Seit dem 20. April wurden die Ausgangsbeschränkungen in Deutschland gelockert. An welchen Richtwerten hat sich die deutsche Politik orientiert, welche Abwägungen flossen in die – von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlichen – Entscheidungen ein?
Die aktuelle Situation in Deutschland ist nach wie vor dynamisch. Um die Verbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 in Deutschland einzudämmen und einer Überlastung des Gesundheitssystems vorzubeugen, haben Bund und Länder in den vergangenen Wochen verschiedene Maßnahmen verabschiedet, die das öffentliche und soziale Leben der Menschen einschränken.
Hierzu gehören zum Beispiel die Schließung von Kindergärten, Schulen, Gastronomie- und Kulturbetrieben sowie den meisten Geschäften. Im Rahmen einer Kontaktsperre sollen die sozialen Kontakte zwischen den Menschen auf ein Minimum reduziert werden. Alle Bürgerinnen und Bürger sind zudem angehalten, im öffentlichen Raum einen Mindestabstand von 1,50 Meter zu anderen Personen zu halten. Ob diese Maßnahmen beibehalten oder angepasst werden, hängt von der Infektionsdynamik ab und wird regelmäßig, etwa alle zwei Wochen, von der Bundeskanzlerin und den Regierungschefinnen und -chefs der Länder neu bewertet.
Nachdem die o.g. Einschränkungen dazu geführt haben, dass die Infektionsgeschwindigkeit in Deutschland in den vergangenen Wochen abgenommen hat und eine Überlastung der Gesundheitssysteme bisher ausgeblieben ist, werden derzeit vorsichtige Schritte in Richtung einer Lockerung unternommen. So wird beispielsweise ab dem 4. Mai schrittweise der Schulbetrieb wieder aufgenommen, die Öffnung von Geschäften bis 800 qm Verkaufsfläche ist bereits jetzt wieder erlaubt. Gleichzeitig wird die Kontaktsperre jedoch aufrechterhalten und ab dieser Woche gilt in ganz Deutschland eine Pflicht zum Tragen von Schutzmasken im öffentlichen Nahverkehr sowie in den meisten Bundesländern auch beim Einkaufen.
Da die Zuständigkeiten für bestimmte Politikfelder, wie zum Beispiel die Bildungspolitik, aufgrund des föderalen Systems in Deutschland bei den Bundesländern liegt und unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten, kommt es in den Ländern teilweise zu unterschiedlichen Umsetzungen der mit der Bundesregierung vereinbarten Maßnahmen.
Unter welchen Bedingungen dürfen Betriebe und Institutionen wieder öffnen? Wie versucht man einer weiteren Ansteckungswelle vorzubeugen?
Um eine zweite Ansteckungswelle zu vermeiden, appellieren Bund und Länder an die Bürgerinnen und Bürger, die aktuellen Einschränkungen des öffentlichen Lebens und damit einhergehende Regeln einzuhalten und werben um Akzeptanz für die gemeinsam beschlossenen Maßnahmen.
Die nach wie vor wichtigsten Maßnahmen bei der Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 und zur Vermeidung einer weiteren Infektionswelle sind die Reduzierung der sozialen Kontakte und das Einhalten eines Mindestabstands von 1,50 Meter zu anderen Personen. Zudem darf man sich in der Öffentlichkeit nur alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstandes aufhalten. Diese Regeln wurden bisher nicht gelockert.
Gelockert wurden hingegen die Regeln zur Öffnung von Geschäften. Seit dem 20. April dürfen Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern wieder den Betrieb aufnehmen. Buchhandlungen, Fahrradläden und Autohändler dürfen unabhängig von ihrer Verkaufsfläche wieder Kunden empfangen. Dabei müssen jedoch bestimmte Auflagen erfüllt werden, wie gestiegene Hygieneanforderungen, das Einhalten der Abstandsregeln und die Vermeidung von Warteschlangen und Menschenansammlungen auf engem Raum. Als weitere Maßnahme zum Schutz für die Bevölkerung wurde in dieser Woche in den meisten Bundesländern eine Pflicht zum Tragen von Schutzmasken in Geschäften und dem öffentlichen Nahverkehr eingeführt.
Welche Rolle spielen digitale Instrumente (wie z.B. Tracking-Apps) bei der Bekämpfung des Virus in Deutschland?
Um die weitere Verbreitung des Coronavirus einzudämmen, ist es wichtig Infektionsketten möglichst schnell und lückenlos nachzuvollziehen. Das sehen auch Bund und Länder so und sprechen sich daher für ein digitales „contact tracing“ aus, also eine technische Lösung, mit deren Hilfe Kontakte von Infizierten nachverfolgt werden können. Hierfür ist eine Technologie namens Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing (PEPP-PT) im Gespräch, die mittels Bluetooth-Technologie den räumlichen Abstand zu anderen Personen in der eigenen Umgebung misst und diese Daten dezentral auf dem Smartphone des Nutzers speichert. Sollte dieser anschließend positiv auf das Coronavirus getestet werden, hat er die Möglichkeit, dies freiwillig an einen Server zu übermitteln, um auf diese Weise andere Nutzer, die sich zuvor in einer kritischen Nähe von weniger als 1,50 Meter zu ihm aufgehalten haben, zu informieren. Auf diese Weise könnte eine weitere Verbreitung des Virus schneller gestoppt werden.
Die Nutzung der App soll auf Freiwilligkeit beruhen und im Einklang mit europäischen und deutschen Datenschutzregeln stehen, indem sie lediglich anonymisierte Daten und keine Bewegungsprofile der Nutzer speichert.
Welche Lehren hat Deutschland aus dem Ausbruch der Krise gezogen? Wie bereitet sich das Land angesichts möglicher künftiger Gesundheitskrisen vor?
Da Deutschland sich trotz allmählicher Lockerungen der Beschränkungen des öffentlichen Lebens und einer Verlangsamung der Neuinfektionen weiterhin mitten in der Krise befindet, konzentrieren sich alle Maßnahmen der Verantwortlichen in Politik und Wissenschaft derzeit darauf, eine weitere Infektionswelle in Deutschland zu vermeiden und trotz der Einschränkungen bestmögliche pragmatische Lösungen für den Alltag der Menschen zu finden.
Von einer Auswertung der Situation und dem Ableiten von Lehren sind wir derzeit noch weit entfernt. Der Ausbruch der weltweiten Covid-19-Pandemie hat auch in Deutschland Stärken und Schwächen offenbart, wenn es darum geht, einer gesundheitlichen Notlage dieser Tragweite zu begegnen. Trotz unseres im internationalen Vergleich gut ausgestatteten Gesundheitssystems hat die Covid-19-Pandemie Deutschlands Wirtschaft, Sozialstaat und Gesellschaft massiv unter Druck gesetzt. Eine kritische Analyse unserer Stärken und Schwächen im Umgang mit Gesundheitsgefahren wie Pandemien, mit denen wir in einer zunehmend globalisierten Welt weiterhin konfrontiert sein werden, ist unausweichlich, um beim nächsten Mal besser gewappnet zu sein und derartige Ausnahmesituationen wie die aktuelle zu vermeiden. Da Viren keine Grenzen kennen und die Eindämmung von Infektionskrankheiten eine globale Herausforderung darstellt, können Pandemien und ihre Folgen nur in enger internationaler Abstimmung bewältigt werden.
Anfrage von Evelyn Gaiser, AM Costa Rica