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Stadt, Land … Schluss?

by Constanze Brinckmann

Kommunalpolitiker diskutierten beim 2. Deutsch-Französischen Kommunalkongress über die Zukunft ländlicher Räume

Der ländliche Raum mit seinen vielfältigen Natur- und Kulturlandschaften prägt maßgeblich das Erscheinungsbild beider Länder, doch immer mehr Menschen in Deutschland und Frankreich zieht es zum Leben und Arbeiten in die Städte. Folgen sind u.a. knapper Wohnraum und Verkehrschaos in der Stadt sowie Leerstand und Überalterung der Bevölkerung auf dem Land. Beim 2. Deutsch-Französischen Kommunalkongress in Moulins, organisiert von der Fédération d‘Élus Bourbonnais, dem Auslandsbüro Frankreich sowie der KommunalAkademie, forderten Kommunalpolitiker wieder mehr Wertschätzung für den ländlichen Raum.

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Das Leben auf dem Land ist für viele Menschen (gerade für stressgeplagte Großstädter) die Idealvorstellung. Fernab jeder Großstadthektik lebt es sich auf dem Land einfach angenehmer, denn hier hat man viel mehr Ruhe und Platz, hier man kennt sich und hilft sich gegenseitig. Kurz: Auf dem Land ist die Welt noch in Ordnung. Der Suchbegriff „ländliche Idylle“ führt bei Google zu mehr als 223.000 Ergebnissen, die „städtische Idylle“ hingegen zu nicht einmal halb so vielen. Die Entwicklung des ländlichen Raumes zeigt seit einigen Jahren jedoch ein wenig idyllisches Bild. Vor allem junge Menschen zieht es aufgrund besserer Arbeits- und Lebensbedingungen in die umliegenden (Groß)Städte. In vielen Gemeinden gehen die Einwohnerzahlen dramatisch zurück, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen werden geschlossen, wichtige Infrastrukturprojekte fallen Budgetkürzungen zum Opfer. Die Entwicklung der ländlichen Räume mit dem Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse in den verschiedenen Regionen und im Vergleich zu den Städten herzustellen, ist nicht mehr allein Thema in der Kommunalpolitik, sondern auch innerhalb der Europäischen Union. Bereits seit 1994 verschafft der Europäische Ausschuss der Regionen (AdR) den Regionen und Städten ein Mitspracherecht in Europa. Beim 2. Deutsch-Französischen Kommunalkongress in Moulins diskutierten Kommunalpolitiker aus Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Finnland gemeinsam über die Zukunft des ländlichen Raumes im Zeitalter der Urbanisierung. Das Fazit: Auch wenn es Kraftanstrengungen und kreative Lösungen erfordert, lohnt es sich, den ländlichen Raum zu entwickeln und zu fördern.

Videobericht zum zweitägigen internationalen Kongress

Nicole Taubutin, stellvertretende Bürgermeisterin von Moulins (19.697 Einwohner) warnte beim 2. Deutsch-Französischen Kommunalkongress vor der Verarmung ganzer Landstriche in der Region. Viele Kommunen würden trotz großer Anstrengungen gerade so überleben. „Gut haushalten und ein wenig Marketing reichen einfach nicht mehr aus“, so die Kommunalpolitikerin im Gemeindesaal von Moulins. Die Zukunft der ländlichen Räume in Frankreich hänge davon, ob es gelingt, Arbeitsplätze zu schaffen, Geschäfte zu erhalten und die Gesundheitsversorgung auch weiterhin zu gewährleisten. Trotz der großen Gegensätze zwischen den Städten und dem ländlichen Raum, ist sie davon überzeugt, dass das Wachstum der Städte nicht ausschließlich ein Nachteil für die Kommunen sein muss. „Das Schicksal der ländlichen Räume ist nicht dem Untergang geweiht“, so Taubutin.

Gérard Dériot, Senator des Departements Allier und Präsident der Fédération d‘Élus Bourbonnais (FEB), zeigte sich in seinem Einführungsvortrag ähnlich entschlossen: „Wir kämpfen dagegen an, zu einem weiteren verlassenen Landstrich zu werden“. Für ihn ist der große Widerspruch zwischen Stadt und Land jedoch „längst überholt“. Städter würden sich genauso nach Lebensqualität und Ruhe sehnen wie Menschen auf dem Land. Im Gegenzug verlangen die Menschen im ländlichen Raum dieselben Konsumgüter und Dienstleistungen wie in der Stadt. Doch gerade in den letzten Jahren seien besonders die Kommunen von Investitionsstopps und Einsparungen betroffen gewesen, die u.a. dazu geführt haben, dass der „technologische Graben“ zwischen Stadt und Land größer geworden sei. Als ehemaliger Apotheker sieht Gérard Dériot die Abwanderung von medizinischem Fachpersonal in die großen städtischen Krankenhäuser mit Sorge: „Wenn Gesundheitsdienstleistungen abwandern, wird es auf dem Land sehr schnell problematisch.“ Auf der Suche nach Lösungsvorschlägen ist für ihn der intensive Austausch mit Kommunalpolitikern aus anderen europäischen Ländern besonders wichtig, denn so entstehe die Möglichkeit, Dinge aus einem ganz neuen Blickwinkel zu betrachten. Diese „fruchtbare Kooperation“ zwischen Kommunalpolitikern aus Deutschland und Frankreich, die im letzten Jahr beim ersten Deutsch-Französischen Kommunalkongress entstanden ist, leiste einen wichtigen Beitrag und sollte daher unbedingt fortgesetzt werden.

