Aller guten Dinge sind drei?
Am 23. Oktober 2018 wurde der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV), Nguyen Phu Trong, zum Staatspräsidenten gewählt – unter Beibehaltung seines Amts als Parteichef. Die Neuwahl eines Präsidenten war erforderlich geworden, nachdem der vorherige Amtsinhaber, Tran Dai Quang, am 21. September 2018 gestorben war.
Seit dem Tod von Ho Chi Minh im Jahr 1969 gab es in der Führungsspitze Vietnams keine vergleichbare Doppelbesetzung. Dahinter stand die Idee, die innerparteilichen Machtverhältnisse unter anderem dadurch in der Balance zu halten, dass die vier mächtigsten Ämter – Generalsekretär der KPV, Premierminister, Vorsitzender der Nationalversammlung und Staatspräsident – auf verschiedene Personen verteilt wurden. Diese Streuung war auch Ausdruck eines Systems der „Kollektiven Führung“, in dem es keine Gewaltenteilung im westlichen Sinne gab, sondern in dem auf der Basis stillschweigender oder auch expliziter Übereinkünfte innerhalb der Führungsspitze ein Prinzip der „Gewaltenkoordinierung“ etabliert wurde. Nun sind es nur noch drei Personen, die die vier großen Ämter besetzen. Die Personalunion des Generalsekretärs- und Präsidentenamtes ist so gesehen ein ungewöhnliches Novum für Vietnam.
Es sind verschiedene Umstände, die zu dieser neuen Situation führten. Mit dem Tod des Staatspräsidenten kam Art. 93 der Verfassung zur Anwendung, demzufolge die Vizepräsidentin nur übergangsweise bis zur Wahl eines neuen Präsidenten durch die Nationalversammlung in das Präsidentenamt aufrückt. Eine längerfristige beziehungsweise offizielle Ernennung der Vizepräsidentin zur Präsidentin ohne Wahlen war verfassungsrechtlich keine Option.
Einziger Kandidat für die Wahl durch die Nationalversammlung war schließlich Generalsekretär Trong. Mit nur einer Gegenstimme und demzufolge über 99 Prozent Zustimmung wurde er am 23. Oktober 2018 in sein neues Amt gewählt. Viele andere Kandidaten hätte es auch nicht geben können, zumindest dann, wenn man dem Kriterium folgt, dass mindestens eines der vier höchsten Ämter mit einem Politbüromitglied besetzt ist, das bereits mehr als eine Amtszeit im Politbüro war. In Frage gekommen wären neben Generalsekretär Trong noch Premierminister Phuc oder die Parlamentsvorsitzende Ngan. Beide haben jedoch Positionen inne, die als wichtiger als die des Staatspräsidenten eingestuft werden. Da sie jedoch von der politischen Bedeutung nicht an Generalsekretär Trong heranreichen und damit eine Ämterdoppelung unwahrscheinlich gewesen wäre, hätten sie in der Konsequenz ihr jeweiliges aktuelles Amt aufgeben müssen. Das jedoch hätte das Problem einer Nachfolgeregelung für eines der vier höchsten Ämter auf gleicher Ebene nur verschoben, nicht aber gelöst. Zwei weitere mögliche Kandidaten mit ausreichend Politbüroerfahrung wären der Parteisekretär von Ho Chi Minh Stadt und der Vizevorsitzende der Nationalversammlung gewesen – beiden allerdings fehlt nach Ansicht von Beobachtern das innerparteiliche Gewicht. Weitere Namen zirkulierten zwar in Medien- und Politikkreisen, aber da diese Personen noch nicht in ihrer zweiten Politbüroamtszeit beziehungsweise noch gar nicht im Politbüro sind, wäre dies ein ungewöhnlich schneller, ein zu schneller Aufstieg gewesen.
Was die Kandidatur Trongs betrifft, so bleibt unklar, wie stark er sie selbst aktiv vorangetrieben hat beziehungsweise in welchem Maß er aus der Partei heraus gebeten wurde. Letztendlich kann aber wohl festgehalten werden, dass der Machtzuwachs dem Generalsekretär und Neupräsidenten nicht ungelegen kommt, zumal er so seine Antikorruptions- und Parteisäuberungsagenda noch stringenter durchsetzen kann.
So lief am Ende alles auf die alleinige Kandidatur – und Wahl – Trongs hinaus, der auch im Vorfeld aufgrund seiner Position und seines Einflusses wohl der einzige war, hinter den sich das Politbüro und das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei geeint stellen konnten.
