Werdegang bis 1933
Der am 4. April 1906 in Breslau geborene Dietrich Bonhoeffer wächst als sechstes Kind des Professors für Psychiatrie und Neurologie Karl Bonhoeffer und dessen Ehefrau Paula (geb. von Hase) auf. Zu seinen Vorfahren mütterlicherseits gehört der Theologieprofessor und Hofprediger bei Wilhelm II., Karl-Afred von Hase. Friedrich Bonhoeffer, sein Großvater väterlicherseits, war Landgerichtspräsident in Ulm. Seit 1911 lebt die Familie Bonhoeffer in Berlin, wo der Vater an der Charité tätig ist. Dietrich Bonhoeffers Kindheit und Schulzeit sind geprägt von den Erziehungs- und Wertvorstellungen des liberal gesinnten Bildungsbürgertums.
Nachdem er am humanistischen Grunewald-Gymnasium sein Abitur abgelegt hat, studiert Bonhoeffer ab 1923 in Tübingen und Berlin Theologie. 1927 wird er zum Doktor der Theologie promoviert. Sein anschließendes Vikariat führt ihn für ein Jahr in eine deutsche Gemeinde in Barcelona. Im Juli 1930 absolviert Bonhoeffer in Berlin sein zweites theologisches Examen und habilitiert sich in Systematischer Theologie. Um weitere Auslandserfahrungen zu sammeln, geht er im September 1931 für ein Studienjahr nach New York. Als Student am Union Theological Seminary beeindrucken ihn weniger die amerikanische akademische Theologie, sondern seine Begegnung mit der Rassentrennung und persönliche Kontakte zu Afroamerikanern. Wichtige Anregungen, die nach seiner Rückkehr nach Deutschland Eingang in seine Tätigkeit als Pfarrer und in sein theologisches Werk finden, vermitteln ihm die Indienstnahme des Christentums für die Bekämpfung sozialer und politischer Probleme durch die protestantische Bewegung des Social Gospel.
Bonhoeffers internationale Erfahrungen immunisieren ihn gegen den zunehmenden Nationalismus in Deutschland. Sein Engagement für die Ländergrenzen überschreitende Verkündigungsarbeit der Kirchen kommt in seiner Beteiligung an den Aktivitäten der „Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen“ zum Ausdruck. Im September 1931 wird er in Cambridge zu einem der drei Internationalen Jugendsekretäre der innerprotestantischen ökumenischen Vereinigung gewählt. Weiteren großen Einfluss auf sein Denken gewinnt in dieser Zeit die Theologie Karl Barths, mit dem er im Juli 1931 in Bonn zum ersten Mal persönlich zusammentrifft. Nach seiner Ordination im November 1931 ist er als Stadtvikar im Hilfsdienst in Berlin-Mitte tätig. Im Wintersemester 1931/32 nimmt er außerdem eine Lehrtätigkeit an der Berliner Universität auf.
Pfarrer der Bekennenden Kirche
Mit der Machtübernahme Hitlers ändert sich auch die Situation der protestantischen Kirchen im Deutschen Reich. Bereits 1932 hat sich ein Teil der evangelischen Christen in der „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ zusammengeschlossen. Das Ziel der Vereinigung ist die Umsetzung nationalsozialistischer Ideen in der Kirche. „Wir wollen, dass unsere Kirche in dem Entscheidungskampf um Sein oder Nichtsein unseres Volkes an der Spitze kämpft“, heißt es in den am 6. Juni 1932 erlassenen Richtlinien der „Deutschen Christen“. Nachdem sich 28 evangelische Landeskirchen am 1. Juli 1933 zur „Deutschen Evangelischen Kirche“ vereinigt haben, finden am 23. Juli reichsweite Kirchenwahlen statt, die die Deutschen Christen mit etwa zwei Drittel aller abgegebenen Stimmen gewinnen. Bei einer Synode am 27. September 1933 wird Hitlers Bevollmächtigter für Fragen der evangelischen Kirche, Ludwig Müller, zum Reichsbischof ernannt.
