Jugend und akademischer Werdegang
Wilhelm Röpke wurde am 10. Oktober 1899 im hannoverschen Schwarmstedt als Sohn eines Landarztes geboren. Die Verbindung zu seinem ländlichen Heimatort blieb zeitlebens bestehen. Nach dem Abitur studierte Röpke zuerst Rechts- und Staatswissenschaften in Göttingen und wechselte dann zur jungen Nationalökonomie an die Universitäten Tübingen und Marburg. Unterbrochen wurde das Studium durch einen kurzen Wehrdienst an der Westfront in der letzten deutschen Offensive 1918. Diese Erfahrung hinterließ bei Röpke zeitlebens einen Widerwillen gegen Militarismus und Krieg. In Marburg promovierte er 1921 mit Auszeichnung bei Walter Troeltsch. Heute kaum mehr vorstellbar, erfolgte schon ein Jahr später die Habilitation über die damals zentrale Frage der wirtschaftlichen Konjunkturschwankungen. Damit erwarb er die Berechtigung zu selbständiger wissenschaftlicher Lehre als Privatdozent. Nach diesem rasanten Erwerb der akademischen Qualifikation galt Röpke als einer der kommenden Leistungsträger der Wirtschaftswissenschaften und erhielt folgerichtig 1924 als jüngster Extraordinarius den Ruf an die Universität Jena, wobei er seinen Mitbewerber Walter Eucken ausstach.
In Marburg lernte Röpke über seinen Freund, den evangelischen Theologen und späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann, seine Frau Eva, geb. Fincke, kennen.
In der Weimarer Republik
Der cursus honorum an den deutschsprachigen Universitäten verlief für Röpke in den nächsten Jahren wie geplant. Neben einem von der Rockefeller-Stiftung finanzierten USA-Aufenthalt – damals noch sehr ungewöhnlich – folgte 1928 der Ruf an die Universität Graz und 1929 dann der von ihm angestrebte Wechsel zurück an die Heimatuniversität Marburg auf ein Ordinariat für politische Ökonomie.
Röpke engagierte sich wissenschaftlich im Kreis der „Ricardianer“, zu deren Umfeld auch Eucken und der Soziologe Alexander Rüstow gehörten. Die „Ricardianer“ setzten sich theorieorientiert von der historischen Schule der Nationalökonomie ab. Röpkes Interesse galt u.a. der Untersuchung der Preisbildung in einem freien Markt und der Bekämpfung der in Weimar von der Politik sogar teilweise geförderten Kartelle der Großindustrie. Von Anfang an verstand sich Röpke allerdings auch als politischer Publizist und bezog öffentlich Stellung, etwa unter dem Pseudonym „Ulrich Unfried“ gegen den konservativen Tat-Kreis. Da er selbst aus einer ländlichen, evangelischen Akademikerfamilie stammte, setzte er sich insbesondere mit dem gerade dort Fuß fassenden Nationalsozialismus auseinander und warnte vor Hitler. Bei den Reichstagswahlen 1930 wandte er sich in einem Flugblatt an die niedersächsische Bauernschaft gegen die NSDAP.
Im Exil
Nach der „Machtergreifung“ stand die „Säuberung“ der deutschen Universitäten von Vertretern der so verunglimpften Weimarer „Systemzeit“ weit oben auf der Prioritätenliste der Nationalsozialisten. Wichtigstes Instrument zur Disziplinierung und „Gleichschaltung“ der Professorenschaft wurde das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Das Gesetz erlaubte die Zwangsbeurlaubung, -pensionierung oder sofortige Entlassung missliebiger NS-Gegner (und damit auch Universitätslehrer) aus dem eigentlich sakrosankten Beamtenstatus.
