Ein „Grandseigneur“ und „eine der großen baden-württembergischen Persönlichkeiten“ – so würdigte Ministerpräsident Günther Oettinger den verstorbenen Papierfabrikanten Klaus Heinrich Scheufelen beim Trauergottesdienst am 1. Februar 2008 in der Oberlenninger Kirche Sankt Martin. Am 30. Oktober 2013 wäre Scheufelen 100 Jahre alt geworden.
Herkunft
Scheufelen wurde 1913 im schwäbischen Oberlenningen in wohlhabende Verhältnisse hinein geboren. Als Sohn des erfolgreichen Papierfabrikanten Adolf Scheufelen trat er bereits 1930 in das väterliche Unternehmen ein. Bekannt wurde die Papierfabrik Scheufelen (seit 1855 im Besitz der Familie) durch Kunstdruckpapier, das unter dem Markenzeichen eines flügelschlagenden Phönix vertrieben wurde. Vater Adolf übernahm früh wichtige Funktionen in Verbänden der Papierindustrie, Mutter Paula entstammte als Tochter eines pfälzischen Papierfabrikanten ebenfalls einer Unternehmerfamilie.
Der Familientradition entsprechend entschied sich Scheufelen für das Studium des Papieringenieurwesens. 1937 schloss er an der TH Darmstadt bei Professor Walter Brecht, dem Bruder Bert Brechts, sein Studium mit dem Grad eines Diplom-Ingenieurs ab. Im Mai 1939 heiratete er in der dortigen Paulskirche Rita Simon-Weidner.
Raketeningenieur und Papierfabrikant
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde Scheufelen in die Wehrmacht eingezogen. 1942 wurde der Flakoffizier aufgrund seiner Qualifikation zur Heeresversuchsanstalt Peenemünde dienstverpflichtet. Dort arbeitete er als Entwicklungsingenieur an verschiedenen Raketen-Projekten, so unter anderem an der Flugabwehrrakete Wasserfall und als Entwicklungsleiter der Flugabwehrrakete Taifun. Bei Kriegsende holte man Scheufelen gemeinsam mit anderen „Peenemündern“ in die Vereinigten Staaten, wo er mit Wernher von Braun seine Arbeit in amerikanischen Diensten fortsetzte. Erst 1950 kehrte er nach Oberlenningen zurück und übernahm Geschäftsführung und technische Leitung der väterlichen Papierfabrik. Kaufmännischer Geschäftsführer war sein älterer Bruder Karl-Erhard (geboren 1903). Unter Scheufelens Führung expandierte das Familienunternehmen enorm. Seine neuen Spezialpapiere eroberten den Weltmarkt, darunter schwer entflammbares Papier, welches den ersten bemannten Mondflug begleitete, oder alterungsbeständige Sorten für die vatikanischen Bibliotheken. Eine Anekdote berichtet, Papst Johannes Paul II. habe Scheufelen gefragt: „Wie lange hält das Papier?“. Nach dessen prompter Antwort: „500 Jahre!“ stand dem Geschäft nichts mehr im Wege.
Noch mit beinahe 50 Jahren promovierte Scheufelen an der TH München zum Dr. Ing.
Wirtschaftspolitiker und CDU-Landesvorsitzender von Nordwürttemberg
Nach der Rückkehr aus den Vereinigten Staaten begann Scheufelen, sich politisch zu engagieren. 1952 trat er in die CDU ein. Kommunalpolitisch ab 1953 im heimatlichen Kreistag von Nürtingen aktiv, stieg der Unternehmer und Wirtschaftsfachmann in der Partei schnell auf. Schon im selben Jahr war Scheufelen Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Wirtschaftspolitischen Ausschüsse der CDU in Baden-Württemberg geworden, ab 1953 gehörte er dem geschäftsführenden Vorstand des Bundesausschusses für Wirtschaftspolitik und dem Bundesausschuss der Partei an. 1956/1957 engagierte sich Scheufelen im Bundesausschuss für Sozialpolitik und in der Rentenkommission. Im Frühjahr 1958 wählte ihn sein CDU-Landesverband Nordwürttemberg als Nachfolger von Wilhelm Simpfendörfer zum Vorsitzenden – ein Amt, in dem er immer wieder, zuletzt 1969, bestätigt wurde. Scheufelen setzte sich als Landesvorsitzender beharrlich für die Bildung eines gemeinsamen Landesverbandes im Südwesten ein. Jahrelange, teils zähe Verhandlungen bei den „Viererkonferenzen“ mit den Vorsitzenden der drei anderen Landesverbände, namentlich Eduard Adorno (Südwürttemberg-Hohenzollern), Franz Gurk und Otto Dullenkopf (Nordbaden), Anton Dichtel und Hans Filbinger (Südbaden), führten 1971 endlich zum Erfolg. Nach Gründung des einheitlichen CDU-Landesverbandes Baden-Württemberg gab Scheufelen sein Amt ab und wurde zum Ehrenvorsitzenden des nunmehrigen Bezirksverbandes ernannt.