 

Stadt und Land brauchen einander

Wenn in einer Großstadt wie Paris oder Berlin die Bäckereifiliale schließt, der Arzt in Rente geht oder die Bushaltestelle verlegt wird, ist das ärgerlich. Mit etwas Glück wartet jedoch die nächste Filiale, Praxis oder Haltestelle gleich um die Ecke. Viel schwieriger wird es auf dem Land, wenn es nur den einen Bäcker, einen Arzt oder eine Bushaltestelle gibt. „Die Strukturen im ländlichen Raum sind viel fragiler als in der Stadt“, so die Einschätzung von Dr. Hanns-Christoph Eiden, der für die ländlichen Räume zuständige Präsident der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Die Folgen, wenn Strukturen ganz wegbrechen, können für die Bewohner einer kleinen Gemeinde mitunter dramatisch sein, z.B. wenn die Gesundheitsversorgung nicht mehr gewährleistet ist. „Viele Menschen im ländlichen Raum fühlen sich abgehängt“, so Eiden besorgt. Gerade in den strukturschwachen Gebieten sei die Anzahl von Nicht- oder Protestwählern bei der letzten Bundestagswahl besonders hoch gewesen. „Wir müssen die Menschen in den Dörfern befähigen, ihre eigenen Ideen umzusetzen“, lautete seine Forderung an die Politik. Nicht die Entscheider in Berlin oder Brüssel, sondern die Menschen vor Ort wüssten selbst am besten, was bei Ihnen in der Gemeinde funktioniert und was nicht. Eiden betonte ebenfalls, dass der ländliche Raum nicht nur kulturell und ökologisch vielfältig sei, sondern auch Standort für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), die als „Hidden Champions“ in Deutschland einen wichtigen Beitrag für den Erfolg der Wirtschaft leisten. Die komplexen Herausforderungen können Stadt und Land nur gemeinsam lösen. „Stadt und Land brauchen einander“, so seine Einschätzung.

Von Sprachunterricht für Flüchtlinge bis hin zu Fahrdiensten für Senioren: In deutschen und französischen Kommunen gibt es viele Beispiele für Initiativen, die nur durch das Engagement ehrenamtlicher Helfer auf die Beine gestellt werden können. Karl Schiewerling, Vorsitzender der Stiftung Christlich Soziale Politik, erinnerte in seinem Impulsvortrag daran, dass es gerade im ländlichen Raum ohne das ehrenamtliche Engagement nicht geht. „Wir drohen zu vergessen, dass der Staat vom Engagement der Menschen vor Ort lebt“, sagte der ehemalige Arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der CDU/CSU- Bundestagsfraktion. Der aktuelle Freiwilligensurvey des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat gezeigt: Immer mehr Menschen in Deutschland engagieren sich ehrenamtlich, z.B. im Bereich Sport, Bildung oder Kultur. Besonders im ländlichen Raum sind Sportvereine, Musikgruppen und Nachbarschaftsinitiativen wichtig, wenn nicht sogar „überlebenswichtig“ für das Zusammenleben. Für Karl Schiewerling ist das ehrenamtliche Engagement sogar ein „existenzieller Standortfaktor“. Mit Hinblick auf die zunehmende Individualisierung in den großen Städten betonte er, wie wichtig es auch für die eigene Gesundheit sei, sich für andere zu engagieren: „Ohne stabile soziale Netze zu leben, macht auf Dauer krank“, so Schiewerling.