Röpke hatte sich politisch so weit exponiert, dass er wohl in keinem Falle zu halten gewesen wäre. Er nahm allerdings auch weiterhin kein Blatt vor den Mund bei der Auseinandersetzung mit der sich etablierenden NS-Diktatur, so bei der Begräbnisrede für seinen am 23. Februar 1933 verstorbenen akademischen Lehrer Troeltsch, die zu einem Aufschrei in der NS-Presse führte. Nur dem geschickten Eintreten wohlmeinender Marburger Kollegen sowie der in der Anfangsphase der NS-Diktatur partiell noch rechtsförmigen Verwaltungspraxis hatte es Röpke zu verdanken, dass er formal nicht entlassen, sondern im April 1933 nur beurlaubt wurde. Dies führte dazu, dass er in der Exilzeit, obwohl offener NS-Gegner, die Ausbürgerung vermeiden konnte. Röpke verließ in klarer Einschätzung der kommenden Entwicklung noch 1933 Deutschland und nahm einen Ruf an die Universität Istanbul an. Die Modernisierungsdiktatur Kemal Atatürks nutzte die Vertreibung deutscher Universitätslehrer zum Ausbau des eigenen Universitätspersonals; am Bosporus fanden viele exilierte deutsche Professoren und Verwaltungsfachleute eine neue Heimat, u.a. der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, oder der mit Röpke befreundete Alexander Rüstow.
Publizist in der Schweiz
Röpke veröffentlichte 1937 als Ergebnis der Zeit in der Türkei die Schrift „Die Lehre von der Wirtschaft“, ihm fehlte aber trotz der anregenden Kontakte unter den deutschen Expatriates erkennbar das publizistische Echo. Auch deshalb wechselte er 1937 an das „Institut des Hautes Etudes Internationales“ in Genf. Röpke fand bald, seinem Naturell entsprechend, den Kontakt zur deutschschweizerischen Presse. In den Jahren des Nationalsozialismus war die Bedeutung der schweizerischen Publizistik als dem spätestens seit Kriegsausbruch letzten freien Diskussionsforum in deutscher Sprache so groß wie nie davor oder danach. In kurzen Abständen nutzte Röpke die Schweizer Monatshefte für größere Ausfertigungen, während er in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) als der letzten international rezipierten, freien deutschsprachigen Tageszeitung unter dem ihm verbundenen Chefredakteur Willy Bretscher tatsächlich weltweit meinungsbeeinflussend agieren konnte.
Die NZZ war auch entscheidend für die Verbreitung von Röpkes nun in großer Zahl folgenden Buchveröffentlichungen, da hier immer geneigte Besprechungen und Reaktionen veröffentlicht wurden (u.a. zu „Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart“ 1942, „Civitas Humana“ 1944, „Internationale Ordnung“ 1945). Seine Produktivität war erstaunlich; im Laufe seines Lebens veröffentlichte er zwanzig Bücher und etwa 800 Aufsätze und Rezensionen. Wesentlich wurde die noch vor der deutschen Kapitulation im Frühjahr 1945 erschienene Studie „Die deutsche Frage“, die erstaunlich präzise die kommende Konfrontation zwischen den westlichen Siegermächten und der UdSSR prognostizierte, vor den Gefahren einer Unterschätzung der Bedrohung durch den totalitären Marxismus warnte und die Westbindung eines zukünftig erschaffenen westdeutschen Teilstaates auch auf Kosten der deutschen Einheit forderte, um die Freiheit zu sichern – quasi die Blaupause für Konrad Adenauers künftige Deutschland- und Außenpolitik. „Kein Publizist kann mit größerem Recht die Vaterschaft der Bundesrepublik in Anspruch nehmen“, urteilte deshalb der Adenauer-Biograph Hans-Peter Schwarz.
