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Dr. Robert Lehr, Bundesminister des Innern, 1950. Dr. Robert Lehr, Bundesminister des Innern, 1950. © Bundesarchiv B 145 Bild-P004377, CC BY-SA 3.0 de

Robert Lehr

Oberbürgermeister, Oberpräsident, Bundesminister Dr. jur. August 20, 1883 Celle November 13, 1956 Düsseldorf
by Stefan Marx
Robert Lehr gehörte einer Politikergeneration an, die in ihrem Denken und Handeln geprägt war von der Erfahrung in der Weimarer Republik. Bereits in der ersten deutschen Demokratie war er eine festumrissene Figur im staatlichen und gesellschaftlichen Leben. In seiner Funktion als Oberbürgermeister von Düsseldorf zählte er zum „Establishment der Republik“ (Wolfgang Hofmann).

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Familiärer Hintergrund, prägende Einflüsse und beruflicher Werdegang bis 1913

Dass Robert Lehr eine Karriere in der Kommunalverwaltung machen sollte, war nicht zu erwarten, als er am 20. August 1883 als Sohn eines Offiziers in Celle geboren wurde. Er wuchs in einer christlich und konservativ geprägten Familie auf. Nachdrücklich betonte der Protestant Lehr die Weltverantwortung des Christen, seine Verpflichtung zum Engagement in Staat und Gesellschaft. Für den christlichen Politiker gelte die Erkenntnis, dass der Mensch nicht staatshöriges Objekt, sondern ein Teil der göttlichen Schöpfung sei. Toleranz und Nächstenliebe müssten daher sein Handeln bestimmen. Seine konservative Grundhaltung spiegelte sich in seinem Habitus wider: pflichtbewusst und streng gegen sich selbst, straff in der äußeren Erscheinung und immer tadellos gekleidet.

Wie sein Vater, der bis zum Generalmajor aufstieg, wollte Lehr eine Offizierslaufbahn einschlagen. Doch ein langwieriges Nierenleiden machten diese Pläne zunichte. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und der Promotion mit einer Arbeit über das Reichshaftpflichtgesetz machte er eine steile Karriere in der Kommunalverwaltung von Düsseldorf.

 

Karriere in der Kommunalverwaltung von Düsseldorf

1913 trat er als Assessor in den Dienst der Stadt. Bereits ein Jahr später wählte ihn die Stadtverordnetenversammlung zum Polizeidezernenten und übertrug ihm damit ein umfangreiches Aufgabengebiet, dessen Bewältigung in den Jahren des Ersten Weltkrieges eine besondere Herausforderung darstellte. Zu seinen Aufgaben gehörten die Beaufsichtigung der damals unter Zensur stehenden Presse, die Überwachung der Lebensmittelversorgung, die Deckung des Heeresbedarfs, die Spionageabwehr vor allem zum Schutz der Rüstungsindustrie und die Bekämpfung radikaler politischer Bestrebungen. In diesen Jahren nahm er eine Schlüsselstellung in der Stadt ein. Durch geschickte Verhandlungen mit dem Arbeiter- und Soldatenrat konnte er im November 1918 bewaffnete Auseinandersetzungen in Düsseldorf vermeiden. Doch nur wenige Wochen später, Anfang Januar 1919, unter der Spartakistenherrschaft musste er sich durch Flucht in das belgisch besetzte Oberkassel vor den Bewaffneten, die ihn erschießen wollten, in Sicherheit bringen.

Aus den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung am 19. März 1919 gingen die bürgerlichen Parteien als Sieger hervor. Lehr konnte wieder in der Düsseldorfer Stadtverwaltung tätig werden. Ihm wurde das Amt des Finanzdezernenten übertragen. Die Stadtfinanzen in Ordnung zu bringen vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Inflation, eines hohen Ausgabenbedarfs durch die Versorgung einer riesigen Zahl von Fürsorgeempfängern und Beschlagnahmungen der französischen Besatzungstruppen bei einem gleichzeitigen Rückgang der Erträge aus der Kommunalsteuer als Folge der Erzbergerschen Finanzreform, stellte den neuen Finanzdezernenten vor eine „nicht beneidenswerte Aufgabe“ (Brigitte Kaff).

 

Oberbürgermeister von Düsseldorf

Als er im Juni 1924 mit den Stimmen der bürgerlichen Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung zum Nachfolger des von der französischen Besatzungsmacht ausgewiesenen Oberbürgermeisters Emil Koettgen gewählt wurde, stellte diese Entscheidung keine größere Überraschung dar. Die aus seiner Machtfülle resultierenden Gestaltungsmöglichkeiten machten das Amt des Oberbürgermeisters für Lehr interessant.

