Vom Kriegskind zum Hochschullehrer
Rupert Scholz wird am 23. Mai 1937 in Berlin geboren. Sein Vater, ein Architekt, fällt 1943 als Wehrmachtsoffizier in der Schlacht von Stalingrad. Der Junge wächst mit seiner Mutter und Schwester in der zerstörten deutschen Hauptstadt auf. Schon als Schüler arbeitet er nebenbei, das Taschengeld wird häufig für Fußballkarten bei Hertha BSC ausgegeben.
Nach dem Abitur beginnt er 1957 auf Anraten eines väterlichen Freundes ein Studium der Rechtswissenschaft, obwohl sein ursprünglicher Berufswunsch Journalist gewesen ist. Die Entscheidung erweist sich als richtig: Sein erfolgreich absolviertes Studium mit Einser-Examen eröffnet ihm eine wissenschaftliche Karriere. Auf die Promotion 1966 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München folgt 1971 die Habilitation und nach Lehrtätigkeiten in München, Regensburg und Augsburg 1972 der Ruf an die Freie Universität Berlin, wo er sein Studium einst begonnen hat. In zahlreichen Veröffentlichungen setzt er wissenschaftliche Akzente und tangiert dabei auch immer wieder politisch strittige Fragen wie beispielsweise die Mitbestimmung, die er unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben einordnet.
Hochschulpolitisch positioniert er sich in der damals aufgeladenen Berliner Stimmung durch die Ablehnung einer Politisierung der Universitäten. Stattdessen betont Scholz die Bedeutung der Institution für Wissenschaft und Lehre. 1978 wechselt er zurück an seine Alma mater in München, jedoch ohne den ersten Wohnsitz in Berlin aufzugeben. Seine wissenschaftliche Reputation wächst in den kommenden Jahren weiter. Als Mitautor und -herausgeber ist er verantwortlich für den von Theodor Maunz und Günter Dürig begründeten Grundgesetzkommentar, der als ein Standardwerk in der Rechtswissenschaft gilt. Neben der intensiven akademischen Arbeit gehört aber auch das gemeinsame Feiern mit Schülern und Assistenten zu seinem fürsorglich geprägten Lehrstuhlverständnis. Für sein politisches Wirken garantiert die Professorenanstellung Scholz die für sein Selbstbild unabdingbare geistige und materielle Unabhängigkeit.
Landespolitiker im geteilten Berlin
Das wissenschaftliche Renommee von Rupert Scholz strahlt alsbald in die Politik aus. In Berlin wird der Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker auf den Juristen aufmerksam und trägt dem Wahlmünchner in einem Telefonanruf ein Senatorenamt an. 1981 wird der politische Quereinsteiger – obwohl seinerzeit noch parteilos – zum Senator für Justiz im CDU-Minderheitssenat Weizsäckers. Später folgt die Zuständigkeit für das durch den Sonderstatus der Stadt wichtige Ressort Bundesangelegenheiten, so dass Scholz zeitweise als Doppelsenator fungiert. Ab 1985 werden Justiz und Bundesangelegenheiten in einer Senatsverwaltung unter seiner Leitung zusammengefasst.
Als Landespolitiker widmet sich Scholz vor allem dem Strafvollzug und wird mit der in Berlin aktiven Hausbesetzerszene konfrontiert. Hier setzt sich Scholz für ein differenziertes Vorgehen ein: Häuser, bei denen Besetzer und Eigentümer miteinander verhandeln, sollen als „befriedet“ gelten, bei Nichtverhandlern hingegen sind Räumungen möglich, insbesondere wenn diese Gebäude wiederholt als Fluchtburgen für Straftäter benutzt werden. Diese Linie hat Erfolg, viele der Hausbesetzungen werden bis Mitte der 1980er Jahre durch Vertragsabschlüsse legalisiert. An seinem weit verbreiteten Ruf eines Hardliners in Fragen der Inneren Sicherheit ändert dies jedoch wenig. Eine Zuschreibung, mit der Scholz selbst gut leben kann, sieht er doch die Bekämpfung von Kriminalität und die Rechtssicherheit für den Bürger als vorrangige Aufgaben der Politik an.
