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Taiwan Presidential Office / flickr / CC BY 2.0

Country reports

Guatemala mit neuer Regierung

by Dr. Rudolf Teuwsen

Von Morales zu Giammattei: nach enttäuschten Erwartungen folgt neue Hoffnung

Das neue Jahr beginnt in Guatemala dieses Mal erst am 14. Januar – und auch nicht schon um Mitternacht, sondern nachmittags um 14 Uhr. Dann vollzieht sich nämlich die vor allem aufgrund der langen Übergangszeit von fünf Monaten heiß ersehnte Amtsübergabe des bisherigen Staatspräsidenten an den bereits im August neu gewählten.

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Rückblende

Am 16. April 2015 hatten die Generalstaatsanwaltschaft und die CICIG (Comisión Internacional Contra la Impunidad en Guatemala, Internationale Antikorruptionsbehörde) ein La Línea genanntes Netzwerk systematischen Betrugs im Zollwesen öffentlich gemacht. Daraufhin kam es am 25. April 2015 zu friedlichen Protesten der Bevölkerung und Rücktrittsforderungen an die politische Führung des Landes. Diesen kam die Vizepräsidentin, Roxana Baldetti, am 8. Mai nach; sie wurde am 20. August 2015 unter dem Vorwurf der führenden Beteiligung an La Línea verhaftet. Am 20. Mai 2015 entdeckten und veröffentlichten die genannten Justizbehörden einen Korruptionsfall beim IGSS (Instituto Guatemalteco de Seguridad Social, Sozialbehörde), woraufhin der öffentliche Druck zurückzutreten auch auf den Präsidenten, Otto Perez Molina, zunahm. Nach der Verhaftung von Baldetti kam er den Rücktrittsforderungen am 2. September 2015 schließlich nach.
Am 6. September 2015 kam es zur ersten Runde von Neuwahlen, aus denen etwas überraschend der Komiker Jimmy Morales als Erstplatzierter und – wenig überraschend – die ehemalige First Lady Sandra Torres, Ex-Frau des vormaligen Präsidenten Álvaro Colom, als Zweitplatzierte hervorgingen. Bei der Stichwahl am 25. Oktober 2015 holte Morales dann fast zwei Drittel der abgegebenen Stimmen. Die Guatemalteken hatten sich friedlich von einer korrupten Regierung befreit und blickten mit großen Hoffnungen in die Zukunft.

Präsidentschaft von Jimmy Morales

Aber der ehemalige Komiker, der mit dem Slogan „Ni corrupto, ni ladrón“ („Weder ein Korrupter, noch ein Dieb“) und dem Versprechen der Korruptionsbekämpfung angetreten war, hat seine Landsleute bitter enttäuscht. „Die schlechteste Regierung seit Wiederherstellung der Demokratie in 1986“ ist eine häufig zu hörende und zu lesende Zusammenfassung seiner Amtszeit. Die Schuld trifft aber nicht allein den Präsidenten, mithin die Exekutive.

Die Legislative, der Kongress, hat durch Inkompetenz, interne Kämpfe oder schlichte Arbeitsverweigerung (häufig wurde bei Abstimmungen das Quorum nicht erreicht) zur mangelhaften Regierung und zum schlechten Bild der staatlichen Institutionen erheblich beigetragen.

Gut veranschaulichen lässt sich dies am Staatshaushalt. Nach Angaben des Finanzministeriums wurden 2019 gut 90 Prozent des gesamten Jahresbudgets auch tatsächlich verausgabt. Selbst wenn dies stimmt, wäre dies ein Armutsmutszeugnis (bisher sind die Zahlen noch nicht verifiziert; die endgültigen Daten werden erst im Laufe des Frühjahrs 2020 vorliegen). Was die Zahl aber verschleiert, ist, dass die Regierung es nur deswegen geschafft hat, diese 90 Prozent des Haushalts für das Jahr 2019 auch tatsächlich auszugeben, weil sie, vor allem im Präsidialbüro, im Außenministerium und im Kongress, reichlich neues Personal eingestellt hat. Schaut man dagegen auf die für Investitionen vorgesehenen Mittel, stellt man fest, dass hier die Ausgabenquote (gemittelt über die vierjährige Amtszeit) nur bei zwei Drittel des vorgesehenen Budgets liegt. Beim Ausbau des Gesundheitssystems, der Renovierung von Schulen oder der Reparatur von Straßen und anderer Verkehrsinfrastruktur ist die Regierung Morales also weit hinter ihren Möglichkeiten und noch viel weiter hinter dem Bedarf des Landes zurückgeblieben. Diesen Mangel an guter Verwaltung spürt die Bevölkerung jeden Tag.

