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Kenias Wahlspruch lautet „Harambee“ was Kiswahili ist und so viel bedeutet wie: „Lasst uns zusammenstehen“ bzw.: „Lasst uns alle zusammen an einem Strang ziehen“. Um im Bild zu bleiben: „gezogen“ wird derzeit in Kenia viel, doch leider nicht immer in dieselbe Richtung und schon gar nicht immer zum Wohle des Landes und seiner Bevölkerung. Wie ist es in Kenia derzeit um das (gesellschafts)politische Klima bestellt? Wo liegen Herausforderungen und Konfliktbereiche?
Die Ausgangslage: Railas letzte Chance
Wahlumfragen sehen derzeit den amtierenden Präsidenten Uhuru Kenyatta, ältester Sohn von Jomo Kenyatta, des ersten Präsidenten der Republik, vor Oppositionsführer Raila Odinga. Zwar sollte man Wahlumfragen – nicht nur im afrikanischen Kontext – sicher nicht immer allzu großen Glauben schenken. Dennoch steht außer Frage, dass sich Kenyatta, nachdem die gegen ihn erhobene Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag (wegen Anstiftung zum Völkermord, Vertreibung und Raub während der Wahlen im Jahr 2007) aus Mangel an Beweisen im Dezember 2014 fallen gelassen wurde, innenpolitisch stabilisiert hat. Das trifft nicht nur auf ihn persönlich zu, sondern auch auf die von ihm geführte Allianz unterschiedlicher Parteien („Jubilee Alliance“). Hinzu kommt, dass auch das IStGH-Verfahren gegen den derzeitigen Vizepräsidenten William Ruto – mit denselben Anklagepunkten wie im Fall Kenyattas – am 5. April 2016 fallengelassen wurde. Ein faires Verfahren sei wegen politischer Einflussnahme nicht möglich gewesen, so Chefanklägerin am IStGH, Fatou Bensouda, da nachgewiesenermaßen eine Vielzahl von Zeugen der Anklage im Prozessverlauf aufgrund von Drohungen oder Bestechung ihre Bereitschaft zur Aussage zurückgezogen haben. Gleichwohl haben die beiden Entscheidungen des IStGH innenpolitisch den Zusammenhalt zwischen dem Präsidenten und seinem Stellvertreter (und damit auch den sie jeweils unterstützenden Parteien/Wahlbündnissen) in erheblichem Maße verstärkt. Nach derzeitiger Einschätzung wird folglich das Gespann Kenyatta/Ruto erneut gemeinsam in die Wahlschlacht 2017 ziehen. Aus taktischer Sicht ein cleverer Schritt, denn der Präsident, der der größten Volksgruppe der Kikuyu angehört, braucht die Unterstützung des Kalenjin William Ruto aus der Region Rift Valley, denn nach allgemeiner Expertenmeinung wird das Wahlverhalten in dieser Region maßgeblich entscheidend dafür sein, ob Kenyatta sein Amt behalten wird.
Auf der politischen Gegenseite wird aller Voraussicht nach der ehemalige Premierminister und Präsidentschaftskandidat der Jahre 2007 und 2013 für die Opposition („Cord-Coalition“) gegen den Amtsinhaber erneut in den Ring steigen: Raila Odinga. Auch wenn der mittlerweile 71-jährige ohne Zweifel über reichlich Erfahrung im politischen Geschäft verfügt, so ist er dennoch innerhalb des Oppositionsbündnisses nicht unumstritten. Viele sehen in ihm nicht den jungen Hoffnungsträger, der verkrustete Strukturen aufbrechen und dem Land frische Impulse geben könnte. Als besonders heikel wird die Tatsache gewertet, dass Odinga aufgrund seines Alters und nach zwei verlorenen Wahlen realistischerweise die letzte Chance erhält, Präsident des Landes zu werden. Ob er im Falle einer erneuten Niederlage dazu bereit wäre, wie vor drei Jahren das Wahlergebnis anzuerkennen und seine Unterstützer und Wähler zur Ruhe aufzurufen, ist daher fraglich.