Wechsel in die Bundespolitik
Einen Karrieresprung macht Rupert Scholz, als er am 18. Mai 1988 von Bundeskanzler Helmut Kohl, der ihn als Ratgeber in Fragen des Staats- und Verfassungsrechts schätzt, zum Bundesminister der Verteidigung berufen wird. Sein Amtsvorgänger Manfred Wörner ist bereits im Dezember 1987 zum künftigen NATO-Generalsekretär gewählt worden und scheidet daher aus dem Kabinett aus, um zum 1. Juli die Leitung des westlichen Verteidigungsbündnisses zu übernehmen. Scholz, der als West-Berliner selbst ungedient ist, hat durch diesen Umstand eine mehrmonatige Bedenkzeit, die er intensiv nutzt, um sich in sicherheitspolitische Fragen einzuarbeiten. Erst dann sagt er Helmut Kohl zu.
Bereits bald nach seinem Amtsantritt steht der Minister unvorhergesehenen Herausforderungen gegenüber. Am 28. August 1988 ereignet sich die Katastrophe von Ramstein, als bei einer Flugschau drei italienische Militärflugzeuge zusammenstoßen und abstürzen. Siebzig Menschen kommen dabei ums Leben, über 1.000 werden zum Teil schwer verletzt. Wenige Monate später überschatten weitere Unglücke die Amtszeit. Am 8. Dezember stürzt ein amerikanisches Kampfflugzeug bei einer Tiefflugübung in Remscheid ab. Neben dem Piloten sterben sechs weitere Personen, fünfzig werden verletzt. Der zerstörte Straßenzug gleicht einem Kriegsszenario. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Peter Kurt Würzbach, kündigt daraufhin unter dem Eindruck der öffentlichen Meinung ein bundesweites Tiefflugverbot bis Weihnachten an, obgleich die Absturzursache noch unklar ist. Bundesminister Scholz hingegen, der zum Zeitpunkt des Unglücks die Vereinigten Staaten bereist, hält auch mit Blick auf die Verpflichtungen gegenüber den Alliierten an der militärischen Notwendigkeit von Tiefflügen fest und will eine lokale Aussetzung der Übungsflüge. Staatssekretär Würzbach tritt daraufhin zurück. In der Folge entbrennt eine emotionale Diskussion in der bundesdeutschen Öffentlichkeit über die Notwendigkeit von Tiefflügen. Bei einem weiteren Zusammenstoß mit zwei Toten am 13. Januar 1989 zwischen einem deutschen Alpha Jet und einem britischen Tornado über dem niedersächsischen Wiesmoor entgeht der Ort nur knapp der Katastrophe. Die Trümmer verfehlen die nächstgelegenen Häuser nur um wenige hundert Meter.
Der in die Kritik geratene Minister, der zudem ohne eigenes Bundestagsmandat über keine Hausmacht in der Unionsfraktion verfügt, gerät hierdurch weiter unter Druck. Als Helmut Kohl am 21. April 1989 sein Kabinett umbildet, folgt nach nur 11 Monaten an der Spitze der Streitkräfte der bisherige Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg im Amt nach. Gleichwohl bleibt Scholz wichtiger Ratgeber für den Bundeskanzler. Helmut Kohl ist er „ein zuverlässiger und höchst sachkundiger Ratgeber in Fragen der Deutschlandpolitik“. Im November 1989 gehört er zum kleinen Kreis derjenigen, die Helmut Kohl bei der Ausarbeitung seines Zehn-Punkte-Programms zur deutschen Einheit unterstützen. Der durch die geteilte Heimatstadt Berlin geprägte Scholz bezeichnet die Deutschlandpolitik als das Wichtigste in seiner gesamten politischen Tätigkeit.