Bundesschatzmeister und Mitbegründer des Wirtschaftsrates
Scheufelens unternehmerischer und finanzieller Sachverstand war auch in Bonn gefragt, wo unter anderen Konrad Adenauer und Kurt Georg Kiesinger seinen Rat suchten. Scheufelen amtierte von 1958 bis 1960 zwei Jahre als kommissarischer Bundesschatzmeister der CDU und war 1959/60 Vorsitzender der Finanzkommission der Partei, deren Finanzen er im Auftrag Adenauers neu ordnete.
Gemeinsam mit anderen überzeugten Verfechtern der sozialen Marktwirtschaft wie Alphons Horten, Josef Rust, Clemens Riedel und Franz Etzel gründete Scheufelen am 9. Dezember 1963 den Wirtschaftsrat der CDU e.V. Am 23. Januar 1964 zum Gründungsvorsitzenden gewählt, prägte Scheufelen die Politik des Wirtschaftsrates nachhaltig. Zu den Beweggründen für sein Engagement erklärte er später: „Es ist beste deutsche Unternehmertradition, am öffentlichen Geschehen aktiv Anteil zu nehmen. Immer haben verantwortungsbewusste Unternehmer - Kaufleute, Industrielle, Handwerker – sich bemüht, ihren Beitrag zum Wohl der Allgemeinheit zu leisten. Der Krieg mit allen seinen Auswirkungen, aber auch die ständige zeitliche Überbeanspruchung des einzelnen in den letzten Jahren, haben die Bereitschaft dazu in unserer Zeit jedoch vermindert. Nur wenige Unternehmer nehmen es auf sich, ihre wertvollen praktischen Erfahrungen über die Arbeit in ihren eigenen Unternehmen hinaus in politischen Ämtern zur Verfügung zu stellen. Im Kreise befreundeter Unternehmer wuchs immer stärker die Überzeugung, dass wirtschaftliche Vernunft sehr viel stärker in der Politik zur Geltung kommen müsse.“
Neben Konzepten zur Wirtschafts-, Finanz- oder Energiepolitik standen die betriebliche Mitbestimmung und die Vermögensbildung der Arbeitnehmer im Vordergrund. Maßgeblich beeinflusste der Wirtschaftsrat und damit Scheufelen Kartell- und Rentengesetzgebung sowie Vermögensbildungspolitik der CDU. Konflikte mit dem Arbeitnehmerflügel der Partei, vertreten durch die Sozialausschüsse, blieben dabei nicht aus. Scheufelen galt als einer der Urheber jener Form der Mitbestimmung, wie sie schließlich im Berliner Programm der CDU verankert wurde. Bis 1979 blieb er im Präsidium des Wirtschaftsrates, 1984 wurde er zum Ehrenmitglied ernannt.
Hinter den Kulissen
Nach außen galt Scheufelen als ausgleichend, integer und verlässlich; Politik betrieb er, der kein großer Redner war, lieber im kleinen Kreis. Die „Graue Eminenz“ besaß dabei hinter den Kulissen von Politik und Wirtschaft großen Einfluss – weniger durch Ämter als durch persönliche Beziehungen. Als 1958 Ministerpräsident Gebhard Müller Präsident des Bundesverfassungsgerichtes wurde, wirkte Scheufelen im Hintergrund an wichtigen Weichenstellungen für Baden-Württemberg mit: Er holte Kiesinger aus Bonn als Ministerpräsident nach Stuttgart und riet ihm, die ausgelaugte Allparteienkoalition durch eine bürgerliche Koalition mit der FDP zu ersetzen. Bei Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene fungierte Scheufelen, der auch überparteilich als Vermittler geschätzt wurde, mehrmals als Unterhändler: Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit bei der Bundestagswahl 1961 suchte er im Auftrag Adenauers das Gespräch mit der FDP. Wenige Jahre später verhandelte Scheufelen als Mitglied der CDU-Fünferkommission über die Bildung der Großen Koalition mit der SPD.
Gegenüber „seinem“ Wirtschaftsrat und der CDU zeigte sich der Unternehmer stets großzügig, sei es durch Sachspenden (Papier) oder indem er das firmeneigene Stuttgarter Gästehaus für verschwiegene Treffen zur Verfügung stellte. So verhandelten dort Ende 1965 der FDP-Vorsitzende Erich Mende, der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß und der Stuttgarter Justizminister Wolfgang Haussmann über gemeinsame politische Projekte. Nach den studentischen Unruhen 1968 fanden im Gästehaus in der Stuttgarter Stafflenbergstraße 51 Gespräche zwischen Vertretern des Verbandes Deutscher Studentenschaften (VDS) und Bundeskanzler Kiesinger statt.
In Bundesvorstand und Bundesparteiausschuss der CDU hatte Scheufelen bis 1971 Sitz und Stimme. Innerhalb seines Bezirksverbandes behielt er auch nach seinem Rücktritt einen Beisitzerposten, im Landesverband wurde ihm ehrenhalber Sitz und Stimme eingeräumt. Dabei blieb der Unternehmer konsequent bei seiner marktwirtschaftlichen Haltung: Weil Scheufelen Lothar Späth verdächtigte, einen Hang zu „sozialistischer Planwirtschaft“ zu haben, weigerte er sich – so die Stuttgarter Zeitung – einen Beitrag für ein Würdigungsbuch des Ministerpräsidenten zu schreiben.