Er wusste diese Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. So gelang es ihm, auf wirtschaftlichem Gebiet die Position Düsseldorfs gegenüber der Rheinmetropole Köln entscheidend zu verbessern. Er förderte die Ansiedlung von Industrieunternehmen, setzte sich für den Ausbau des Flughafens ein und konnte mit der legendären „Großen Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübung“ (Gesolei) im Jahre 1926 Düsseldorfs Ruf als Kongress- und Ausstellungsstadt wiederherstellen.

Lehr wirkte im Vorstand des Deutschen, des Preußischen und des Rheinischen Städtetages mit, ohne dabei „die Leidenschaft für die große Politik“ (Walter Först) zu entwickeln, die seine Kollegen Konrad Adenauer, Karl Jarres und Hans Luther in den Nachbarstädten Köln, Duisburg und Essen hatten. Als Sprungbrett für eine Karriere in der Reichspolitik sah Lehr das Amt des Oberbürgermeisters nicht an. Dabei verstand er sich als „unabhängiger Sachwalter der gesamten Bürgerschaft“. Zur Parteipolitik hielt er Distanz.

Erst Anfang 1929 entschloss er sich, sich parteipolitisch zu binden. Er trat der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) bei. Die Programmatik der DNVP entsprach sicherlich seiner national-konservativen Grundhaltung, doch war dieser Schritt „nicht so sehr eine Sache der Überzeugung“ (Walter Först). Hierzu veranlasste ihn vielmehr die Überlegung, sich die Unterstützung der Deutschnationalen in den parlamentarischen Auseinandersetzungen über die kommunale Neuordnung in Preußen zu sichern.

 

Entlassung aus dem Amt

Innerhalb der DNVP fühlte er sich zwar dem gemäßigten Flügel um Graf Westarp zugehörig, verließ aber nicht mit diesem und weiteren Gemäßigten die Partei, nachdem aus dem innerparteilichen Machtkampf Alfred Hugenberg, der eine scharf antirepublikanische Politik verfolgte, als Sieger hervorgegangen war. Offensichtlich hoffte er, auch nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten sein Amt als Oberbürgermeister von Düsseldorf fortführen zu können, denn immerhin koalierten DNVP und NSDAP auf Reichsebene. Deswegen soll Lehr auch bei Hermann Göring, dem Staatskommissar für Preußen, bzw. ab April 1933 Preußischen Ministerpräsidenten, vorstellig geworden sein. Doch Mitte April 1933 wurde Lehr unter dem Vorwurf der Beamtenbestechung und persönlichen Bereicherung verhaftet. Dieser Vorwurf diente wie bei anderen Politikern der Weimarer Parteien als Vorwand, um ihn seines Amtes als Oberbürgermeister entheben zu können. Im Zuge einer allgemeinen Amnestie wurde das Verfahren im Herbst 1934 eingestellt.

Danach lebte Lehr als Privatmann, ohne wirtschaftliche Not leiden zu müssen. 1908 hatte Lehr, selbst aus großbürgerlichen Verhältnissen kommend, Aenne Steinbach geheiratet, Tochter eines Fabrikanten aus Oberbrügge im Sauerland. Die Einheirat in diese wohlhabende Familie verschaffte ihm „zeitlebens materielle Unabhängigkeit“ (Walther Hensel).

 

Im Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Die Absetzung als Oberbürgermeister und die sich anschließende Haft, die Lehr in seinem Ehrgefühl zutiefst verletzt hatten, mögen ein Grund gewesen sein, dass er seit Mitte der 1930er-Jahre Kontakte zur politischen Opposition unterhielt. Doch nicht allein dieses persönliche Moment, sondern vielmehr die Ablehnung eines Unrechtsstaates, der mit allen rechtsstaatlichen Grundsätzen und christlichen Wertvorstellungen brach, veranlassten ihn, sich dem interkonfessionellen Widerstandskreis um Karl Arnold anzuschließen. Wie der spätere nordrhein-westfälische Ministerpräsident war er davon überzeugt, dass nur ein Bündnis zwischen Gewerkschaften und Wehrmacht zu einem erfolgreichen Sturz des NS-Regimes führen könne. Dank seiner vielfältigen Verbindungen vermochte er entsprechende Kontakte zu vermitteln. Auch drängte er Jakob Kaiser von den Christlichen Gewerkschaften, mit dem Widerstandskreis um Carl Friedrich Goerdeler, den Lehr noch aus seiner Oberbürgermeisterzeit näher kannte, Kontakt aufzunehmen. Diese Verbindung konnte allerdings erst Ende 1941 hergestellt werden.