Verfassungspolitiker
Bei der Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 gelingt es Scholz, ein Direktmandat in Berlin-Tempelhof zu erlangen und so in den ersten gesamtdeutschen Bundestag einzuziehen. Zwei Jahre später übernimmt der Verfassungsrechtler eine wichtige Funktion in Folge der deutschen Einheit: Am 16. Januar 1992 wählt ihn die Gemeinsame Verfassungskommission (GVK) von Bundestag und Bundesrat auf ihrer konstituierenden Sitzung zu ihrem Vorsitzenden. Zweiter gleichberechtigter Vorsitzender in dem paritätisch aus Bundestagsabgeordneten und Vertretern des Bundesrates zusammengesetzten Gremium wird der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Henning Voscherau (SPD). Die Einsetzung folgt einer Empfehlung in Artikel 5 des Einigungsvertrages, „sich innerhalb von zwei Jahren mit den im Zusammenhang mit der deutschen Einigung aufgeworfenen Fragen zur Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen“, insbesondere mit dem Bund-Länder-Verhältnis, der Fusion Berlins und Brandenburgs, der Aufnahme von Staatszielbestimmungen und dem Artikel 146 GG (Geltungsdauer des Grundgesetzes). Dabei ist unter den Parteien umstritten, ob das Grundgesetz lediglich revidiert werden soll oder ob einer neuen gesamtdeutschen Verfassung der Vorzug zu geben ist. Die Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP befürwortet moderate Änderungen, während sich die SPD für eine zeitgemäße Fortentwicklung des Grundgesetzes und die Grünen für eine neue gesamtdeutsche Verfassung aussprechen.
Auch bei der Arbeit in der GVK beweist Scholz Eigenständigkeit. Als die Unionsfraktion einen in der Kommission ausgehandelten Kompromiss zur Aufnahme des neuen Staatsziels Umweltschutz in Frage stellt, lässt er vom 11. Februar bis 4. März 1993 den Vorsitz ruhen. In dem 167 Seiten starken Abschlussbericht werden letztlich nur moderate Änderungsvorschläge gemacht. Direktdemokratische Verfahren, die 266.000 von insgesamt 800.000 Eingaben aus der Bevölkerung ausmachen, finden nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit der Kommissionsmitglieder. Auch Scholz erteilt plebiszitären Elementen auf Bundesebene aus prinzipiellen Gründen eine Absage: Angesichts der Komplexität der Entscheidungsgegenstände böten sich direktdemokratische Verfahren nur auf der regionalen Ebene an.
Wichtigstes Ergebnis der Beratungen der Verfassungskommission ist der Vorschlag zu Artikel 23 des Grundgesetzes. Während der 1990 aufgehobene Artikel alter Fassung den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland regelte und damit die Grundlage für die schnelle Wiedervereinigung 1989/90 bildete, stellt der 1992 neu eingefügte Europa-Artikel die Fortentwicklung des europäischen Integrationsprozesses sicher: Er bildet die rechtliche Voraussetzung für die Annahme des Maastrichter Vertrages und der darauffolgenden europäischen Verträge.
1994 wird Scholz als direkt gewählter Abgeordneter in seinem Wahlkreis bestätigt. Die CDU/CSU-Fraktion bestimmt ihn zu einem ihrer stellvertretenden Vorsitzenden, zuständig für die Innen- und Rechtspolitik. 1994 übernimmt er den Vorsitz im von der Bundesregierung einberufenen Sachverständigenrat Schlanker Staat, der sich mit Fragen der Wirtschaftlichkeit von Verwaltung, Verfahrensbeschleunigung, Personalmanagement und notwendigen Staatsaufgaben befasst. Wie bei vielen seiner politischen Tätigkeiten profitiert der Jurist Scholz auch hier von seinen wissenschaftlichen Kenntnissen und Erfahrungen. Vier Jahre später folgt der Vorsitz im Fraktionsarbeitskreis Enteignungen 1945–1949, dessen Ergebnisse aber unter eigenen Parteifreunden aus den neuen Ländern auch auf Kritik stoßen, sehen sie doch die Rechte von Alteigentümern zu sehr berücksichtigt.