Zudem zeigte sich schon seit Ende 2016, dass Morales die Hoffnungen auf Unabhängigkeit von den korrupten Eliten des Landes weder erfüllen konnte noch wollte. Nachdem im September 2016 die CICIG Mitglieder seiner Familie unter die Lupe genommen hatte, wandelte sich Morales von deren Unterstützer zu einem erbitterten Gegner. Zunehmend wurden Korruptionsfälle in der Präsidentenfamilie publik: Als Morales selbst im Jahr darauf ins Visier der CICIG geriet und diese gar die Aufhebung seiner Immunität beantragte – was der Kongress ablehnte – versuchte Morales den Chef der CICIG, den kolumbianischen Staatsanwalt Ivan Velásquez, des Landes zu verweisen. Zwar scheiterte dieses Vorhaben am Verfassungsgericht, aber dem Präsidenten gelang es immerhin, die Verlängerung des Mandats der CICIG zu verhindern. Sie beendete am 3. September 2019 ihre Arbeit.

Als letztes Beispiel einer zweifelhaften Amtsführung soll hier der Abschluss eines sogenannten Drittstaatenabkommens mit den USA dienen. Dass die Regierung berechtigt gewesen ist, ein solches Abkommen auszuhandeln, ist auch in Guatemala herrschende Meinung. Aber der Präsident weigerte sich, das Abkommen wie von der Verfassung verlangt vom Parlament ratifizieren zu lassen, selbst nachdem er vom Verfassungsgericht dazu verurteilt worden war. Er setzte es dennoch in Kraft, so dass täglich 200-300 Migranten aus den USA nach Guatemala abgeschoben werden, darunter auch Honduraner und Salvadorianer und darunter auch Menschen, die zehn, 15 oder 20 Jahre in den USA gelebt haben. Da aber die Details des Abkommens unbekannt sind, also vor allem auch die (finanzielle) Kompensation, die die USA dafür leisten, lässt sich die Rechtsmäßigkeit der Abschiebe- und Aufnahmepraxis bis dato nicht beurteilen. Während in den letzten drei Amtsjahren von US-Präsident Obama im Mittel jährlich gut 33.000 unerlaubt eingereiste Migranten aus den USA nach Guatemala zurückgebracht wurden, waren es 2018 bereits mehr als 51.000 und im abgelaufenen Jahr fast 55.000. Auf die Aufnahme dieser Rückkehrer ist Guatemala jedenfalls nicht vorbereitet. Einige wenige Fahrten mit Uber reichen aus für das Sammeln von Geschichten von (meist männlichen) Rückkehrern, die ihre amerikanischen Frauen und Kinder zurückgelassen haben und sich ohne soziale Kontakte im Land ihrer Geburt wiederfinden, in dem sie sich aber nach Jahren der Abwesenheit nicht (mehr) zurechtfinden.

Die neue Regierung ab Januar 2020

Insbesondere was das Thema Migration anbelangt, setzen viele Guatemalteken große Hoffnungen in die Regierung des neuen Präsidenten Alejandro Giammattei. Der Mediziner hat es im vierten Anlauf und mit der vierten Partei endlich geschafft, ins höchste Staatsamt gewählt zu werden. Nicht wenige politische Beobachter behaupten, der Erfolg sei allein dem Umstand geschuldet, dass Stichwahlen nun einmal zweiwertige Angelegenheiten sind, wie der Logiker sagen würde, umgangssprachlich: „Einer wird gewinnen.“ Nach der ersten Wahlrunde hatte Giammattei mit gut zwölf Prozent der Stimmen noch mehr als zehn Prozent hinter seiner Gegenkandidatin, Sandra Torres, gelegen. Die ehemalige First Lady, die auch schon zum dritten Mal versuchte, Präsidentin zu werden, ist jedoch bei einer großen Mehrheit der Bevölkerung so verhasst, dass Giammattei in der Stichwahl keine Mühe hatte, rund 58 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich zu vereinen. Man kann also davon sprechen, dass sich die Guatemalteken für das aus ihrer Sicht kleinere Übel entschieden haben.