Im Hause Lehrs trafen Regimegegner beider Konfessionen zu sonntäglichen Bibelkreisen zusammen. Neben der Erörterung theologischer Grundsatzfragen wurde über den Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes diskutiert. Die Teilnehmer dieser Gesprächsrunden, zu denen unter anderem Karl Arnold, Max Freiherr von Gumppenberg, Willi Praetorius und Hellmut Lauffs zählten, stimmten darin überein, dass der staatliche und gesellschaftliche Neuanfang in Deutschland nur auf der Grundlage einer christlich geprägten Werteordnung möglich sei. Auch sahen sie die Notwendigkeit des politischen Zusammenschlusses von Anhängern beider Konfessionen. Diese Zusammenkünfte gerieten ins Visier der Gestapo, die die Eheleute Lehr als „staatsgegnerisch eingestellte Personen“ einstufte, „die einen Kreis gleichgesinnter Leute um sich versammeln, um diese Gedanken zu verbreiten“. Die Treffen mussten daher Ende 1943 aus Sicherheitsgründen eingestellt werden. Die Eheleute Lehr verließen Düsseldorf und zogen sich nach Oberbrügge zurück, wo sie das Kriegsende erlebten.

 

Präsident der Nordrheinprovinz

Nach 1945 zählte Robert Lehr zu den Männern der ersten Stunde beim staatlichen und parteipolitischen Wiederaufbau in Deutschland. Nach nur kurzer Tätigkeit als Bürgermeister in Oberbrügge kehrte er im Juni 1945 nach Düsseldorf zurück, wo ihn die britische Militärregierung zum Abteilungsleiter für innere Verwaltung im Oberpräsidium der Nordrheinprovinz berief. Als Oberpräsident Hans Fuchs am 2. Oktober 1945 entlassen wurde – offensichtlich wollte die Labourregierung die nach ihrer Einschätzung zu konservativ gesinnten Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben in ihrer Besatzungszone entfernen –, übernahm Lehr dessen Aufgaben kommissarisch. Drei Wochen später, am 25. Oktober 1945, berief ihn die Militärregierung zum neuen Oberpräsidenten der Nordrheinprovinz und folgte damit einem einmütigen Vorschlag von CDU, SPD und KPD. Das Votum der drei Parteien zeigte, welches Vertrauen Lehr noch aus der Zeit des Widerstandes bei der Linken und in christlichen Gewerkschaftskreisen genoss.

 

Geistiger Urheber des Landes Nordrhein-Westfalen

Als Oberpräsident blieb seine Tätigkeit nicht beschränkt auf die Nordrheinprovinz. Im März 1946 wurde er in den von der Besatzungsmacht neu eingerichteten Beirat der Britischen Zone berufen, dessen Vorsitz er übernahm. Schon Ende 1945 sprach er sich für ein starkes neues Land im Westen Deutschlands aus, das durch die Verklammerung von Rheinland und Westfalen geschaffen werden sollte. Nach der Ankündigung der Militärregierung vom April 1946 zur Umwandlung der preußischen Provinzen in eigenständige Länder konkretisierte er seine Überlegungen und votierte nachdrücklich für eine Dreiteilung der Zone in den rheinisch-westfälischen Raum, ein Land Niedersachsen sowie eine Kombination von Schleswig-Holstein und Hamburg. Die Alternative hieß für ihn eine „Aufteilung in Kleinstländer, die grundsätzlich sowohl vom staatspolitischen wie auch vom Verwaltungsstandpunkt für die moderne Zeit völlig abzulehnen ist und das Staatsgebiet und die britische Zone in dieser Hinsicht in die Zeiten nach dem 30-jährigen Kriege zurückfallen lassen würde“. Als Argument für die Dreierlösung führte er neben der in sich geschlossenen wirtschaftlichen und stammesmäßigen Struktur dieser Gebiete an, dass dem Schwergewicht Bayerns in der süddeutschen Gruppierung ein wirtschaftliches Gegengewicht im rheinisch-westfälischen Raum gegenübergestellt werde. Durch die Bildung eines starken, weit nach Westen verankerten Landes sollte das Rheinland gegen Absplitterungen geschützt und die Zugehörigkeit zum Reich auf Dauer gesichert werden.

