Tektonische Verschiebungen in der politischen Landschaft Kenias?
Was verändern BBI und der Tod Mois?
Dr. Jan Cernicky
Am 4. Februar 2020 verstarb Kenias zweiter Präsident Daniel arap Moi. Durch sein Ableben ergeben
sich neue politische Konstellationen, von denen besonders sein Sohn Gideon Moi zu profitieren scheint, der aktuelle Vorsitzende der KANU-Partei. Dies verstärkt eine Verschiebung politischer Konstellationen, welche ohnehin schon durch die Building Bridges Initiative (BBI) befeuert wird, durch welche eine Verfassungsreform vorbereitet wird.
Der Tod Mois und dessen Wahrnehmung in Kenia
Daniel Toroitich arap Moi war der zweite Präsident Kenias, er regierte das Land vierundzwanzig Jahre lang (1978 bis 2002). In dieser Zeit herrschte er mit der Einheitspartei KANU autokratisch über Kenia und schreckte nicht vor brutalen Mitteln der Unterdrückung zurück. Lange wehrte er sich erfolgreich gegen eine demokratische Öffnung, die er dann aber – im Gegensatz zu vielen anderen Präsidenten der Region – am Ende nicht mehr verhinderte. So konnte 2002 Mwai Kibaki als Kandidat der Opposition zum dritten Präsidenten Kenias gewählt werden.
Auch nach seiner Abwahl blieb Moi als politische Figur relevant. Besonders während seiner letzten Lebensjahre, in welchen er aus gesundheitlichen Gründen kaum mehr öffentlich auftrat, wurde er immer weiter verklärt und wurde so zu einer fast mythischen Figur, welche regelmäßig von wichtigen Politikern aufgesucht wurde, so auch vom aktuellen Präsidenten Uhuru Kenyatta. Ob hierbei tatsächlich Rat eingeholt wurde oder es eher darum ging, politische Legitimität aus den Besuchen zu schöpfen, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Daniel Moi blieb auch eine wichtige Referenz für die KANU- Partei. Diese hat sich mittlerweile in eine demokratische Partei gewandelt und ist nach vielen Abspaltungen nach Einführung des Mehrparteiensystems kaum noch mit der früheren KANU vergleichbar. Arap Moi bekleidete keine Ämter mehr in der Partei, welche aber von seinem jüngsten Sohn Gideon Moi geführt wird und so eine Traditionslinie zu Daniel Moi beibehalten hat. Die Partei war im vergangenen Jahr durch den schlechten Gesundheitszustand des ehemaligen Präsidenten ein Stück weit gelähmt, da ihrem Vorsitzenden als dessen jüngstem Sohn die Pflege des kranken Daniel Moi zukam, was jener durchaus ernst nahm. Daher trat Gideon nur wenig in der Öffentlichkeit auf.
Nach seinem Ableben wurde Moi in der kenianischen Öffentlichkeit sehr positiv bewertet. In der Mehrzahl der Äußerungen wurde das Handeln eines starken Mannes in den Vordergrund gestellt, durch welches das Land geeint und zu stabilen Verhältnissen geführt wurde. Verstöße gegen Menschenrechte wurden eher als Nebeneffekte abgetan. Die folgende Zusammenfassung in der auflagenstärksten Zeitung des Landes gehört zu den kritischeren:
“Loved and hated in equal measures, the late President Moi was often dismissed as a dictator by his critics and his 24-year reign was plagued with claims of widespread human rights violations, nepotism, assassinations and embezzlement of state funds. But his admirers describe Moi as an African statesman – the man who kept the Kenyan nation together amidst the turmoil experienced in the neighbouring Uganda, Somalia, Sudan and Ethiopia – a feat he positively used to dismiss his ardent Western critics who were pushing him to open the political space.”1
Nur in den sozialen Medien zeigte sich ein differenzierteres Bild, viele bekannte Twitterer und Blogger erinnerten an negative Erfahrungen. So schrieb etwa die bekannte Aktivistin Scheffer Okore als Antwort auf die Frage, welche Erinnerungen man mit Moi verbinde:
„Early 90s teargas landed into our school compound, teachers ran with us to a nearby farm we hid. Cops beating ppl, destroying property, all-around terror. […] People running & SCREAMING, cops chasing & BEATING. My memory is FEAR.“2
Solche Kritik kam allerdings nicht überall gut an. So wurde etwa Boniface Mwangi, ein weiterer bekannter Internetaktivist, für seinen langen und überaus kritischen Beitrag „Moi was an evil man“3 auch von politisch Moi fern stehenden Kenianern wegen dessen Heftigkeit kritisiert.
