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Premierminister bleibt unverändert Ion Chicu, der schon unter Vlad Plahotniuc Finanzminister war, nach dessen Sturz zu Dodon wechselte und mit seinem eigenen Werdegang so auch den Wandel der Machtverhältnisse zur jetzigen Regierungsbildung verkörpert. Die PDM wird in der Regierung mit fünf Ministern von insgesamt 11 (oder mit Einschluss der Gouverneurin von Gagausien 12) Mitgliedern vertreten sein. Konkret geht es um die Ressorts Verteidigung, Äußeres und Europa, Reintegration (Transnistrien), Wirtschaft und Bildung. Dass die PDM jetzt die außen- und sicherheitspolitisch – zumindest vordergründig – relevanten Ressorts übernimmt, die Dodon bislang zu seiner präsidialen Prärogative zählte, soll eine Außenpolitik des Gleichgewichts zwischen West und Ost signalisieren.
Die PDM wird in diesem Sinne versuchen, sich erneut als Sachwalterin westlicher Interessen in der Moldau zu präsentieren. So hatte sie ihre Macht bereits unter Plahotniuc gerechtfertigt. Das hatte aber offenkundig nur dazu gedient, die stattgefundene Kaperung des Staates mangels demokratischer Legitimation geopolitisch zu legitimieren. Tatsächlich etablierte die PDM unter Plahotniuc ein fast schon idealtypisches Model oligarchischer Machtusurpation, das mit europäischen Vorstellungen von Demokratie und Rechtstaat strukturell unvereinbar ist; deshalb musste dieses politische Geschäftsmodell auch die geopolitische Wende früher oder später nach sich ziehen. Die frühere Herrschaft der PDM – und die geopolitische motivierte Unterstützung, die sie dabei auch von Akteuren innerhalb der EU erfahren hatte – hatte im Ergebnis nur erreicht: Eine Diskreditierung der EU, eine fast existenzielle Schwächung der wirklich pro-europäischen Parteien und eine massive Stärkung der pro-russischen Kräfte. Am Ende verschafft jetzt erst die PDM der PSRM eine strategische Mehrheit, die sie sonst kaum hätte erlangen können.
Die Koalition bekennt sich zum Assoziationsabkommen mit der EU, ebenso wie zur Mitgliedschaft in der GUS, benennt als strategische Partner namentlich zunächst Russland, dann die USA und Deutschland, zudem die Entwicklung der strategischen Partnerschaft mit Rumänien. Das liegt ganz auf der bisherigen Linie Dodons, der eine Politik des Ausgleichs zwischen West und Ost postuliert. Allerdings hat Dodon engere Beziehungen zu Russland und ist auch stärker auf russische Unterstützung angewiesen, als jeder moldauische Führungspolitiker bisher. Zugleich aber ist er und die Regierung gegenüber der EU und westlichen Partnern insgesamt weitgehend isoliert, seitdem Dodon im die Zusammenarbeit mit dem pro-europäischen Block ACUM und die seit dem Sturz von Plahotniuc im Amt befindliche Regierung unter der damaligen Premierministerin Maia Sandu im November beendete. Das Ausscheiden von Sandu und ACUM aus der Regierungsverantwortung hat zu einem tiefen Vertrauensverlust innerhalb der EU geführt, insbesondere hinsichtlich der Ernsthaftigkeit demokratischer und rechtstaatlicher Reformen. Die neue Regierung dürfte diese Zweifel eher vertiefen als überwinden.
Dodon sitzt am längeren Hebel
Inwieweit die PDM einen inneren Reinigungsprozess vollziehen sollte, wie ihn einzelne ihrer Vertreter in Aussicht stellen, bleibt abzuwarten. Dabei stellt sich auch die Frage, wie geschlossen die PDM noch ist. Bereits vor einigen Wochen hatte sich eine Gruppe ihrer Abgeordneten, die Plahotniuc besonders nahestanden oder -stehen, unter Führung des früheren Parlamentspräsidenten Andrian Candu abgespalten. Dem Vernehmen nach ist eine weitere Gruppe von Abgeordneten faktisch bereits ins Lager von Dodon gewechselt, sodass der frühere Premierminister Pavel Filip, der Plahotniuc im Amt des Parteivorsitzenden nachgefolgt ist, wohl nur noch eine begrenzte Autorität über einen Teil seiner Partei ausübt. Für viele Beteiligte dürfte es jetzt vor allem um die Absicherung eigener Geschäftsmodelle gehen; und dabei mag auch der Schutz vor der Justiz ein sachlich nicht völlig ungerechtfertigtes Motiv sein. Das spricht dafür, dass Dodon am längeren Hebel sitzt und im Laufe der Zeit seine Kontrolle über den Koalitionspartner auszuweiten vermag. Legt man die Erfahrungen der letzten Jahre mit Machtmissbräuchen und Korruption zugrunde, erscheint die PDM in der Koalition mit der PSRM in dieser Hinsicht zudem eher als Katalysator denn als Korrektiv.