Röpke wurde, auch da er in der Schweiz weder durch Zensur noch durch Pressionen durch die Alliierten zu beeinflussen war, zum wohl angesehensten deutschen Publizisten der ersten Nachkriegsjahre. Mit Adenauer ergab sich genau wie mit Ludwig Erhard ein reger Meinungsaustausch, mit Erhard sogar eine persönliche Freundschaft. Zentral dafür war sicherlich Röpkes klar artikulierter Antikommunismus, der in seiner Analyse des sozialistischen „Kollektivismus“ fußte. Für Röpke, der in den 1950er Jahren in seinen Werken (v.a. „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ 1959) immer stärker kulturkritische Positionen bezog, waren ein kartellbestimmter Großkapitalismus genau wie eine sozialistische Wirtschaftsordnung eine gleichermaßen marktfeindliche Kommandowirtschaft, die sich im Wesentlichen nur durch die Zerstörung der „Demokratie des Konsumenten“ durchsetzen lies. Röpke sah den direkten Zusammenhang zwischen der freien Entscheidung des autonomen Wirtschaftssubjektes, die in einer Kollektivwirtschaft aufgehoben war, und der demokratischen Ausrichtung einer Gesellschaft. Diesen Zusammenhang zwischen politischer Freiheit und wirtschaftlicher Grundordnung deutlich herausgearbeitet zu haben, ist vielleicht sein wichtigster Verdienst. Dabei sah er den Großkapitalismus mit der Zusammenballung nicht mehr kontrollierbarer Großvermögen genauso kritisch wie den Sozialismus, da beide gleichermaßen die Freiheit des einzelnen einschränken. Die von ihm vorgeschlagenen Lösungsansätze, die u.a. von einer zentralen Stellung der Familie und kleinbäuerlichen Nebenerwerbslandwirtschaften ausgingen, zeigen eine sozialromantische Seite und waren deshalb zum Teil nicht praktikabel.
1947 gehörte Röpke zu den Gründungsmitgliedern der "Mont Pelerin Society" und war später zeitweise ihr Präsident, trat dann allerdings nach einem Streit mit Friedrich August von Hayek aus. Ziel des von Friedrich von Hayek gegründetem Zusammenschlusses von Akademikern, Geschäftsleuten und Journalisten war es, zukünftige Generationen vom Wirtschaftsliberalismus zu überzeugen.
Die späteren Jahre
So klar sich Röpke in der Anfangsphase der Sozialen Marktwirtschaft im Gleichklang mit Konrad Adenauers und Ludwig Erhards Politik befunden hatte, so deutlich wurden ab Mitte der 1950er Jahre auch die Unterschiede. Aufgrund seiner Ablehnung der „Vermassung“ und der unkritischen Konsumfixierung warnte Röpke vor den Folgen etwa der auch von Erhard befürworteten Massenmotorisierung. Wichtiger noch waren die Unterschied zu Adenauer, was etwa die Umstellung der Renten auf das reine Umlagesystem 1957 betraf, die auch Erhard aufgrund der (heute deutlich fühlbaren) demographischen Risiken zuerst ablehnte. 1959, auf dem Höhepunkt der durch Adenauers Liebäugeln mit dem Amt des Bundespräsidenten hervorgerufenen Krise, sah er sich deshalb veranlasst, Adenauer brieflich seiner Unterstützung insbesondere für seinen außenpolitischen Kurs zu versichern, weil er öffentlich mittlerweile zu den Gegnern des Kanzlers gezählt wurde. Am klarsten allerdings wurden die Unterschiede bei der Europapolitik. Röpke war keineswegs ein Gegner der europäischen Einigung, sah allerdings je länger je klarer große Probleme bei der von Adenauer Frankreich zuliebe betriebenen europäischen Wirtschaftspolitik. Insbesondere die Organisation der EWG mit der sich etablierenden Brüsseler Bürokratie und dem Zentralismus der EWG-Kommission kommentierte Röpke kritisch („ein riesiger Balkan“), genau wie die in seinen Augen immer unsolidere bundesdeutsche Finanzpolitik. Politisch weitgehend einflusslos, aber hochgeehrt, verstarb Wilhelm Röpke am 12. März 1966 an den Folgen eines Herzinfarktes. Die akademische Trauerrede für seinen Freund hielt ein Jahr später der mittlerweile als Kanzler zurückgetretene Ludwig Erhard.