 

“Wir wollen nicht gefressen werden“

Alles ist relativ, auch die Größe einer Stadt. Im Vergleich zu Paris (2,2 Millionen Einwohner) ist Digoin (8.000 Einwohner) klein. Für die Einwohner der umliegenden Gemeinden Molinet, La Motte-Saint-Jean oder Vitry-en-Charollais ist Digoin hingegen „die Stadt“. Fabien Genet ist seit 2014 Bürgermeister von Digoin und Vorsitzender des Kommunalverbandes Le Grand Charolais. Ähnlich wie Senator Gérard Dériot sieht er den großen Gegensatz zwischen „Landratte“ und „Stadtratte“ immer mehr verschwinden. „Die Lebens- und Konsumgewohnheiten der Menschen werden immer ähnlicher“, so seine Einschätzung. Dennoch seien im ländlichen Raum die Entfernungen zur nächsten Hochschule, Kultureinrichtung oder zur nächsten Arztpraxis erheblich größer als in der Stadt. Er sieht in seiner eigenen Gemeinde, dass selbst die älteren Dorfbewohner über einen Umzug in die nächstgrößere Stadt nachdenken, um im Notfall schneller medizinische Versorgung zu erhalten. Die kleinen Städte fürchteten durch die Urbanisierung von den großen Städten verschluckt zu werden. „Wir wollen nicht gefressen werden“, sagte der Kommunalpolitiker.

Gerade in den ländlichen Regionen sind die Menschen auf Brüssel und EU gar nicht gut zu sprechen. „Wenn irgendetwas nicht funktioniert, ist die EU Schuld“, lautet nach Einschätzung von Jean Pierre Audy, die Meinung vieler Menschen im ländlichen Raum. Um den Protestparteien wie dem Front National, der bei der Präsidentschaftswahl 2017 gerade im ländlichen Raum sehr erfolgreich war, den Wind aus den Segeln zu nehmen, sei der Staat gefordert, Chancengleichheit zwischen Stadt und Land herzustellen. „Wir haben zwar die gleichen Pflichten, aber nicht die gleichen Rechte“, so der ehemalige Europaabgeordnete und jetziges Ratsmitglied der Stadt Meymac (2.400 Einwohner) mit Hinblick auf die marode Infrastruktur und die unzureichende Versorgung mit Glasfaserleitungen in vielen ländlichen Regionen. „Wir können kein starkes Europa aufbauen, wenn wir die Probleme in den ländlichen Räumen nicht lösen“, sagte Audy in Moulins. Jetzt sei der Staat gefordert, denn „ohne die ländlichen Regionen sind wir nichts“.

Bruno Rojouan, Bürgermeister von Villefranche d’Allier (1.380 Einwohner) und Präsident des Bürgermeisterverbandes des Départements Allier, fasste zum Abschluss des ersten Kongresstages die wichtigsten Erkenntnisse zusammen. Am häufigsten fiel im Laufe des Tages das Stichwort Ehrenamt, dicht gefolgt von der Forderung, den Breitbandausbau in den ländlichen Regionen voranzutreiben. Größter Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich ist und bleibt die föderale Struktur Deutschlands gegenüber der zentralistischen Ordnung in Frankreich. Nach Einschätzung von Bruno Rojouan herrsche zwischen Stadt und Land (noch) kein Gleichgewicht, sondern eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Für ihn stellen nicht allein die Metropolen, sondern auch die ländlichen Räume eine „große Chance für Europa“ dar. Und die Zeit drängt: „Wir haben nicht mehr viel Zeit, wenn wir den Kurs ändern wollen“, so Rojouan.

 

Nicht bemuttern, sondern aktivieren

Der zweite Kongresstag stand ganz im Zeichen der großen Zukunftsfragen für die Entwicklung ländlicher Räume. Moderator Jürgen Merschmeier, Journalist und ehemaliger Sprecher der CDU Deutschlands, achtete gewissenhaft auf die Einhaltung der Zeitvorgaben für die Kurzvorträge u.a. zur Bedeutung der Landwirtschaft, den Herausforderungen für die Bildungs- und Hochschulpolitik sowie den Chancen durch die Versorgung des ländlichen Raumes mit Breitband-Internetzugängen. Die Lösungsvorschläge der Kongressteilnehmer waren dabei so vielfältig wie der ländliche Raum selbst. Vom Einsatz neuer Technologien z.B. im Bereich Telemedizin oder e-Learning bis hin zur Förderung der touristischen und kulturellen Attraktivität der ländlichen Regionen wurden verschiedene Ansätze diskutiert. Philipp Lerch, Leiter der KommunalAkademie der Konrad-Adenauer-Stiftung, forderte zum Abschluss von Politik und Gesellschaft, den ländlichen Regionen wieder mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegenzubringen. Indem wir sie „nicht bemuttern, sondern aktivieren“ können ländliche Räume eigenständig kreative Lösungen finden, um sich den Herausforderungen in den Bereichen Infrastruktur, Kultur, Gesundheit und Digitalisierung zu stellen. „Es gibt nicht den ländlichen Raum“, so das Fazit von Philipp Lerch. Vielmehr gäbe es viele verschiedene ländliche Räume, die „Sehnsuchtsorte“ und nicht zuletzt Heimat für viele Menschen seien.

 

In unserem Flickr-Album finden Sie weitere Bilder vom 2. Deutsch-Französischen Kommunalkongress in Moulins

2. Deutsch-Französischer Kommunalkongress in Moulins

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