Familie und Beruf
Christine Lieberknecht wurde am 7. Mai 1958 in Leutenthal bei Weimar als ältestes von vier Kindern des evangelischen Pfarrers Lukas Determann geboren. Rückblickend erinnerte sie sich gerne an eine glückliche und behütete Kindheit, die von den geistigen und künstlerischen Traditionen des evangelischen Pfarrhauses geprägt war.
Pastorenkinder galten in der DDR als Außenseiter und auch Christine Lieberknecht und ihre Geschwister waren nicht Mitglied bei den Jungen Pionieren, der politischen Massenorganisation für Kinder in der DDR. Auch an der staatssozialistischen Jugendweihe nimmt sie nicht teil.
Christine Lieberknecht aber wollte teilhaben und mitgestalten, sie sah sich "als Gruppenmensch, der mit Gleichaltrigen etwas unternehmen will". So entschied sie sich, neben ihrer Mitarbeit in der evangelischen Pfarrjugend, der Freien Deutsche Jugend (FDJ) beizutreten.
1976 gestattete der SED-Staat ihr, in Bad Berka das Abitur abzulegen. Sie war mathematik- und sprachbegabt, entschloss sich dann aber zu einem Theologiestudium an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Während des Studiums lernte sie ihren Ehemann, den Pfarrer Martin Lieberknecht, kennen, der wie sie aus einer Pastorenfamilie stammte. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor.
Nach dem Vikariat trat sie 1984 ihre erste Pfarrstelle im Kirchenkreis Weimar an. Ihre Gemeinde betreute sie gemeinsam mit ihrem Mann. Für beide war ihr kirchliches Engagement bestimmend für den Umgang mit dem herrschenden SED-Regime. Als Pastorin widmete sich Lieberknecht besonders der Jugendarbeit. 1986 wurde sie Mitglied der Kommission für Kirchliche Jugendarbeit beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR.
Politisches Engagement in der CDU
Während ihrer Zeit als Pfarrerin engagierte sich Lieberknecht auch politisch. Seit 1981 gehörte sie der CDU an. Rückblickend bemerkte sie, dass die CDU in der DDR die einzige Partei war, in die man als politisch interessierter Christ habe eintreten können. Dort habe es noch einen "Spielraum an der Basis" gegeben und auch einen gewissen Freiraum, ähnlich wie in der Kirche. Die mit dem Parteieintritt durchaus verbundene Hoffnung, grundsätzlich etwas bewegen zu können, erwies sich jedoch bald auch für sie als Illusion. Jeder Versuch, mit eigenen Ideen mitzutun und zu verändern, wurde durch die Parteiführung um Gerald Götting bereits im Keim erstickt.
Denn die CDU war eine Blockpartei im von der SED bestimmten Parteiensystem der DDR. Sie sollte die Meinungsbildung der Mitglieder und der parteilosen christlichen Bevölkerung zu Fragen der Politik der SED und Problemen beeinflussen und erfassen. Als politisch interessierte Christin war Lieberknecht eine derjenigen Mitglieder der CDU, die versuchten, unter den Bedingungen der Diktatur des SED-Staates im lokalen Bereich menschlich zu handeln und Dinge zu beeinflussen. Außerhalb der herrschenden Strukturen war dies in der DDR nicht möglich.
Im „Brief aus Weimar“ vom 10. September 1989, den sie zusammen mit Martina Huhn, Martin Kirchner und Gottfried Müller unterzeichnet und an die Berliner Parteileitung sowie an alle Kreisverbände und Mitglieder der CDU richtete, sah Lieberknecht einen Versuch, die CDU in der DDR zu reformieren. Alle Unterzeichner kamen aus einem kirchlichen Umfeld. Der Brief forderte die Aufkündigung des Bündnisses mit der SED, die Aufhebung der Reisebeschränkungen und eine schonungslose Offenlegung der tatsächlichen Verhältnisse in der DDR. Im Prozess der demokratischen Erneuerung der CDU 1989/90 spielte der „Brief aus Weimar” eine zentrale Rolle.
