Barham Salih zum neuen irakischen Präsident gewählt
Am 2. Oktober 2018 wählte das irakische Parlament Barham Salih zum neuen Präsidenten des Irak. Er wurde für das Amt von Seiten der PUK vorgeschlagen. Entsprechend der etablierten Machtaufteilung unter den verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen des Landes ist das Amt des Staatspräsidenten für einen Kurden, das Amt des Parlamentssprechers für einen Sunniten und das Amt des Ministerpräsidenten für einen Schiiten vorgesehen. Dem Präsidenten kommen dabei hauptsächlich zeremonielle Aufgaben zu, während die Exekutivgewalt überwiegend beim Ministerpräsidenten liegt.
Salih gewann die Wahl im zweiten Wahlgang mit 219 Stimmen überraschend deutlich vor seinem Konkurrenten Fuad Hussein von der Demokratischen Partei Kurdistans, der nur 22 Stimmen erhielt. Salih war von 2009 bis 2012 Ministerpräsident der ARK und von 2006 bis 2009 stellvertretender Ministerpräsident des Irak.
Der neue Präsident gilt als international sehr gut vernetzter Staatsmann, der enge Kontakte in die USA pflegt und gleichzeitig gute Arbeitsbeziehungen in den Iran unterhält. Vor dem Hintergrund der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen Teheran und Washington, die maßgeblichen Einfluss auf die irakische Innenpolitik entfaltet, kann Salih als Konsenskandidat beider Seiten beschrieben werden, der als moderierende Kraft im Land wirken dürfte. Salihs hohes Ansehen insbesondere unter der arabischen Bevölkerung des Irak dürfte ein entscheidender Faktor dafür gewesen sein, dass sich eine überwältigende Mehrheit der Parlamentsabgeordneten für den PUK-Kandidaten entschieden hat.
Vor seiner Wahl zum irakischen Staatspräsidenten galt Barham Salih innerhalb der PUK als umstritten. Unmittelbar im Nachgang zum letztjährigen Unabhängigkeitsreferendum war er aus der PUK ausgetreten und hatte die Partei Coalition for Democracy and Justice (CDJ) gegründet, um das jahrzehntelange Machtduopol der KDP und PUK in der ARK aufzubrechen. Salih inszenierte sich dabei als neue Kraft im Kampf gegen die weithin als korrupt empfundenen politischen Eliten der Region; hierbei lieferte er sich insbesondere mit der Führungsriege der PUK einen heftigen rhetorischen Schlagabtausch. Nachdem die CDJ bei den irakischen Parlamentswahlen im Mai nur zwei Mandate erringen konnte und damit hinter den eigenen Erwartungen zurückblieb, beendete Salih sein politisches Projekt und trat im Gegenzug für seine Nominierung als Präsidentschaftskandidat wieder der PUK bei.
Kurdisches Zerwürfnis über die irakische Präsidentschaft
Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl war es zudem zu einem Zerwürfnis der beiden dominierenden Parteien der ARK gekommen, nachdem die KDP das Amt des irakischen Präsidenten erstmals für sich beansprucht hatte. Bei den vergangenen Wahlen hatten KDP und PUK stets einen gemeinsamen Kandidaten nominiert, der entsprechend der innerkurdischen Machtaufteilung aus den Reihen der PUK gekommen war.
Trotz Versuchen der Einigung konnten sich KDP und PUK bis zum Wahlgang am 2. Oktober auf keinen gemeinsamen Kandidaten verständigen. Anlass für den Anspruch der KDP auf das irakische Präsidentenamt war das starke Abschneiden der Partei bei den nationalen Parlamentswahlen am 12. Mai 2018 und den kurdischen Regionalwahlen am 30. September 2018 gewesen, bei denen die KDP jeweils zur stärksten kurdischen Kraft gewählt wurde. Als Folge kam es zu einer Kampfabstimmung im Parlament am 2. Oktober, aus der Salih auch aufgrund seines landesweiten Ansehens als deutlicher Sieger hervorging. Sein Herausforderer Fuad Hussein, der bis 2017 Stabschef des KDP-Vorsitzenden Masud Barzani gewesen war, wurde hingegen weithin mit der Führungsriege jener Partei assoziiert, die im Vorjahr das kurdische Unabhängigkeitsreferendum vorantrieb und damit die gesellschaftlichen Gräben zwischen den irakischen Arabern und irakischen Kurden vergrößert hatte.
Adil Abdul-Mahdi mit Auftrag zur Regierungsbildung
Als erste Amtshandlung übertrug der neue Präsident Barham Salih den Auftrag zur Regierungsbildung an den Schiiten Adil Abdul-Mahdi. Der 76-jährige designierte irakische Ministerpräsident hat weitreichende politische Erfahrung. Von 2004 bis 2006 war er Finanzminister sowie von 2014 bis 2016 Ölminister des Irak. Zwischen 2005 und 2011 diente er zudem als irakischer Vizepräsident. In der Vergangenheit war Abdul-Mahdi bereits mehrmals für das Amt des Ministerpräsidenten im Gespräch gewesen. In den 1980er schloss sich der ehemalige Kommunist der von Iran unterstützten irakischen Opposition an und gehörte bis 2017 dem Iran-nahen Islamic Supreme Council of Iraq an. In Folge des Sturzes von Saddam Hussein im Jahr 2003 unterhielt er jedoch auch ein pragmatisches Arbeitsverhältnis mit den USA.