Organigramm der Macht
Im Machtorganigramm Vietnams bekleidet der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) als Parteichef das mächtigste Amt im Staat. Die KPV wird in Artikel 4 der vietnamesischen Verfassung als die „führende Kraft des Staates und der Gesellschaft“ definiert. Damit wird von vorneherein klargestellt, dass die Partei, auch wenn sie nicht über oder neben der Verfassung steht, Vorrang vor den anderen Staatsgewalten genießt.
Der höchste repräsentative Körper des Volkes ist laut Verfassung die Nationalversammlung. Sie besitzt die legislative Entscheidungskraft. Die Abgeordneten sind fast ausschließlich Mitglieder der Kommunistischen Partei, und die Vorsitzenden der Nationalversammlung sind in der Regel gleichzeitig auch Mitglied des Politbüros, dem höchsten inneren Organ der Partei.
Die Regierung wiederum ist die höchste Institution der Exekutive, geführt vom Premierminister. Sie wird von der Nationalversammlung gewählt und ist ihr gegenüber rechenschaftspflichtig. Die Amtszeit des Premiers ist ebenso wie die des Generalsekretärs auf maximal zwei Legislaturperioden - sprich: zehn Jahre – begrenzt. Dem Premierminister unterstehen rund zwei Dutzend Ministerien und Kommissionen.
Das Amt des Staatspräsidenten ist in einigen Bereichen etwa dem des Bundespräsidenten in Deutschland vergleichbar. Er wird von der Nationalversammlung gewählt und vertritt den Staat auf nationaler und internationaler Ebene. Gemeinsam mit dem Premierminister bildet er eine doppelköpfige Exekutive. Zu den Pflichten zählen unter anderem eher symbolische Aufgaben wie der Empfang ausländischer Repräsentanten, Staatsbesuche und die Teilnahme an diplomatischen und internationalen Veranstaltungen. Der Präsident ist gemäß Art. 88 (5) der Verfassung allerdings auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte und sitzt ausgewählten Ausschüssen des Zentralkomitees vor.
Trong nimmt damit nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten gewissermaßen die Rolle als Oberhaupt von Partei, Staat und Militär ein. Die Personalunion scheint auch aus der Notwendigkeit heraus entstanden zu sein, nach dem Tod von Präsident Quang möglichst schnell zu reagieren, um kein Machtvakuum entstehen zu lassen. Andere geeignete Kandidaten, die sich zudem gegen den Generalssekretär hätten positionieren müssen, drängten sich nicht auf. Hinzu kommt, dass die Ausübung des Doppelamtes neben dem reinen Machtausbau und der protokollarischen Aufwertung Trongs auch auf internationaler Ebene ein einheitlicheres, womöglich wirkungsvolleres Auftreten Vietnams zulässt. So wurde der Bruch mit Regeln und Traditionen letztendlich ohne größere Verwerfungen vollzogen.
Interessanterweise galt gerade der Erfolg Trongs über seinen Gegenkandidaten Dung, den damaligen Premierminister, um das Amt des Parteichefs im Jahr 2016 als Sieg für das System der Konsensentscheidung und für eine „zentralisierte Demokratie“, wie es die Kommunistische Partei nennt. Dung wurde damals als derjenige mit dem Hang zum Autoritären gesehen, der weniger auf das Kollektiv als vielmehr auf (seine) individuelle Führungspersönlichkeit setzte. Trong hingegen betonte immer wieder, wie wichtig die Führung im und durch das Kollektiv sei. Nun wurde scheinbar eine Kehrtwende vollzogen, und es konzentriert sich mehr Macht denn je in seiner Person.
Der Generalsekretär und der Präsident
Wer ist also die Person, die als erstes seit den späten 1960er Jahren die Macht im politischen System Vietnams in diesem Ausmaß bündeln kann?
