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Professor Arie W. Kruglanski, der Psychologie an der Universität von Maryland lehrt, bot einen interessanten Einblick in die Gefühls- und Motivationslage politisch radikalisierter Menschen. Dabei konnte er aus einem reichen Erfahrungsschatz seiner eigenen Forschungstätigkeit berichten, bei der er u.a. Terroristen in Sri Lanka, auf den Philippinen und in Indonesien zu den Beweggründen und den Verläufen ihrer Radikalisierung befragt hat.
Extremismus als eine Form der Verrücktheit?
„Sind Terroristen verrückt?“ lautete die zentrale Ausgangsfrage seines Vortrags, um sie sogleich zu beantworten: Nein, sind sie nicht. Da sei sich die jahrzehntelange Forschung an den verschiedensten Varianten des Terrorismus einig. „Normal“ allerdings seien sie auch nicht, schließlich zeichneten sie sich durch radikales, und damit von der Norm abweichendes, Gewalthandeln aus. Auch dass sie mitunter den eigenen Tod in Kauf nehmen, könne nicht als „normales“ Verhalten gewertet werden (wobei auch die Definition von „normal“ vom gesellschaftlichen Kontext abhänge; „Verrücktheit“ sei daher nur eine begrenzt brauchbare Kategorie, um extremistische Dispositionen zu erklären).
Die mentale Verfassung eines Extremisten unterscheide sich in der Regel nicht grundsätzlich von einem Durchschnittsmenschen, so Kruglanski. Aus psychologischer Perspektive lasse sich vielmehr von einem zeitweiligen mentalen Ungleichgewicht sprechen, das in Abhängigkeit äußerer Rahmenbedingungen zur Radikalisierung führen kann: Solange die Grundbedürfnisse des Einzelnen nach Sicherheit, Liebe und Anerkennung hinreichend bedient würden und sich harmonisch zueinander verhielten, bliebe die Wahrscheinlichkeit eines unkonventionellen, gar gewaltgeneigten, Verhaltens eher gering. Die verschiedenen Bedürfnisse hielten sich dann gegenseitig in Schach: Das Verlangen nach Liebe und Sicherheit verhindere beispielsweise ein (allzu) asoziales Verhalten, das durch das Verlangen nach Anerkennung und Respekt ausgelöst werden könnte.
„Temporärer Wahnsinn“
Wird diese Harmonie jedoch gestört und überragt ein Bedürfnis alle anderen, führe das zu einem zwischenzeitigen Ungleichgewicht und damit zu „temporärem Wahnsinn“. Die Aufmerksamkeit und Energie würde dann auf die Erfüllung dieses einen Bedürfnisses gelenkt. Alle anderen Grundbedürfnisse würden hiervon überlagert. Zur politischen Radikalisierung könne dies vor allem dann führen, wenn das Bedürfnis nach Anerkennung und Bedeutung („need for significance“) zur beherrschenden Motivation werde. Die schroffe Ablehnung der Gesellschaft müsse hierbei als Folge des Unvermögens dieser betrachtet werden, das Verlangen nach Respekt hinreichend zu erfüllen.
Eine zerstörerische Dynamik setze sich in Bewegung, so Kruglanski weiter, wenn diese Motivlage durch eine passende Ideologie bzw. ein Narrativ sowie die soziale Umgebung bzw. ein Netzwerk unterstützt werde. Dementsprechend müssten für einen Radikalisierungsprozess, der auch zur Gewaltbereitschaft führe, drei „N’s“ zusammenkommen: Needs, Narrative und Network. Die Ideologie legitimiere die Anwendung von Gewalt, indem sie ein höheres Ziel proklamiert, für das zu kämpfen die ersehnte Anerkennung einbringen würde. Das Netzwerk oder die Gruppe bildeten zusätzlich den gemeinschaftsstiftenden Rahmen, innerhalb dessen sich die Zugehörigen gegenseitig in ihren Auffassungen bestätigten und sich von der allgemeinen sozialen Umgebung abgrenzten. Damit sei der Weg zum gewalttätigen Extremismus beschritten.
Der Zusammenhang zwischen dem Mangel an Anerkennung und extremistischer Neigungen lasse sich klar belegen. Das hätten nicht nur experimentelle Versuchsanordnungen ergeben, sondern dies belege auch die vergleichende empirische Betrachtung verschiedener Extremistengruppen. Kruglanski untersuchte diesen Zusammenhang selbst in den anfangs bereits erwähnten sozialpsychologischen Feldstudien mit indonesischen Dschihadisten, Angehörigen der „Tamil Tigers“ auf Sri Lanka und ehemaligen Mitgliedern der philippinischen Extremistengruppe Abu Sayyaf.
Was kann gegen Radikalisierung getan werden?
Kruglanski machte schließlich klar, dass im Gegensatz zur „Verrücktheit“ dem „temporären Wahnsinn“ extremistischer Identitätssucher entgegengewirkt werden könne. Das gibt Hoffnung und betont die Bedeutung von Präventions- und Deradikalisierungsarbeit. Wichtig sei, das individuelle Bedürfnis nach Anerkennung zu erkennen und alternative Wege aufzuzeigen, wie dieses in einer modernen pluralistischen Gesellschaft integriert und befriedigt werden kann. Zudem müssten Gewalt und insbesondere gewaltlegitimierende Narrative bedingungslos von der Gesellschaft abgelehnt werden. Nicht zuletzt gelte es, so Kruglanski, soziale Angebote und Netzwerke zu schaffen, die gewaltgeneigte Radikalisierte auffangen können und gegebenenfalls Ventile für ihre Gewaltbereitschaft anbieten.
So konnte am Ende des Vortrages einerseits ein optimistischer Handlungsansatz formuliert werden, wonach es durchaus möglich ist, den extremistischen Wahnsinn als ein von inneren und äußeren Bedingungen abhängiges Phänomen zu kurieren. Andererseits bleibt die pessimistische Erkenntnis stehen, dass unseren Gesellschaften potentiell extremistische Motivlagen inhärent sind, die der ständigen Wachsamkeit bedürfen.
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