Dietrich Bonhoeffer gehört seit dem Tag der nationalsozialistischen Machtübernahme zur innerkirchlichen Opposition. In seinem im April 1933 entstandenen und im Juli 1933 veröffentlichten Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ fordert er die Kirche dazu auf, Widerstand zu leisten, falls sie durch staatliches Handeln in der Gefahr stehe, ihr Wesen als Kirche zu verlieren. „Die Kirche kann sich ihr Handeln an ihren Gliedern nicht vom Staate vorschreiben lassen. Der getaufte Jude ist Glied unserer Kirche.“ In Konsequenz dieses Gedankens gründet er nach der Einführung des „Arierparagraphen“ am 5. September 1933 in der Kirche der Altpreußischen Union zusammen mit Martin Niemöller und anderen den „Pfarrernotbund“. Die Angehörigen des Pfarrernotbundes verpflichten sich zu einer Amtsführung in alleiniger Orientierung an der Bibel und den lutherischen Bekenntnisschriften und erteilen damit der Übernahme nationalsozialistischen Gedankenguts in der kirchlichen Lehre eine Absage. Der Zusammenschluss ist ein Schritt hin zur Entstehung der „Bekennenden Kirche“, die sich schließlich anlässlich der Ersten Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche vom 29. bis 31. Mai 1934 in Wuppertal-Barmen konstituiert. Bonhoeffer selbst ist bei der Synode nicht anwesend, da er seit September 1933 ein Pfarramt in London ausübt.
Im April 1935 kehrt er nach Deutschland zurück, nachdem ihn der Bruderrat der Bekennenden Kirche gebeten hat, die Leitung ihres Predigerseminars in Pommern zu übernehmen. In seiner Ausbildungstätigkeit für angehende Pfarrer entwickelt er in den nächsten Jahren eine Theologie der christlichen Nachfolge, die dem umfassenden Machtanspruch der nationalsozialistischen Ideologie entgegensteht. Der Druck, der von staatlichen Stellen auf die Bekennende Kirche ausgeübt wird, verschärft sich dabei zusehends. Mit der „Fünften Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche“ vom 2. Dezember 1935 werden Prüfungen und Ordinationen der Bekennenden Kirche verboten. Bonhoeffers Arbeit bewegt sich von da an zwei Jahre lang am Rande der Illegalität. Am 29. August 1937 werden die Predigerseminare der Bekennenden Kirche schließlich auf Anweisung Heinrich Himmlers geschlossen.
Bonhoeffer selbst steht zunehmend im Visier der Gestapo. Wegen seiner Gegnerschaft zur Reichskirchenregierung hat er bereits im August 1936 ein Lehrverbot für die Berliner Universität erhalten. Im Januar 1938 wird er mit einem Aufenthaltsverbot für die Hauptstadt belegt. Trotz der wachsenden Gefahr einer Verhaftung führt er die Predigerseminare weiter, nun im Rahmen inoffizieller Sammelvikariate in Hinterpommern. Zur Tarnung ist er hier als „Hilfsprediger“ tätig. Eine Einladung des New Yorker Federal Council of Churches, die er seinen ökumenischen Kontakten verdankt, eröffnet ihm im Sommer 1939 die Möglichkeit einer Ausreise aus Deutschland. Nach nur wenigen Wochen entschließt er sich jedoch zur Rückkehr. An einen Freund schreibt er, er habe „kein Recht, an der Wiederherstellung des christlichen Lebens in Deutschland nach dem Kriege mitzuwirken“, wenn er nicht die Prüfungen der Zeit mit seinem Volke teile. Bis zum März 1940 widmet er sich weiterhin den Sammelvikariaten, dann beendet die Gestapo auch diese Tätigkeit.