Die Nominierung Abdul-Mahdis als Ministerpräsident kann als kleinster gemeinsamer Nenner im Ringen zwischen Washington und Teheran um Einfluss im Irak interpretiert werden. Innerhalb der politischen Landschaft des Landes genießt er die Unterstützung des einflussreichen Großajatollahs Ali as-Sistani und des populären schiitischen Klerikers Muqtada as-Sadr, dessen Sairoun-Bewegung als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen im Mai hervorgegangen war. Ebenfalls verfügt der designierte Ministerpräsident über sehr gute Kontakte in die politischen Zirkel der ARK, die er insbesondere während seiner Amtszeit als Ölminister kultiviert hat. Die Iran-nahe Conquest-Allianz des Anführers der Volksmobilisierungskräfte (al-Haschd asch-Scha‘bi) Hadi al-Ameri sowie der ehemalige irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki stemmten sich zunächst gegen die Nominierung Abdul-Mahdis, zogen dann jedoch ihre Einwände ob ihrer geringen Erfolgsaussichten zurück.
Abdul-Mahdi stehen nun laut Verfassung 30 Tage zur Verfügung, eine Regierung zu bilden. Der designierte Ministerpräsident steht vor der schwierigen Aufgabe, ein Kabinett zu formen, das die konkurrierenden Interessen im Irak auszubalancieren vermag und gleichzeitig handlungsfähig ist, um die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes zu adressieren. Der bei den einfachen Irakern beliebte Muqtada as-Sadr hat Abdul-Mahdi bereits zur Bildung einer reformorientierten Regierung aufgerufen und indirekt mit Unruhen gedroht, sollten binnen eines Jahres keine erkennbaren Fortschritte in der Umsetzung dieser Reformen erkennbar sein.
Regionalwahlen in der Autonomen Region Kurdistan
Die Wahl des irakischen Staatspräsidenten und die Ernennung des designierten Ministerpräsidenten in Bagdad erfolgten unmittelbar nach den Regionalwahlen in der ARK am 30. September 2018. Exakt ein Jahr nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum und knapp fünf Monate nach den nationalen Parlamentswahlen im Irak waren rund 3,1 Millionen Wahlberechtigte dazu aufgerufen, die zukünftige Zusammensetzung des 111 Sitze umfassenden Regionalparlaments zu bestimmen.
Gesunkene Wahlbeteiligung
Trotz der Brisanz der Wahl im Nachgang des gescheiterten Unabhängigkeitsreferendums fiel die Wahlbeteiligung mit insgesamt 57,23% geringer als noch in der Vergangenheit aus (Ergebnisse nach Provinz: Erbil 58,6%, Sulaimaniyya 53%, Dohuk 61,9%, Halabja 60,9%). Bei den Regionalwahlen von 2013 hatten ca. 74% und bei den Regionalwahlen von 2009 ca. 78,5% der Wahlberechtigten abgestimmt.
Dieser abnehmende Trend spiegelt den wachsenden Vertrauensverlust der irakischen Bevölkerung in das politische System und die regierenden Eliten des Landes wieder, der bereits bei den nationalen Parlamentswahlen vom 12. Mai zu beobachten war. In der Autonomen Region Kurdistan wurde diese negative Entwicklung durch das fehlgeschlagene Unabhängigkeitsreferendum zusätzlich befeuert, infolgedessen die ARK die zuvor kontrollierten, sogenannten umstrittenen Gebiete (u.a. das ölreiche Kirkuk) an den Zentralstaat verlor und weitreichende ökonomische Nachteile davontrug.
Stabile Sicherheitslage, massive Betrugsvorwürfe
Bei den Regionalwahlen kam es zu keinen größeren, sicherheitsrelevanten Zwischenfällen. Allerdings mehrten sich im Laufe des Tages Berichte über Wahlbetrug und organisatorische Pannen. Vielerorts beklagten sich Wahlgänger über unvollständige Registrierungslisten, sodass sie von der Stimmabgabe ausgeschlossen waren. Ebenfalls sollen im großen Rahmen Identitätsdokumente gefälscht worden sein, um das Wahlergebnis zu beeinflussen. In den Stunden nach Schließung der Wahllokale zweifelten gleich mehrere Parteien, darunter die KDP und die PUK, öffentlich die Wahl an. Offiziell hat bislang jedoch nur die neue Anti-Establishment-Partei New Generation erklärt, den Wahlausgang nicht anerkennen zu wollen. Die Kurdistan High Electoral Commission (KHEC) prüft derzeit 1.045 Beschwerdeanträge, bevor sie das Wahlergebnis offiziell bekannt geben wird.
KDP und PUK behaupten sich gegenüber den Reformparteien
Laut dem vorläufigen Wahlergebnis (nach Auszählung von 85 Prozent der abgegebenen Stimmen) konnte die KDP deutlich an Mandaten hinzugewinnen und ihre Machtposition im neuen Parlament mit voraussichtlich 44 Sitzen gegenüber der PUK weiter ausbauen. Im Vergleich zu den letzten Regionalwahlen von 2013 konnte die PUK jedoch mit 21 gewonnenen Sitzen wieder zur zweitstärksten Kraft im Parlament aufsteigen und die Reformpartei Gorran auf den dritten Platz verweisen (12 Sitze). New Generation konnte mit nur acht gewonnenen Sitzen die Vorherrschaft der KDP und PUK nicht gefährden.
Damit zeigt sich, dass die zwei führenden Parteien der ARK ihre Wählerschaft trotz der politischen Krisen im Nachgang des kurdischen Unabhängigkeitsreferendums mobilisieren konnten und auch zukünftig die politischen Geschicke der ARK bestimmen werden. Entscheidend für die politische Stabilität der ARK dürfte nun sein, ob sich KDP und PUK nach der heftigen Auseinandersetzung über das irakische Präsidentenamt wieder zusammenfinden können, um eine stabile Regierung in Erbil zu bilden.
Lesen Sie den Länderbericht inkl. Fußnoten und Tabellen als pdf.
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