Mehrere Faktoren hatten dazu geführt, dass Giammattei es dieses Mal bis in die Stichwahl schaffte. Der konservative Politiker, der unter Präsident Berger von 2005 bis 2007 bereits als Leiter der Gefängnisverwaltung fungierte, hatte in der Bevölkerung einen hohen Bekanntheitsgrad. So konnte er die große Mehrheit der Stimmen der konservativen Wähler auf sich vereinen, für die die Partei des amtierenden Präsidenten Morales diskreditiert war.

Mit jedem Tag der von Morales durch einen willkürlich festgelegten frühen Wahltermin herbeigeführten gut fünfmonatigen Übergangszeit zwischen den Präsidentschaften – ein Novum in der Geschichte des Landes, das nur Kopfschütteln hervorgerufen und ebenfalls einen Beitrag zum schlechten Image von Morales geleistet hat – sind jedoch die Hoffnungen, wenn nicht die Sympathien, für den neuen Präsidenten und seine Mannschaft gestiegen. Obwohl zweifelsfrei ein treuer Freund der USA, spricht Giammattei in Anspielung auf US-Präsident Trump von einer „Mauer aus Arbeitsplätzen“ mit der er gegen die Auswanderung von Guatemalteken in die USA kämpfen will, was ihm unter seinen Landsleuten viel Zustimmung verschafft hat. Zudem hat er damit ohne Frage die wahre Ursache der Migrationsbewegungen in Zentralamerika benannt: die mangelhaften Zukunftsaussichten einer überwiegend jungen Bevölkerung.

Von den auf Basis einer Volkszählung inzwischen vom Statistikbüro des Landes (Instituto Nacional de Estadística, INE) offiziell bestätigten 16,3 Millionen Einwohnern – die Regierung hatte bis vor kurzem noch von 14,9 Millionen gesprochen und so unter anderem versucht, die niedrige Investitionsquote zu rechtfertigen – ist die Hälfte jünger als 26,5 Jahre alt. Wie sehr die guatemaltekische Wirtschaft von den in den USA lebenden Landsleuten abhängt, zeigt die Höhe der jährlichen Überweisungen in die Heimat, die 2019 erstmals die Zehn-Milliarden-Dollar-Marke überstiegen und – wie bereits im Jahr zuvor – rund zwölf Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachten. Wichtiger vielleicht noch ist die Tatsache, dass neun von zehn Empfängerhaushalten als arm oder von Armut bedroht gelten.

Aufgaben für die kommenden vier Jahre

Steht die Armutsbekämpfung auf der Liste der prioritären Aufgaben der neuen Regierung nicht nur für den Präsidenten, sondern auch bei nahezu allen politischen Beobachtern und Kommentatoren an erster Stelle, ordnen sich die weiteren zwar je nach Interessenlage unterschiedlich, aber die Nennungen sind im Wesentlichen immer die gleichen:

  • Ausbau und Erneuerung der Infrastruktur, besonders der beiden wichtigsten Häfen des Landes, Puerto Santo Tomás de Castilla am Atlantik und Puerto Quetzal am Pazifik, sowie drer Straßenverbindungen aus der Hauptstadt dorthin; Investitionen in das übrige Straßennetz, dessen schlechter Zustand für die hohe Zahl von Verkehrstoten verantwortlich gemacht wird.
  • Verbesserungen im Bildungswesen: 2019 verließen im Durchschnitt täglich 86 Kinder vorzeitig die Schule.
  • Senkung der Preise für Medikamente.
  • Kampf gegen die unkontrollierte bzw. illegale Müllentsorgung.
  • Verbesserung der Wasserversorgung.
  • Verabschiedung eines Wettbewerbsrechts, das mit dem bereits 2012 geschlossenen Assoziationsabkommen zwischen den Ländern Zentralamerikas und der EU vereinbar ist: Guatemala ist das einzige Land ohne ein solches Wettbewerbsrecht und kann daher zurzeit an dem Abkommen nicht teilnehmen.
  • Bessere rechtliche Absicherung von (ausländischen) Investitionen.
  • Verstärkung des Kampfes gegen den Drogenhandel, der sich aufgrund intensiverer Kontrollen der Seewege in die Luft verlagert hat.
  • Stärkung der inneren Sicherheit und Ausbau des internationalen Tourismus.