Am 9. November 1989 gehörte Lieberknecht in Berlin zu den Mitbegründern der Christlich-Demokratischen Jugend (CDJ), die im Jahr darauf der Jungen Union Deutschlands beitrat. Mitte Dezember wurde sie auf dem Sonderparteitag der CDU der DDR Mitglied im Vorstand unter dem neuen Parteivorsitzenden Lothar de Maizière. Anfang 1990 folgte ihre Wahl zur stellvertretenden Landesvorsitzenden der CDU Thüringen. Seit 1991 war sie stellvertretende Vorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises von CDU/CSU, 1992 rückt sie in den CDU-Bundesvorstand auf.
Die Ministerin
Bei der ersten freien Landtagswahl in Thüringen nach der Wiedervereinigung, die am 14. Oktober 1990 stattfand, gewann die CDU 45,4 Prozent der Wählerstimmen und bildete eine Koalition mit der FDP. Zum Ministerpräsidenten wählte der Landtag am 8. November 1990 Josef Duchač, der Lieberknecht als einzige Frau in das Kabinett berief. Mit 33 Jahren war sie das jüngste Mitglied der Regierung. Als Kultusministerin setzte sie mit dem Aufbau der Kultusverwaltung und der Neugliederung des Thüringer Schulsystems, der Wiedereinführung des Religionsunterrichts und der Wiedergründung der Gymnasien Akzente. Richtungsweisend war auch die Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren, ein Schritt, der Modellcharakter für andere Bundesländer hatte. Auseinandersetzungen blieben dabei nicht aus. Die Dienstherrin von über 1000 Schulen zog sich mit der Überprüfung der Stasi-Vergangenheit von über 29.000 Lehrern die Kritik vieler Eltern und Lehrer zu.
Nach Stasi-Vorwürfen gegen Ministerpräsident Duchač trat Lieberknecht am 23. Januar 1992 zusammen mit den CDU-Ministern Jochen Lengemann und Klaus Zeh von ihrem Amt zurück und beförderte damit auch Duchačs Rücktritt.
Nach der Wahl Bernhard Vogels zum Ministerpräsidenten des Freistaats am 5. Februar 1992 wurde Lieberknecht erneut zur Ministerin ernannt, sie übernahm nun innerhalb der Staatskanzlei das dort angesiedelte Ressort für Bundes- und Europaangelegenheiten. In ihrer neuen Funktion setzte sie sich besonders für die Lösung von Problemen beim Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland ein. Im Sinne des langjährigen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jaques Delors, sprach sie sich dafür aus „Europa eine Seele zu geben“. Das hieß für sie „an den Bestand gemeinsamer europäischer Überzeugungen auch politisch anzuknüpfen“. Nur erlebbare Gemeinsamkeit stärke Identität substantiell.
Die Landtagspräsidentin
Nach der Landtagswahl 1999 schied Lieberknecht aus dem Kabinett Vogel aus und wurde zur neuen Präsidentin des Thüringer Landtags gewählt. Im Landtag war sie durch ihre präsidiale, ausgleichende und vermittelnde Art auch bei der Opposition respektiert und anerkannt. 2001 übernahm sie den Vorsitz der Landtagspräsidentenkonferenz und forderte auf dem von ihr initiierten Konvent aller Parlaments- und Fraktionschefs in Lübeck eine Neuordnung der Beziehungen zwischen Bund und Ländern.
Die Fraktionsvorsitzende
Eine weitere Veränderung brachte die Landtagswahl vom 13. Juni 2004, bei der die CDU ihre Mehrheit knapp verteidigte: Lieberknecht wurde zur neuen Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion gewählt und rückte damit, wie Das Parlament kommentierte, "in den innersten Machtzirkel der thüringischen Union" auf. Lieberknecht verfügte aus ihrer Zeit als Landtagspräsidentin über gute Kontakte in alle Fraktionen und konnte qua Amt an den Sitzungen des Kabinetts und des Präsidiums der CDU teilnehmen und Politik mitgestalten. Angesichts der dramatischen Finanzlage des Landes forderte sie von der Regierung einen rigorosen Sparkurs und den Abbau von Schulden.
