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Am 12./13. Oktober waren die Mitglieder der Républicains aufgerufen, im Rahmen eines elektronischen Votums ihren neuen Vorsitzenden zu bestimmen. Wahlberechtigt waren alle Parteimitglieder, die ihren Mitgliedsbeitrag zum 30. Juni 2019 entrichtet hatten. Dies waren 131.268 Personen, darunter 196 Abgeordnete des Europäischen Parlaments, der Assemblée nationale und des Senats. Jeder Wahlberechtigte hatte per Post einen Zugangscode und ein Passwort zugeschickt bekommen. Die Wahl konnte vom Computer oder von einem mobilen Endgerät erfolgen. Insgesamt haben 62.401 Parteimitglieder an der Wahl teilgenommen. Die Wahlbeteiligung lag damit bei rund 47 Prozent.
Mit der Wahl von Christian Jacob zum neuen Vorsitzenden der Républicains ist ein betont ruhiger innerparteilicher Wahlkampf zu Ende gegangen, der im Vergleich zu vorherigen Kampagnen erstaunlich wenig Echo in den Medien gefunden hatte. Das lag einerseits am ausgleichenden Temperament des Favoriten Jacob, andererseits aber auch an der Tatsache, dass die Wahl über den künftigen Vorsitzenden der Républicains von der Entscheidung über den Präsidentschaftskandidaten im Jahr 2022 entkoppelt worden war.
Rückblick
Abgrenzung vom gemäßigt liberalen Lager
Das Ergebnis der Europawahlen von 8,5 Prozent war für die Républicains ein Schock. Statt der von den Umfrage-Instituten zuvor prognostizierten 15 Prozent hatten Frankreichs Bürgerliche erstmals seit ihrem Bestehen ein einstelliges Ergebnis bei einer landesweiten Wahl erhalten. Als der Vorsitzende der Républicains, Laurent Wauquiez, verkündete, dass er in diesem Ergebnis den Auftrag sehe, die Partei auch in Zukunft zu führen, brach blanke Panik aus: Innerhalb weniger Tage traten mehrere prominente Politiker, unter ihnen die Präsidentin der Region Paris, Valérie Pécresse, und rund 70 Bürgermeister mittelgroßer Städte wie Orléans oder Nancy aus der Partei aus. In der Fraktion der Républicains in der Assemblée nationale kündigten rund 20 jüngere Abgeordnete an, eine eigene Fraktion bilden zu wollen. Im Stadtrat von Paris verließ die langjährige Vorsitzende der Fraktion der Républicains gemeinsam mit einigen weiteren Stadtverordneten die Partei.
Unter diesem Druck trat Wauquiez acht Tage nach der Europawahl vom Amt des Vorsitzenden der Républicains zurück. Er war mit seinem betont rechtskonservativen, europakritischen Kurs gescheitert. Erst im Dezember 2017 im Rahmen einer Mitglieder-Abstimmung mit knapp 75 Prozent gewählt, hatte er die Partei stramm rechts ausgerichtet. Wauquiez hatte kein Interesse, die unterschiedlichen Flügel der Partei zu integrieren, sondern grenzte sich scharf vom gemäßigt-liberalen Lager ab. So dachte er etwa über Monate hinweg öffentlich über eine Verkleinerung der Europäischen Union auf sechs bis neun Mitglieder nach, forderte die Kastration von Sexualstraftätern und verglich die Möglichkeit künstlicher Befruchtung mit der Rassenauslese der Nazis. Als der frühere Premierminister Alain Juppé nach langem Zögern entnervt aus der Partei austrat, erklärte Wauquiez, mit dem Personal von gestern könne man keine Partei von morgen aufbauen.
Das Ziel von Wauquiez war, die Républicains als Alternative zwischen Emmanuel Macrons La République en Marche (LREM) und Marine Le Pens Rassemblement National (früher Front National) zu positionieren. Mit seinem Kurs schien er jedoch allzu häufig die Rechtspopulisten rechts überholen zu wollen. Am Ende konnte er weder die liberalen noch die national orientierten Wähler überzeugen. Bei den Europawahlen blieb den Républicains lediglich eine katholisch-konservative Kernwählerschaft treu, die sich den Überzeugungen des Spitzenkandidaten, dem 33-jährigen Philosophieprofessor François-Xavier Bellamy, gegen die Ehe für alle und die Abtreibung verbunden fühlten.