Ehrungen und soziales Engagement
Die Kraft für sein politisches und wirtschaftliches Wirken schöpfte Scheufelen aus Familie und Sport. Tochter Eva Maria starb 1966 bei einem Reitunfall, Sohn Ulrich holte er 1979 in die Geschäftsführung des Unternehmens. Schwiegertochter Gisela Meister-Scheufelen saß für die CDU im Landtag von Baden-Württemberg.
Bis ins hohe Alter war Scheufelen beinahe täglich in seinem Betrieb. Die wirtschaftlichen Probleme seines Unternehmens in den 2000er Jahren trieben ihn um: „Was mich bekümmert, ist das Auf und Ab in der Firma. Da hängen so viele Arbeitsplätze und Menschenschicksale dran.“ Die Papierfabrik Scheufelen musste schließlich 2008 Insolvenz anmelden und wurde von einem finnischen Papierkonzern übernommen.
Scheufelen starb 2008 hoch ausgezeichnet im Alter von 94 Jahren – nach einem „langen, erfüllten und vielseitigen Leben“, wie es in Nachrufen hieß. Sein Eintreten für unternehmerische Interessen hatte Scheufelen immer mit sozialem Engagement zu verbinden gesucht: „Er wusste, dass Eigentum nicht zu allem berechtigt, sondern verpflichtet auch zu sozialem Handeln“, so Günther Oettinger in seiner Trauerrede. Scheufelen war Gründungsmitglied und treibende Kraft der Heimbau-Genossenschaft, durch die in der neugegründeten Ortschaft Hochwang viele Heimatvertriebene – die in seiner Papierfabrik Arbeit gefunden hatten - günstigen Wohnraum oder Baugrundstücke erwerben konnten. Seine Heimatgemeinde Oberlenningen berief ihn zum ehrenamtlichen Bürgermeister und Ehrenbürger, in Hochwang wurde ein Platz nach Scheufelen benannt.
Bereits 1955 war er zum Ehrensenator der Universität Tübingen ernannt worden, 1963 hatte er das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern erhalten. 2006 verlieh der Wirtschaftsrat der CDU e.V. seinem Gründungs– und Ehrenmitglied die Ludwig-Erhard-Gedenkmedaille in Gold.
Wenige Jahre nach seinem Tod machte Scheufelen noch einmal Schlagzeilen: Der „Spiegel“ berichtete 2011, gestützt auf freigegebene amerikanische Akten, dass der Industrielle Scheufelen seit 1956 Kontakte zum US-Geheimdienst gehabt und den CIA regelmäßig über politische Pläne der CDU unterrichtet habe.
Curriculum vitae
- 1931 Abitur
- 1931-1937 Studium der Papierfabrikation an der TH Darmstadt (Abschluss Dipl.-Ing.)
- 1939-1945 Kriegsdienst in der Wehrmacht
- 1942-1945 Raketenentwickler an der Heeresversuchsanstalt Peenemünde
- 1946-1950 Raketenentwicklung in den USA mit Wernher von Braun
- 1951 Übernahme der Geschäftsführung und technischen Leitung der väterlichen Papierfabrik in Oberlenningen
- 1952 Eintritt in die CDU
- 1952 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Wirtschaftspolitischen Ausschüsse der CDU in Baden-Württemberg
- 1953 Kreistagsmitglied in Nürtingen (1955-1965 Fraktionsvorsitzender)
- 1953 Vorstandsmitglied im Bundesausschuss für Wirtschaftspolitik der CDU und Mitglied im Bundesausschuss der CDU
- 1956-1957 Mitglied im Bundesausschuss für Sozialpolitik und in der Rentenkommission der CDU
- 1958-1971 CDU-Landesvorsitzender in Nordwürttemberg (anschl. Ehrenvorsitzender)
- 1958-1972 Mitglied des Bundesvorstandes der CDU
- 1958-1960 kommissarischer Schatzmeister der CDU und Mitglied der Finanzkommission
- 1962 Promotion zum Dr. Ing.
- 1963-1968 Gründungsmitglied und Vorsitzender des Wirtschaftsrates der CDU e.V. (1968-1979 stv. Vorsitzender
- ab 1984 Ehrenvorsitzender).
Veröffentlichungen
- Klaus H. Scheufelen: Montan-Mitbestimmung. Argumente gegen die Forderungen des DGB (Wirtschaftsrat der CDU e.V.). Bonn 1968.
- Klaus H. Scheufelen: Antworten zur Mitbestimmung auf einen Diskussionsbeitrag der Sozialausschüsse der CDU (Wirtschaftsrat der CDU e.V.). Bonn 1968.
- Klaus H. Scheufelen: Mythos Raketen: Chancen für den Frieden (Erinnerungen). Esslingen 2004.