Rückkehr ins Ministeramt
Mit der Umbildung des Kabinetts Dieter Althaus im April 2008 wurde Lieberknecht erneut zur Ministerin berufen, diesmal für Soziales, Familie und Gesundheit. Als „soziales Gewissen“ der Thüringer CDU machte sie das Recht auf einen Kindergartenplatz, die Wahlfreiheit zwischen Erziehungsgeld und Kindergarten, die Bekämpfung der Kinderarmut und die vor allem für bedürftige Kinder wichtigen Früherkennungsuntersuchungen zum Thema. Damit setzte sie die familienpolitischen Positionen der CDU in praktische Politik um, die zuvor unter der Leitung von Annegret Kramp-Karrenbauer von der Arbeitsgruppe Demografie der CDU-Grundsatzkommission erarbeitet wurden.
Die erste CDU-Ministerpräsidentin
Bei der Landtagswahl am 30. August 2009 verlor die CDU die absolute Mehrheit. Als Konsequenz aus der Niederlage trat Althaus, der zuvor aufgrund eines von ihm mit versursachten Skiunfalls in die Kritik geraten war, von seinen Ämtern als CDU-Landesvorsitzender und Ministerpräsident zurück. In der Partei wurde um die Nachfolge gerungen. Der Fraktionsvorsitzende der CDU im Thüringer Landtag, Mike Mohring, schlug Lieberknecht für den Parteivorsitz vor. Bei einem Sonderparteitag am 25. Oktober 2009 wurde sie zur neuen Vorsitzenden der CDU in Thüringen gewählt. Noch am gleichen Tag stimmten sowohl CDU als auch SPD dem zwischen beiden Parteien ausgehandelten Koalitionsvertrag mit großen Mehrheiten zu. Birgit Diezel wurde Landtagspräsidentin und Mohring behielt das Amt des Fraktionsvorsitzenden. Am 30. Oktober 2009 wählte der Landtag Lieberknecht im dritten Wahlgang zur Ministerpräsidentin des Landes Thüringen. Erstmals stand nun eine CDU-Regierungschefin an der Spitze einer Landesregierung. „Lutherland ist jetzt in Frauenhand“, titelte Die Zeit.
Zu ihren Leistungen gehörte die Aufstellung des Landeshaushalts ohne Neuverschuldung und die Förderung von Beschäftigungsmöglichkeiten für ältere Arbeitnehmer. Sie setzte sich für den Erhalt des Automobilstandortes Eisenach und für die Angleichung der Renten in Ost- und Westdeutschland sowie – auf Bundesebene – für die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns ein. Unter der Leitung von Lieberknecht fasste die Ministerpräsidentenkonferenz am 26. Oktober 2012 in Weimar einen Beschluss zur Energiewende, der vor allem den gemeinsamen Ausbau der erneuerbaren Energien umfasste: „Wir haben erreicht, dass es in den 16 Ländern sozusagen keine 16 Energiewenden gibt, dass praktisch jeder in seinem Verantwortungsbereich arbeitet.“ (Lieberknecht bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am 2. November 2012 in Berlin). Überschattet wurde ihre Amtszeit von einer Affäre über Beamtenpensionen und innerparteiliche Querelen.
Obwohl sich der Stimmenanteil der CDU bei der Landtagswahl im September 2014 erhöhte, gelang keine Fortsetzung der Großen Koalition. Mit den Stimmen von SPD und Grünen wurde Bodo Ramelow von der Partei Die Linke zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Nach der Wahlniederlage zog sich Lieberknecht vom Amt der CDU-Landesvorsitzenden zurück. Neuer Partei- und Fraktionschef wurde Mike Mohring. Dem Thüringer Landtag gehörte Lieberknecht bis 2019 weiterhin als Abgeordnete an.