Lehr nahm für sich in Anspruch, der „geistige Urheber“ des Landes Nordrhein-Westfalen zu sein. Daher machte er sich auch große Hoffnungen, selbst als Ministerpräsident an die Spitze des neuen Landes treten zu können. Dass nicht er, sondern Rudolf Amelunxen, der Oberpräsident der Provinz Westfalen, der bis zuletzt der Gründung Nordrhein-Westfalens widersprochen hatte in der Hoffnung, Westfalen in ein Land mit staatlichem Charakter umzuformen, zum ersten Ministerpräsidenten ernannt wurde, bedeutete für Lehr „eine tiefe Enttäuschung“ (Wolfgang Hölscher). Die Wahl zum Landtagspräsidenten im ernannten Landtag von 1946/47 konnte für ihn kein Ausgleich sein.

 

Mitgründer der CDU in Düsseldorf

Im Landtag von Nordrhein-Westfalen saß er als Mitglied der Fraktion der CDU, zu deren Mitgründern er in Düsseldorf gehört hatte. Auf der Gründungsversammlung der Düsseldorfer CDU am 24. November 1945 hielt Lehr ein Grundsatzreferat zu dem Thema „Der neue Geist im neuen Staat“. Für Lehr war es einer „der wenigen Lichtblicke angesichts des von uns übernommenen Erbes der jüngsten Vergangenheit, dass sich die beiden großen Konfessionen überall im deutschen Vaterlande die Hände reichen und in der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands zusammengehen“. Das Selbstverständnis der Christlichen Demokraten fasste er in dem Bekenntnis zu „einem Christentum der Tat zusammen, zu dem hohen Ethos christlicher Weltanschauung, zu einem Staat, der nach diesen Richtlinien ausgerichtet ist“.

Dass Lehr Mitgründer der CDU in Düsseldorf gewesen ist und im September 1945 auch an der Gründung des CDU-Landesverbandes Rheinland, in dessen geschäftsführenden Vorstand er gewählt wurde, beteiligt war, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ein in der Partei nicht vernetzter politischer Einzelgänger war. Dies zeigte sich im Frühjahr 1947 nach der ersten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, aus der die CDU als stärkste Partei hervorgegangen war und damit den Landtagspräsidenten stellen durfte. Lehr wurde nicht in seinem Amt bestätigt, sondern der umtriebige Josef Gockeln, christlicher Gewerkschafter und einer der Exponenten des Arbeitnehmerflügels in der CDU, zum neuen Präsidenten des Landtags gewählt. Lehr gehörte zwar noch bis 1950 dem Landtag an, spielte aber auf der landespolitischen Bühne keine bedeutende Rolle mehr.

 

Mitglied des Parlamentarischen Rates

Schon 1948 verlagerte sich sein politischer Wirkungskreis nach Bonn. Auf Wunsch Adenauers entsandte ihn der nordrhein-westfälische Landtag im Sommer 1948 für die CDU in den Parlamentarischen Rat. Als Verfassungsexperte sollte er ein Gegengewicht zu Walter Menzel bilden, dem Innenminister in Nordrhein-Westfalen und Verfassungsexperten der SPD. Bereits im August 1946 hatte Lehr einen Verfassungsentwurf für das Land Nordrhein-Westfalen vorgelegt, der das neugegründete Land als einen demokratischen und sozialen Freistaat mit einer eigenen nordrhein-westfälischen Staatsangehörigkeit definierte. Wie schon der Begriff „Freistaat“ andeutet, besaß Lehr eine föderalistische Konzeption.

Unter den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates nahm er eine führende Stellung ein. Er war stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, der er Anfang Mai 1949 sogar vorübergehend vorstand, nachdem Anton Pfeiffer vor der dritten Lesung des Grundgesetzentwurfs, dem er nicht zustimmen konnte, den Fraktionsvorsitz niedergelegt hatte. Bei der dritten Lesung des Grundgesetzentwurfs übertrugen ihm die Fraktionsmitglieder die Aufgabe, den Standpunkt, der CDU/CSU-Fraktion zusammenfassend darzulegen. Als Vorsitzender des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes, ordentliches Mitglied im Hauptausschuss und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Finanzfragen leistete er seinen Beitrag zur Erarbeitung des Grundgesetzes.