Letztendlich werden wohl auch im kommenden Jahr zwei Repräsentanten bisheriger Politikerdynastien in den Wettbewerb um das höchste Amt im Staate treten. Von einer Wahlauseinandersetzung im Sinne eines Wettstreits um Programm und Profil, kann in einem Land, in dem Letztere kaum etwas zählen, dafür umso mehr die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppierung, ohnehin keine Rede sein. Führung und politische Verantwortung in Kenia ist in erster Linie personenzentriert und machtgeleitet, und dient weniger dem Interesse des Gemeinwohls, als demjenigen der eigenen ethnischen Gruppe oder Familie. Damit geht Politik an den eigentlichen Themen vorbei und die zahlreichen ökonomischen wie politischen Herausforderungen nicht an: etwa der beschränkte Zugang vieler Kenianer zu Bildung, zum Gesundheitswesen, die hohe Jugendarbeitslosigkeit, der schlechte Zustand der Infrastruktur - um nur einige zu nennen.
„Allheilmittel Devolution“
Wer sich im Jahre 2016 mit kenianischer Innenpolitik befasst, kommt an dem Thema „Dezentralisierung“ nicht vorbei: Die verfassungsgemäße Umstrukturierung des Landes von zentralistischen, postkolonialen Strukturen hin zu einem föderalen System mit 47 Counties wird auch im Wahljahr 2017 eine entscheidende Rolle spielen. Vor allem vor dem Hintergrund, dass der hart geführte Wettstreit um 47 hoch dotierte und einflussreiche Gouverneurs- und Senatorenposten das ohnehin aufgeheizte politische Klima im Land zusätzlich verschärft. Es ist zudem zu beobachten, dass eine Auseinandersetzung mit dem komplexen Thema „Devolution“ nicht auf inhaltliche Weise etwa dadurch stattfindet, indem beispielsweise die Errungenschaften und Herausforderungen dieses Prozesses thematisiert werden, sondern es überwiegend erneut fast ausschließlich darum geht, die Sache politisch zu instrumentalisieren. Oder anders ausgedrückt: „Devolution“ wird zumeist missbraucht, um aus machtstrategischen Gründen der jeweils anderen politischen Ebene die Schuld (für beispielsweise ein nicht umgesetztes Straßenbauprojekt in einem County) in die Schuhe zu schieben, sich durch diese Art von blame-shifting frei zu sprechen und gleichzeitig einen Sündenbock für das eigene Versagen zu finden. Um jedoch die Dezentralisierung des Landes zum Erfolg zu führen, bedarf es einer sachlichen Information der Bevölkerung einhergehend mit einer unaufgeregten Analyse der bisherigen Umsetzungsergebnisse. Stattdessen läuft der Prozess der „Devolution“ Gefahr, zum Spielball machthungriger Politik zu werden. Es ist zu hoffen, dass nicht nur nach der Wahl, sondern möglichst noch in deren Vorfeld, eine Versachlichung der Debatte einsetzt und sich dem Thema mit der Ernsthaftigkeit gewidmet wird, die es verdient.
„Hate speeches“ anstelle nationaler Einheit
Wahlvorbereitungen beginnen in Kenia recht frühzeitig. Neben den notwendigen organisatorischen Schritten wie beispielsweise die Registrierung von Wählern, bereitet sich auch die politische Elite des Landes auf ihre Weise auf die Wahl vor, indem sie die Stimmung in der Bevölkerung beizeiten anheizt. Anhand von sogenannten „hate speeches“ werden die verschiedenen ethnischen Gruppen gegeneinander in Stellung gebracht. Das rhetorische Muster hierbei ist populistisch wie gleichbleibend schematisch: die jeweils eigene Ethnie wird von anderen benachteiligt bzw. muss ihre hart erworbenen Privilegien verteidigen. In einem Land mit 42 verschiedenen Volksgruppen ein probates Mittel, das aufgrund mangelnder Bildung meist funktioniert. Die Kluft zwischen den unterschiedlichen Ethnien und den politisch relevanten Akteuren aller Ebenen hat sich in den vergangenen Monaten jedenfalls vertieft. Das weckt Erinnerungen an die Ereignisse nach den Wahlen 2007/2008, die als „post-election violence“ in die kenianischen Geschichtsbücher eingegangen sind: Im Zuge ethnisch motivierter Konflikte und Unruhen mussten schätzungsweise 1.500 Menschen ihr Leben lassen, darüber hinaus kam es zu über einer halben Million Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen. Auch wenn hochrangige Politiker in Sonntagsreden immer wieder betonen, dass solch schreckliche Gräueltaten niemals mehr geschehen dürfen, so schüren sie gleichzeitig Konflikte zwischen den Volksgruppen, die jederzeit in blanke Gewalt umschlagen können. Bezeichnend für die derzeitige politische Stimmung im Land sind die Ereignisse um den am 1. Juni stattgefundenen kenianischen Unabhängigkeitstag („Madaraka Day“): die Opposition führte ihre eigenen Feierlichkeiten mit Odinga an der Spitze in der Hauptstadt Nairobi durch, während das Regierungsbündnis den Unabhängigkeitstag in einer offiziellen Zeremonie im 140 Kilometer entfernten Nakuru beging. Als Hauptredner fungierte dort Präsident Kenyatta, der mit harten Worten die Opposition beschuldigte, seine Einladung für eine gemeinsame nationale Unabhängigkeitsfeier bewusst abgelehnt und sich damit respektlos gegenüber einer demokratisch gewählten Regierung verhalten zu haben. Es sei erklärtes Ziel der Opposition, „das Land ins Chaos zu stürzen, die Verantwortlichen werden früher oder später hierfür zur Rechenschaft gezogen werden“. Auch wenn beide Veranstaltungen (entgegen vorheriger Ankündigungen) letztendlich friedlich abgelaufen sind, so ist dieses Beispiel doch Beleg für die derzeit angespannte politische Situation im Land, in der Gewalt gesät wird - und somit auch geerntet werden könnte.