Giammatteis größte politische Herausforderung liegt aber ohne Zweifel in der Zusammensetzung des Parlaments. Insgesamt 19 Parteien - ein Ausdruck des fragmentierten Parteiensystems Guatemalas, in dem Parteien relativ schnell entstehen und auch wieder vergehen – haben es in den 160-köpfigen Kongress geschafft. Die mit Abstand stärkste Fraktion (52 Abgeordnete) stellt die UNE (Unidad Nacional de la Esperanza) von Giammatteis Stichwahlgegnerin Sandra Torres. Weit abgeschlagen an zweiter Stelle mit weniger als einem Drittel der Größe der UNE-Fraktion folgt die Präsidenten-Partei Vamos (por una Guatemala diferente; „Machen wir uns auf für ein anderes Guatemala“) mit 17 Sitzen. Die Partei des 2015 siegreichen Präsidenten Jimmy Morales, Frente de Convergencia Nacional (FCN-Nación), konnte dieses Mal lediglich acht Mandate verbuchen und liegt damit gleichauf an vierter Stelle. Erst bei den Wahlen zum Präsidium des Kongresses sowie zu den Ausschussvorsitzen wird sich zeigen, wie stark der parlamentarische Rückhalt des künftigen Präsidenten ist und aus welchen Fraktionen er kommt.

Eine Unsicherheit den Kongress betreffend scheint jedoch mit einer Entscheidung des Verfassungsgerichts vom 26. Dezember 2019 (jedenfalls vorerst) vom Tisch: die zwangsweise Auflösung mehrerer gewählter Parteien und ihrer Fraktionen aufgrund illegaler Wahlkampf- bzw. Parteienfinanzierung. Die entsprechende gesetzliche Regelung, auf die sich die Wahlbehörde TSE (Tribunal Supremo Electoral) sowie die Generalstaatsanwaltschaft bislang bei den von ihnen angestrengten Verfahren stützten, trat erst 2018 in Kraft, während die inkriminierten Spenden bereits für den Wahlkampf 2015 getätigt wurden. In seiner Entscheidung hat das Verfassungsgericht jedoch die rückwirkende Anwendung der Regelung ausgeschlossen.

Wie es in Guatemala nach dem Auslaufen des Mandats der CICIG mit der Korruptionsbekämpfung weitergeht, ist hingegen derzeit völlig offen. Mit der Vereinbarung zwischen der Regierung El Salvadors und der OAS zur Mandatierung der CICIES (Comisión Internacional Contra la Impunidad en El Salvador) und der Fortführung der MACCIH (Misión de Apoyo contra la Corrupción y la Impunidad en Honduras) in Honduras, wenn auch wahrscheinlich mit verändertem Mandat, steht Giammattei unter Druck, der eigenen guatemaltekischen Antikorruptionseinheit innerhalb der Generalstaatsanwaltschaft umfassende Handlungsmöglichkeiten zu sichern. Eine Neuauflage der CICG hat er jedoch ausgeschlossen.

Guatemala im lateinamerikanischen Vergleich

Bei allen Herausforderungen und Unwägbarkeiten dürfen gerade am Übergang von 2019 zu 2020 die Stärken Guatemalas im lateinamerikanischen Vergleich nicht übersehen oder unterschätzt werden: innere Ordnung, eine seit 1986 ungebrochene Folge freier, gleicher und geheimer Wahlen sowie eine makro-ökonomische Solidität, die sich in stabilen Wechselkursen, einer in absoluten Zahlen zwar wachsenden, im Verhältnis zum BIP jedoch seit zehn Jahren gleichbleibenden und nicht zu hohen Staatsverschuldung (von knapp 25 Prozent) sowie einer überschaubaren Inflationsrate (unter vier Prozent) manifestiert.

Und im April oder Mai 2020 wird Guatemala in jedem Fall einen bedeutenden Schritt in Richtung einer besseren Zukunft machen: Dann startet der erste guatemaltekische Forschungssatellit, der von der Universidad del Valle de Guatemala verantwortete Quetzal 1, der mithilfe von Sensoren für verschiedene Wellenlängen die Konzentration von Cyanobakterien im Wasser messen und zur Verbesserung der Wasserqualität im Atitlánsee beitragen soll.

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