Bei der Bundestagwahl 1998 erringt Scholz über die Landesliste ein Mandat und wird Vorsitzender des wichtigen Rechtsausschusses. 2002 tritt er nicht wieder als Bundestagskandidat an und zieht sich aus der aktiven Politik zurück, ist aber weiterhin als Professor in München tätig. Zudem übt er zahlreiche Ehrenämter aus. Im Jahr 2000 wird Rupert Scholz vom Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung in das neu geschaffene Kuratorium der Stiftung berufen. Dessen Ziel ist es, auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen frühzeitig hinzuweisen und so die Stiftungsarbeit zu begleiten und zu unterstützen. Bis 2019 hat Scholz dieses Amt inne. Darüber hinaus engagiert sich der leidenschaftliche Eishockey- und Fußballfan auch im Sport. Von 1996 bis 2006 ist er Mitglied des Aufsichtsrates von Hertha BSC, seinem erklärten Lieblingsverein seit Jugendzeiten. Für einige Jahre steht er als Aufsichtsratsvorsitzender gar an der Vereinsspitze. Seiner Heimatstadt Berlin ist er sportlich wie politisch immer treu geblieben.
Curriculum vitae
- 1957 Abitur
- 1957–1961 Studium der Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft in Berlin (Freie Universität) und Heidelberg
- 1961 Erste juristische Staatsprüfung
- 1966 Promotion
- 1967 Zweite juristische Staatsprüfung
- 1970–1972 Lehrtätigkeit an den Universitäten München, Regensburg und Augsburg
- 1970 Habilitation
- 1972–1978 Professor für Öffentliches Recht an der FU Berlin
- 1978–2005 Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, Verwaltungslehre und Finanzrecht an der Universität München
- 1981–1983 Senator für Justiz in Berlin
- 1982–1985 Senator für Bundesangelegenheiten in Berlin
- 1983 Eintritt in die CDU
- 1985–1988 Senator für Justiz und Bundesangelegenheiten in Berlin
- 1985–1988 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin
- 1988–1989 Bundesminister der Verteidigung
- 1990–2002 Mitglied des Deutschen Bundestages
- 1992–1994 Vorsitzender der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat
- 1994–1998 stv. Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
- 1995–1997 Vorsitzender der von der Bundesregierung eingesetzten Sachverständigenkommission Schlanker Staat
- 1996–1998 Mitglied des CDU-Bundesvorstands
- 1998 Vorsitzender des Arbeitskreises Enteignungen 1945–1949 der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
- 1998–2002 Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages
- 1998–2001 stv. Landesvorsitzender CDU Berlin
- 2000–2001 Vorsitzender der vom Berliner Senat eingesetzten Expertenkommission Staatsaufgabenkritik
- 2000–2019 Mitglied des Kuratoriums der Konrad-Adenauer-Stiftung
Veröffentlichungen
- Rupert Scholz, Das Wesen und die Entwicklung der gemeindlichen öffentlichen Einrichtungen, Berlin 1967 (Dissertation München 1966).
- Ders., Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, München 1971 (Habilitation München 1970).
- Ders., Daran halte ich fest. Berliner Positionen zu Nation, Demokratie, Rechtsstaat, Stuttgart 1988.
- Ders., Deutschland – In guter Verfassung?, Heidelberg 2004.
Literatur
- Rainer Pitschas/Arnd Uhle, Wege gelebter Verfassung in Recht und Politik. Festschrift für Rupert Scholz zum 70. Geburtstag, Berlin 2007 (mit umfangreichem Schriftenverzeichnis).