Polizeigewalt gegen Demonstranten
Im Mai 2016 erreichten die Demonstrationen der Opposition („CORD“) gegen die amtierende Wahlkommission („Independent Electoral and Boundaries Commission“ – IEBC) ihren Höhepunkt und haben bereits vier Todesopfer gefordert. Hintergrund der wochenlang jeweils montags abgehaltenen landesweiten Proteste ist, dass die Opposition die Unabhängigkeit der Kommission in Zweifel stellt und die wohl zum Teil auch nicht unbegründete Auffassung vertritt, dass das Gremium aufgrund seiner Nähe zur amtierenden Regierung Kenyatta nicht in der Lage sei, unabhängige und freie Wahlen im Sommer kommenden Jahres zu organisieren – folglich also nicht als „neutraler Schiedsrichter“ im Wahlprozess fungieren könne. Deshalb wird der Rücktritt der Kommissionsmitglieder gefordert. Die Polizei ging äußerst gewalttätig gegen die Demonstranten vor, setzte Wasserwerfer, Schlagstöcke und Tränengas ein. Zudem kam es zum Einsatz scharfer Munition. Einige Demonstranten bewarfen daraufhin die Polizei mit Steinen, die Gewalt eskalierte. Die kenianischen Medien berichteten ausführlich über die Ereignisse, betonten das verfassungsgemäße Recht auf friedliche Demonstrationen und fürchteten in diesem Zusammenhang um die „nationale Einheit“ und den „inneren Frieden“ im Land. Die Bilder, auf denen zu sehen ist, wie ein Polizist in paramilitärischer Ausrüstung einen am Boden liegenden unbewaffneten Zivilisten mit voller Wucht gegen den Kopf tritt, lösten Wut und Entsetzen in der Öffentlichkeit aus - und vor allem auch Angst, dass die Handgreiflichkeiten sich in den kommenden Monaten im Vorlauf der nächsten Wahlen noch verstärken könnte. Erschwerend kommt hinzu, dass die Sicherheitskräfte in Kenia ohnehin einen äußerst schlechten Ruf genießen. Begriffe wie Willkür, Brutalität und Korruption werden zumeist in einem Atemzug mit der Polizei genannt: allzu oft hat sich der „Freund und Helfer“ in Kenia als unberechenbarer „Tyrann in Uniform“ entpuppt. Derzeit laufen Vermittlungsgespräche zwischen Regierung und Opposition, um bezüglich der personellen Neubesetzung der Kommission baldmöglichst eine Einigung zu erzielen. Sollten die Gespräche scheitern, ist zu befürchten, dass es wieder zu Gewalt auf den Straßen Kenias kommt. Es bleibt ein Pulverfass, das jederzeit – mit ungewissem Ausgang – explodieren könnte.
Politische Morde schüren Angst
Auch der Mord an einem in Kenia bekannten (wie dubiosen) Geschäftsmann Anfang Mai 2015 in Nairobi beschäftigt die kenianische Öffentlichkeit. Der Ermordete soll Dokumente im Besitz gehabt haben, die Korruptionsfälle auf höchster Regierungsebene beweisen sollen. Die Ermittlungen laufen schleppend und fehlerhaft, die Rolle der Polizei bleibt unklar. Um diese Angelegenheit ranken sich viele Verschwörungstheorien und die Wahrheit kommt wahrscheinlich niemals ans Licht. Umso mehr ist dieser Fall ein Beleg dafür, wie verunsichert die Öffentlichkeit und wie groß das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber staatlichen Institutionen ist.