Politischer Widerstand und Tod
Bonhoeffers Gegnerschaft zum Nationalsozialismus findet in seiner Familie starken Rückhalt. Sein Schwager ist der ehemalige Referent des Reichsjustizministers Gürtner, Hans von Dohnanyi, der seit August 1939 im Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht an Planungen für einen Umsturz beteiligt ist. Über Dohnanyi wird Bonhoeffer erst zum Mitwisser, dann zum Beteiligten am militärischen Widerstand. Die von Admiral Wilhelm Canaris geleitete Abwehr ist vor allem an Bonhoeffers Kontakten ins Ausland interessiert. Nachdem es gelungen ist, ihn vom Militärdienst freizustellen, unternimmt Bonhoeffer vom März 1940 an zahlreiche Reisen ins europäische Ausland, wo er unter anderem den Stab des Ökumenischen Rats der Kirchen über die Pläne und Ziele des deutschen Widerstands unterrichtet. Im Oktober 1942 reist er nach Freiburg, wo er Mitglieder der oppositionellen Freiburger Kreise, darunter auch der Jurist und spätere CDU-Bundestagsabgeordnete Franz Böhm, mit der Abfassung einer Denkschrift über die Grundsätze einer zukünftigen, auf christlicher Grundlage ruhenden, Außen- und Innenpolitik beauftragt.
Am 5. April 1943 wird Bonhoeffer zusammen mit Hans von Dohnanyi verhaftet und in das Militärgefängnis Berlin-Tegel überstellt. Schon seit längerem bemüht sich das Reichssicherheitshauptamt darum, belastende Beweise gegen Angehörige der militärischen Abwehr zu sammeln, da dieses aus Sicht der SS zu eigenständig agiert. Nach monatelangen Verhören lautet die offizielle Anklage gegen Bonhoeffer auf „Wehrkraftzersetzung“, seine Beteiligung an Umsturzplänen kann man ihm zunächst nicht nachweisen. Erst nach dem misslungenen Attentat vom 20. Juli 1944 gelangt die SS in den Besitz des Geheimarchivs der militärischen Abwehr. Es enthält Material, das auch Bonhoeffer belastet. Am 8. Oktober 1944 wird er von Tegel aus in das Gefängnis des Reichssicherheitshauptamts in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße verlegt. Von hier erfolgt, nach einem Bombenangriff, bei dem das Gebäude in Teilen zerstört wird, am 7. Februar 1945 Bonhoeffers Verlegung in das Konzentrationslager Buchenwald. Angesichts der vorrückenden US-Armee wird er zusammen mit anderen Häftlingen am 3. April nach Schönberg im Bayerischen Wald gebracht. Am 5. April gibt Hitler selbst den Befehl zur Ermordung Bonhoeffers. Zusammen mit Wilhelm Canaris, Hans Oster, Ludwig Gehre und Karl Sack, wie Bonhoeffer Beteiligte am militärischen Widerstand, wird er am Morgen des 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg durch Erhängen getötet. Noch am gleichen Tag ermordet die SS Hans von Dohnanyi in Sachsenhausen. Ein weiteres Opfer des nationalsozialistischen Terrors ist der Bruder Dietrich Bonhoeffers Klaus. Er stirbt kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee in Berlin am 23. April 1945 durch die Hand eines SS-Mannes.
Rezeption
Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers werden einem größeren Personenkreis durch die Edition „Widerstand und Ergebung“ bekannt, die der Theologe Eberhard Bethge, der engste Vertraute Bonhoeffers im letzten Jahrzehnt seines Lebens, 1951 veröffentlicht. Grundlage der Edition sind die Briefe, die Bonhoeffer während seiner Haftzeit in Tegel an Bethge richtete. Neben persönlichen Berichten enthalten sie auch theologische Überlegungen, Gebete und Gedichte. Das wohl bekannteste davon ist „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, das später auch vertont wird. Überliefert ist es in einem der letzten erhaltenen Briefe Bonhoeffers, den er zu Weihnachten 1944 an seine Verlobte Maria von Wedemeyer sandte.
Literatur (Auswahl):
- Eberhard Bethge: Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie. München 1983.
- Peter Steinbach/ Johannes Tuchel (Hrsg.): Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur 1933-1945. Berlin 2004.
- Dietrich Bonhoeffer: Werke. Hrgs. von Eberhard Bethge. Gütersloh, 2002 ff.
- Armin Boyens: Ein deutscher Theologe von Weltruf. Zum 100. Geburtstag von Dietrich Bonhoeffer am 4Februar, in: Die politische Meinung, Heft 435, 2006.
- Christiane Tietz: Dietrich Bonhoeffer: Theologe im Widerstand. München 2013.
- Wolfgang Huber: Dietrich Bonhoeffer. Auf dem Weg zur Freiheit. München 2019.