Die Alternative zu der jetzigen Koalition aus PSRM und PDM hätte und würde künftig vor allen in vorgezogenen Parlamentswahlen bestanden bzw. bestehen. Aufgrund der Krise um das Coronavirus ist dieses Szenario zwar jetzt auf absehbare Zeit vom Tisch. Nach dem Sturz von Plahotniuc und nachdem die letzte Parlamentswahl vom Februar 2019 von extremen Ungleichheiten und Benachteiligungen vor allem der Opposition geprägt war, wäre dies auch im Sinne einer Rückkehr zu demokratischeren Verhältnissen naheliegend gewesen. Zugleich dürfte ein zentrales Motiv der PDM für die Koalition mit der PSRM gewesen sein, Neuwahlen zu vermeiden oder jedenfalls nicht aus der Opposition zu bestreiten. Denn während sowohl die in ACUM zusammengeschlossenen Parteien – die Partei Aktion und Solidarität (PAS) von Maia Sandu und die Partei Plattform Würde und Wahrheit (PDA) von Andrei Nastase - als auch die PSRM jeweils über soziologisch beschreibbare Wählerschichten verfügen und über Profile, die deren Präferenzen ansprechen, ist ein im weiteren Sinne programmatisches Profil bei der PDM so nicht zu erkennen. Deren Machtbasis hing auch bei Wahlen von einer weitgehenden Monopolisierung der Massenmedien durch Plahotniuc, einer nahezu ebenso weitgehenden Kontrolle über (und den Einsatz von) Behörden und administrative Ressourcen auch auf kommunaler Ebene sowie dem Einsatz vielfach höherer finanzieller Mittel (im Vergleich zu den politischen Gegnern) ab.
Bei den letzten Parlamentswahlen vom Februar 2019 konnte sich die PDM auch durch Wahlrechtsänderungen, die ihr eine überproportionale Repräsentanz ermöglichten, und mit einem faktischen Ableger, der Sor-Partei, sowie sogenannten „Unabhängigen“ 40 von 101 Mandaten sichern. Dabei bietet die Sor-Partei ein noch prägnanteres Beispiel als die PDM, mit welchen Methoden in der Moldau in den vergangenen Jahren Politik gemacht wurde. Ilan Sor, der Gründer und Parteivorsitzende, war nach einschlägigen Untersuchungen und einer gerichtlichen Verurteilung der Organisator (wenn auch wohl nicht der Drahtzieher) des sogenannten Milliardendiebstahls aus dem moldauischen Bankensystem. Im Juni letzten Jahres war er zusammen mit Plahotniuc aus dem Land geflüchtet. Das Geschäftsmodell seiner Partei bestand im Wesentlichen aus Zuwendungen an arme Wähler, um sich deren Loyalität zu sichern. Obwohl PDM und Sor nach wie vor über erhebliche Ressourcen verfügen, würden sie nach aktuellen Umfragen bei Neuwahlen mindestens zwei Drittel ihrer Mandate verlieren.
Das Erbe Plahotniucs
Die Koalition mit der PDM wirft zwangsläufig die Frage auf, ob und inwieweit Dodon jetzt das Erbe Plahotniucs antritt. Letzterer hatte mit der Unterwanderung und Kaperung des Staates über ein informelles System persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse und Korruption die Kontrolle über den Staatsapparat, einschließlich u.a. die Justiz- und Strafverfolgungsbehörden, weitgehend privatisiert. Mit seiner Flucht haben diese Netzwerke gleichsam ihren Patron verloren; zugleich hat seine Flucht in dieser Hinsicht ein Machtvakuum hinterlassen. Jeder neue Machthaber könnte wohl viele von Plahotniuc geschaffene Strukturen recht einfach übernehmen.
Von den Repressionen gegen die Opposition und den Machtmissbräuchen, insbesondere auch dem Missbrauch der Justiz- und Strafverfolgungsbehörden unter Plahotniuc, sind die Verhältnisse derzeit in der Moldau zwar nach wie vor weit entfernt. Unter Dodon und ihm nahestehender Akteure, offenbar auch durch Unterstützung aus Russland, vollzieht sich aber eine ähnliche Monopolisierung der Medien. Auch beim Einsatz von Desinformation und Diskreditierung politischer Gegner zeigt sich ein Rückfall in frühere Verhältnisse. Das bislang prominenteste Beispiel – und vermutlich nur ein Vorgeschmack auf Weiteres – besteht in einem ganz offensichtlich gefälschten Brief von Sandu an den EU-Handelskommissar, den ein Berater von Dodon veröffentlichte und der dann von Medien verbreitet wurde. Darin wird die EU angeblich aufgefordert, ein Embargo gegen landwirtschaftliche Produkte aus der Moldau zu verhängen. Das knüpft an frühere Diskreditierungskampagnen gegen Sandu an. Kurz vor der Präsidentschaftswahl 2016, die sie dann knapp verlor, hatten die Plahotniuc und Dodon nahestehenden Medien beispielsweise verbreitet, Sandu hätte Bundeskanzlerin Merkel angeblich versprochen, im Falle ihres Wahlsieges 30.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Solche Diskreditierungskampagnen sind auch deshalb besonders wirksam, da aufgrund des mangelnden Zugangs der Opposition zu Massenmedien ein Großteil der Wähler nur die jeweilige Falschmeldung erhält ohne von der Richtigstellung zu erfahren.