Weitaus dramatischer stellt sich der Mord an dem 32-jährigen Menschenrechtsanwalt Willi Kimani Ende Juni dar: der junge Advokat wurde zusammen mit seinem Mandanten und einem Taxifahrer nach Verlassen des Gerichtsgebäudes in Machakos zunächst verschleppt und dann getötet. Die Leichen wurden Tage später – teilweise grausam entstellt – in einem Fluss nordöstlich der Hauptstadt gefunden. Kimani fungierte als Anwalt in einem Gerichtsverfahren gegen Polizeigewalt. Sein Mandant wurde bei einer Verkehrskontrolle von Polizeibeamten verletzt und später, nachdem er Klage gegen die „Ordnungshüter“ erhoben hatte, selbst angeklagt. Da die Opfer zuletzt lebend in einem Polizeicamp gesehen wurden, kam es zur Verhaftung von drei Beamten, die an dem betreffenden Tag dort ihren Dienst verrichtet hatten und nun beschuldigt werden, mit der Bluttat in Verbindung zu stehen. Diplomaten westlicher Staaten richteten einen dringlichen Appell an die Regierung Kenyatta, die Untersuchungen gründlich und objektiv zu führen sowie die Täter (unabhängig von ihrer Funktion) zur Rechenschaft zu ziehen. Landesweit kam es zu Demonstrationen gegen Polizeigewalt, Lynchjustiz und „außergerichtlichen Tötungen“. Die kenianische Juristenvereinigung LSK („Law Society of Kenya“) bezeichnete die Ermordung des Anwalts als „schwarzen Tag für die Rechtsstaatlichkeit in Kenia“ und betonte, „dass Rechtsstaatlichkeit im höchsten Maße bedroht sei, wenn die Wächter des Rechts um ihr Leben fürchten müssen“. International sorgte der Fall für großes Aufsehen und Bestürzung. So erklärte beispielsweise die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe Bärbel Kofler: „Menschenrechtsverteidiger wie Rechtsanwalt Kimani spielen eine wichtige Rolle bei der Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen gegenüber Menschen, die sich ansonsten selbst nur unzureichend wehren können. Sie zu schützen ist eine wichtige Aufgabe.“
Ausblick: Kenia am Scheideweg
Weniger die Frage, WER über 2017 hinaus das Land regiert, ist von entscheidender Bedeutung, sondern vielmehr, ob die politischen Entscheidungsträger nach der Wahl in der Lage und willens sein werden, das Land friedlich in eine gute Zukunft zu führen. Statt ethnisch motivierter Auseinandersetzungen und Missbrauch der Staatsgewalt ist der Zusammenhalt aller Kenianer im Sinne der nationalen Einheit von herausragender Bedeutung. Es wird vieles davon abhängen, ob die bestehende ethnische Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern vielmehr als Bereicherung angesehen wird. Der politischen Elite im Land kommt hierbei eine Vorbildfunktion zu.
Als ermutigend ist zweifelsohne hervorzuheben, dass Kenia im Vergleich zu anderen Ländern des afrikanischen Kontinents über eine herausragende wirtschaftliche Entwicklung und eine engagierte und lebendige Zivilgesellschaft verfügt, die – oftmals im Einklang mit einer vielfältigen Presselandschaft – Missstände überraschend offen, kritisch und direkt thematisiert. Spätestens Ende dieses Jahres wird sich zeigen, ob die Ereignisse in den folgenden Monaten dazu beitragen werden, eine Stabilisierung der Demokratie mit sich zu bringen oder ob Kenia sich in die
Riege afrikanischer Länder einreiht, die aufgrund unterschiedlicher Faktoren wie Konflikte, Krisen, Korruption einen Problemfall darstellen. So blickt vielleicht nicht die ganze Welt, doch sicher ganz Afrika mit Spannung auf die zukünftigen Ereignisse. Eine positive politische Entwicklung würde verheißungsvolle Impulse für den gesamten Kontinent auslösen. Bei den kommenden Wahlen hat Kenia die Chance, unter Beweis zu stellen, dass Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte nicht nur abstrakte Leitbilder sind, sondern sich in der afrikanischen Realität auch verwirklichen lassen.
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