Der Wahlkampf
Kollegialität statt Konfrontation
Drei Kandidaten hatte die Wahlkommission am 26. August 2019 zugelassen. Sie hatten die vorgeschriebene Anzahl an Unterstützern vorweisen können. Christian Jacob galt von Anbeginn als Favorit: Der 59 Jahre alte Landwirt und langjährige Bürgermeister der 80km südöstlich von Paris gelegenen Kleinstadt Provins begann seine politische Laufbahn als Vorsitzender der Jugendorganisation des französischen Bauernverbands. Er war Europa-Abgeordneter (1994-97) und ist seit 1995 Abgeordneter der Assemblée nationale. Von 2002-2007 war er Minister in unterschiedlichen Funktionen (darunter Familie). Seit 2010 steht er der Fraktion der Républicains (bis 2015 „UMP“) vor, wo er seither als loyaler Teamplayer bekannt ist, für den nicht die eigene Person, sondern die Partei im Mittelpunkt steht.
Im zurückliegenden Wahlkampf stellte sich Jacob als Kandidat dar, der mit seinem ausgleichenden Temperament in alle Parteiflügel hinein integrieren kann. Entsprechend war sein Auftreten in den vergangenen Wochen betont kollegial. Er lobte seine beiden Mitbewerber öffentlich und lehnte eine direkte Konfrontation – etwa im Rahmen einer live übertragenen Fernsehdebatte – mit dem Hinweis ab, die ohnehin geschwächte Partei nicht weiter spalten zu wollen. Einen Coup landete Jacob, als er wenige Tage vor der Abstimmung den früheren Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy in seine Heimatstadt zum Essen einlud. Gegenüber den Medien behaupteten beide, es handele sich hierbei um eine rein private Einladung.
Anders als seine beiden Mitbewerber ist Jacob nicht Absolvent der Elite-Universität ENA. Der 41-jährige Julien Aubert war im selben Jahrgang der ENA wie Emmanuel Macron. Er gilt als EU-kritischer Anhänger des rechtskonservativen Flügels und Kopf der innerparteilichen Bewegung „Oser la France“ („Frankreich wagen“). Aubert bezeichnete die Républicains öffentlich als „toten Stern“ und schlug vor, die Partei in eine liberal-bürgerliche und eine konservative Formation aufzuspalten, die lediglich bei Wahlen mit einer gemeinsamen Liste antreten. Er erhielt bei der Abstimmung 21,3 Prozent der Stimmen. Der 42jährige Guillaume Larrivé, einst Mitarbeiter von Nicolas Sarkozy im Innenministerium und später im Elysee-Palast, gilt als liberal, hat in seiner Kampagne jedoch insbesondere die Themen Sicherheit und Migration in den Mittelpunkt gerückt. Er erreichte 16,1 Prozent.
Herausforderungen für den neuen Vorsitzenden
Etappenziel Kommunalwahlen
Gemeinsam war den drei Bewerbern die Überzeugung, dass es in Frankreich eine bürgerlich-konservative Wählerschaft gibt, die ihren Platz zwischen der bürgerlich-liberalen Bewegung des Staatspräsidenten, La République en Marche, und den Rechtspopulisten des Rassemblement National hat. Solange Emmanuel Macron und Marine Le Pen in die angestammten Milieus der Républicains, die urban orientierte obere Mittelschicht und die von Abstiegsängsten gezeichnete untere Mittelschicht, vordringen, wird es für die Partei schwierig sein, zu alten Erfolgen zurückzukehren. Zumal Macron bereits heute erkennbar die Strategie verfolgt, Le Pen zu seiner Hauptgegnerin für die Präsidentschafts-wahlen 2022 zu stilisieren, um diese dann in der Stichwahl zu besiegen.
Daher haben die Républicains bereits die Präsidentschaftswahl 2027 im Blick, wenn Emmanuel Macron aufgrund der Verfassung kein weiteres Mal antreten darf und Marine Le Pen nach drei verlorenen Präsidentschafts-kandidaturen wohl nicht erneut antreten wird. Theoretisch Zeit genug für die Républicains, sich von den innerparteilichen Krisen seit der Abwahl von Nicolas Sarkozy im Jahr 2012 zu erholen und den abnehmenden Glanz von Macron und Le Pen für sich zu nutzen.
Praktisch sind die Herausforderungen für den neu gewählten Vorsitzenden – den fünften in nur sieben Jahren – jedoch alles andere als einfach. Selbst führende Parteimitglieder weisen darauf hin, dass die Républicains mit der Wahl von Christian Jacob eine letzte Chance erhalten hätten, sich als wählbare politische Kraft zu präsentieren. Sollte die Partei auch in den nächsten Monaten keine Antworten auf die Fragen der Sicherheit, der Arbeitslosigkeit und der Ökologie anbieten, werde die Partei in einem Jahr faktisch von der politischen Bühne verschwinden, so der Vorsitzende der Fraktion der Républicains im Senat, Bruno Retailleau.