Nguyen Phu Trong wurde 1944 geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Dies wird von den Staatsmedien regelmäßig betont. Er studierte Philologie in Hanoi und promovierte in Philosophie in der Sowjetunion. Seit 1967 ist er Parteimitglied. In seiner frühen beruflichen Laufbahn war der als Musterkommunist geltende Trong in diversen kulturellen, ideologischen und wissenschaftlichen Funktionen tätig, unter anderem als Vorsitzender des „Theoretischen Rates“ von 2001 bis 2006 und damit als Chefideologe der Partei. Seit über 20 Jahren ist er Mitglied des Politbüros, wurde 2006 Vorsitzender der Nationalversammlung und stieg 2011 schließlich zum Generalsekretär auf. Spätestens seit diesem Karriereschritt fokussierte er sich besonders auf den Bereich der Korruptionsbekämpfung. Auffällig an der Antikorruptionskampagne ist, dass sie sich gerade nach seiner Wiederwahl zum Generalsekretär 2016 vornehmlich gegen Führungspersonen richtete, die dem Lager Dungs zugerechnet werden. Ein weiteres Charakteristikum seiner Amtsführung ist die ideologische und moralische „Wiederbelebung“ der Kommunisten Partei, ganz im Sinne Ho Chi Minhs, der Reinheit und revolutionären Fortschritt zur Priorität erklärte. Einer Verwässerung der Revolution soll verstärkt entgegengewirkt werden, das Eintreten für Konzepte und Begriffe wie politischer Pluralismus, Zivilgesellschaft oder Gewaltenteilung wird sanktioniert. Das Zentralkomitee hat auf Betreiben von Trong eine „innere Reinigung“ initiiert, mit der Bildung eines Kontingents von „Strategischen Kadern“ auf allen Ebenen, die im Management, aber eben auch in ethischen und ideologischen Fragen herausragen und aus deren Kreis die zukünftige Führungselite rekrutiert werden soll.
Vier gewinnt?
Dass in Vietnam nun sowohl das Amt des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei als auch das des Staatspräsidenten von einer Person ausgeübt werden, könnte als eine politisch-strukturelle Parallele zu China interpretiert werden. Auch dort werden – allerdings schon seit den frühen 1990er Jahren – beide Ämter in Personalunion besetzt, wobei die Machtkonzentration in der Person von Xi Jingping jedoch ungleich größer ist.
Befürworter der Doppelbesetzung könnten auch für Vietnam argumentieren, dass es sich um eine Ausnahme handele und dass in einer Struktur mit nur drei statt vier Säulen Entscheidungsprozesse schneller und effektiver ablaufen könnten, als das bei einem auf Konsens beruhenden System der Fall wäre. Aber Ausnahmen von Regeln und Traditionen wurden auch in der Vergangenheit schon gemacht. Wenn genügend politisches Gewicht vorhanden ist, scheint es zumindest denkbar, dass die Personalunion fortbesteht – nicht unbedingt in der Person von Trong, aber gegebenenfalls in der Person eines Nachfolgers. Ein Präzedenzfall ist nun jedenfalls vorhanden.
Trong jedoch, der sich seit jeher als Befürworter der kollektiven Führung dargestellt hat, betont seinerseits weiterhin, dass er die zwei Aufgaben strikt voneinander getrennt auszuüben gedenkt. Und gemessen an seinen bisherigen Äußerungen und Handlungen, die parteiintern in der Führungsspitze auf Konsens ausgerichtet und von Loyalität zur Partei geprägt waren, deutet eher wenig darauf hin, dass die Vereinigung der beiden Ämter zumindest in der Person von Trong verstetigt werden soll, zumal beide Ämter fortbestehen.
Dafür, dass es sich bei dem Doppelamt von Trong nur um eine Übergangslösung handelt, sprechen weitere Gründe. Zwar ist weder für das Generalsekretärs- noch das Präsidentenamt eine Altersgrenze genannt. Jedoch gilt die Regel, dass Politbüromitglieder – und eben aus diesem Pool rekrutieren sich die Anwärter auf die höchsten Ämter – bei Ihrer Wahl in das Politbüro nicht die Altersgrenze von 65 Jahren überschreiten dürfen. Dazu ist allerdings auch anzumerken, dass bei Trong bei seiner zweiten Wahl zum Generalsekretär 2016 bereits einmal eine Ausnahme gemacht worden war, denn zu dem Zeitpunkt war er bereits 71 Jahre alt. Dass dies im Alter von 76 noch einmal passiert ist, gilt als eher unwahrscheinlich.
Eine der Regeln besagt, dass sich ein Generalsekretär nach zwei Amtszeiten nicht ein weiteres Mal zur Wahlen stellen kann. Trong hat seine zweite Amtszeit schon halb durchlaufen und kann sich daher eigentlich nicht erneut zur Wahl stellen. Um die Personalunion nach dem Parteikongress 2021 fortzusetzen, wäre also eine recht radikale Abkehr von Regeln und Traditionen vonnöten, die zumindest aus heutiger Sicht nicht plausibel klingt. Wahrscheinlicher ist es, dass sich in den kommenden Jahren bis 2021 verschiedene Anwärter auf die Nachfolge sowohl für das Generalsekretärs- als auch das Präsidentenamt in Position bringen werden. Und es bleibt auch Zeit für den Generalsekretär und Staatspräsidenten, eigene Nachfolgefavoriten zu fördern und richtig zu positionieren.
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