Die österreichische Bundesregierung hatte viel Geld in die Hand genommen, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Die häufigen Lockdowns hatten der Wirtschaft zugesetzt, aber auch den Privathaushalten. Anfang des Jahres bestand die Hoffnung, dass mit dem Abklingen der Pandemie und dem Wegfall aller Beschränkungen ein kräftiger Aufwärtstrend einsetzen wird.
Die Zeichen dafür waren nicht schlecht, auch wenn die Lieferketten, die für die österreichische Wirtschaft von hoher Bedeutung sind, noch nicht vollends hergestellt sind. Aber der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der durch viele Länder mit harten Sanktionen beantwortet wurde, ließ die Energiepreise auf den Märkten steigen, Rohmaterialien verknappen und allgemeine Verunsicherung entstehen. Es scheint diesmal unmöglich zu sein, die hohe Teuerungsrate in gleicher Weise wie bei der Pandemie abzufangen. Die Rahmenbedingungen für einen politischen Stimmungstest sind insofern nicht sehr gut.
Eine Landtags-Wahl…
Insgesamt buhlen diesmal sieben Listen um die Stimmen der etwa 530.000 Wahlberechtigten im Bundesland Tirol. Für die ÖVP ist Tirol Stammland, sie stellt seit jeher den Landeshauptmann (entspricht dem Ministerpräsidenten). Bei den Wahlen startet sie von einem sehr hohen Niveau bei etwa 44%, das dem Höhenflug im Windschatten des ehemaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz geschuldet ist. Umso tiefer mag nun der Fall sein. Die Umfragen geben der ÖVP derzeit 26 Prozent. Selbst, wenn am Ende doch noch eine 3 am Anfang steht, sind herbe Verluste zu erwarten. Der bisherige Landeshauptmann Günther Platter hatte mit Blick auf den sich abzeichnenden Einbruch im Wählerzuspruch schon vor Monaten die Flucht nach vorne angetreten: Die Wahlen wurden einige Monate nach vorne verlegt und er kündigte an, bei der Wahl nicht mehr antreten zu wollen. Als Spitzenkandidat geht für die ÖVP der bisherige Landesrat (Landesminister) für Wirtschaft Anton Mattle ins Rennen. Dieser verfügt zwar über drei Jahrzehnte politische Erfahrung als Bürgermeister einer kleinen Gemeinde im Paznauntal, allerdings ist er erst seit etwa einem Jahr auf Landesebene aktiv, sein überregionaler Bekanntheitsgrad ist daher noch überschaubar.
Dass der bisherige Landeshauptmann mit der Ankündigung seines Abgangs nicht sofort eine Übergabe an Mattle eingeleitet hat, um diesem den Aufbau eines "Amtsbonus" zu ermöglichen, ist für österreichische politische Gepflogenheiten zumindest unüblich. Hier dürften atmosphärische Schwierigkeiten im Umgang mit dem Regierungspartner (Grüne) zumindest eine Rolle gespielt haben. Zum Vergleich: Nahezu zeitgleich mit Platters Rücktrittsankündigung wurde in der Steiermark ein geräuschloser Landeshauptmann-Wechsel vollzogen.
Zu den Ursachen für den prognostizierten Absturz der ÖVP gehört das Chaos im Umgang mit Corona v.a. zu Beginn der Pandemie (erinnert sei an Ischgl), der negative Trend der Bundes-ÖVP und nicht zuletzt innerparteiliche Machtkämpfe. Dass in der von vielen Studenten geprägten Landeshauptstadt Innsbruck seit einigen Jahren ein grüner Bürgermeister regiert, macht das strukturelle Problem der ÖVP deutlich. Sie findet überdurchschnittlichen Zuspruch bei Älteren; unterdurchschnittliche Unterstützung hingegen bei Jüngeren. Die jüngere Generation sorgt sich dabei in besonderer Weise um den Klimaschutz. Das bisherige Geschäftsmodell Tirols gründet auf den Wintersport – den schönen Schneelagen mit ihren Skiliften und den lebendigen Abenden. Wie lange dieses Modell angesichts des Klimawandels aufrechtzuerhalten geht, weiß niemand genau. Trotzdem sollte man erwarten, dass schon jetzt an künftigen Geschäftsmodellen gearbeitet wird. Dass dazu so wenig zu hören ist, mag ein Grund sein, warum die jüngeren Wähler sich kaum angesprochen fühlen.
Für eine Fortsetzung der bisherigen Koalition aus ÖVP und Grünen wird es rechnerisch wohl nicht mehr reichen. Als potentieller Partner für die künftige Landesregierung kommt v.a. die SPÖ in Frage, deren Spitzenkandidat Georg Dornauer sich geradezu aufdrängt. Dornauer gilt als Talent und tritt nun erstmals an der Spitze an. Ob er vom positiven Trend der Bundes-SPÖ profitieren kann, wird sich zeigen. Eine Koalition zwischen ÖVP und SPÖ genießt auch die höchste Präferenz in der Tiroler Wählerschaft und könnte eine Mehrheit an Mandaten erreichen. Hinzu kommt, dass Mattle eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen hat. Die SPÖ liegt in Umfragen bei etwa 19% und muss sich im Kampf um Platz 2 gegen die FPÖ behaupten, die bei etwa 18% liegt. Alle anderen Koalitionsvarianten würden zumindest drei Parteien für eine Mehrheit im Landtag benötigen, so es eine Mandatsmehrheit jenseits von ÖVP und FPÖ gibt. Platz 4 wird der Liste Fritz prophezeit, die sich auf etwa 13% verdoppeln könnte. Liste Fritz entstand ursprünglich durch eine Abspaltung aus der ÖVP und ist heute deren größter Kritiker, der die ÖVP am liebsten in der Opposition sehen würde.
