Die Erleuchtung des traditionellen Weihnachtsbaums vor der Geburtskirche in Bethlehem mitsamt Feuerwerk und Showprogramm war ein Spektakel ohne Schaulustige. Der Platz war nahezu menschenleer und auch sonst kommt keine vorweihnachtliche Euphorie in den Straßen Bethlehems auf. Die Corona-Pandemie hat die Stadt und ihre Einwohner hart getroffen. In Bethlehem traten im März 2020 die ersten Infektionen mit SARS-CoV-2 im Westjordanland auf, die Stadt wurde daraufhin abgeriegelt und einem strikten Lockdown unterworfen. Der Lockdown wurde zwischenzeitlich wieder aufgehoben. Die Touristen und Pilger, wichtigste Einnahmequellen der Stadt, kehrten jedoch nicht zurück.
In den letzten Jahren haben sich Bethlehem und andere palästinensische Städte zunehmend für den Tourismus geöffnet. Hotels und Restaurants entstanden, historische Stätten wurden häufig mit internationalen Geldern restauriert. Viele Familien, in Bethlehem ca. 80 %, begaben sich in eine Abhängigkeit vom Tourismus, der, so die Auffassung, trotz aller Krisen eine fortwährende Basis in Bethlehem haben würde. Selbst während den unruhigsten Zeiten im Nahostkonflikt kamen Pilger aus aller Welt zu den Heiligen Stätten. 2019 kamen ca. 3,5 Mio. Besucher in die Palästinensischen Gebiete. 2020 jedoch soll nur noch 10 % des vorjährigen Umsatzes in der Branche erreicht werden.
In der Adventszeit sind die Infektionszahlen in den Palästinensischen Gebieten wieder derart angestiegen, dass Bethlehem gemeinsam mit anderen Städten im Westjordanland erneut in einen Lockdown geschickt wird. Das Weihnachtsgeschäft, obgleich schon ohne internationale Besucher, kommt damit endgültig zum Erliegen.
Auch die christlichen Feierlichkeiten rund um die Weihnachtsfeiertage werden in diesem Jahr nur begrenzt möglich sein. Der Messe in der Geburtskirche am Abend des 24. Dezember werden nur wenige Kirchenvertreter beiwohnen. Immerhin soll es eine Videoübertragung geben. Bereits die hohen Feiertage zu Ostern und Pfingsten wurden ohne Pilger begangen und stellen die Kirchen damit vor ungeahnte finanzielle Herausforderungen, denn die für die Einnahmen so wichtigen Kollekten bleiben aus. Anstelle von besinnlichem Singen mehrerer tausend Gläubigen werden die diesjährigen Feierlichkeiten von strengen Abstands- und Hygieneauflagen bestimmt.
Die Pandemielage in den Palästinensischen Gebieten
In den gesamten Palästinensischen Gebieten haben die Corona-Zahlen einen dramatischen Anstieg genommen. Die mittlerweile dritte Welle (nach Frühjahr und Hochsommer) bringt derzeit täglich 2.000 Neuinfektionen, die Positivrate bei den Tests liegt bei 20 bis 25 Prozent. Die Knappheit an Testkits macht eine breit angelegte Teststrategie unmöglich. Die Gesundheitsministerin der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) bestätigte bereits im November, dass die tatsächlichen Zahlen (Stand Mitte Dezember: ca. 120.000) wahrscheinlich um ein Dreifaches höher liegen. Im Gaza-Streifen vermeldeten die Teststellen bereits mehrfach das Ende ihrer Bestände, ehe die WHO neue Tests nachliefern konnte. In den Krankenhäusern sind die Intensivbetten nahezu vollständig belegt. Die Todeszahlen steigen täglich im zweistelligen Bereich.
Dennoch sind erneute drastische Einschränkungen zur Verlangsamung der dritten Welle größtenteils vermieden worden. Da die PA sich aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen nicht in der Lage sieht, finanzielle Kompensationen für betroffene Wirtschaftszweige aufzulegen, geht es bei der Akzeptanz von wirtschaftlichen Einschränkungen um nicht weniger als das wirtschaftliche Überleben der Betroffenen. So wurden die Anfang Dezember getroffenen Entscheidungen für erneute Lockdowns aufgrund der absehbaren Überlastung des Gesundheitssystems mit teils massiven Protesten von Geschäfts- und Restaurantinhabern beantwortet, die eine finanzielle Unterstützung einfordern.