Allgemein nahmen auch politisch weniger interessierte Menschen Anteil an Mois Tod, es gab einen großen Andrang auf Kondolenzbücher, Menschen standen stundenlang Schlange, um den aufgebahrten Körper zu sehen. Gideon Moi empfing zwei Tage lang Kondolenzgäste, ausnahmslos jede in Kenia politisch relevante Person besuchte ihn und kondolierte.
Der 11. Februar wurde zu einem Feiertag erklärt, an dem Tag gab es eine Zeremonie im größten Stadion Nairobis, an welcher über 30.000 Menschen teilnahmen. Am folgenden Tag wurde Daniel arap Moi in seiner Heimat Kabarak im Distrikt Baringo in einer weiteren großen Zeremonie beerdigt.
Noch am selben Tag übergab Mois ältester Sohn seinem jüngeren Bruder Gideon, dem Vorsitzenden der KANU Partei, Mois traditionellen Herrscherstab, den „Rungu ya Nyayo“, welcher im Prinzip den Anführer der Familie Moi auszeichnet, aber als mystisch überhöhtes Herrschaftssymbol des verstorbenen Präsidenten für viele Kenianer weit mehr bedeutet. Damit steht Gideon Moi symbolisch in der politischen Nachfolge seines Vaters.
Verschieben sich Machtkonstellationen?
Ob diese symbolische Geste politische Wirkung haben wird, muss sich zeigen. Die Meinungen von Beobachtern gehen weit auseinander und bewegen sich zwischen „reine Familienangelegenheit“ und
„dies wird Gideon Moi zum Präsidentenamt führen“. Das große mediale Echo auf die Übergabe des
„Rungus“ weist aber darauf hin, dass dies mehr als reine Symbolik ist. Auswirkungen sind bereits im bevölkerungsreichen Rift Valley zu sehen. Dies ist die Heimatregion Mois, aber auch des aktuellen Vizepräsidenten Ruto, welche beide der Ethnie der Kalenjin angehören. Ruto schart besonders dort seit der letzten Wahl mit großem finanziellen Aufwand Anhänger um sich, was zu einem latenten Konflikt mit der Familie Moi führte. Die Versammlung der traditionellen Autoritäten des Rift Valleys rief Ruto und Gideon nun zur Versöhnung und zur Zusammenarbeit auf und erklärte, beide gleichermaßen als Anführer zu akzeptieren. Dies ist ein großer Erfolg für Gideon Moi, welcher in der politischen Arithmetik des Rift Valleys bisher weit hinter Ruto zurücklag und nun offenbar auf Augenhöhe wahrgenommen wird.
Gleichzeitig hat auch der Amani National Congress (ANC), eine Partei, die vor allem von der bevölkerungsreichen Ethnie der Luhyas im Westen Kenias gewählt wird, ein Kooperationsangebot an Gideons KANU unterbreitet.
Zusätzlich haben sich Gideon Moi und einige zentrale Vertreter der KANU an Raila Odinga und seine von den Luos dominierte ODM angenähert. So hat die KANU bei einer wichtigen Nachwahl zur Nationalversammlung den später siegreichen Kandidaten der ODM aktiv unterstützt. Dessen wichtigster Konkurrent war der Kandidat Rutos. Schließlich ist nicht zu unterschlagen, dass die Regierungspartei Jubilee, welche von Präsident Kenyatta und Vize Ruto geführt wird, zur Hälfte aus Mitgliedern besteht, welche seinerzeit zusammen mit dem heutigen Präsidenten Kenyatta die KANU verlassen hatten. Dies sind vor allem Angehörige der Ethnie der Kikuyu. Der Kontakt zwischen Kenyatta und Gideon Moi ist nie abgerissen, gerade die Zeremonien im Rahmen der Beerdigung Daniel arap Mois zeigte die Nähe zwischen den Familien Kenyatta und Moi. Da die Jubilee Party unter Spannungen zwischen den Lagern Rutos und Kenyattas zu zerbrechen droht, lässt sich nicht ausschließen, dass die Kenyatta-Fraktion sich bei den nächsten Wahlen, bei welchen Kenyatta nicht mehr antreten darf, hinter Gideon Moi versammelt.
Somit stehen die Vertreter aller wichtigen Ethnien Gideon Moi positiv gegenüber, seine Partei KANU hat damit die Chance, sich tatsächlich als die Partei aller Kenianer zu präsentieren, als welche sie sich in ihrem Programm bezeichnet. Diese positive Haltung ist nicht nur unter dem Eindruck des Todes des Vaters Mois zu verstehen. Sie ist auch ein Ausdruck der Gegnerschaft zu Vizepräsident Ruto, dessen Ziel, Kenyatta als Präsident nachzufolgen, viele Vertreter der aktuellen politischen Klasse verhindern wollen.