 


Mitglied des Deutschen Bundestages und Bundesminister des Innern

Mit seiner Arbeit im Parlamentarischen Rat hatte er sich für höhere Aufgaben empfohlen, fortan galt er als ministrabel. So machte er sich denn auch Hoffnungen, nach der Bundestagswahl im August 1949, bei der er als Direktkandidat im Wahlkreis Düsseldorf-West reüssierte, in die erste Regierung der neugegründeten Bundesrepublik berufen zu werden. Er galt als aussichtsreicher Kandidat für das Amt des Bundesinnenministers, das aus Gründen des Konfessionsproporzes mit einem evangelischen Politiker besetzt werden sollte. Auf Drängen der Unionsfraktion entschied sich Bundeskanzler Adenauer aber für Gustav Heinemann.

Ein einfacher Abgeordneter im Deutschen Bundestag blieb Lehr nur für ein Jahr. Als im Oktober 1950 Heinemann wegen des Streits um die Wiederbewaffnung zurücktrat, wurde Lehr zu dessen Nachfolger ernannt. Fragen der inneren Sicherheit, die Förderung der staatsbürgerlichen Bildung und die Sicherung des Berufsbeamtentums waren die Themen, denen sich Lehr in seinem neuen Amt zuvörderst widmete.

In der Stärkung der inneren Sicherheit sah er eine Kernaufgabe des Bundesinnenministers, der „der Sicherheitsminister jeder Regierung“ sei. Er habe in seinem langen beruflichen Leben immer wieder feststellen müssen, „dass innere Sicherheit unendlich wichtig für das Gedeihen allen Lebens in unserem Volke ist“. In seine Amtszeit fallen unter anderem der Aufbau des Bundesgrenzschutzes und die Verbotsanträge gegen die SRP und die KPD. Er wusste freilich, „dass ein Staat nicht auf der Polizeimacht stehen kann, sondern nur auf der freiwilligen Anteilnahme seiner Mitbürger, wenn er nicht eines Tages auf falsche Wege geraten will“.

Die Notwendigkeit staatsbürgerlicher Erziehung war für ihn eine der Lehren aus der Zeit der Weimarer Republik; gerade die heranwachsende Generation sollte auf ihre Aufgaben in einer freiheitlichen Ordnung vorbereitet werden. Diesem Ziel diente die Gründung der Bundeszentrale für Heimatdienst, Vorläuferin der Bundeszentrale für politische Bildung. Hierin sah er ein Instrument „zur staatsbürgerlichen Vertiefung, zur Kenntnis des Wesens unseres jungen Staates, den wir nicht nur dem Verstande, sondern auch dem Herzen des deutschen Staatsbürgers näherbringen wollen“. Zur Sicherung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates sollte auch das Bundesbeamtengesetz vom 14. Juli 1953 beitragen. Das Festhalten am Berufsbeamtentum begründete er damit, dass der moderne Staat seine nach Millionen zählenden Bürger gerecht und gleichmäßig behandeln müsse, wenn er Anspruch darauf erhebe, ein Rechtsstaat zu sein. Dieser verlange aber die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die ihrerseits das fachlich ausgebildete Berufsbeamtentum voraussetze.

Nicht alles, was Lehr als Bundesinnenminister auf den Weg brachte, war von Erfolg gekrönt. Ein totaler Fehlschlag war sein Entwurf für ein neues Bundeswahlgesetz. Ihm wurde vorgeworfen, er wolle damit die Position der Unionsparteien auf Kosten der Sozialdemokraten stärken. Auch im Bundesrat stieß der Entwurf auf Ablehnung, und selbst in den Regierungsparteien gab es Vorbehalte. Nach der ersten Lesung verschwand der Entwurf im Wahlrechtssonderausschuss, wo er nicht mehr behandelt wurde.

 

Unfreiwilliger Abschied von der Politik

Für die Bundestagswahl 1953 wurde er nicht mehr als Kandidat für den Wahlkreis Düsseldorf-West aufgestellt, und auch auf der Landesliste der CDU fand er keine Berücksichtigung. Dass auf diese Weise seine politische Karriere endete, empfand er „als Mitgründer der Partei in Nordrhein und insbesondere der Kreispartei Düsseldorf sowie im Hinblick auf meine Arbeit für die Partei und in meinen verschiedenen Ämtern in den vergangenen acht Jahren als unverdient und als eine tief schmerzliche Kränkung“. Hierüber kam es zum Bruch mit Adenauer. Dieses plötzliche und für ihn unerwartete Ende seiner politischen Karriere zeigte, dass Lehr seine Distanz zur Parteipolitik nie hatte überwinden können. Er pflegte zu wenig die Kontakte innerhalb der Partei und versäumte es dadurch, sich eine Hausmacht aufzubauen. Ihm blieb „der parteipolitische Tagesbetrieb, die Kameraderie von Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft und gesellschaftlicher Aura stets fremd“ (Walter Först). Enttäuscht zog sich Lehr nach der Bundestagswahl von 1953 in seine Wahlheimat Düsseldorf zurück, wo er am 13. Oktober 1956 an einem Herzleiden starb.