Krisenpolitik abseits von Corona
Die finanzielle Lage der PA wurde zusätzlich verschärft durch ein Ende der Koordination mit den israelischen Behörden seit Ende Mai 2020, wodurch die üblichen Transferzahlungen von Steuer- und Zolleinnahmen, die Israel für die PA eintreibt und ca. 60 % des PA-Haushalts ausmachen, nicht an die PA überwiesen werden konnten. Die Entscheidung diese Zahlungen nicht länger zu akzeptieren, stand in Verbindung mit den damaligen Ankündigungen der israelischen Regierung, offizielle Annexionen von Teilen des Westjordanlandes vorzunehmen. Daraufhin musste ein Großteil der Beschäftigten im palästinensischen Öffentlichen Dienst (Lehrer, Beamte, Gesundheitspersonal) auf 50 % der Gehälter verzichten. Erst mit dem Wahlsieg von Joe Biden in den USA und dem dadurch nahenden Ende der Präsidentschaft von Donald Trump kehrte die PA auf Arbeitsebene zur Koordination mit den israelischen Behörden zurück.
Die palästinensische Führung ringt jedoch nicht nur mit den Auswirkungen der Pandemie oder dem Konflikt mit Israel, sondern muss sich auch mit internen Machtkämpfen auseinandersetzen. Nachdem im September in Istanbul zunächst eine Einigung zwischen Fatah und Hamas für den Weg zu Parlaments- und Präsidentschaftswahlen innerhalb von sechs Monaten erzielt wurde, inklusive anschließender Einheitsregierung, war diese Vereinbarung bereits im Herbst wieder hinfällig. Die Hamas-Führung traf auf starke Widerstände in den eigenen Reihen, die eine Zusammenarbeit mit der Fatah insbesondere im Gaza-Streifen gänzlich ablehnen. Die Fatah wiederum hielt es sich offen, nach den US-Wahlen bei einem Wechsel im Weißen Haus die Beziehungen zu der US-Administration wiederaufzunehmen, was bei einigen Hamas-Vertretern ebenfalls auf Ablehnung stieß.
Die palästinensische Führung wurde zudem erschüttert vom Tod Saeb Erekats, dem Generalsekretär der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) sowie Verhandlungsführer der Palästinenser im Nahostkonflikt. Saeb Erekat erlag am 10. November einer Infektion mit SARS-CoV-2. Über die Nachbesetzung seiner Position in der PLO kam es nach einer Trauerphase zu Auseinandersetzungen innerhalb der Führung, zu deren vorläufigem Höhepunkt Hanan Ashrawi, längjähriges Mitglied im PLO-Exekutivkomitee und als Sprecherin palästinensischer Delegationen am Nahostfriedensprozess beteiligt, ihren Rücktritt von allen Ämtern ankündigte. In ihrem Rücktrittsschreiben sprach sie von „notwendigen Reformen und Erneuerungen für die PLO“, die aus ihrer Sicht zunehmend marginalisiert werde. Die Entscheidungen zur Wiederaufnahme der Kontakte mit Israel sowie internationale Gesprächsformate fanden ohne die sonst üblichen Konsultationen des PLO-Exekutivkomitees statt. Der Richtungsstreit über die zukünftige Führung der Palästinenser scheint damit in vollem Gange.
Die Weihnachtszeit und der Jahreswechsel werden daher wohl kaum zu einer Beruhigung der angespannten innerpalästinensischen Lage beitragen. Die Aussichten auf einen Impfstoff sind für die Palästinenser noch in weiter Ferne. Lediglich über Hilfslieferungen aus dem Ausland kann man sich Hoffnungen auf einen Zugang zum Impfstoff machen. Bis dahin bleibt der Umgang mit der Pandemie ein Wagnis zwischen wirtschaftlicher Öffnung und Infektionsschutz. Derweil wird die palästinensische Politik von internen Machtkämpfen geprägt. Von Bethlehem soll jedoch an Weihnachten ein Zeichen an die Welt herausgehen, bei dem sich alle einig sind: Die Hoffnung auf bessere Zeiten.
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