Denn den Républicains fehlt gegenwärtig nicht nur eine erkennbare Strategie und ein attraktives Programm, sondern auch eine moderne Organisationsstruktur und ein glaubwürdiger Kandidat für die Präsidentschaftswahl 2022. Jacobs Antwort auf diese Herausforderungen ist das Konzept einer bürgerlich-konservativen Volkspartei, die ihre Strukturen und Methoden erneuert und deren Führungspersonal geeint antritt. Für die derzeit fragmentierte Realität der Républicains fand Jacob das Bild einer großen Kathedrale mit zahlreichen Seitenkapellen, in denen unterschiedliche Heilige verehrt würden und verschiedene Baustile sichtbar wären, in der jedoch ein einziger Glaube vorherrsche.
Jacobs Programm lautet: „rassembler, réconcilier et rebâtir“ (integrieren, versöhnen, wiederaufbauen). Zunächst wird es wichtig sein, den Aderlass an politischen Persönlichkeiten zu stoppen. Doch dabei ist Eile angeraten. Erst am Wochenende erklärten ein Senator der Républicains und der frühere Premierminister Jean-Pierre Raffarin ihren Austritt aus der Partei. Dem neuen Vorsitzenden wird indes zugetraut, dass er Persönlichkeiten wie die Präsidentin der Region Paris (Île-de-France), Valérie Pécresse, oder den Präsidenten der Region Lille (Hauts-de-France), Xavier Bertrand, in die Partei zurückholen kann. Die beiden früheren Minister von Nicolas Sarkozy hatten die Partei 2017 bzw. 2019 verlassen und sind seither parteilos.
Daneben gilt es, die Wählerschaft der Bürgerlich-Konservativen, die sich in Frankreich weiterhin vielfach als „Gaullisten“ bezeichnen, über Themen wiederzugewinnen: Diese Wähler glauben an die politische, wirtschaftliche und kulturelle Führungsrolle Frankreichs in der Welt, stehen dem freien Unternehmertum grundsätzlich positiv gegenüber, fordern aber gleichzeitig einen starken Sozialstaat, der insbesondere die Schwächeren vor den Auswüchsen der Globalisierung schützt. Sie befürworten Recht und Ordnung, lehnen jedoch autoritäres Auftreten ab. Sie wünschen sich klare Regeln für Einwanderung und sind gesellschaftspolitisch eher konservativ. Jacob erinnerte an einen Ausspruch des früheren Staatspräsidenten Georges Pompidou, wonach die Partei Angebote für alle Leute machen müsse, die abends um 18 Uhr mit der Métro von der Arbeit nach Hause fahren.
Wie groß die Herausforderungen sind, macht eine kürzlich von der Tageszeitung „Le Figaro“ in Auftrag gegebene Analyse der Europawahlen deutlich: Von den Wählern der Républicains bei der Präsidentschaftswahl 2017 haben zwei Jahre später nur noch 38 Prozent für die Partei gestimmt, wohingegen 27 Prozent die Bewegung des Präsidenten, La République en Marche, und 15 Prozent den Rassemblement National von Marine Le Pen gewählt haben. Von den Wählern im Alter von 35 bis 49 Jahren haben nur mehr 3 Prozent den Républicains ihre Stimme gegeben.
Die nächste große Herausforderung für den neuen Vorsitzenden werden die in nur sechs Monaten frankreichweit stattfindenden Kommunalwahlen sein. Anders als La République en Marche, der Rassemblement National oder auch die Grünen (Europe Ecologie / Les Verts) haben die Républicains durch ihre traditionell starke kommunale Verwurzelung einen strukturellen Vorteil: Sie stellen bis heute tausende Bürgermeister sowie Vertreter in den Gemeinde- und Kreisräten. Eine Gefahr besteht jedoch darin, dass etliche Bürgermeister – wie bereits geschehen – zu La République en Marche wechseln und unter dem Logo der Bewegung des Präsidenten antreten.
Schließlich wird auch schon bald die Frage gestellt, wer für die Républicains in die Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2022 gehen wird. Neben den bereits genannten Regionalpräsidenten Valérie Pécresse und Xavier Bertrand, gilt der Vorsitzende des französischen Städte- und Gemeindetages („Association des Maires de France“), François Baroin, als Hoffnungsträger der Républicains. Der 54jährige ehemalige Minister und heutige Bürgermeister der ca. 60.000 Einwohner zählenden Stadt Troyes in der Champagne, ca. 180 km östlich von Paris, hat sich in den vergangenen zwei Jahren auf der nationalen politischen Bühne rar gemacht, bringt aber die Perspektive des ländlichen Raums ein – genau wie der neue Vorsitzende Christian Jacob. Klar ist jedoch heute schon, dass kaum ein Politiker der Républicains erneut eine mitgliederoffene Vorwahl über den Präsidentschaftskandidaten durchführen möchte, denn die Ursache für die gegenwärtig so prekäre Realität der Républicains sehen viele in dem monatelang andauernden Bruderkampf während der Vorwahlen von 2016.
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Auslandsbüro Frankreich
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