Mehr als fünf Jahrzehnte nach seinem Tod erhob Josef Angenfort, von 1951 bis 1954 Mitglied der KPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag und später langjähriger Landesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten in Nordrhein-Westfalen, schwere Vorwürfe gegen Lehr und erklärte ihn zu einem der Steigbügelhalter Adolf Hitlers. Hitler hatte am 26. Januar 1932 den Industrie-Club Düsseldorf besucht und war dabei von Lehr offiziell begrüßt worden. In einem Beitrag für die „antifaschistische aktion neuss“ vom 29. Januar 2007 bezeichnete Angenfort diesen Tag als „ein entscheidendes Datum für die Machtübertragung an die Faschisten“ und strickte damit an der Legende von der zentralen Bedeutung der Rede Hitlers vor dem Industrie-Club für die Annäherung von Großunternehmern und Nationalsozialisten mit. Dabei hatte die historische Forschung – namentlich der englische Historiker Henry Ashby Turner – bereits in den 1980er-Jahren die großzügige Unterstützung Hitlers auf dem Weg zur Macht durch die deutschen Großunternehmen als Legende widerlegt.

 

Nachlass:
Stadtarchiv Düsseldorf; Bundesarchiv Koblenz

Curriculum vitae

  • 20.8.1883 geboren in Celle, evangelisch
  • 1903-1907 Studium der Rechtswissenschaften in Marburg, Berlin, Bonn und Heidelberg
  • 1908 Promotion zum Doktor der Rechte (Dr. jur.)
  • 1912 Große Juristische Staatsprüfung
  • 1913 Stadtassessor in Düsseldorf
  • 1914-1918 Leiter des Polizeidezernats der Stadt Düsseldorf
  • 1919-1924 Leiter des Finanzdezernats der Stadt Düsseldorf
  • 1924-1933 Oberbürgermeister von Düsseldorf
  • 1933 Entlassung aus dem Amt
  • 1945 Mitgründer der CDU Düsseldorf und der CDU Rheinland
  • 1945-1946 Oberpräsident der Provinz Nordrhein
  • 1946-1947 Mitglied und Vorsitzender des Zonenbeirates, Mitglied und Präsident des ernannten Landtages von Nordrhein-Westfalen
  • 1947-1950 Mitglied des Landtages von Nordrhein-Westfalen
  • 1948-1949 Mitglied des Parlamentarischen Rates
  • 1949-1953 Mitglied des Deutschen Bundestages
  • 1950-1953 Bundesminister des Innern
  • 13.10.1956 gestorben in Düsseldorf

Literatur

  • Walther Hensel: Robert Lehr, in: Christliche Demokraten der ersten Stunde, herausgegeben von der Konrad-Adenauer-Stiftung, Bonn 1966, S. 211-241.
  • Wolfgang Hofmann: Zwischen Rathaus und Reichskanzlei. Die Oberbürgermeister in der Kommunal- und Staatspolitik des Deutschen Reiches von 1890 bis 1933, Stuttgart 1974.
  • Walter Först: Robert Lehr, in Ders. (Hrsg.): Aus dreißig Jahren. Rheinisch-Westfälische Politiker-Porträts, Köln 1979, S. 66-83.
  • Brigitte Kaff: Robert Lehr, in: Günter Buchstab / Klaus Gotto (Hrsg.): Die Gründung der Union, München 1980, S. 191-207.
  • Wolfgang Hölscher: Nordrhein-Westfalen. Deutsche Quellen zur Entstehungsgeschichte des Landes 1945/46, Düsseldorf 1988.
  • Erhard H. M. Lange: Wegbereiter der Bundesrepublik. Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates. Neunzehn historische Biografien, Brühl 1999, S. 71-82.
  • Hans Fenske: Lehr, Robert, in: Udo Kempf / Hans-Georg Merz (Hrsg.): Kanzler und Minister 1949-1998. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2001, S. 419-421.

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