Die Grünen, die mit einem neuen Spitzenkandidaten in die Wahl gehen, dürften gegenüber der letzten Wahl etwas verlieren und liegen in Umfragen bei etwa 9%. Den Neos wird ein leichter Zuwachs auf etwa 7% vorhergesagt. Ebenfalls im ganzen Land kandidiert die Partei MFG, die im Zuge der Corona-Zeit bei einigen Wahlen Erfolge erzielen konnten. Da ihr aber mit dem Ende der Pandemie momentan ihr Thema abhandengekommen ist, hat sie an Sichtbarkeit verloren. Sie dürfte es laut Umfragen nicht in den Landtag schaffen.
Wie auch immer das Ergebnis der Landtagswahl in Tirol aussehen wird: Sicher ist, dass es enorme Verschiebungen bringen wird und Auswirkungen im Bund sowie in einigen anderen Bundesländern spürbar sein werden, in denen demnächst eine Wahl ansteht – z.B. in Niederösterreich Anfang 2023.
…eine Bundespräsidenten-Wahl…
In Österreich wird der Bundespräsident in einer Volkswahl direkt gewählt. Das gibt dem Amt mehr Gewicht, was vor allem in den letzten zwei Jahren eindrucksvoll zu sehen war: Fünf Bundeskanzlerwechsel wären ohne das Recht des Bundespräsidenten, jemanden mit dem Amt des Bundeskanzlers zu betrauen, kaum möglich gewesen. Für die Wahl am 9. Oktober bewerben sich gleich sechs neue Kandidaten gegen den Amtsinhaber Alexander Van der Bellen, der ebenfalls wieder antritt - unüblich viel. Nur einer davon, Walter Rosenkranz von der FPÖ, ist ein Kandidat einer Parlamentspartei, alle anderen Kandidaten führen ihre Kampagne ohne einen nennenswerten Parteiapparat im Hintergrund. Drei von ihnen kommen aus dem rechten Spektrum.
Eine Bestätigung des Amtsinhabers schon im ersten Wahlgang ist wahrscheinlich, aber keineswegs sicher. Sollte eine Stichwahl notwendig sein, wäre dies ein Novum – bisher wurden kandidierende Amtsinhaber stets im ersten Wahlgang bestätigt. Van der Bellen wird von SPÖ, Grünen und NEOS in unterschiedlicher Intensität unterstützt; von der ÖVP gibt es keine explizite generelle Wahlempfehlung, allerdings haben bereits zahlreiche Proponenten der ÖVP ihre persönliche Unterstützung für Van der Bellen öffentlich deklariert.
…und eine aufgeregte Stimmungslage.
Auf Bundesebene bleibt eine tendenziell aufgekratzt-aufgeregte Stimmungslage: Im Parlament treibt die Opposition im Untersuchungsausschuss im Einklang mit dem grünen Koalitionspartner (!) die ÖVP durch die politische Arena. Mit Blick auf die medial oft verallgemeinernd dargestellten Korruptionsvorwürfe gegenüber Vertretern der ÖVP, im Besonderen aus dem Umfeld von Sebastian Kurz, gehen dabei entlastende Tatsachen oft unter: Erst vor wenigen Tagen wurden die Ermittlungen gegen den amtierenden Kabinettschef (Büroleiter) im Finanzministerium eingestellt. Ihm waren Falschaussage und Geheimnisverrat vorgeworfen worden. Ein zweiter Fall einer Einstellung der Ermittlungen betrifft eine Nationalratsabgeordnete der ÖVP. Ihr waren Untreue und Vorteilsannahme zur Last gelegt worden. In beiden Fällen war mehr als ein Jahr lang ergebnislos ermittelt worden.
Bundeskanzler und ÖVP-Vorsitzender Karl Nehammer hat es zudem noch nicht vermocht, eine Vision zu vermitteln, wohin er das Land führen möchte. In Verbindung mit einer inhaltlich ausgedünnten Partei, die sich lange im Erfolg von Kurz sonnen konnte, und mit zahlreichen wirtschaftlichen Herausforderungen und internationalen Krisen ergibt dies für die ÖVP eine schwierige Lage.
Die eigentlichen Themen, die die Menschen umtreiben, sind die Teuerung im Allgemeinen und die enorm gestiegenen Energiepreise im Besonderen, der Krieg in der Ukraine und nicht zuletzt eine stark steigende Zahl von Asylanträgen. Von Januar bis August 2022 wurden in Österreich mehr als 56.000 Asylanträge gestellt. Gemäß den Zahlen des Innenministeriums entspricht das fast einer Verdreifachung gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres und dem höchsten Stand seit 2015. Relevant ist das insofern, als Österreich seit 2017 bei der Zahl der positiven Asylbescheide in Relation zur Einwohnerzahl weltweit den Spitzenplatz einnimmt. Politisch ist das von hoher Relevanz, weil diese Entwicklungen mit hoher Wahrscheinlichkeit von Parteien wie der FPÖ und MFG problematisiert werden.
Vor allem die Regierungsparteien ÖVP und Grüne bekommen momentan den kumulierten Frust der Wähler ab. Die nächsten Wochen werden zeigen, wie weit es ihnen gelingt, aus der Position des Getriebenen wieder in die Rolle des Akteurs zurückzufinden.
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Multilateral Dialogue Vienna
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