Zu ihrem Abschied aus der Politik äußerte sie sich im Juli 2020 gegenüber dem "Deutschlandfunk":
"Ich fand eigentlich die letzten fünf Jahren sozusagen auch zum Abtrainieren als Abgeordnete im Thüringer Landtag, auch in der Opposition noch mal eine Perspektive, die ich bis dahin nicht hatte. Ich habe noch vieles im Wahlkreis gemacht, wo auch nach wie vor sehr viel Entgegenkommen war, und meine Ehrenämter, die auch nicht weniger geworden sind, ausgefüllt. Von daher bin ich gut beschäftigt und einfach froh und dankbar, dass ich diese Jahre in der Politik so erleben durfte, mitgestalten durfte, aber jetzt auch andere Prioritäten setzen kann."
Curriculum vitae
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1976 Abitur
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1976–1982 Studium der evangelischen Theologie in Jena
- 1981 Eintritt in die CDU (Ost)
- 1982 1. theologisches Examen
- 1982–1984 Vikariat
- 1984 2. theologisches Examen
- 1984–1990 Pastorin im Kirchenkreis Weimar
- 1989 Mitglied des Parteivorstandes der CDU (Ost)
- 1990–1992 stellvertretende CDU-Landesvorsitzende in Thüringen
- 1990–1992 Thüringer Ministerin für Kultus
- 1991–2019 MdL Thüringen
- seit 1991 stellvertretende Vorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU
- 1992–1994 Thüringer Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten
- seit 1993 Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Mitarbeit
- 1994–1999 Thüringer Ministerin für Bundesangelegenheiten in der Staatskanzlei
- 1994–2004 Mitglied im Präsidium der Europäischen Bewegung Deutschland
- 1997–2009 Mitglied der Synode der EKD
- 1999–2004 Präsidentin des Thüringer Landtags
- seit 2001 Ehrenvorsitzende der Europäischen Bewegung Thüringens e. V.
- 2004–2008 Vorsitzende der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag
- 2008–2009 Thüringer Ministerin für Soziales, Familie und Gesundheit
- 2009–2014 Vorsitzende der CDU Thüringen
- 2009–2014 Ministerpräsidentin des Freistaats Thüringen
- seit 2016 Mitglied im Vorstand der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
- seit 2020 Vorsitzende des Beirats „Errichtung eines Mahnmals für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft in Deutschland“
Veröffentlichungen
- Orientierung im Umbruch. Analysen zur Lage Deutschlands seit 1990 (1999).
- Lieberknecht, Christine: Miteinander leben. Frei - gerecht – solidarisch. Regierungserklärung, Plenarsitzung des Thüringer Landtags am 12. September 2008.
- Erbe und Verpflichtung für die gesamtdeutsche Erinnerungskultur. Berlin 2021.
Literatur
- Debes, Martin: Christine Lieberknecht. Von der Mitläuferin zur Ministerpräsidentin. Eine politische Biografie. Essen 2014.
- Hölzle, Peter: Thüringer Lektionen. Gespräch mit Kultusministerin Christine Lieberknecht. In: Evangelische Kommentare 24 (1991) 11, S. 646–649.
- Jirschim, Susanne: Schwarze Dame und roter Bube, Rudolstadt 2010.
- Milde, Georg: "Der Sinn von Politik ist Freiheit.“ Bei der Landtagswahl am 14. September stellen sich Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und die seit 24 Jahren regierende Thüringer CDU zur Wiederwahl. In: Entscheidung 62 (2014) 9/10, S. 30–31.
- Nientiedt, Klaus: „Der Grundsatz muß neu werden – das ganze Denken“. Ein Gespräch über das Bildungswesen in den neuen Bundesländern mit der thüringischen Kultusministerin Christine Lieberknecht. In: Herder Korrespondenz 45 (1991) 10, S. 460–466.