Es ist daher in den letzten Wochen wahrscheinlicher geworden, dass Gideon Moi ein zentraler Faktor im Kampf um die Nachfolge Kenyattas wird. Als natürlicher Gegenspieler Rutos und als frisch inthronisierter Nachfolger seines Vaters hat er eine gute Ausgangsposition, die ihn bis ins Präsidentenamt tragen kann.
Die Building Bridges Initiative (BBI) als Katalysator politischer Verschiebungen
Dies alles geschieht in einer politisch ohnehin aufgeheizten Situation. Als Ergebnis der als Handshake bekannt gewordenen Übereinkunft zwischen Präsident Kenyatta und Oppositionsführer Odinga4 wird die kenianische Verfassung überarbeitet. Diese Initiative läuft unter dem Namen „Building Bridges“. Die Grundidee war, dass in einem partizipativen Prozess Ideen der Bevölkerung gesammelt werden, wie in Zukunft vor allem gewaltsame Konflikte um Wahlen vermieden, aber auch andere Schwächen der aktuellen Verfassung beseitigt werden können. Im Dezember wurde ein hundertseitiger Bericht vorgelegt, welcher diese Vorschläge konsolidiert5. Dieser Bericht war im Vergleich zum Lärm, der vorab um ihn gemacht wurde, allerdings inhaltlich sehr dünn. Es werden nur wenige wirkungsvolle Vorschläge gemacht, wie etwa die Einführung einer eher schwachen Position eines Premierministers. Der
erwartete große Wurf, wie etwa die Einführung eines parlamentarischen Systems mit einem starken Premierminister, eine Reform der Dezentralisierung oder des problematischen reinen Mehrheitswahlrechts blieb aus. Seit Ende Januar laufen neue Regionalkonferenzen, auf welchen erneut über die Vorschläge debattiert werden soll. Auf dieser Grundlage sollen dann Gesetzesvorschläge erarbeitet und ggf. ein Referendum angesetzt werden. Diese Konferenzen werden aus dem Sekretariat des BBI organisiert, welches von Kenyatta und Odinga abhängig ist. Ruto hat hierauf keinen Einfluss. Als der Vizepräsident versuchte, die Treffen durch seine Unterstützer zu „kapern“, wurde ihm vom Präsidenten vorgeworfen, das Land zu spalten. Sein Lager scheint sich nun darauf zu konzentrieren, ein mögliches Referendum zu verhindern.
Es wird jedenfalls immer deutlicher, dass der BBI-Prozess scheinbar weniger das Ziel hat, tatsächlich Brücken zwischen verfeindeten Lagern zu bauen, sondern ein Werkzeug ist, um die politische Landschaft so zu verschieben, dass Ruto darin keinen Platz mehr hat. Dies hat Gideon Mois KANU früh erkannt und sich von Anfang an am Prozess beteiligt. In diesem ist z.B. ein enger Vertrauter Mois für die Durchführung der Regionaltreffen im zentralen Rift Valley zuständig.
Neue Allianzen?
Die BBI wird damit zum Testfeld neuer Allianzen. Am sichtbarsten wird dies anhand der regierenden Jubilee Party. Denn es ist nicht auszuschließen, dass diese während des BBI-Prozesses endgültig zerbricht. Schon jetzt ist sie ganz offen in zwei Lager gespalten: die Anhänger Rutos, welche ihre Bewegung „Tanga Tanga“ nennen, und die Anhänger Kenyattas, welche unter der Bezeichnung
„Kieleweke“ zusammenstehen. Dass die Jubilee-Party nur ein Zweckbündnis war, um Kenyatta und Ruto zur Macht zu verhelfen, wird besonders jetzt immer deutlicher. Denn dieses Bündnis wird für Kenyatta zusehends nutzlos, da seine zweite und verfassungsmäßig letzte Amtszeit sich dem Ende entgegen neigt.
Wenn es tatsächlich zu einem Referendum kommen sollte, mag die BBI daher das Instrument werden, mit welchem die Allianzen für die darauffolgenden Wahlen - ob im bestehenden System oder in einem neuen muss sich zeigen - geschmiedet werden. Das Referendum mag diese Wahlen dann bereits vorentscheiden. Zu den seit langem sichtbaren Akteuren im Kampf um die Macht in Kenia wie vor allem Kenyatta, Odinga und Ruto scheint sich nun Gideon Moi zu gesellen.
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