elan.
Der PDS-Generalsekretär und frühere Staatspräsident Abdoulaye Wade (2000-2012) konnte trotz seiner Rückkehr nach Senegal aus seiner Wahlheimat Versailles am 8. Februar nicht zum von ihm proklamierten Boykott der Wahl hinwirken. Es dürfte sein letzter Versuch gewesen sein, die Politik Senegals erfolgreich zu beeinflussen. Wenige Tage vor der Wahl verkündete Wade resigniert wirkend, am Wahltag keine Stimme abzugeben und die Wahl somit individuell zu boykottieren.
Wahlergebnisse der Diaspora-Senegalesen
Senegal verfügt seit der Parlamentswahl im Juli 2017 über 15 Abgeordnete aus der Diaspora. Mit mehr als zwei Mio. Senegalesen im Ausland erhält deren Anbindung an ihr Herkunftsland auch innenpolitisch Bedeutung. Die Rücküberweisungen der Senegalesen im Ausland in ihr Herkunftsland betragen jährlich zwei Mrd. Euro und stellen 15 Prozent des senegalesischen Bruttoinlandsprodukts dar. Senegal hat daher als eines der wenigen Länder in Subsahara-Afrika ein Ministerium für Auslandssenegalesen. Entsprechend gespannt wurde deren Wahlverhalten bei der Präsidentschaftswahl verfolgt. Staatspräsident Macky Sall führt auch hier deutlich und erhält in Guinea, Côte d´Ivoire, Nigeria, Kamerun, Burkina Faso, Niger, Togo, Südafrika, Sambia, in der Republik Kongo und der Demokratischen Republik Kongo eine Mehrheit – der Präsident erfährt in auffällig vielen afrikanischen Ländern eine Zustimmung seiner Staatsbürger. Doch auch die Mehrheit der Stimmen der in der Türkei und China lebenden Auslandssenegalesen entfallen auf Macky Sall. Dieses Ergebnis ist auch deshalb interessant, da sowohl der türkische Präsident Erdoğan wie auch der chinesische Präsident Xi Jinping unlängst Dakar besuchten und enge wirtschaftliche Kontakte mit Senegal pflegen. China und die Türkei sind wesentliche Unterstützer des PSE von Präsident Macky Sall und tragen zu dessen Verwirklichung maßgeblich bei.
Ousmane Sonko ist neben Macky Sall bei den Auslandssenegalesen besonders beliebt. Sonko erhielt die Mehrheit der Stimmen im Vereinigten Königreich, in den Niederlanden, in der Schweiz, Portugal, Ghana, Tunesien, Marokko und Ägypten sowie in Saudi-Arabien und Deutschland. Auch dieses Wahlverhalten sagt einiges über die strategische Ausrichtung des Kandidaten aus. In Nordafrika und Saudi-Arabien dürfte Sonko durch die dezidiert islamische Konnotation seiner Wahlkampfthemen Zuspruch erhalten haben. In den europäischen Ländern dürfte ihm die Ansprache junger Zielgruppen durch soziale Medien gelungen sein – auch seine Haltung gegen das Establishment dürften ihm hier wichtige Stimmen zugeführt haben. In Deutschland gaben 283 stimmberechtigte Senegalesen ihre Stimme Sonko, 217 an Macky Sall, 71 an Idrissa Seck, 12 an Issa Sall und 7 an Niang.
Einschätzung und Ausblick
Das vorläufige Wahlergebnis wurde auch zwei Tage nach der Präsidentschaftswahl nicht verkündet und lässt weiter Raum für Spekulationen. Spätestens am Freitag, den 1. März, müsste das Ergebnis durch die unabhängige Wahlkommission verkündet werden. Die Siegeserklärung seines Kandidaten Macky Sall durch den Premierminister und Kampagnenleiter noch in der Wahlnacht sorgte international für Irritation und lässt die Anhänger der Oppositionskandidaten in ihrer Ansicht bestärkt, es habe keine freie und transparente Wahl gegeben. Das Auftreten von Dionne in der Wahlnacht war ein politischer Fehler, der der Euphorie des Wahlkampfs geschuldet sein mag. Er trägt jedoch weiter zur Spaltung des Landes bei und verstärkt den Vertrauensverlust vieler Bürger in staatliche Institutionen.
Der geführte Wahlkampf lässt einige Rückschlüsse zu. Der Einfluss der Bruderschaften auf die politische Klasse Senegals ist nach wie vor stark, wird jedoch durch eine neuerdings zugelassene Meinungsvielfalt innerhalb der Bruderschaften ergänzt. Alle Kandidaten erhielten in den unterschiedlichen Bruderschaften Unterstützung und Anhänger – die Zeit der zu befolgenden Wahlempfehlungen der Kalifen an ihre Anhänger scheint beendet zu sein. Überdies ist eine Professionalisierung der politischen Abläufe Senegals erkennbar. Die Wahlkampagnen wurden allesamt professionell geführt – teilweise nach amerikanischem Vorbild. Die sozialen Medien nehmen dabei eine immer wichtiger werdende Funktion in städtischen Gebieten ein. Die Landbevölkerung ist weiterhin vor allem durch eine persönliche Ansprache und Großkundgebungen zu erreichen.
Schließlich scheint die Zeit der etablierten politischen Parteien PS und PDS zu Ende zu gehen und durch flexible Wahlbündnisse wie von Macky Sall (BBY) und Idrissa Seck (Idy 2019) abgelöst zu werden. Dabei nehmen ideologische Trennlinien kontinuierlich ab, wie das Bündnis zwischen dem Sozialisten Khalifa Sall und dem „Liberalen“ Idrissa Seck belegt. Der bis vor drei Jahren unbekannte Ousmane Sonko empfiehlt sich durch sein respektables Wahlergebnis bereits für eine mögliche erneute Präsidentschaftskandidatur 2024 und dürfte die kommenden Jahre als selbstbewusster Oppositionspolitiker auftreten, der eine gezielte „Gegen-Haltung“ vertritt und sich als Sprecher einer zunehmend jungen, urbanen und islamisch-patriotischen Bevölkerung profilieren könnte.
Das politische System Senegals befindet sich in einer Vertrauenskrise, die auch durch eine mangelnde Kommunikation zwischen Regierung und Opposition seit der Parlamentswahl 2017 gekennzeichnet ist. Durch gegenseitige Anschuldigungen, eine Verrohrung der Sprache im öffentlichen Diskurs und fragwürdige Abläufe wie die Ernennung des Bruders des Staatspräsidenten zum einflussreichen staatlichen Steueraufseher oder die Anklage des früheren Oberbürgermeister Dakars wegen Korruptionsvorwürfen kurz vor wichtigen Wahlen lassen immer mehr Bürger an der Unabhängigkeit staatlicher Institutionen zweifeln. Die Verkündigung der Wiederwahl Macky Salls noch am Wahlabend durch den Premierminister – anstelle unabhängiger Instanzen – trägt dazu bei, dass sich viele Wähler enttäuscht von der etablierten politischen Klasse abwenden. Die kommenden Tage und Wochen werden zeigen, wie stark das angeschlagene Vertrauen vieler Senegalesinnen und Senegalesen in staatliche Institutionen tatsächlich beeinträchtigt ist.
Provided by
Auslandsbüro Senegal und Gambia
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