Friktionen im Oppositionsbündnis ACUM
Sandu ist nach allen Umfragen die einzige Person, die Präsident Dodon bei den Präsidentschaftswahlen Ende des Jahres ernsthaft gefährlich werden könnte. Sie hat ihre Kandidatur noch nicht erklärt, diese wird aber so allgemein und auch von einem Großteil der pro-europäisch eingestellten Wählerschaft erwartet, dass sie sich dem nach jetzigem Stand auch kaum entziehen könnte. Ihre Chancen wären durch den sehr ungleichen Medienzugang allerdings beschränkt. Hinzu kommt, dass das Oppositionsbündnis ACUM seit dem Ende der Regierung Sandu deutliche Risse aufweist. Hintergrund ist, dass PAS politisch sehr viel stärker vom Sturz Plahotniucs profitieren konnte als PDA. Hervorgegangen aus einer Protestbewegung, war eine radikale Opposition gegen Plahotniuc Markenkern von PDA; nach seinem Sturz steht die Partei vor der Aufgabe, sich neu erfinden zu müssen. Die positiven Ziele, für die sie auch steht – Demokratie, Rechtstaat und Europäische Integration – werden von Sandu und PAS in den Augen der meisten Wähler auch und originärer verkörpert. Die Chancen von Nastase auf eine erfolgreiche Präsidentschaftskandidatur müssen als sehr zweifelhaft gelten, nachdem er als gemeinsamer Kandidat von ACUM die Bürgermeisterwahl in Chisinau im November knapp gegen seinen Mitbewerber von der PSRM verloren hatte, obgleich Anhänger von PAS und PDA in der Hauptstadt stärker vertreten sind als im übrigen Land. Nach Umfragen, die nach dem Ende der Regierung Sandu, aber vor der Krise um das Coronavirus durchgeführt wurden, konnte die PSRM 35-45 Prozent erwarten, PAS 25-30 und PDA 4-6 Prozent.
Für die PDA verbindet sich mit dieser Entwicklung die Befürchtung, immer stärker in den Schatten von Sandu zu geraten und so marginalisiert zu werden. Innerhalb von PDA dominieren daher derzeit Tendenzen, sich parteipolitisch gegen Sandu profilieren zu müssen. Die Partei hatte daher zuerst die Aufstellung eines gemeinsamen, aber „unpolitischen“ Kandidaten von PAS und PDA für die Präsidentenwahl gefordert (also nicht Sandu), dann aber bereits Anfang März Nastase zu ihrem Präsidentschaftskandidaten erklärt. Im Falle separater Kandidaturen werden sich gegenseitige Angriffe kaum vermeiden lassen; und das dürfte die Wählermobilisierung in der entscheidenden zweiten Runde einer Präsidentschaftswahl erschweren. Die Folgen einer Spaltung von ACUM zeigten sich bereits bei einer Nachwahl zum Parlament im Bezirk Hincesti am 15. März, bei der PAS und PDA unterschiedliche Kandidaten aufstellten bzw. unterstützten. Zusammen kamen die Kandidaten beider Parteien auf 45 Prozent. Mit einer gemeinsamen Kandidatur wäre der Sitz nahezu sicher gewonnen worden. Da der von PDA unterstützte Kandidat aber knapp dreizehn Prozent für sich gewann, verlor die Kandidatin von PAS mit 32 Prozent das Mandat an den Kandidaten der PSRM, der 39 Prozent erhielt.
Krise um das Coronavirus in der Moldau
Unterdessen hält die Krise um das Coronavirus das Land im Griff. Am 17. März hatte das Parlament den Ausnahmezustand für 60 Tage beschlossen. Alle Schulen, Universitäten und zur Grundversorgung nicht notwendigen Geschäfte sind geschlossen, der internationale Flugverkehr wurde eingestellt, es gelten weitgehende Einreisebeschränkungen. Seit dem 24. März gilt eine erweiterte Ausgangssperre, die in Chisinau durch das Militär überwacht wird. Die Moldau ist gegenüber dieser Krise besonders verwundbar. Ohnehin eines der ärmsten Länder in Europa, wird es für viele Menschen in der Moldau keine Kompensationen, keinen Ersatz oder ein Netz staatlicher Unterstützung für den drohenden Verlust ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlagen geben. Das Gesundheitssystem ist weit weniger leistungsfähig als in EU-Staaten, genießt wenig Vertrauen in der Bevölkerung und dürfte schnell überfordert sein. Das Land steht daher noch mehr als andere europäische Länder vor dem Dilemma, gesundheitliche und wirtschaftliche Folgewirkungen von Maßnahmen gegeneinander abzuwägen. Die Moldau dürfte noch am Anfang der Epidemie stehen. Mit Stand vom 25. März gab es 125 bestätigte Fälle. Die Zahlen besagen aber wenig, da es viel zu wenige Tests gibt.
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